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43. Tage Alter Musik in Herne08.11.2018 - 11.11.2018 Eine Sünde wert...
Unter dem Motto „Todsünden“ standen die diesjährigen Tage Alter Musik in Herne. Neun Konzerte thematisierten „Laster und Moral im Spiegel der Musik vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert“. Dabei gab die 43. Auflage des Festivals, wie immer ausgerichtet vom Westdeutschen Rundfunk in Kooperation mit der Stadt Herne, kaum Anlass zur Reue. Selten gaben die Tage Alter Musik in den zurückliegenden Jahren ein so geschlossenes Bild auf einem durchweg hohen internationalen Niveau ab. Schon das Eröffnungskonzert am Donnerstag mit dem Ensemble Polyharmonique und dem {OH!} Orkiestra Historyczna wurde von Besuchern, mit denen ich sprach, in den höchsten Tönen gelobt. Leider war es mir erst am Freitag möglich, nach Herne zu kommen, so dass meine persönlichen Eindrücke erst mit dem Konzert des Vocalconsort Berlin in der Kreuzkirche begannen. Die dreizehn Sängerinnen und Sänger boten unter der Leitung von James Wood Musik für den englischen König Heinrich VIII. Zu Beginn, bei Robert Fayrfax „Magnificat Regale“ störten noch einige Unsicherheiten sowie eine teils unausgewogene Balance den Gesamteindruck. Doch im weiteren Verlauf fand das Ensemble besser zusammen, ließ die kontrapunktisch miteinander verwobenen Melodielinien der Kompositionen von John Taverner, Richard Sampson, Thomas Tallis u.a. aufblühen und sich im Klangraum der Kirche entfalten. Am Abend erlebte im Kulturzentrum die Oper Amare e fingere von Alessandro Stradella nach fast 350 Jahren eine Wiederaufführung. Libretto und Partitur dieser Oper sind den Fachleuten schon länger bekannt, aber ohne Autorennamen überliefert. Erst die Entdeckung eines Inventars von Giovanni Battista Vulpio, eines päpstlichen Sängers und Komponisten, gab Aufschluss. Unter den dort aufgelisteten Musikalien war eine „opera del Stradella D’amare e fingere“ verzeichnet, so dass wir nun mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen können, dass die im „Fondo Chigi“ der Biblioteca Vaticana aufbewahrte Partitur aus der Feder Alessandro Stradellas stammt. In Herne erweckte das Ensemble Mare Nostrum das Bühnenwerk in einer konzertanten Aufführung zu neuem Leben. Die Rolle des Fileno/Artabano sang Mauro Borgiano mit majestätisch souveränem Bariton. Einen hervorragenden Eindruck hinterließen auch die Stimmen von Paola Valentina Molinari (Sopran) als Clori/Despina und Josè Maria Lo Monaco (Mezzosopran) als Celía/Oronte. Luca Cervoni (Rosalbo/Coraspe) überzeugte mit einem angenehm lyrischen Tenor. Trotz leichter Indisposition, die quasi nicht vernehmbar war, beeindruckte Chiara Brunello in der Hosenrolle des Silvano mit ihrer markanten Altstimme. Silvia Frigato (Sopran) fügte sich als Erinda in das durchweg hohe sängerische Niveau ein. Dresdner Künstlerduelle: Johannes Keller, Leila Schayegh, Evgeny Sviridov, Stanislav Gres (v.l.n.r.) Neid ist eine verbreitete „Todsünde“, die auch unter Musikern verbreitet ist. So biss ein Geiger der Dresdner Hofkapelle dem berühmten Kollegen Silvius Leopold Weiss in den Daumen und beendete damit beinahe dessen Karriere als Lautenvirtuose. Neid als Ausgangspunkt eines höchst kurzweiligen Wettstreits stand am Samstag im Mittelpunkt des Konzerts mit Leila Schaygh und Evgeny Sviridov (Violine) sowie Johannes Keller und Stanislav Gres (Cembalo). Unter dem Motto „Dresdner Künstlerduelle“ erinnerten sie an die Rivalitäten zwischen den Tastenvirtuosen Louis Marchand und Johann Sebastian Bach und den Stargeigern Johann Georg Pisendel und Francesco Maria Veracini. Letztgenannter soll sich im Jahre 1722 gar aus Wut über eine Herabsetzung aus dem Fenster gestürzt und dabei schwer verletzt haben. – In der Herner Kreuzkirche ging es zum Glück friedlicher und kultivierter zu. Stanislav Gres machte mit einer Suite von Marchand den Anfang. Johannes Keller antwortete mit Bachs Chromatischer Fantasie und Fuge. Es folgte Pisendels Sonate für Violine und Basso Continuo e-Moll, gespielt von Leila Schaygh und Johannes