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Gemetzel in KarthagoVon Thomas Molke / Fotos: © Innsbrucker Festwochen / Rupert Larl Giuseppe Saverio Mercadante zählt neben Giovanni Pacini zu den bedeutendsten italienischen Opernkomponisten der Übergangszeit zwischen Gioachino Rossini, Vincenzo Bellini und Giuseppe Verdi und hat mit dem von ihm bezeichneten "canto dramatico" eine Reform der italienischen Oper eingeleitet, die heutzutage eher Verdi zugeschrieben wird. Dass keine seiner mehr als 60 komponierten Opern bis jetzt den Sprung ins gängige Repertoire geschafft hat, mag weniger an der musikalischen Qualität gelegen haben als vielmehr an einem gewissen Pech, sich auch international als erfolgreicher Komponist durchzusetzen. Während er in Turin mit insgesamt zwölf Uraufführungen große Erfolge feiern konnte und in Neapel bis zu seinem Tod 1870 als Direktor des Konservatoriums tätig war, warfen ihm die Komponistenkollegen das Festhalten an der neapolitanischen Tradition vor, so dass sein Werk ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts immer mehr in Vergessenheit geriet. Dass Alessandro De Marchi diesen Komponisten des Belcanto für die Innsbrucker Festwochen der Alten Musik ausgewählt hat, mag auf den ersten Blick ein wenig verwundern. Das Dramma per musica Didone abbandonata geht allerdings auf ein Libretto von Pietro Metastasio zurück, das sich vor allem im 18. Jahrhundert mit weit über 60 Vertonungen sehr großer Beliebtheit erfreute, obwohl es im Gegensatz zur gängigen Barocktradition auf das obligatorische lieto fine verzichtete. Für den Stil der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts war diese Dramatik prädestiniert, so dass Mercadantes Vertonung zum einen das Ende der Barocktradition beschreibt und zum anderen mit einer stärkeren Gewichtung der Chöre und Ensembles den Übergang in eine neue musikalische Welt manifestiert. Noch glaubt Didone (Viktorija Mišcūnaitė) an eine glückliche Zukunft mit Enea (Katrin Wundsam) (vorne: Herrenchor). Die Geschichte folgt in weiten Zügen dem in Vergils Aeneis überlieferten Mythos um die phönizische Königin Dido (Didone), die in Afrika Karthago gegründet und aus unerfüllter Liebe zu dem Trojaner Aeneas (Enea) den Freitod gewählt haben soll. Zu Beginn der Oper plant Enea bereits, Didone zu verlassen, um seiner eigentlichen Bestimmung zu folgen und in Italien ein neues Reich zu gründen. Wie es für die Barockoper üblich ist, werden weitere Verwicklungen eingeführt. So liebt Didones Schwester, die in der Oper Selene heißt, ebenfalls den Trojanerfürsten und hat damit ein ganz anderes Interesse daran, dass Enea in Karthago bleibt. Im Gegenzug wird sie von Araspe, einem Vertrauten des Jarbas (Jarba), des Königs der Gaetuler, geliebt, der sich ihr zu Liebe gegen seinen Herrn wendet und hofft, dass Enea doch bei Didone bleibt. Jarba will Didone und Karthago erobern und Enea vernichten, wird von diesem jedoch zweimal geschlagen. Dass Enea ihm dabei jeweils das Leben schenkt, macht den Gaetulerfürsten nur noch wütender. Osmida, ein weiterer Vertrauter Didones, ist ebenfalls in die Königin verliebt, und unterstützt deshalb Jarba, weil er erkennt, dass er gegen Enea keine Chance bei Didone hat. Der Ausgang der Geschichte folgt dann wieder der Überlieferung bei Vergil. Enea verlässt Didone und Karthago, und die