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Biblische Geschichte im modernen NahostkonfliktVon Thomas Molke / Fotos: © Oliver Vogel Mit Nabucco begann Verdis kometenhafter Aufstieg zum wohl größten italienischen Opernkomponisten, der bis heute das Repertoire in den Opernhäusern und auf zahlreichen Freilichtbühnen beherrscht. Zu verdanken ist dies wohl vor allem dem berühmten Gefangenenchor "Va, pensiero, sull' ali dorate", der Verdi zum künstlerischen Sprachrohr des Risorgimento werden ließ und bis heute bei vielen Italienern als heimliche Nationalhymne gilt. Laut einer Anekdote in Verdis Memoiren soll dieser Chor auch ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass Verdi seine Komponisten-Karriere überhaupt fortgesetzt habe, obwohl er sie aufgrund der schweren persönlichen Schicksalsschläge - kurz zuvor waren seine Frau und seine beiden Kinder gestorben - und des Misserfolgs seiner komischen Oper Un giorno di regno bereits wieder habe beenden wollen. Als er nämlich für einen Kompositionsauftrag der Mailänder Scala vom dortigen Theaterdirektor Bartolomeo Merelli das Libretto von Nabucco erhalten und dieses achtlos auf den Tisch geworfen habe, soll es sich wie von Wunderhand auf der Seite des Gefangenenchors geöffnet haben. Die berühmten Worte hätten Verdi nicht mehr losgelassen, bis er schließlich die passende Musik dazu gefunden habe. Als er Merelli die fertige Partitur schließlich vorlegte, wollte dieser das Stück eigentlich gar nicht mehr annehmen, da er den Auftrag mittlerweile einem anderen Komponisten übertragen hatte. Aber Verdi war so von seinem Werk überzeugt, dass er alles daran setzte, Merelli umzustimmen, was ihm schließlich gemeinsam mit den Sängerinnen und Sängern, die Verdi ebenfalls hatte für die Musik begeistern können, gelang. Der Erfolg war überwältigend. Allein im Uraufführungsjahr soll es über 60 Aufführungen an der Scala gegeben haben. Fenena (Katerina Hebelkova) und Ismaele (Adrian Dumitru) feiern die Bar Mizwa ihres gemeinsamen Sohnes (Statist). Die Geschichte um den in der Bibel überlieferten babylonischen König Nebukadnezar II. (Nabucco), der sich in der Oper selbst zum Gott ernennt, dafür mit Wahnsinn bestraft und erst durch die Bekehrung zum jüdischen Gott geheilt wird, so dass er schließlich das israelische Volk aus der babylonischen Gefangenschaft befreit, bietet zahlreiche Übertragungsmöglichkeiten auf aktuelle Ereignisse. Auch Helen Malkowsky siedelt die alttestamentliche Geschichte nicht in vorchristlicher Zeit sondern im aktuellen Nahostkonflikt an und nimmt dafür einige Änderungen vor, die mit dem Libretto nicht in jedem Punkt in Einklang zu bringen sind. Zunächst fügt sie eine weitere Figur in das Stück ein: Fenenas und Ismaeles Sohn. Direkt zu Beginn der Ouvertüre wird seine Religionsmündigkeit, die Bar Mizwa, gefeiert, was voraussetzt, dass Fenena schon vor einigen Jahren zum jüdischen Glauben konvertiert sein muss. Auch Fenenas Halbschwester Abigaille und ihr Vater Nabucco sind bei dieser Feier anwesend. Nabucco sitzt als gealterter Feldherr in einem Rollstuhl und trägt eine weiße Kappe, die ihn jeglicher Autorität beraubt. Erst ein kriegerischer Anschlag in der unmittelbaren Nachbarschaft setzt dem Fest ein jähes Ende. Ismaele verbarrikadiert mit Brettern die Fenster, während die jüdische Gemeinde unter Leitung von Zaccaria Fenena und den Assyrern die Schuld an dem Konflikt gibt, was wiederum dazu führt, dass in Nabucco das längst erloschene Machtstreben erneut erwacht. Nabucco (Antonio Yang, vorne im Rollstuhl) lauscht dem berühmten Gefangenenchor. Einen weiteren Akzent setzt die Inszenierung auf den Einfluss der Medien. Über der Spielfläche hängen drei große Bildschirme, auf denen in Videoprojektionen von Georg Bergmann mal Bilder von Kriegsschauplätzen zu sehen sind, dann in Nachrichtenform zum "aktuellen" Konflikt zwischen den Assyrern und Hebräern Stellung bezogen wird. Bevor der Hohepriester des Baal (Andrew Nolen) als verlängerter Arm Abigailles diese Berichterstattung manipuliert und damit die Fronten zwischen den beiden Parteien verhärtet, sieht man einen scheinbar neutralen Nachrichtensprecher, dem ab einem gewissen Zeitpunkt der Mund mit rotem Band verklebt ist. An objektiver Berichterstattung scheint in dieser Auseinandersetzung keinem mehr gelegen zu sein. Den berühmten Gefangenenchor fokussiert Malkowsky auf den geschwächten Nabucco, nachdem er das Todesurteil über alle Hebräer inklusive seiner Tochter Fenena unterzeichnet hat. Der Chor ist dabei zunächst nicht zu sehen. Nabucco