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Napoleon in der VarusschlachtVon Thomas Molke / Fotos von Falk von TraubenbergHändels Spätwerk Arminio gehört zu den absoluten Opernraritäten im Schaffen des Hallenser Komponisten. Doch bereits zu Lebzeiten des Komponisten war dem Werk kein großer Erfolg beschieden, was sich zum einen auf die nachlassende Popularität der italienischen Opera seria beim Londoner Publikum zurückführen lässt. So wurde das Werk bereits nach nur sechs Aufführungen 1737 aus dem Programm genommen. Händels Zeitzeugen bescheinigten der Musik zwar eine hohe Qualität, und der 4. Earl von Shaftesbury lobte das Werk überaus und bezeichnete es als "Händels Liebling". Doch selbst bei den wenigen Vorstellungen blieben die Besucher aus. Zum anderen haben auch die meisten Händel-Forscher dieser Oper keine besondere Bedeutung beigemessen, weil ihrer Meinung nach vieles in früheren Werken bereits besser vertont worden sei und Händel die dramaturgischen Schwächen durch die Streichung der langen Rezitative aufgrund der Kürze der Kompositionszeit nicht habe ausmerzen können. Auch die neugestaltete deutsche Fassung unter dem Titel Armin und Thusnelda, die anlässlich des 250. Geburtstags von Händel 1935 in Leipzig im Sinne "germanischen Großmachtdenkens" aufgeführt wurde, dürfte der Popularität des Werkes nicht gerade förderlich gewesen sein. Erst Alan Curtis unternahm bei der 2001 entstandenen ersten CD-Aufnahme des Werkes den Versuch, nachzuweisen, dass diese Oper zu Unrecht vernachlässigt wird. Nach den Internationalen Händel-Festspielen in Händels Geburtsstadt Halle vor zwei Jahren bemüht man sich nun auch, bei den Internationalen Händel-Festspielen in Karlsruhe Interesse für die besonderen Qualitäten des Werkes, wie die radikalen Kürzungen der Rezitative und die Loslösung von den traditionellen Da-capo-Arien hin zu kurzweiligen Ariosi und Duetten, zu wecken. Tusnelda (Layla Claire) und Arminio (Max Emanuel Cencic) planen die gemeinsame Flucht vor den Römern. Die Oper basiert auf einem Libretto von Antonio Salvi, das erstmals 1703 von Alessandro Scarlatti vertont worden war, und handelt von dem zum Mythos stilisierten Helden Arminius, der Varus und den Römern bei der Schlacht im Teutoburger Wald eine Niederlage zufügte, die die Unabhängigkeit der Germanen vom Imperium Romanum auf Dauer sichern sollte. Dabei wird diese Episode in der Oper aber nur am Rande kurz vor dem obligatorischen lieto fine erwähnt. Im eigentlichen Zentrum steht der innergermanische Konflikt zwischen Arminio (Arminius), dem Anführer der Chauken und Cherusker, und seinem Schwiegervater Segeste, dem Fürsten der Chatten, der mit den Römern verbündet ist und ihnen den gefangenen Arminio ausliefert. Dies bringt einerseits seine Tochter Tusnelda, Arminios Gattin, gegen ihn auf, da sie natürlich verlangt, dass ihr Vater ihren Ehemann freilässt und sie nicht zwingt, den Oberbefehlshaber der Römer, Varo (Varus) zu heiraten, der ebenfalls in Tusnelda verliebt ist. Andererseits gerät Segestes Sohn Sigismondo dadurch in eine nahezu auswegslose Situation, da er zum einen Arminios Schwester Ramise liebt und sich deshalb verpflichtet fühlt, seiner Geliebten bei der Befreiung ihres Bruders zu helfen, zum anderen aber auch glaubt, als treuer Sohn seinen Vater unterstützen zu müssen. Arminio wiederum ist fest entschlossen, sich als Vorbild für Mut und Würde hinrichten zu lassen. Doch Varo verlangt, dass Arminio als Krieger im Kampf für die eigene Freiheit stirbt. Als ein weiterer germanischer Heerführer, Segismero, die römischen Truppen angreift und Varo in die Schlacht zieht, befreit Sigismondo auf Drängen von Ramise und seiner Schwester Tusnelda Arminio, so dass dieser Varo und seinen Truppen die legendäre Niederlage im Teutoburger Wald zufügen kann. Seinem Schwiegervater Segeste vergibt Arminio nach gewonnener Schlacht großmütig. Varo (Juan Sancho, ganz rechts mit von der Mitte nach rechts: Tullio (Owen Willetts) und Segeste (Pavel Kudinov)) stellt Arminio (Max