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Ruhrfestspiele Recklinghausen 01.05.2018 - 17.06.2018 Die verlorene Oper. Ruhrepos
Ein Projekt von Thorleifur Örn Amarsson und Albert Ostermaier Koproduktion mit dem Staatsschauspiel Hannover Uraufführung im Großen Ruhrfestspielhaus Recklinghausen am 13. Juni 2018 |
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Auf der Suche nach der verlorenen Oper Von Thomas Molke / Foto: © Katrin Ribbe Noch bevor Bertolt Brecht und Kurt Weill für die Eröffnung des Theaters am Schiffbauerdamm in Berlin 1728 mit der Dreigroschenoper einen grandiosen Erfolg verbuchen konnten, stand eigentlich ein ganz anderes Projekt auf der Agenda der beiden, die erstmals für das Songspiel Mahagonny zusammengearbeitet hatten. 1927 hatte der damals designierte Intendant des Musiktheaters in Essen, Rudolf Schulz-Dornburg, Brecht und Weill für ein avantgardistisches Theaterprojekt ins Ruhrgebiet geholt, um die Kulturpolitik einer ganzen Region mit einem Stück zu revolutionieren, das Film, Musik und Szenen gleichgewichtig nebeneinander stellen sollte und dabei für ein Publikum aus allen Bevölkerungsschichten gedacht war. Brecht und Weill hatten auch bereits begonnen, vor Ort zu recherchieren, um Musik und Texte zu konzipieren, und Carl Koch hatte bereits Filmaufnahmen der Firma Krupp zur Verfügung gestellt. Doch dann begann eine antisemitische Hetze und das Projekt wurde von der Kulturpolitik fallen gelassen. Der vorgeschobene Grund lautete, das Publikum sei für den experimentellen Charakter der Unternehmung noch nicht reif. Seitdem haben sich immer wieder Literaten mit der Frage beschäftigt, wie dieses Ruhrepos, von dem keine Zeile und keine Note erhalten ist, wohl ausgesehen haben könnte. Der in München lebende Lyriker und Dramatiker Albert Ostermaier, der sich in vielerlei Hinsicht mit Brecht und dessen Werk auseinandergesetzt hat, hat sich nun der Aufgabe angenommen, dieses verlorene Werk zu rekonstruieren, und soll damit das Ende der Intendanz von Frank Hoffmann krönen. Vorbereitungen: von links: Katja Gaudard, Mathias Max Herrmann, Maximilian Grünewald und Aljoscha Stadelmann Dabei geht es Ostermaier allerdings nicht darum, den Gesang der Maschinen und der Moderne zu besingen, so wie Brecht und Weill es in ihrem Ruhrepos vielleicht vorgesehen hatten. Das Ruhrgebiet, das Brecht und Weill Ende der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts vorgefunden haben, gibt es nicht mehr. Arbeiter aus China sind gekommen, um die Kokereien und Stahlwerke zu zerlegen und in ihrem Heimatland wieder aufzubauen. Die letzte Zeche ist 2018 geschlossen worden. Was bleibt, ist ein Loch in der Landschaft, die einer Umgestaltung bedarf, der Verlust einer Kultur, die nun durch die Kunst gestaltet werden soll. So bleibt zwar die Idee, Film, Musik und Szene zu verbinden, aber mit dem ursprünglichen Unternehmen dürfte dieses avantgardistische Projekt nicht mehr allzu viel gemein haben. Eine besondere Herausforderung dürfte auch die Dauer des Abends darstellen. Mit einer Spielzeit von knapp vier Stunden inklusive Pause kommt man bei einem Beginn um 20.00 Uhr nämlich erst gegen Mitternacht aus dem Theater, was an einem gewöhnlichen Wochentag, an dem ein Großteil der Bevölkerung am folgenden Tag wieder arbeiten muss, nicht gerade entgegenkommend ist. Für die zweite Aufführung am 14. Juni 2018 ist sogar noch ein Publikumsgespräch im Anschluss an die Vorstellung angedacht. Ob da wohl noch jemand bleiben wird? Bei der Premiere blieben schon nach der Pause zahlreiche Plätze im Großen Ruhrfestspielhaus leer. Bertolt Brecht (Aljoscha Stadelmann, rechts) und Helene Weigel (Bettina Lamprecht) mit Maximilian Grünewald (links) Ob der Publikumsschwund nur auf die Länge des Abends zurückzuführen ist, lässt sich nicht mit Sicherheit beantworten. Schon während des ersten Teils verließen einzelne Zuschauer den Saal. Ostermaier lässt sich nämlich viel Zeit - für manche offensichtlich zu viel -, bis das, was man wohl als das eigentliche Stück bezeichnen kann, beginnt. Wenn man den Zuschauersaal betritt, sind die Darsteller und Darstellerinnen auf der Bühne bereits aktiv. Arno Waschk sitzt an einem Klavier auf der rechten Seite und spielt Melodien, zu denen einzelne der Schauspieler singen. Die Bühne ist mit Leinwänden in drei Ebenen verhängt. Mit einer kleinen Lampe auf dem Kopf wirken die Darsteller wie Grubenarbeiter. Mehrere Förderkörbe, die hinter diesen Leinwänden hängen, deuten wohl an, dass man sich hinter der Leinwand unter Tage befindet. Vor den Leinwänden sind an der Rampe mehrere Tische mit Lampen wie bei einer Lesung aufgebaut. Zunächst versuchen sich die Schauspieler, etwas unkoordiniert zu