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Opernfestspiele Heidenheim

13.06.2018 - 29.07.2018

I Lombardi

Oper in vier Akten
Libretto von Temistocle Solera nach dem gleichnamigen Versepos von Tommaso Grossi
Musik von Giuseppe Verdi

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 30' (eine Pause)

Premiere im Festspielhaus Congress Centrum in Heidenheim am 19. Juli 2018
(rezensierte Aufführung: 20.07.2018)

 


 

 

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Kreuzfahrergeschichte in Black-Box-Optik

Von Thomas Molke / Fotos: © Oliver Vogel

Nachdem Giuseppe Verdi mit seiner dritten Oper Nabucco bei der Uraufführung einen sensationellen Erfolg erlebt hatte, zögerte der Impresario der Mailänder Scala, Bartolome Merelli, nicht lange, um den jungen aufstrebenden Komponisten mit einem weiteren Auftrag an die Scala zu verpflichten. Schon bei der zweiten Aufführung von Nabucco soll er mit einem fertig ausgefüllten Vertrag, bei dem Verdi nur noch die Höhe der Gage eintragen sollte, in die Künstlergarderobe gekommen sein. Mit I Lombardi alla prima crociata begannen dann die von Verdi selbst betitelten "Galeerenjahre", in denen er innerhalb von zehn Jahren insgesamt dreizehn Opern zu Papier brachte, die allesamt beim Publikum begeistert aufgenommen wurden. I Lombardi soll bei der Uraufführung am 11. Februar 1843 sogar noch frenetischer gefeiert worden sein als der Vorgänger Nabucco und enthält mit den großartigen Chorpassagen Stücke, die auch heute noch bei den Italienern ähnlich beliebt und bekannt sind wie der berühmte Gefangenenchor "Va, pensiero, sull' ali dorate". Dass das Stück nach seinen großen internationalen Erfolgen in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts sich nicht im Repertoire der Opernhäuser halten konnte und heute nur sehr selten szenisch zu erleben ist, mag zum einen an den dramaturgischen Schwächen des Librettos liegen, das mit seinem episodenhaften und wenig stringenten Aufbau, sowie zahlreichen Orts- und Szenenwechseln recht verworren und schwer nachvollziehbar ist. Zum anderen lässt vielleicht auch die musikalische Nähe zu Nabucco das Werk im Schatten des heute wesentlich beliebteren Vorgängers stehen. Da Nabucco in diesem Jahr bei den Opernfestspielen Heidenheim als Open-Air-Veranstaltung im Rittersaal Schloss Hellenstein gespielt wird, gibt es im dritten Jahr der Reihe mit den frühen Verdi-Opern in chronologischer Reihenfolge also bereits Verdis vierte Oper.

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Arvino (León de la Guardia) und Viclinda (Anna Werle) scheinen nicht glücklich miteinander zu sein.

Das Libretto der Oper verfasste wie bereits bei Nabucco Temistocle Solera. Er griff dabei auf ein Epos von Tommaso Grossi über den ersten Kreuzzug von 1096 bis 1099 zurück. Dass es sich bei den ausziehenden Kreuzrittern um die Lombarden handelt, mag dem Uraufführungsort Mailand geschuldet sein. Im Zentrum der Oper steht allerdings weniger der Kreuzzug als vielmehr ein Familienkonflikt zwischen den lombardischen Brüdern Pagano und Arvino. Beide waren einst in die gleiche Frau, Viclinda, verliebt. Als diese sich für Arvino entschied, versuchte Pagano, seinen Bruder zu töten, und wurde verbannt. Zu Beginn der Oper kehrt Pagano aus der Verbannung zurück, um sich mit seinem Bruder auszusöhnen. Doch der Anblick der ehemaligen Geliebten, die mittlerweile mit Arvino eine erwachsene Tochter, Giselda, hat, und die Tatsache, dass Arvino den Kreuzzug der Lombarden nach Jerusalem anführen soll, lassen Paganos alte Wut wieder aufkeimen, so dass er einen erneuten Mordanschlag unternimmt, dem allerdings sein Vater zum Opfer fällt. Wieder verlässt Pagano die Heimat und lebt fortan als Eremit in einer Höhle in Antiochia. Dorthin verschlägt es auch Giselda, die auf dem Weg nach Jerusalem von Acciano, dem Herrscher über Antiochia, gefangen genommen worden ist und nun in seinem Harem lebt. Accianos Sohn Oronte verliebt sich in Giselda und konvertiert zum christlichen Glauben. Pagano sieht seine Chance zur Buße gekommen und unterstützt die Kreuzritter bei der Einnahme Antiochias. Oronte flieht tödlich verwundet mit Giselda und empfängt von dem Eremiten Pagano kurz vor seinem Tod die heilige Taufe. Als Geist erscheint er Giselda und den erschöpften Kreuzfahrern noch einmal kurz vor den Toren Jerusalems und weist ihnen den Weg zu einer Quelle. Bei der Eroberung Jerusalems wird auch Pagano tödlich verletzt, gibt sich seinem Bruder und seiner Nichte zu erkennen und bittet um Vergebung für seine Schuld.