sitzt allein in seinem Rollstuhl auf der Bühne und starrt auf die drei Bildschirme, die in feuerroten Bildern eine grauenhafte Vision eines Weltuntergangs zeichnen, der im Gegensatz zu den hoffnungsvollen Worten des Chors steht. Erst am Ende wird durch eine geschickte Lichtregie der Chor auf der Bühne sichtbar. Fenena (Katerina Hebelkova) und Ismaele (Adrian Dumitru, rechts) sehen besorgt, wie Nabucco (Antonio Yang, vorne) sich zum Gott erhebt. Zu den gelungenen Regie-Einfällen kann das Spiel mit den Judenstern betrachtet werden. Nabucco formt einen goldfarbenen Judenstern aus Pappe zu einer Krone um, die er sich aufsetzen will, um damit seine Macht und Überlegenheit zu demonstrieren. Doch als er sich mit der Krone selbst zum Gott krönen will, bricht er zusammen und wird mit Wahnsinn gestraft. Die Liebe zu seiner Tochter Fenena ist schließlich der Auslöser dafür, dass er seinen Verstand zurückgewinnt und das Blutbad an den Hebräern verhindert. Wieso er allerdings in dieser Szene Ismaele tötet, dem zuvor bereits von Zaccaria sein Sohn entfremdet worden ist, bleibt unverständlich. Ebenso ist unklar, ob sich Abigaille am Ende wirklich vergiftet hat und sterbend Reue zeigt. Wenn sie um Gnade auf der Bühne fleht, wirkt sie eigentlich noch quicklebendig und nicht wie eine vom Tod gezeichnete Frau. Dass das Schriftstück, das sie als Kind einer Sklavin ausweist, ausgerechnet in einem zusammengestellten Buch aufbewahrt wird, das Ismaeles und Fenenas Sohn als Geschenk für die Bar Mizwa zu Beginn überreicht worden ist, kann ebenfalls nur bedingt überzeugen. Der goldene Anzug, den der Hohepriester des Baal trägt, während er Abigaille für seine Zwecke instrumentalisiert, kann als Anspielung auf die Macht des Goldes verstanden werden, der im Götzendienst eine große Rolle spielt. Dass der Herrenchor allerdings im Anschluss mit riesigen goldenen Händen aufmarschieren muss, um Abigaille Unterstützung zu versichern, wirkt ein bisschen albern. Vergeblich bittet Nabucco (Antonio Yang) seine Tochter Abigaille (hier: Ira Bertman) um Hilfe. Musikalisch lässt der Abend keine Wünsche offen. Nachdem Antonio Yang bereits bei den letzten Opernfestspielen als Holländer in Wagners Oper begeistert hat, präsentiert er sich auch in der Titelpartie des Nabucco stimmlich als Idealbesetzung. Dass die Personenregie die Figur von Beginn an als gealtert und schwach auslegt, ist nicht Yang anzulasten. Mit kräftigem Bariton gestaltet er den Wandel eines selbstverliebten Tyrannen hin zu einem isolierten Diktator und entwickelt dabei stimmlich eine bewegende Melancholie. Astghik Khanamiryan glänzt als seine böse Tochter Abigaille mit einem dunkel timbrierten Sopran, der in den Höhen eine enorme dramatische Kraft entwickelt und die anspruchsvollen Oktavsprünge hervorragend meistert. Einen Glanzpunkt des Abends stellt ihre große Arie "Anch'io dischiuso un giorno" im zweiten Akt dar, nachdem sie erfahren hat, dass sie nicht die rechtmäßige Thronerbin, sondern eine Sklavin ist, und einen kurzen Moment der Ruhe findet, bevor sie ihre Intrige weiterspinnt. Adrian Dumitru verfügt als Ismaele über einen sauberen Tenor mit strahlenden Höhen. Katerina Hebelkova gestaltet die Partie der Fenena mit warmem und weichem Mezzosopran. Randall Jakobsh verleiht dem Hohepriester Zaccaria mit dunkel gefärbtem Bass große Autorität. Auch die kleineren Partien sind mit Andrew Nolen als Hohepriester des Baal, Musa Nkuna als Abdallo und Eva Bauchmüller als Anna gut besetzt. Der Tschechische Philharmonische Chor Brünn unter der Leitung von Zuzana Kadlčíková macht nicht nur den berühmten Gefangenenchor stimmlich zu einem Ereignis, sondern trumpft auch in den übrigen Massenszenen durch homogenen Klang stimmgewaltig auf. Marcus Bosch rundet mit den Stuttgarter Philharmonikern den Abend aus dem Orchestergraben hervorragend ab, so dass es für alle Beteiligten großen Applaus am Ende gibt.
FAZIT Auch wenn nicht jeder Regie-Einfall nachvollziehbar ist, bleibt Verdis Nabucco musikalisch und szenisch für Freilichtaufführungen prädestiniert, wovon man sich auch im Rittersaal auf Schloss Hellenstein überzeugen kann.
Weitere Rezensionen zu
den
Opernfestspielen Heidenheim 2018 |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Lichtdesign
Choreinstudierung
Video
Dramaturgie
Stuttgarter Philharmoniker Tschechischer Philharmonischer Chor Brünn
Solisten*rezensierte Aufführung Nabucco Abigaille Fenena Ismaele Zaccaria Pavel Kudinov Anna Abdallo Hohepriester des Baal Statisterie |
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