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Der interkulturelle Dialog scheitert im Dadavon Stefan Schmöe / Fotos © Ursula Kaufmann / Ruhrtriennale 2018
Zum Politikum ist die neue Ruhrtriennale noch vor der Eröffnung geworden. Hatte doch Intendantin Stefanie Carp die schottische Band "Young fathers" eingeladen, die der BDS-Bewegung nahe steht. BDS steht für "Boycott, Divestment, Sanctions", was im konkreten Fall gegen den Staat Israel gerichtet ist. Ob man diese Haltung auch antisemitisch nennen muss, darüber wird heftig gestritten. Eine BDS-nahe Band auf einem mit öffentlichen Mitteln finanzierten Festival, das missfiel so manchem Landespolitiker doch gehörig, und weil die Band sich nach Aufforderung nicht explizit davon distanzieren wollte, wurde sie von der Intendantin wieder ausgeladen. Etwas vorschnell, denn das wiederum ging wohl manch anderem Künstler gegen den Strich - und nach einer Nachdenkphase wurde die Band wieder eingeladen (die mochte freilich nun nicht mehr kommen). Besonders glücklich wird man solches Lavieren nicht nennen wollen, gleichwohl sollte ein sich betont kritisch-politisch gebendes Festival sowohl solche Irrungen wie auch die "Young fathers" mit ihrer streitbaren Position aushalten. Eine schwache Figur im schaurigen Spiel gibt auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet ab, der kurzfristig seinen Besuch beim prestigeträchtigsten Festival im Land absagte - da will offenbar jemand vermintes Gelände vermeiden. Und so wird ziemlich laut gemunkelt, dass Stefanie Carp überhaupt nur noch deshalb im Amt ist, damit die Triennale irgendwie über die Bühne geht.
Nun kann man auch mit Blick auf die erste Premiere The head & the load keineswegs erleichtert die berühmt-berüchtigten Neu-Bayreuther Worte "hier gilt's der Kunst" ausseufzen und sich behaglich zurücklehnen, und das ist auch gut so. Spiritus rector der Kreation zwischen Musiktheater, Schauspiel, Tanz und bildender Kunst ist William Kentridge, 1955 als Sohn einer Familie der weißen Oberschicht in Johannesburg geboren und bei aller Verspieltheit ein eminent politischer Künstler. Ein Ausgangspunkt der Produktion, die sich mit der Rolle der afrikanischen Bevölkerung im ersten Weltkrieg auseinandersetzt, war die Beschäftigung mit Bergs Wozzeck, den Kentridge im vorigen Jahr bei den Salzburger Festspielen als Weltkriegspanorama en miniature erzählte - dabei seien, so Kentridge in einem Publikumsgespräch, noch viele Geschichten übrig geblieben, insbesondere diejenigen, die den afrikanischen Kontinent betreffen, was von der europäischen Geschichtsschreibung quasi vollständig übergangen wird. Der Weltkrieg war auch ein Krieg um die Kolonien, und afrikanische junge Männer wurden in dramatisch hohen Zahlen als Träger ("carrier") zwangsrekrutiert - das Programmheft gibt eine Million auf britischer, 350.000 auf deutscher Seite an, von denen etwa 200.000 ums Leben kamen.
Kentridge hat natürlich keine Geschichtsstunde inszeniert, sondern eine bildgewaltige Collage mit den für ihn typischen Mitteln geschaffen - da sind ganz prägend Projektionen auf den Bühnenhintergrund, ganz oft mit Schattenrissen der Akteure, die aber nicht live erzeugt werden, sondern vorab erstellt wurden. Da kann eine Person schon mal ihren überdimensionierten Schatten plötzlich verlieren. Kohlezeichnungen, zerrissene historische Dokumente, Linien und Pfeile werden in grober Schnitttechnik zu einer Art Zeichentrickfilm montiert, und vor allem im Mittelteil bekommt das bei aller Tragik des Sujets eine spielerische Leichtigkeit wie eine südafrikanische Antwort auf Schillers berühmtes Verdikt, wonach der Mensch nur da ganz Mensch ist, wo er spielt. Und das ist die wunderbare Botschaft: Dass jede*r (die *-Schreibweise übernehmen wir jetzt einfach mal von der Ruhrtriennale, die das in allen Publikationen konsequent durchzieht) auf der Bühne ein Individuum und ein Kraftzentrum ist - und keine Zahl auf den Listen der Verstorbenen. Es muss nicht ausgesprochen, nicht einmal angedeutet werden, welche tagesaktuelle Brisanz das hat in einer Gegenwart, in der Menschen aus Afrika in der öffentlichen Wahrnehmung nach Obergrenzen und, noch viel schlimmer, nach den Zahlen von Ertrunkenen im Mittelmeer abgehandelt werden.
