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Internationale
Händel-Festspiele Göttingen 10.05.2018 - 21.05.2018 Arminio
Dramma per musica in drei Akten (HWV 36) Aufführungsdauer: ca. 3 h 40' (zwei Pausen) Premiere im Deutschen Theater Göttingen am 12. Mai 2018(rezensierte Aufführung: Derniere am 21.05.2018) |
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Musikalische Sternstunde mit fragwürdiger Regie Von Thomas Molke / Fotos: © Alciro Theodoro da Silva Obwohl Händel selbst sein Spätwerk Arminio als eine seiner besten Opern betrachtete, war dem Werk bereits zu Lebzeiten des Komponisten kein großer Erfolg beschieden, was sich zum einen auf die nachlassende Popularität der italienischen Opera seria beim Londoner Publikum zurückführen lässt. So wurde das Stück bereits nach nur sechs Aufführungen 1737 aus dem Programm genommen, obwohl Händels Zeitzeugen der Musik eine hohe Qualität bescheinigten. Aber selbst bei den wenigen Vorstellungen blieben die Besucher aus. Zum anderen haben auch die meisten Händel-Forscher dieser Oper jahrelang keine besondere Bedeutung beigemessen, weil ihrer Meinung nach vieles in früheren Werken bereits besser vertont worden sei und Händel die dramaturgischen Schwächen durch die Streichung der langen Rezitative aufgrund der Kürze der Kompositionszeit nicht habe ausmerzen können. Auch die neugestaltete deutsche Fassung unter dem Titel Armin und Thusnelda, die anlässlich des 250. Geburtstags von Händel 1935 in Leipzig im Sinne "germanischen Großmachtdenkens" aufgeführt wurde, dürfte der Popularität des Werkes in späteren Jahren nicht gerade förderlich gewesen sein. Erst Alan Curtis unternahm bei der 2001 entstandenen ersten CD-Aufnahme des Werkes den Versuch, die besonderen Qualitäten des Werkes, wie die Loslösung von den traditionellen Da-capo-Arien hin zu kurzweiligen Ariosi und Duetten, herauszuarbeiten. Seinem Beispiel sind dann auch die diversen Händel-Festspiele in Deutschland gefolgt. Nach einer Aufführung in Händels Geburtsstadt Halle 2014 (siehe auch unsere Rezension) und einer Inszenierung in Karlsruhe vor zwei Jahren (siehe auch unsere Rezension) bringen nun auch die Internationalen Händel-Festspiele in Göttingen eine szenische Produktion heraus und präsentieren damit obendrein zwei Jahre vor dem 100-jährigen Jubiläum die vorletzte Oper, die in Göttingen bisher noch nicht szenisch auf dem Spielplan stand. Ein Bild wie aus einem Museum: von links: Ramise (Helena Rasker), Sigismondo (Sophie Junker), Tusnelda (Anna Devin), Arminio (Christopher Lowrey), Tullio (Owen Willetts), Varo (Paul Hopwood) und Segeste (Cody Quattlebaum) Die Oper basiert auf einem Libretto von Antonio Salvi, das erstmals 1703 von Alessandro Scarlatti vertont worden war, und handelt von dem zum Mythos stilisierten Helden Arminius, der Varus und den Römern bei der Schlacht im Teutoburger Wald 9 n. Chr. eine historisch bedeutende Niederlage zufügte, die die Unabhängigkeit der Germanen vom Imperium Romanum auf Dauer sichern sollte. Dabei wird diese Episode in der Oper aber nur am Rande kurz vor dem obligatorischen lieto fine erwähnt. Im eigentlichen Zentrum steht der innergermanische Konflikt zwischen Arminio (Arminius), dem Anführer der Chauken und Cherusker, und seinem Schwiegervater Segeste, dem Fürsten der Chatten, der mit den Römern verbündet ist und ihnen den gefangenen Arminio