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Rossini-Rarität in opulenter AusstattungVon Thomas Molke / Fotos: © Studio Amati Bacciardi (Rossini Opera Festival) Rossinis Dramma serio per musica Ricciardo e Zoraide gehört zu den absoluten Raritäten des Schwans von Pesaro und ist, wenn überhaupt, heute nur noch bei Festspielen zu erleben, die ihr Programm fernab des gängigen Repertoires auswählen. Dabei konnte Rossini bei der Uraufführung 1818 in Neapel einen riesigen Erfolg feiern, der sogar dazu führte, dass sich seine damaligen Kritiker mit dem neuen Musikstil des Pesaresen aussöhnten. Im "Giornale delle Due Sicilie" erschien sogar ein Brief, der angeblich aus dem Elysium vom verstorbenen Domenico Cimarosa stammte und in dem der anonyme Absender Rossini dafür pries, endlich die "modernen musikalischen Ausschweifungen" aufgegeben zu haben und zum wahren Stil der Opera seria zurückgekehrt zu sein. In der Tat wird die sehr verworrene Handlung lediglich in den Rezitativen entwickelt, während die musikalischen Nummern nur dazu dienen, die daraus entstandenen emotionalen Situationen auszumalen. Vielleicht ist aber auch gerade das der Grund dafür, dass dieses Werk selbst für Rossini in heutiger Zeit sehr antiquiert wirkt und sich selbst im Rahmen der Rossini-Renaissance bei der Wiederentdeckung 1990 und einer Wiederaufnahme 1996 beim Rossini Opera Festival in Pesaro nicht durchsetzen konnte. Jetzt hat man diese, wie einige heutige Forscher und Opernliebhaber sie bezeichnen, "kleine Schwester der großen ernsten Opern der neapolitanischen Phase Rossinis" erneut auf den Spielplan gestellt, und Marshall Pynkoski scheint zu versuchen, mit einer opulenten Ausstattung vor allem die Traditionalisten unter den Opernbesuchern für dieses Stück zu begeistern. Die hochkarätige Besetzung dürfte allerdings auch das restliche Publikum von den musikalischen Qualitäten dieser Oper überzeugen. Agorante (Sergey Romanovsky) begehrt Zoraide (Pretty Yende). Die Geschichte geht zurück auf das Gedichtepos Ricciardetto, das Nicolò Forteguerri zwischen 1716 und 1725 aufgrund einer Wette in einem literarischen Zirkel als satirische Antwort auf die berühmte Tradition der bis ins Mittelalter zurückreichenden Rittergedichte verfasste. Darin berichtet Forteguerri in 30 Gesängen von Rinaldos jüngerem Bruder Ricciardetto, der sich mit den Paladinen Karls des Großen gegen eine riesige afrikanische Armee durchsetzt und am Ende Despina, die Tochter des afrikanischen Königs, gewinnt. Als Rossinis Librettist Francesco Berio di Salsa beschloss, dieses Werk als Vorlage für eine ernste Oper auszuwählen, musste er mit Blick auf die Begebenheiten in Neapel allerdings einige Änderungen vornehmen und konzentrierte sich nur auf eine Episode aus dem Epos. Aus Ricciardetto wurde Ricciardo, der Zoraide, die Tochter Ircanos, eines Fürsten asiatischer Herkunft, liebt, der in Afrika ein kleines Reich gegründet hat. Von dort ist er allerdings von Agorante, dem König von Nubien, vertrieben worden, als er sich weigerte, dem König seine Tochter Zoraide zur Frau zu geben. Auf der Flucht hat Zoraide ihren Vater verlassen, um dem Kreuzritter Ricciardo zu folgen, ist allerdings in Agorantes Gefangenschaft geraten. Bei dem Versuch, die Geliebte zu befreien, wird Ricciardo durch eine Intrige Zomiras, der eifersüchtigen Ehefrau des Königs, in eine Falle gelockt und soll gemeinsam mit Zoraides Vater Ircano, der ebenfalls unerkannt nach Nubien gekommen ist und in einem Duell um Zoraide von Ricciardo besiegt worden ist, hingerichtet werden. In letzter Sekunde können die Kreuzritter in Nubien eindringen und die Hinrichtung verhindern. Ricciardo verschont Agorantes und Zomiras Leben, was Ircano so beeindruckt, dass er dem Paladin die Hand seiner Tochter gewährt.
Ricciardo (Juan Diego Flórez, im Boot mit Xabier
Anduaga als Ernesto) will seine Geliebte Zoraide befreien.
Liebesbekenntnisse bei Vollmond: Ricciardo (Juan
Diego Flórez) und Zoraide (Pretty Yende)
Falsche Freundin: Zomira (Victoria Yarovaya,
links) versucht, sich Zoraides (Pretty Yende, rechts) Vertrauen zu erschleichen.