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Pagano (Pavel Kudinov) bereut seine Taten als Eremit im Exil.

Tobias Heyder, der bereits vor zwei Jahren mit seiner Inszenierung von Verdis Oberto den Zyklus mit den frühen Verdi-Opern in chronologischer Reihenfolge eröffnet hat, wählt für I Lombardi ein ähnliches Regie-Konzept mit der Black-Box-Optik. Dabei verzichtet er auf ein Bühnenbild, verwendet für die einzelnen Szenen lediglich wie schon bei Oberto zahlreiche Stühle und einen Tisch und konzentriert sich ganz auf das Innenleben der Hauptcharaktere, die in den Kostümen von Janine Werthmann farblich deutlich voneinander abgetrennt werden. Viclinda trägt ein feuerrotes Abendkleid, das sie als Auslöser für den Bruderkonflikt optisch ins Zentrum rückt. Arvino tritt in einem dunkelroten Anzug auf, der zum einen aufzeigt, dass er Viclinda für sich gewonnen hat, zum anderen aber auch die Farbe der Kreuzfahrer symbolisiert, die mit ihrem Kreuzzug Tod und Verderben über die zu bekehrenden Völker bringt. Der Chor der Kreuzfahrer nimmt bei den schwarz gehaltenen Kostümen die Farbe Rot in Form von Krawatten, Tüchern oder Kopfbedeckungen wieder auf. Pagano trägt zunächst einen dunkelblauen Anzug, der ihn zwar nicht als Bösewicht charakterisiert, ihn allerdings zumindest von den übrigen Figuren abhebt. Als Eremit legt er diesen kräftigen Farbton ab und tritt unscheinbar wie ein Bettler auf. Auch Giselda sticht mit ihrem hellen Kostüm deutlich heraus, wobei ihr die Blümchenornamente eine gewisse Naivität verleihen. Wahrscheinlich steht die zarte Farbe ihres Kleides für ihren gutmütigen Charakter. Acciano und seine Frau Sofia werden durch die Farbe Grün charakterisiert, wobei der Chor der Muslime den Farbton Grün als Tücher über den schwarzen Kostümen tragen. Die Haremsdamen verleihen der Aufführung mit goldgelben Tüchern über den schwarzen Kleidern einen orientalischen Touch.

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Giselda (Anna Jeruc) und der tödlich verwundete Oronte (Marian Talaba) auf der Flucht

Der Vorgeschichte der Oper räumt Heyder in seiner Inszenierung eine ganz besondere Bedeutung ein. Zum einen bringt er sie gleich zweimal auf die Bühne. Während der Ouvertüre sieht man zunächst Pagano und Viclinda eng umschlungen auf der Bühne tanzen, bevor Arvino auftritt und Viclinda sich diesem zuwendet, was Pagano nicht verkraften kann. Dann wird die Szene im ersten Akt noch während der Erzählung des Chors von einzelnen Chormitgliedern nachgestellt. Zum anderen behält er die Figur der Viclinda im ganzen Stück bei, obwohl sie laut Libretto eigentlich nur im ersten Akt auftritt und die Kreuzritter keineswegs nach Jerusalem begleitet. So steht sie für die aussichtslose Liebe, die Giselda und Oronte verbindet. Im vierten Akt lässt Heyder sie dann sogar auf der Bühne vor den Toren Jerusalems sterben, was Pagano am Ende die Möglichkeit gibt, im Tod doch wieder mit der Frau vereint zu sein, die sein gesamtes Handeln motiviert hat. Eine unschöne Auseinandersetzung zwischen Viclinda und Arvino im dritten Akt, die ebenfalls im Libretto nicht vorkommt, sowie Arvinos aggressives Verhalten während des Kreuzzugs unterstreichen, dass in Heyders Sicht Viclinda besser zu Pagano als zu Arvino gepasst hätte und eine Entscheidung für Pagano die Familientragödie vielleicht hätte verhindern können.

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Arvino (León de la Guardia, auf dem Tisch) feuert die Kreuzritter zum Kampf an.

