Die Party muss weitergehen
Von Thomas Molke
/ Fotos: © Clive Barda
Besonderes Markenzeichen des
Wexford Festival Opera ist es nicht nur, seit Jahren das Publikum mit
größtenteils vergessenen Belcanto-Perlen des 19. Jahrhunderts in das
Küstenstädtchen nach Irland zu locken. Bisweilen widmet man sich auch
zeitgenössischen Komponisten. Nachdem 2014 die drei Jahre zuvor in Minnesota
uraufgeführte Oper Silent Night von Kevin Puts hier ihre Europa-Premiere
erlebt hat (siehe auch
unsere Rezension),
gibt es nun erstmals in Europa William Bolcoms vierte Oper Dinner at Eight,
die vor einem Jahr in Minnesota herauskam. Als weitere Parallelen lassen sich
anführen, dass die Libretti in beiden Fällen von Mark Campbell verfasst worden
sind und jeweils der israelische Regisseur Tomer Zvulun für die Inszenierung
verantwortlich zeichnet. Während es in Silent Night um eine eindringliche
und bedrückende Beschäftigung mit dem Ersten Weltkrieg geht, handelt Bolcoms
Oper von der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts, die
im Oktober 1929 mit dem New Yorker Börsencrash begann und die USA in eine tiefe
Depression stürzte.
Millicent Jordan (Mary Dunleavy) plant eine
Dinner-Party mit Hummer in Aspik (im Hintergrund Mitte: Gustave (Sheldon Baxter)
mit der Statisterie).
Vorlage der Oper ist das gleichnamige Theaterstück von George S. Kaufman und
Edna Ferber, das 1932 seine umjubelte Premiere am Broadway feierte und bereits
ein Jahr später von George Cukor verfilmt wurde. Das Stück zeigt am Rande der
Weltwirtschaftskrise die so genannte Upper-Class der US-amerikanischen
Gesellschaft, die zwar in Zeiten der Not ein luxuriöses Leben
führt, dabei aber auch von existenziellen Sorgen gequält wird. Oliver Jordan
droht der Bankrott seiner Reederei, da seine Aktionäre in großen Mengen ihre
Aktien verkaufen. Hinzu kommen große Herzprobleme, und sein Arzt Dr. Talbot
diagnostiziert, dass Oliver nicht mehr lange zu leben habe. Dr. Talbot betrügt
seine Ehefrau Lucy mit der niveaulosen, aber gesellschaftlich ambitionierten
Kitty Packard, die mit dem neureichen Industriemagnaten Dan Packard verheiratet
ist, der sich auch Olivers Reederei unter den Nagel reißen will und eine
politische Karriere anstrebt. Millicent, Olivers Ehefrau, plant für diese ganze
Gesellschaft eine Dinner-Party, bei der auch Lord und Lady Ferncliffe aus Europa
anwesend sein sollen, von denen sich alle Gäste sehr viel versprechen.
Millicents größte Sorge besteht darin, für jeden einen geeigneten Tischnachbarn
und das passende Essen zu finden. So lädt sie auch kurzerhand den alternden
Stummfilmstar Larry Renault ein, ohne zu wissen, dass er ein heimliches
Verhältnis mit ihrer Tochter Paula hat, die sich deshalb von ihrem Verlobten
Ernest trennen will. Renault ist mittlerweile dem Alkohol verfallen und hofft
vergeblich auf ein Comeback als Bühnenstar. Als er von seinem Agenten erfährt,
dass er für ihn in einem neuen Stück noch nicht einmal eine kleine Nebenrolle
ergattern konnte, nimmt er sich das Leben. Kurz vor Beginn der Party sagen
zunächst die Ferncliffes und das engagierte vierköpfige Streichquartett ab, so
dass Millicent mit einem einfachen ungarischen Geiger als musikalischer
Untermalung vorlieb nehmen muss. Dann fällt auch noch der vorbereitete Hummer in
Aspik durch ein Versehen der Dienstboten herunter. Die Party droht, vollends zum
Desaster zu werden, und Millicents Welt bricht zusammen. Dennoch wahren alle den
Schein.