Sergey Romanovsky verfügt als Ricciardos Gegenspieler Agorante über einen
dunklen Tenor, der bis in den Bereich eines Baritons hinabreicht. In der dunklen
Mittellage besitzt Romanovskys Tenor enormes Volumen. Bei den hohen Spitzentönen
muss er in seiner Auftrittskavatine allerdings leicht forcieren. Ein weiterer
musikalischer Höhepunkt ist sein großes Duett mit Flórez zu Beginn des zweiten
Aktes, "Donala a questo core", in dem Ricciardo als verkleideter Afrikaner dem
König verspricht, Zoraide von Ricciardos Untreue zu überzeugen. Hier harmonieren
Romanovskys dunkel gefärbter und Flórez' strahlender Tenor wunderbar
miteinander, so dass man als Zuhörer beinahe wie der König dem falschen Spiel
des Kreuzritters erliegt. Victoria Yarovaya begeistert als Agorantes
eifersüchtige Gattin Zomira mit voluminösem, dunkel gefärbtem Mezzo, der
deutlich macht, dass man sich diese Person nicht zur Feindin machen sollte. Wenn
sie sich in ihrer großen Arie "Più non sente quest' alma dolente" am Ziel wähnt,
weil sie den verkleideten Ricciardo erkannt hat und ihrem Mann die Augen über
den vermeintlichen Verbündeten öffnen will, punktet Yarovaya mit großer Dramatik
und beweglichen Koloraturen. Großartig gelingen ihr auch die Szenen mit Yende,
in denen die Königin versucht, das Vertrauen der Nebenbuhlerin zu gewinnen. Ein
weiterer musikalischer Höhepunkt ist das Terzett im ersten Akt "Cruda sorte! Oh
amor tiranno!" zwischen Romanovsky, Yende und Yarovaya, in dem die komplizierte
Konstellation zwischen Agorante, Zoraide und Zomira herausgearbeitet wird.
Während Agorante seiner Ehefrau klarzumachen versucht, dass sie Zoraide als
Nebenfrau akzeptieren müsse, wenn sie Königin bleiben wolle, drückt Zoraide ihre
Verzweiflung über die Situation aus. Zomira hingegen lässt ihrer Wut über die
ihr widerfahrene Demütigung freien Lauf und schwört Rache.
Ircano (Nicola Ulivieri, vorne links) will als
unerkannter Ritter für die Freilassung Zoraides (Pretty Yende, mit Agorante (Sergey
Romanovsky, rechts von ihr) und Ricciardo (Juan Diego Flórez, links von ihr))
kämpfen.
Nicola Ulivieri gestaltet die Partie des Ircano mit markantem Bass. Im
Gedächtnis bleibt das großartige Quartett im zweiten Akt, "Contro cento e cento
prodi", in der er unerkannt auftritt und für die Befreiung Zoraides kämpfen will.
Gemeinsam mit Yende, Flórez und Romanovsky lässt er diese eindringliche Nummer
zu einem weiteren musikalischen Höhepunkt des Abends werden. Auch die kleinen
Partien sind hochkarätig besetzt. Xabier Anduaga punktet als Ricciardos Gefährte
Ernesto mit strahlendem Tenor und kräftigen Höhen. Sofia Mchedlishvili stattet
Zoraides Vertraute Fatima mit klarem Sopran aus. Martiniana Antonie gestaltet
die Partie von Zomiras Dienerin Elmira mit weichem Mezzo, so dass sich in beiden
Fällen Dienerin und Herrin stimmlich in schönem Einklang befinden. Mit Ruzil Gatin
als Zamorre hat ein weiterer Absolvent der Accademia Rossiniana aus dem letzten
Jahr den Sprung auf die große Bühne in Pesaro geschafft. Der von Giovanni Farina
geleitete Coro del Teatro Ventidio Basso gefällt durch homogenen Klang, und
Giacomo Sagripanti lotet mit dem Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai die
unterschiedlichen Farben der Partitur, die unter anderem eine Blasmusikkapelle
auf bzw. hinter der Bühne vorsieht, differenziert aus. So gibt es am Ende langen
und verdienten Beifall für alle Beteiligten.
FAZIT
Die hochkarätige Besetzung bietet Belcanto-Genuss vom Feinsten, die opulente
Ausstattung lässt über die dramaturgischen Schwächen der Vorlage hinwegsehen und
betont unter anderem mit den Balletteinlagen, dass man das Stück nicht zu ernst
nehmen sollte.
Weitere Rezensionen zu dem
Rossini Opera Festival 2018 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungGiacomo Sagripanti Regie Choreographie Bühnenbild Kostüme Licht Chorleitung
Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai
Solisten
Agorante
Zoraide
Ricciardo
Ircano
Zomira
Ernesto
Fatima Elmira Zamorre
|
- Fine -