Sehr ernst nimmt Heyder auch Paganos versehentlichen Mord am Vater, der dramaturgisch schwer nachvollziehbar ist. Wieso sollte Pagano nicht erkennen, dass nicht Arvino sondern sein Vater vor ihm steht, als er zum tödlichen Schlag ausholt? Arvino gibt dafür seinem Vater sein eigenes rotes Sakko und lässt ihn mit seiner Frau und seiner Tochter beim Abendessen auf seinem eigenen Stuhl Platz nehmen, so dass Pagano, der hereinstürmt, ihn nur von hinten sieht und ihn aufgrund der Kleidung und des Platzes für seinen Bruder halten kann. Unklar bleibt hingegen die Szene im vierten Akt, wenn der tote Oronte Giselda als Geist im Traum erscheint. Die Kreuzfahrer versammeln sich hier in einem feinen Restaurant bei Kerzenschein zu diversen Rendezvous, machen den Frauen mit Rosen Anträge und tanzen über die Bühne, während Giselda an einem runden Tisch Platz nimmt und beim Essen mit Oronte aus dem Off kommuniziert. Aber da es sich ja nur um einen Traum handelt, hat man hier als Regisseur viel Spielraum. Wieso Heyder bei den Kreuzfahrern die Frauen mit Musikinstrumenten und die Männer mit Stöcken auftreten lässt, bleibt ebenfalls unverständlich. Vielleicht soll so dem Kreuzzug die Ernsthaftigkeit genommen werden.

Musikalisch hat der Abend Licht- und Schattenseiten. Glanzpunkt ist neben Marcus Boschs zupackendem Dirigat und dem beherzten Spiel der Cappella Aquileia der von Zuzana Kadlčíková einstudierte Tschechische Philharmonische Chor Brünn, der in den zahlreichen eingängigen Chorpassagen mit kräftigem, homogenem Klang brillieren kann. Im Ohr bleibt vor allem die Kreuzfahrer-Hymne aus dem dritten Akt "O Signore, dal tetto natio", die Parallelen zum berühmten Gefangenenchor aus Nabucco aufweist. Ania Jeruc meistert die anspruchsvolle Partie der Giselda mit leuchtendem Sopran und großen dramatischen Ausbrüchen. Stimmliche Akzente setzt sie vor allem im Gebet des ersten Aktes mit einer weichen Stimmführung und in der Traumsequenz im vierten Akt, in der ihr Oronte den Sieg der Kreuzritter prophezeit. In der anschließenden Cabaletta punktet Jeruc durch bewegliche Koloraturen. Pavel Kudinov stattet den Pagano mit überzeugendem Bass aus, dem man in der Tiefe noch ein bisschen mehr Schwärze gewünscht hätte. Dennoch gelingt ihm mit bewegendem Spiel ein glaubhafter Wandel vom Vatermörder zum geläuterten Eremiten. Anna Werle gestaltet die Partie der Viclinda mit sattem Mezzo und überzeugt in den weiteren Akten als stumme Rolle mit enormer Bühnenpräsenz. León de la Guardia verfügt als Arvino über einen zu leichten Tenor, der in den dramatischen Höhen stark forcieren muss. Für Marian Talaba stellt die Partie des Oronte zumindest in der zweiten Aufführung eine stimmliche Überforderung dar. Vielleicht sollte man eine so anspruchsvolle Rolle nicht zwei Tage hintereinander singen. Talabas Tenor klingt in den Höhen sehr belegt und angestrengt und lässt den erforderlichen Glanz vermissen. Nur in der Sterbeszene beim berühmten Tauf-Terzett im dritten Akt kann er stimmlich überzeugen. Von den kleineren Partien ist vor allem Kate Allen als Sofia mit warm-timbriertem Mezzo hervorzuheben.

Trotz der kleinen musikalischen Einschränkungen und einigen fragwürdigen Regie-Einfällen gibt es am Ende für alle Beteiligten großen und verdienten Beifall.

FAZIT

Musikalisch ist die Gegenüberstellung von Verdis berühmtem Nabucco und den doch eher unbekannten I Lombardi bei den Opernfestspielen Heidenheim sehr interessant. Szenisch gelingt es Tobias Heyder, dem recht verworrenen Stück eine nachvollziehbare Struktur zu geben.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Marcus Bosch

Inszenierung
Tobias Heyder

Kostüme
Janine Werthmann

Lichtdesign
Hartmut Litzinger

Choreinstudierung
Zuzana Kadlčíková

Dramaturgie
Natalia Fuhry

 

Cappella Aquileia

Tschechischer Philharmonischer Chor Brünn


Solisten

Arvino
León de la Guardia

Pagano
Pavel Kudinov

Viclinda
Anna Werle

Giselda
Ania Jeruc

Pirro
Daniel Dropulja

Mailänder Prior
Christoph Wittmann

Acciano
Andrew Nolen

Oronte
Marian Talaba

Sofia
Kate Allen

Folco, Vater von Arvino und Pagano
Klaus-Peter Preußger

 
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