ausliefert. Dies bringt einerseits seine Tochter Tusnelda, Arminios Gattin, gegen ihn auf, da sie natürlich verlangt, dass ihr Vater ihren Ehemann freilässt und sie nicht zwingt, den Oberbefehlshaber der Römer, Varo (Varus) zu heiraten, der ebenfalls in Tusnelda verliebt ist. Andererseits gerät Segestes Sohn Sigismondo dadurch in eine nahezu auswegslose Situation, da er zum einen Arminios Schwester Ramise liebt und sich deshalb verpflichtet fühlt, seiner Geliebten bei der Befreiung ihres Bruders zu helfen, zum anderen aber auch glaubt, als treuer Sohn seinen Vater unterstützen zu müssen. Arminio wiederum ist fest entschlossen, sich als Vorbild für Mut und Würde hinrichten zu lassen. Doch Varo verlangt, dass Arminio als Krieger im Kampf für die eigene Freiheit stirbt. Als ein weiterer germanischer Heerführer, Segismero, die römischen Truppen angreift und Varo in die Schlacht zieht, befreit Sigismondo auf Drängen von Ramise und seiner Schwester Tusnelda Arminio, so dass dieser Varo und seinen Truppen die legendäre Niederlage im Teutoburger Wald zufügen kann. Seinem Schwiegervater Segeste vergibt Arminio nach gewonnener Schlacht großmütig. Tullio (Owen Willetts, rechts) rät Segeste (Cody Quattlebaum, Mitte), Arminio (Christopher Lowrey, hinten links) hinzurichten. Welchen Ansatz das Regie-Team um Erich Sidler verfolgt, bleibt leider unklar. Zur Ouvertüre sieht man die Figuren in modernen Kostümen in einer Art Standbild in einem Saal. Aus dem Schnürboden hängen zwei riesige Lüster herab. Nach der ersten Pause befindet sich einer dieser Lüster im Hintergrund der Bühne auf dem Boden. Nach der zweiten Pause sind beide Lüster verschwunden. Zwischen riesigen quaderförmigen Bühnenelementen, die scheinbar wahllos auf der Bühne platziert sind, sieht man im Hintergrund eine hässliche Steinwand vor der kahlen Bühnenrückwand. Einer der Quader wird im Laufe des Stückes mehrmals gedreht und stellt wohl die Zelle dar, in der Arminio gefangen gehalten wird. Wieso die Wände allerdings mit Bäumen versehen sind, erschließt sich nicht. Soll das der Teutoburger Wald als Anspielung auf den folgenden Sieg Arminios sein? Spielt die Szene eventuell in einem Museum, weil während der Ouvertüre eine Statistin über die Bühne geht und die Figuren in ihren Posen fotografiert und später zwei weitere Statisten ein Bild von Arminio in seiner Zelle zeichnen? Dies lässt sich wohl genauso wenig beantworten wie die Frage, wieso dem Gefangenen Arminio eine römische Rüstung gereicht wird, die er anlegt und mit der er während einer seiner Arien vor einem Spiegel posiert? Haben die wechselnden Kleider bei Tusnelda und Ramise eine tiefere Bedeutung, da sie die einzigen sind, die sich nicht permanent ihrem Schicksal ergeben, sondern versuchen, ihre Situation zu verändern? Arminio (Christopher Lowrey, Mitte) vertraut Varo (Paul Hopwood, links) seine Frau Tusnelda (Anna Devin) an. Diese ganzen Unklarheiten könnten den Genuss des Abends trüben, wenn nicht die hervorragende musikalische Umsetzung kaum Gelegenheit dazu lassen würde. Ein gesanglicher Höhepunkt reiht sich an diesem Abend an den nächsten, so dass man wirklich keine Zeit hat, sich mit der fragwürdigen Regie auseinanderzusetzen. Da ist zunächst Christopher Lowrey zu nennen, der die Titelpartie mit flexiblem Countertenor gestaltet. Schon in seiner erste Arie "Al par della mia sorte", in