Entwickelt hat Kentridge das Stück gemeinsam mit vielen anderen, darunter die Komponisten Philip Miller und Thuthuka Sibisi, die entsprechend der Gesamtstruktur europäische und afrikanische Musik gegeneinander schneiden. Ravel, Satie, Hindemith und Schoenberg stehen für eine Avantgarde der Weltkriegszeit, Kreislers Liebesleid-Walzer und die englische Hymne God save our king stehen für sehr unterschiedliche europäische Traditionen. Auf der anderen Seite kann sich ein stumpfer Marschrhythmus zum kraftvollen afrikanischen Tanz entwickeln. Die Musikcollage lebt (auch) von den Spannungen, und in allen Stilebenen wird sie großartig umgesetzt von den (afrikanischen) Sängerdarstellern. Das (ebenfalls ganz ausgezeichnete) in New York beheimatete Kammerorchester The Knights ist in das Bühnengeschehen einbezogen, und über die Bühnenweite von schätzungsweise 50 Metern hin behält Thuthuka Sibisi als musikalischer Leiter der Produktion die Fäden sicher in der Hand. So nimmt die Musik eine gewichtige Rolle ein, rhythmisiert das Geschehen, und in allen Gegensätzen, Zitaten und Brüchen entwickelt sich doch etwas Geschlossenes.
Was da entsteht, ist kein Theater des "dies bedeutet das", sondern eine ungemein dichte und assoziationsreiche Performance. Es gibt nicht die bösen Europäer und die guten Afrikaner (tatsächlich ist die Figur eines afrikanischen Generals oder Diktators ziemlich präsent). Und was überhaupt heißt "Afrika"? Zwischen Kairo und Kapstadt liegt schließlich eine schier unzählbare Vielfalt von Kulturen. Die Kommunikation um 1914 herum war allerdings ein Nichtverstehen, ein absurdes und, wenn man die Tragik ausblendet, auch irgendwie sehr komisches Gestammel. Kentridge lässt die vielsprachige Textcollage in den Dadaismus überlaufen, der ab 1916 auf europäischer Seite die Sinn-Losigkeit zum Programm erhob, greift dazu Schwitters Ursonate auf, die in ihrem Nonsens auch nicht anders klingt als die Versuche, sich mit Hilfe von Wörterbüchern auf dem fremden Kontinent zu verständigen. So wird auch das aufeinander Eingehen, das Wahrnehmen des Fremden zum Thema, vorgeblich im historischen Kontext, aber mit der unausgesprochenen Frage, ob sich da so arg viel verbessert hat. Am Ende der 90-minütigen mitreißenden und faszinierenden Performance ist vom schweren Sterben der schwarzen Kinder die Rede (der einzige Moment, wo ein anklagendes Pathos im Raum steht), und da holt einen die Tagespolitik allemal ein. Kleiner Wehrmutstropfen: Um eine Uraufführung handelt es sich nicht, die fand ein paar Tage vorher in London in der Tate Modern statt (einen Mitschnitt kann man hier sehen). Aber Stefanie Carp setzt mit dieser Produktion ein ganz starkes Zeichen für eine politische, kontroverse und spannende Triennale.
Großartig: Einen derartig fulminanten, verschiedene Kunstformen verbindenden und bei allem intellektuellen Überbau ungemein sinnlichen Auftakt einer Triennale hat man an der Ruhr noch nicht erlebt.
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Produktionsteam
Konzept und Regie
Musik
Musikalische Leitung
Co-Komposition
Projektionen
Choreographie
Kostüm
Bühne
Licht
Video
Video
Regiemitarbeit
Technischer Leiter Ateliers
Video Orchestration
Kinematografie
Orchesterfassung
Darsteller / Performer
Sprecher / Darsteller
Vokalist & Performer
Tänzer
Vokalensemble
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