Oliver Jordan (Stephen Powell, links) bittet Dan
Packard (Craig Irvin, rechts), seine Reederei vor dem Bankrott zu bewahren.
Das Stück ist in zweimal sechs Szenen unterteilt, die jeweils
eine andere Figur in den Mittelpunkt stellen. Zu einer Art Ouvertüre treten die
Nebenrollen als kommentierender Chor auf und teilen dem Publikum mit, dass man
trotz der schlimmen Weltwirtschaftskrise den Mut nicht sinken lassen dürfe und
die Party (das Leben) weitergehen müsse. Dabei werden Bilder der Depression auf
den Vorhang projiziert, die die Schrecken der damaligen Zeit eindrucksvoll ins
Gedächtnis rufen. Bühnenbildner Alexander Dodge rahmt die Bühne mit einer
Skyline von New York ein. So sieht man, dass die Stadt regelrecht auf dem Kopf
steht. Aus dem Schnürboden werden unterschiedliche Bühnenelemente herabgelassen
oder aus dem Hintergrund oder von den Seiten auf die Bühne gefahren, um schnelle
Szenenwechsel zwischen den einzelnen Spielorten zu ermöglichen. Dabei werden der
Salon bei den Jordans, Kittys Schlafzimmer, Olivers Büro, Larrys Hotelzimmer und
die Arztpraxis zwar nur mit wenigen Utensilien angedeutet, lassen den Zuschauer
aber mit den historischen Kostümen von Victoria Tzykun glaubhaft in die Welt der
30er Jahre eintauchen. Bolcoms Musik ist ein bunter Mix aus Melodien zwischen
Jazz, Broadway-Show und Anklängen an Gershwin, die mit kleinen atonalen
Unterbrechungen die Risse hinter der Fassade in der Gesellschaft deutlich
machen. Dabei findet Bolcom für jede einzelne Figur eine passende musikalische
Charakterisierung. Sehr gut wird beispielsweise Millicents Tonfall getroffen,
die neben dem leicht klingenden Thema zu "Dinner at eight" eine gesellschaftlich
erforderte und freundliche Unverbindlichkeit in leichtem Walzer-Rhythmus
präsentiert, im Moment ihrer Verzweiflung allerdings schrill und atonal wird.
Der alternde Schauspieler Larry Renault (Richard
Cox) hofft verzweifelt auf ein Comeback als Bühnenstar.
Das Ensemble, das größtenteils auch schon bei der Uraufführung
in Minnesota zu erleben war, überzeugt sowohl stimmlich als auch darstellerisch.
Mary Dunleavy begeistert wie bereits in Minnesota als Millicent Jordan mit
wandelbarem Sopran, der sowohl warm und freundlich klingen kann, wenn sie ihre
Bekannten zur Dinner-Party einlädt, als auch zu dramatischen Ausbrüchen fähig
ist, wenn die Dinner-Party gefährdet ist. Sehr überzeugend mimt sie dabei die
gesellschaftlichen Konventionen verpflichtete Ehefrau, die nicht einmal
ansatzweise zur Kenntnis nimmt, welche Probleme ihr Gatte und ihre Tochter
haben. Selbst am Ende begreift sie nicht, wie schlimm es um ihren Mann Oliver
steht, auch wenn Bolcom musikalisch und Campbell im Libretto den beiden ein
versöhnliches Ende gönnen. Oliver liebt seine Frau so sehr, dass er sie mit
seinen Sorgen nicht belasten will. Die wahre Katastrophe wird für Millicent früh
genug kommen. Das weiß zumindest der Zuschauer. Stephen Powell gestaltet ihren
Ehemann Oliver mit väterlichem Bariton und eindrucksvollem Spiel. Großartig
gelingen ihm die Momente mit Brenda Harris als alternder Diva Carlotta Vance,
die er anfleht, ihre Anteile an seiner Reederei nicht zu verkaufen. Musikalisch
hat man das Gefühl, dass die beiden einmal mehr verbunden hat. Aber Oliver ist
weit davon entfernt, seine Millicent mit der von ihm bewunderten Carlotta zu
betrügen. Gemma Summerfield verfügt als gemeinsame Tochter Paula über einen
warmen Sopran. Musikalisch gehört ihr ein wunderbarer Moment, wenn sie plant,
für ihren Geliebten Larry Renault ihren Verlobten Ernest aufzugeben.