Emanuel Cencic, links) vor die Wahl: Kapitulation oder Hinrichtung. Max Emanuel Cencic, der neben der Titelrolle auch noch die Regie in dieser Produktion übernommen hat, verlegt die Schlacht im Teutoburger Wald ins ausgehende 18. bzw. beginnende 19. Jahrhundert und lässt die Römer als Napoleonische Soldaten auftreten. Die Cherusker und Chatten stellen dabei den französischen Adel des Ancien Régime dar, was inhaltlich schon allein deshalb nicht aufgeht, da die Germanen, also der alte Adel, am Ende ja als Sieger über die Römer, Napoleons Truppen, dastehen. Für die Figur des Varo hat sich Cencic von Milo Formans Film Goyas Geister inspirieren lassen und Pater Lorenzo Casamares als Vorbild für den römischen Oberbefehlshaber genommen. Bereits während der Ouvertüre himmelt er im Klerikergewand Tusnelda auf einem großen Bild an, die sich allerdings von ihm abwendet, was für ihn Grund genug ist, seine Kirchenrobe abzulegen und nun als Soldat Napoleons gegen den französischen Adel in den Kampf zu ziehen. Ist man bereit, sich auf diesen absoluten Logikfehler in der Inszenierung einzulassen - und das Premierenpublikum scheint kein Problem damit zu haben -, gelingt es Cencic, mit einem spielfreudigen Ensemble und einer ausgeklügelten Personenregie eine stimmige Geschichte zu erzählen, die von einem beeindruckenden Bühnenbild (Helmut Stürmer) und opulenten Kostümen, für die neben Corine Gramosteanu ebenfalls Stürmer verantwortlich zeichnet, unterstützt wird. Dabei kommt die komplette Bühnentechnik mit drei individuell steuerbaren Drehringen und einer vierten Drehbühne im Zentrum zum vollen Einsatz und ermöglicht mit hohen Stellwänden variable Bühnenräume, die sich blitzschnell verwandeln lassen. Natürlich dürfen auch der Luxus des Hochadels im ersten Akt, die aufgespießten Köpfe im zweiten Akt und die Guillotine im dritten Akt nicht fehlen. Im Hintergrund sieht man als Videoprojektion im dritten Akt einen Wald (den Teutoburger Wald?), der dann bei der Varusschlacht in Flammen aufgeht und sich zum lieto fine in eine öde Landschaft in der aufgehenden Sonne verwandelt. Nach dem Sieg über Varo lässt Arminio (Max Emanuel Cencic, rechts) seinem Schwiegervater Segeste (Pavel Kudinov, Mitte vorne) gegenüber Gnade walten, scheinbar. Ein Pluspunkt der Inszenierung ist Cencics ausgefeilte Personenregie, was vor allem bei den eher handlungsarmen Arien zu beobachten ist. So gelingt es Cencic einerseits keine Längen an den Stellen entstehen zu lassen, wenn die Handlung der Geschichte in den Arien zum Stillstand kommt, ohne dabei andererseits die Szene mit übertriebenem Aktionismus zu strapazieren. Wenn Arminio und Tusnelda im Duett im ersten Akt über Flucht nachdenken, wirkt es sogar passend, die beiden optisch an Marie-Antoinette und Ludwig XVI. erinnern zu lassen. Dass der ständig mit seinem Schicksal hadernde Sigismondo sein Heil in den Karten sucht, ist genauso gut in Szene gesetzt wie Ramises und Tusneldas hehrer Plan, Arminio im dritten Akt entweder zu retten oder sich selbst umzubringen, den sie nur im alkoholisierten Zustand fassen können. Auch dass Varo bei seiner großen Arie im ersten Akt vor dem Bildnis Tusneldas masturbiert, wirkt weniger anstößig als vielmehr aus seiner unerfüllten Liebe zu Arminios Gattin motiviert. Genauso wenig kann es wirklich empören, dass er sie am Ende des zweiten Aktes vergewaltigt, wenn sie aus Liebe zu ihr Unterstützung für ihren Ehemann einfordert. Dabei findet Cencic an anderen Stellen auch einen sehr komödiantischen Zugang, sei es, dass Ramise mit ihrem breiten Reifrock zu Beginn der Oper nicht durch die Tür passt oder Segeste beim Versuch, sie und seinen Sohn zu foltern, vehement in seine Schranken weist. Auch der angedrohte Einsatz des Folterwerkzeugs von Seiten des Vaters scheint bei Sigismondo die eine oder andere Panikkoloratur auszulösen. An ein Happy End glaubt Cencic in seiner Inszenierung jedoch nicht. Wenn Arminio und Tusnelda das alte System wieder etabliert haben und als Vertreter des Ancien Régime gemeinsam