strukturieren, und bauen dabei sehr viel Slapstick-Komik ein. Immer wieder strecken sie die Arme in einer V-Form nach oben. Später wird deutlich, dass dies eine Anspielung auf Brechts V-Effekt (Verfremdungs-Effekt) sein soll. Ein Teil des Publikums findet das sehr lustig, ein anderer Teil klatscht auch jedes Mal, wenn die Schauspieler wieder die Arme nach oben reißen. Nach einiger Zeit wirken diese Szenen allerdings sehr redundant. Ein Schauspieler hat Probleme mit einem Wackelkontakt seiner Tischlampe, den er erfolglos zu beheben versucht. Bei einem anderen Darsteller ist die Rücklehne des Bürostuhls abgebrochen, die eine weitere Schauspielerin mit schwarzem Gaffer-Tape zu befestigen versucht. Mit dem gleichen Tape klebt sie auch zahlreiche Zettel auf ihrem Tisch fest. von links: Arno Waschk (am Klavier), Bettina Lamprecht, Hubert Wild, Maximilian Grünewald und Jakob Benkhofer Als man sich allmählich die Frage stellt, wie lange dieser Irrsinn noch weitergehen soll, fangen die Schauspieler an zu sprechen, mal im Chor, dann wieder allein. Auch hier braucht es einige Zeit, bis man versteht, worum es eigentlich geht. Aljoscha Stadelmann rückt ein wenig in den Vordergrund, weil er sich darüber aufregt, dass die Rede immer wieder auf die Nationalsozialisten kommt. Dabei geht er sogar so weit, dass er das Wort "Führerschein" nach der ersten Hälfte unterbricht und durch "Fahrzeugerlaubnis" ersetzt. Im weiteren Verlauf schlüpft er in die Rolle von Bertolt Brecht. Jetzt spielen die Schauspieler zunächst verschiedene Stationen aus Brechts Leben nach und lassen einige Zeitzeugen wie seine Ehefrau Helene Weigel (Bettina Lamprecht) zu Wort kommen, bis Brecht schließlich auf Kurt Weill (Mathias Max Herrmann) trifft. Die Pläne für das Ruhrepos werden entwickelt. Aber natürlich kommt es nicht dazu. Nun tritt ein Darsteller als Albert Ostermaier auf und hält einen Monolog, der zu lang ist wie die meisten Monologe von Brecht zuvor. So passiert bis zur Pause eigentlich nicht viel. Brecht und Ostermaier beschreiben wortreich, wie sie hilflos mit dem ersten Satz ringen. Schließlich tritt eine Dame in einem opulenten Clown-Kostüm (Bettina Lamprecht) auf und teilt auf Englisch mit, wie es denn nun nach der Pause weitergehen werde. Vielen Besuchern scheint diese Information ausreichend zu sein, so dass sie nach der Pause nicht wieder zurück in den Saal finden. Mit dieser Tatsache spielt Stadelmann, der sich mittlerweile auch in einen Clown verwandelt hat, indem er in den Zuschauersaal blickt und verkündet, man könne noch nicht weitermachen, da noch nicht alle wieder da seien. Bunte Farben und skurrile Kostüme nach der Pause (Ensemble vor einer Projektion des Zechenarbeiters) Nach der Pause werden nun einzelne Episoden erzählt. Es geht um die Schließung der letzten Zeche 2018. In einer Video-Projektion werden Auszüge aus einem Interview mit einem langjährigen Zechenarbeiter eingespielt, der nun in den Vorruhestand geht. Die Geschichte der Kohle wird dann vor der Leinwand gespielt, indem einzelne Darsteller schwarze Plastikbälle in immer größeren Mengen auf der Bühne entleeren, bis schließlich die ganze Bühne mit Bällen (= Kohle) gefüllt ist. Katja Gaudard tritt in einem Clownskostüm als "Prinzessin aus Hannover" auf, die sich angeblich in einer Zeche verirrt habe und hier erstmals auf Arbeiter getroffen sei. Sie erzählt eine "Schneewittchen"-Geschichte, wie sie mit den Arbeitern zusammengelebt habe, und stellt sich vor, dass diese Geschichte einmal verfilmt werden könne. Ein anderer Darsteller tritt in einem Barockkostüm mit einer weißen Perücke auf, und singt eine Arie von Monteverdi. Die verwendete klassische Musik stammt in diesem Teil unter anderem von Richard Wagner, wenn beispielsweise das Vorspiel aus Lohengrin den Abschied von der letzten Zeche begleitet, oder Georg Friedrich Händel ("Lascia ch'io panga" aus Rinaldo). Zu Beginn und zum Ende schimmert der Stil von Kurt Weill durch. Fündig wird man auf jeden Fall bei der Suche nach dem Ruhrepos nicht. Auch wenn die schauspielerische Leistung des Ensembles gut ist, kann das nicht über die zahlreichen Längen des Abends hinwegtrösten. Einzelne Unmutsbekundungen mischen sich am Ende in den Schlussapplaus für das Regie-Team. FAZIT Ob man mit diesem avantgardistischen Projekt dem verlorenen Ruhrepos näher kommt, bleibt fraglich. Die Suche bleibt nicht nur erfolglos, sondern ist auch leider viel zu lang. Weitere Rezensionen zu den Ruhrfestspielen Recklinghausen 2018
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ProduktionsteamMusikalische Leitung Regie Bühne Kostüme Video-Design Dramaturgie
SolistenJakob Benkhofer
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- Fine -