Trotz zahlreicher Katastrophen findet die Party
schließlich doch noch statt (von links: Lucy Talbot (Sharon Carty), Carlotta
Vance (Brenda Harris), Millicent Jordan (Mary Dunleavy), Kitty Packard (Susannah
Biller), Dr. Joseph Talbot (Brett Polegato), Oliver Jordan (Stephen Powell) und
Dan Packard (Craig Irvin)).
Eine Idealbesetzung stellen auch Susannah Biller und Craig Irvin als
Kitty und Dan Packard dar. Biller mimt die "hübsche Trophäe eines politisch
einflussreichen Ehemanns" als platinblonde Schönheit mit viel Sex-Appeal. In den
gesprochenen Sequenzen setzt sie auf eine nervige Stimme, die ihr jegliche
Klasse absprechen und belegen, dass sie nur durch ihr Aussehen so viel erreicht
hat. Musikalisch begeistert sie durch einen sauber angesetzten Sopran, der mit
großartigen Staccati ihre Launenhaftigkeit unterstreicht. Irvin gestaltet ihren
Ehemann mit profundem Bariton als selbstgefälligen Karrieremenschen, der für
seinen eigenen Vorteil zu fast allem bereit ist. Eigentlich will er die
Dinner-Party absagen, da er gerade dabei ist, Oliver zu ruinieren, und er es
deshalb für nicht angemessen hält, mit diesem Mann gemeinsam bei Tisch zu
sitzen. Aber die Aussicht auf ein Treffen mit den einflussreichen Ferncliffes
erscheint ihm dafür zu lukrativ. Eindrucksvoll zeigen Biller und Irvin im
zweiten Akt die Kluft, die zwischen den Eheleuten besteht, wenn Kitty offen
zugibt, ein Verhältnis zu haben, und nicht bereit ist, mit ihrem Mann nach
Washington zu gehen. Auch wenn die Oper den Ausgang der Beziehung offen lässt,
ist dem Publikum klar, dass es für die beiden nach der Dinner-Party keine
gemeinsame glückliche Zukunft mehr geben wird. Etwas unklarer wird das Schicksal
des Doktors und seiner Frau Lucy gelassen. Sharon Carty zeichnet die Partie der
Lucy mit dunkel gefärbtem Mezzosopran und einer gewissen Bitterkeit. Brett
Polegato gibt ihren Gatten mit profundem Bariton. Eindrucksvoll gestaltet er
seine Arie im zweiten Akt, wenn er sich als Wesen ohne Rückrat bezeichnet. Ob er
aber aus seinen Fehlern lernen und seine Frau nicht mehr betrügen wird, bleibt
der Phantasie des Publikums überlassen. Richard Cox lässt sich als indisponiert
entschuldigen, meistert die Partie des Larry aber von kleineren Problemen in den
Höhen abgesehen durchaus respektabel.
Das Orchester des Wexford Festival Opera arbeitet in der
rezensierten Aufführung unter der Leitung von Leslie Dala den leicht und süffig
klingenden Tonfall der Musik Bolcoms differenziert heraus, so dass es für alle
Beteiligten großen und verdienten Beifall gibt.
FAZIT
William Bolcoms Musik gelingt es sehr überzeugend, den düsteren Unterton der
Geschichte mit gefälligen Rhythmen und Melodien zu überspielen.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
David Agler /
*Leslie DalaRegie
Tomer Zvulun Bühne
Alexander Dodge Kostüme
Victoria Tzykun Licht
Robert Wierzel
Orchester des
Wexford Festival Opera
Solisten
Millicent Jordan
Mary Dunleavy
Oliver Jordan
Stephen Powell
Paula Jordan
Gemma Summerfield
Carlotta Vance
Brenda Harris
Dan Packard
Craig Irvin Kitty Packard
Susannah Biller Lucy Talbot
Sharon Carty Dr. Joseph Talbot
Brett Polegato Larry Renault
Richard Cox Max Kane
Ashley Mercer Gustave
Sheldon Baxter Miss Copeland
Maria Hughes Tina
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