Königin begeht Selbstmord. Dabei nimmt sie sich allerdings nicht auf einem Scheiterhaufen das Leben, sondern stürzt sich in die Flammen des brennenden Palastes, den Jarba bei seiner Einnahme Karthagos in Brand gesetzt hat. Enea (Katrin Wundsam) ist Jarba (Carlo Vincenzo Allemano) überlegen (im Hintergrund: Didone (Viktorija Miškūnaitė) mit dem Herrenchor). Jürgen Flimm nutzt in seiner Inszenierung das für die Barockoper relativ untypische unglückliche Ende, um ein regelrechtes Gemetzel auf der Bühne zu zeigen. So entledigt sich Jarba am Schluss nicht nur seines untreuen Dieners Araspe, sondern sticht auch noch Osmida ab, der nach der Zurückweisung durch Didone erneut Zuflucht bei ihm sucht. Anschließend wird der Gaetulerfürst von Didone erdolcht, bevor er sie mit letzter Kraft umbringt. Selene, die er zuvor niedergeschlagen hat und die man ebenfalls für tot hielt, erhebt sich erneut und nimmt auf dem Thron des brennenden Palastes Platz. Nur Enea, der mittlerweile mit seinen Gefährten abgereist ist, bekommt von diesem ganzen Elend nichts mit. Aus einem riesigen drehbaren quadratischen Podest auf der Bühne steigt an zahlreichen Stellen Bühnennebel empor, der den Brand des Palastes symbolisiert. Zu brennen scheint es allerdings bereits schon zu Beginn des Stückes, da auch hier von den Seiten Rauch aufsteigt. Flimm zeigt Karthago als Stadt im Aufbau. So sind im Bühnenbild von Magdalena Gut Gerüste auf dem Bühnenpodest zu erkennen, auf einer Seite steht eine rote Betonmischmaschine und einige Statisten legen mit quaderförmigen Blöcken, die in der Mitte gläsern schimmern, den Grundstein der Stadt. Während sie die Blöcke zunächst zu einer Mauer am Rande des Podestes aufrichten, formen sie im zweiten Akt eine Art Säule in einem der Gerüste. Zu Beginn wehen über der Bühne rote Tücher, die vielleicht die Segel der Schiffe symbolisieren, mit denen Enea seinen Aufbruch plant. Im zweiten Akt stehen dann mehrere Boote auf dem Podest, und die Tücher fallen auf die Boote herab, um anzuzeigen, dass Enea nun wirklich aufbrechen wird. Einige Chormitglieder tragen die Boote mit den Tüchern anschließend von der Bühne. Noch leben alle, obwohl die Stadt bereits zu brennen scheint (von links: Osmida (Pietro Di Bianco), Araspe (Diego Godoy), Enea (Katrin Wundsam), Didone (Viktorija Miškūnaitė), Jarba (Carlo Vincenzo Allemano) und Selene (Emilie Renard) mit dem Herrenchor im Hintergrund). Die Kostüme von Kristina Bell sind relativ modern gehalten. Didone tritt zunächst in einem weißen Kleid mit einem Blumenkranz auf, was sie wie eine Braut wirken lässt. Noch glaubt sie, dass Enea bei ihr bleiben wird. Wenn sie später erkennt, dass der Trojanerfürst sie verlassen wird, trägt sie ein blutrotes Kleid, das zum einen für ihre unerfüllte Liebe, zum anderen auch für ihren bevorstehenden Tod steht. Die schwarze Schutzweste, die sie im zweiten Akt darüber trägt, macht allerdings nicht wirklich Sinn. In der Personenregie legt Flimm sehr großen Wert darauf, zu unterstreichen, dass Jarba wirklich keine Option für die Königin ist. So lässt er ihn sehr brutal und aggressiv agieren. Wenn Jarba am Ende erneut Didone die Ehe und damit den Schutz Karthagos anbietet, obwohl die Stadt eigentlich bereits in Flammen steht, muss Carlo Vincenzo Allemano als Jarba recht albern über die Bühne tänzeln, um deutlich zu machen, dass