der Arminio seinen ungebrochenen Stolz betont, begeistert Lowrey mit beweglichen Koloraturen und sauberen Spitzentönen. Wenn Arminio im zweiten Akt zur Hinrichtung geführt werden soll, punktet Lowrey in der Arie "Sì, cadrò, ma sorgerà" mit sehr weichen Tönen. Großartig gelingt ihm auch seine große Arie im dritten Akt, "Fatto scorta al sentier della gloria", mit der Arminio siegesgewiss in den Kampf gegen die Römer zieht. Lowrey zieht hier noch einmal das ganze Register seines stimmlichen Könnens und taucht sogar in eine virile Bruststimme ab. Da wird deutlich, wieso diese Partie nicht von einer Frau gesungen werden sollte. Anna Devin begeistert als Arminios Gattin Tusnelda mit leuchtendem Sopran und glasklaren Höhen. Auch sie bewältigt die ganze Bandbreite von der liebenden hin zur leidenden Frau mit stimmlich differenzierter Ausgestaltung. Ramise (Helena Rasker, links) verlangt von Sigismondo (Sophie Junker, rechts) eine Entscheidung. Sophie Junker glänzt als Tusneldas Bruder Sigismondo mit jugendlichem Sopran und durchlebt die innere Zerrissenheit des jungen Mannes zwischen der Liebe zu Ramise und dem Pflichtgefühl gegenüber dem Vater absolut glaubhaft. Einen musikalischen Glanzpunkt stellt Sigismondos große Arie, "Posso morir, ma vivere", am Ende des ersten Aktes dar, in die Junker mit bewegendem Sopran die Leiden des jungen Mannes hineinlegt. Das Publikum zeigt sich von ihrer Darbietung so begeistert, dass es noch nicht einmal das Ende der Musik abwartet, sondern beim fallenden Vorhang in großen Jubel ausbricht. Mit Helena Rasker als Ramise hat Junker eine großartige Sängerdarstellerin an ihrer Seite, die mit ihrem dunklen Alt deutlich macht, dass sie dem verträumten jungen Mann stets zeigen muss, wo es lang geht. Dabei punktet Rasker nicht nur mit enormem Volumen, sondern auch mit großer Beweglichkeit in der Stimmführung. Aufhorchen lässt auch Owen Willetts als Tullio, dem als römischem Tribun zwar eigentlich eine eher unbedeutende Rolle zukommt, der aber von Händel mit zwei wunderbaren Arien bedacht worden ist, die Willetts mit sauber geführtem Countertenor präsentiert. Cody Quattlebaum stattet den intriganten Segeste mit dunklem Bass aus und gefällt durch ausdrucksstarkes Spiel. Nur Paul Hopwood bleibt als Varo ein bisschen blass, was aber vielleicht auch der Anlage der Figur in der Partitur geschuldet ist. Laurence Cummings unterstreicht mit dem präzise aufspielenden FestspielOrchester Göttingen, welches musikalische Potenzial trotz aller dramaturgischen Schwächen in diesem Stück liegt, und lässt hoffen, dass Händels Arminio in den folgenden Jahren sein Schattendasein beendet. Selbst Sidler bezieht am Ende dann klare Position, wenn er dem lieto fine des Librettos misstraut und Arminio und Tusnelda die Römer und Segeste an die Wand stellen und die Waffen auf sie richten lässt, während der Vorhang fällt. FAZIT Händels Arminio hat musikalisch durchaus seine Reize und verdient es, dass dem Stück mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Von der Regie hätte man sich allerdings einen klareren Ansatz gewünscht Weitere Rezensionen zu den Internationalen Händel-Festspielen Göttingen 2018
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ProduktionsteamMusikalische Leitung Regie Bühnenbild Kostüme Licht
Solisten
Arminio Tusnelda
Sigismondo Ramise Varo Tullio Segeste
Weitere |
- Fine -