mit ihren Kindern und Sigismondo und Ramise an einem prunkvoll gedeckten Tisch Platz nehmen, erfährt Segeste nicht die im Libretto erwähnte Gnade, sondern landet selbst unter dem Fallbeil, während der Jubelchor am Ende der Oper leicht hohl klingend über die Lautsprecher eingespielt wird. Tusnelda (Layla Claire, Mitte) und Arminio (Max Emanuel Cencic, Mitte) feiern mit Ramise (Ruxandra Donose, links) und Sigismondo (Vince Yi, rechts) den Sieg der Germanen. Doch nicht nur die Inszenierung wird vom Premierenpublikum mit großem Beifall bedacht. Auch das musikalische Niveau des Abends lässt keine Wünsche offen. Cencic gelingt mit dunkel eingefärbtem Counter der Spagat zwischen Regie und Titelpartie, ohne sich dabei szenisch in den Vordergrund zu spielen, wenn der Text es nicht gerade verlangt. Mit beweglichen Koloraturen und langen Phrasen verleiht er dem Cheruskerfürsten in seiner ersten großen Arie "Al par della mia sorte" heroisches Pathos, wenn der er sich nach der Gefangennahme durch Varo todesmutig seinem Schicksal stellt und nicht bereit ist, sich dem römischen Herrscher zu unterwerfen. In seiner düsteren Gefängnisarie überzeugt er durch eine dunkel timbrierte Mittellage und weich lamentierend angesetzte Töne, während er in der Arie "Si, cadro" mit furiosen Koloraturen seinem drohenden Tod tapfer ins Auge sieht. Auch Arminios Bravourarie im dritten Akt, "Fatto scorta", in der er sich erneut Varo kämpferisch entgegenstellen will, meistert Cencic mit riesigen Intervallsprüchen. Vince Yi verfügt als Sigismondo über einen regelrechten Ausnahme-Countertenor, der in den Höhen so kristallklar klingt, dass man sich kaum vorstellen kann, dass diese Partie wirklich von einem Mann gesungen wird. Die weiche Stimme korrespondiert genau mit dem wankelmütigen Charakter des jungen Mannes, der sich nicht wirklich gegen seinen Vater Segeste durchsetzen kann. Wie Yi im zweiten Akt in seiner großen Arie "Quella fiamma" mit der Oboe in den Koloraturen wetteifert, ist eine stimmliche Meisterleistung. Auch die leisen Töne am Ende des ersten Aktes, wenn er seinem Vater erklärt, dass er sich nicht gegen seine Geliebte Ramise stellen kann, gehen unter die Haut. Layla Claire begeistert als Tusnelda mit strahlenden Koloraturen und beweglichem Sopran und erweist sich für Arminio als ebenbürtige Gattin. Auch beim bittenden Lamento am Ende des zweiten Aktes bewegt Claire mit eindringlicher Interpretation. Ruxandra Donose wirkt als Ramise mit ihrem dunklen Mezzo stellenweise im Vergleich zum Orchester etwas leise, punktet aber durch eine enorme Bühnenpräsenz und sauber ausgesungene Bögen. Juan Sancho begeistert als Varo vor allem in seiner großen Arie "Mira il ciel", in der er den Soldaten Mut für den neuen bevorstehenden Kampf mit den Germanen macht, mit heroischen Höhen und beweglichen Koloraturen. Owen Willetts und Pavel Kudinov runden als Tullio und Segeste das Ensemble mit leicht geführtem Counter beziehungsweise profundem Bass wunderbar ab. George Petrou lotet mit dem Ensemble Armonia Atenea die vielschichtige Partitur differenziert aus und wird genauso wie die Sänger mit frenetischem Jubel bedacht.
Ob das Werk zu Unrecht vernachlässigt wird, lässt sich mit Blick auf einige Längen und dramaturgische Schwächen im Libretto sicherlich kontrovers diskutieren. Cencic gelingt aber eine spannungsgeladene Inszenierung, die trotz der fast vier Stunden keinen Moment Langeweile aufkommen lässt, und mit der Verlegung in eine andere Zeit dem Stück trotz kleiner Unstimmigkeiten gerechter wird als Nigel Lowerys Inszenierung vor zwei Jahren in Halle. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne, Kostüme und Licht Kostüme Video Licht
Dramaturgie
Armonia Atenea SolistenArminio, Fürst der Chauken und Cherusker
Tusnelda, Ehefrau Arminios, Segeste,
Fürst der Chatten,
Varo, Oberbefehlshaber der
Sigismondo, Sohn Segestes, Ramise,
Schwester Arminios
Tullio, Hauptmann Varos Kinder
Arminios und Tusneldas Diener, Soldaten
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