man seine Versprechen nicht ernst nehmen kann. Wenn er dann Selene misshandelt und Araspe und Osmide tötet, zeigt er im Anschluss sein wahres Gesicht, bevor er Didone ein letztes Mal zur Liebe zwingen will. Optisch glaubhaft wirkt es nicht, dass die recht zarte Katrin Wundsam als Enea Allemano als Jarba im Kampf mehrmals besiegt. Doch darüber lässt sich hinwegsehen. Jarba (Carlo Vincenzo Allemano) will Didone (Viktorija Miškūnaitė) zur Liebe zwingen. Musikalisch weckt die Aufführung Lust, mehr von Mercadantes Opernschaffen zu entdecken. Die Ouvertüre enthält zu Beginn noch Elemente, die an die Barockoper erinnern, bevor dann mit großartigen Crescendo-Passagen bei den Bläsern in zahlreichen Variationen eine deutliche Nähe zu Rossini spürbar wird, der sich zum Zeitpunkt der Uraufführung bereits auf dem Weg nach Paris befand. Die mit zahlreichen Koloraturen gespickten Arien erinnern in ihrer Struktur an den "späten" Rossini und an Bellini. Viktorija Miškūnaitė verfügt in der Titelpartie über einen kräftigen Sopran, der große Dramatik besitzt. In den extremen Höhen wird die Stimme stellenweise ein wenig scharf, was aber durchaus zur Rolle passt. Darstellerisch gestaltet sie die Königin mit großer Leidenschaft und macht den Wandel von der liebenden zur verzweifelten Frau sehr glaubhaft. Katrin Wundsam verfügt als Enea über einen warmen Mezzosopran, der in den halsbrecherischen Koloraturen große Beweglichkeit besitzt. Im Zusammenspiel mit Miškūnaitė findet sie in einem betörend schönen Duett zu einer bewegenden Innigkeit. Carlo Vincenzo Allemano stattet den unsympathischen Jarba mit einem dunklen Tenor aus, der in den tiefen Lagen schon beinahe in den Bereich eines Baritons fällt. Allemano gestaltet die Partie mit großer Wandlungsfähigkeit und spielt den Gaetulerfürsten gewollt grobschlächtig. Pietro Di Bianco gestaltet die Partie des Osmida mit kräftigem Bariton. Diego Godoy meistert die musikalisch recht anspruchsvolle kleinere Partie des Araspe mit leichtem Tenor, der nur in den Spitzentönen ein wenig forcieren muss. Emilie Renard gestaltet die Partie der Selene mit weichem Sopran. Alessandro De Marchi führt die Musiker der Academia Montis Regalis mit gewohnt souveräner Hand durch die Partitur, die in der musikhistorischen Besetzung für den Bereich des Belcanto zwar ein wenig ungewohnt, deswegen aber nicht weniger schön klingt, und auch der Herrenchor des Coro Maghini unter der Leitung von Claudio Chiavazza überzeugt stimmlich durch homogenen Klang, auch wenn die Marscheinlagen szenisch ein bisschen albern wirken. So gibt es für alle Beteiligten zu Recht großen Applaus. Nur beim Regieteam mischen sich zahlreiche Unmutsbekundungen unter den Applaus. Einigen Besuchern ist Flimm mit seiner freien Interpretation wohl ein bisschen zu weit gegangen. FAZIT
Musikalisch ist auch diese Produktion ein Beweis dafür, dass es bei Saverio
Mercadante noch einiges zu entdecken gibt und dass dieser Komponist zu Unrecht
vernachlässigt wird.
Weitere Rezensionen zu den
Innsbrucker Festwochen der Alten Musik 2018 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungAlessandro De Marchi Regie Bühnenbild Kostüme Lichtdesign Choreographie Choreinstudierung
Herrenchor des Coro Maghini Solisten
Didone
Enea Jarba
Osmida Araspe Selene
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- Fine -