Keller. Evgeny Sviridov und Stanislav Gres antworteten mit Veracinis hochvirtuoser Sonate g-Moll op. 2/5. Johann Sebastian Bachs Triosonate G-Dur BWV 1038 führte schließlich die ausgezeichneten Interpreten zusammen. Mit Antonio Vivaldis berühmter Sonate „La Follia“ gingen die Künstlerduelle vor einem begeisterten Publikum zu Ende. Das französische Ensemble Le Caravansérail im Kulturzentrum mit Stephan Macleod (Bass), Rachel Redmond (Sopran) und Zachary Wilder (Tenor, v.l.n.r.) Barocke Spielfreude und Unterhaltungsmusik im Zeichen der „Völlerei“ stand auch im Mittelpunkt des Abendkonzerts. Das exzellente Ensemble Le Cravansérail unter Bertrand Cuiller bot einen kurzweiligen Reigen französischer und deutscher Musik des 18. Jahrhunderts. Zum Auftakt erklang das Divertissement „Les Plaisirs de Versailles“ von Marc-Antoine Charpentier mit den beiden Sopranistinnen Hasnaa Bennani als La Musique und Rachel Radmont als stets dazwischen plappernde Conversation. Die weiteren Rollen sangen Zachary Wilder (Tenor) als Le Jeu und Un Plaisir sowie Stephan Macleod (Bass) als Comus. Im Anschluss an Michel Correttes Concerto comique „La Servante au bon Tabac“ sangen Rachel Radmont und Stephan Macleod die „Grabinschrift eines Faulenzers“ („Épitaphe d’un Paresseux“) von François Couperin. Nach der Pause setzte Le Cravansérail das Konzert mit Telemanns Quartett e-Moll aus der „Tafelmusik“ fort. Den krönenden Abschluss bildete Johann Sebastian Bachs „Kaffee-Kantate“ mit der charmanten Rachel Radmont als Liesgen wiederum an der Seite von Stephan Macleod als Schlendrian. Zachary Wilder war der Erzähler. Kann musikalische Völlerei auf diesem exzellenten Niveau eine Todsünde sein? Pino de Vittorio in der Künstlerzeche Unser Fritz 2/3 Das Nachtkonzert in der Künstlerzeche Unser Fritz 2/3 führte das Publikum nach Neapel, wo die Lazzari – mittellose Obdachlose, die, von der Armut des süditalienischen Umlandes in die Stadt getrieben – in einer Parallelgesellschaft ihr eigenes Leben führten. Im Zeichen der „Faulheit“ stand das Konzert, das die irritierende Mischung aus Elend, Müßiggang und Lebensfreude musikalisch zum Klingen brachte. Das Ensemble Laboratorio ‘600 mit Fabio Accurso (Laute), Flora Papadopoulos (Harfe) und seinem Leiter Franco Pavan (Theorbe, Chitarra battente) hatten ein höchst unterhaltsames Programm mit Villanelle, Tarantelle und neapolitanischen Volksweisen von der Renaissance bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert zusammengestellt. Großen Anteil an dieser gelungenen Darbietung hatte der charismatische Sänger und Schauspieler Pino de Vittorio, der die Zuhörer mit seinem rauen, authentischen Gesang in die Welt der Lazzari eintauchen ließ. Mit den Carmina burana verbindet man gewöhnlich den Namen des Komponisten Carl Orff, der eine Auswahl der mittelalterlichen Vagantendichtung 1935/36 vertont hat. Die ursprünglichen Melodien sind leider gar nicht oder nur rudimentär in der Handschrift aus dem 13. Jahrhundert überliefert. Sie zu entschlüsseln und teils improvisatorisch zu rekonstruieren haben sich die Ensembles Candens Lilium und Les Haulz et les Bas zum Ziel gesetzt. Unter der Gesamtleitung von Norbert Rodenkirchen stellten sie in der Kreuzkirche ausgewählte Texte aus den „Carmina burana“ in abwechslungsreichen Interpretationen vor. Der Gesang (Sabine Lutzenberger, Philipp Lamprecht) wurde auf vielfältige Art von gotischen Fideln, Rebec (Albrecht Maurer), mittelalterlichen Traversflöten und Harfe (N. Rodenkirchen) begleitet. Auf der Schalmei fügten sich Gesine Bänfer, Hanna Geisel und Ian Harrison (auch Dudelsack) in die musikalischen Aktionen ein und ergänzten das Programm mit instrumentalen Intermezzi.
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Programm:
Donnerstag, 8. November
Freitag, 9.
November
20.00 Uhr, Kulturzentrum
Samstag, 10. November
16 Uhr, Kreuzkirche
19.00 Uhr, Vorplatz des
Kulturzentrums
20.00 Uhr, Kulturzentrum
23.00 Uhr, Künstlerzeche
Unser Fritz 2/3
Sonntag, 11. November
16 Uhr, Kreuzkirche
19.00 Uhr, Kulturzentrum
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