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Rossini in Wildbad
Belcanto Opera Festival
12.07.2018 - 29.07.2018


La cambiale di matrimonio

Farsa comica in einem Akt
Libretto von Gaetano Gasbarri
Musik von Gioachino Rossini

In italienischer Sprache mit italienischen und deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1 h 30' (keine Pause)

Premiere im Königlichen Kurtheater am 14. Juli 2018

 

 

 

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Die Allmacht der Regie

Von Thomas Molke / Fotos: © Patrick Pfeiffer

"Zurück zu den Anfängen" scheint das Motto beim Eröffnungswochenende des 30. Belcanto Opera Festivals Rossini in Wildbad im Königlichen Kurtheater zu sein. Nach einem vom Festspielleiter Jochen Schönleber inszenierten Gastspiel der bulgarischen Staatsoper Russe mit Rossinis erster zweiaktiger Buffo-Oper L'equivoco stravagante (siehe auch unsere Rezension) folgt einen Tag später als Opernpremiere Rossinis Erstlingswerk, das er im zarten Alter von 18 Jahren für das Teatro San Moisè in Venedig komponierte: La cambiale di matrimonio. Dass der junge Rossini hier seine Karriere starten konnte, war mehreren Zufällen zu verdanken. Zum einen ist das Sängerehepaar Giovanni und Rosa Morandi zu nennen, das zur Herbstspielzeit 1810 nach Venedig gegangen war, mit Rossinis Eltern gut befreundet war und bereits in Bologna das Kompositionstalent des jungen Rossini kennengelernt hatte, der zu dieser Zeit als Maestro di Cembalo an zahlreichen kleinen Theatern in der Provinz seine außerordentliche Begabung hatte unter Beweis stellen können. Zum anderen fiel ein Komponist, wahrscheinlich Johann Caspar Aiblinger, für eine Auftragskomposition in der Herbstsaison 1810 in Venedig aus, so dass der Impresario Antonio Cera dringend einen möglichst günstigen Ersatz benötigte. Da kam ihm Rosa Morandis Vorschlag, den jungen Rossini in Venedig debütieren zu lassen, gerade recht, zumal Cera so die Gage relativ niedrig halten konnte. So kam es gewissermaßen durch einen "Komponistenwechsel" ("cambiale di compositore") zur gefeierten Uraufführung des "Heiratswechsels" ("cambiale di matrimonio").

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Neue gegen Alte Welt: von links: Slook (Roberto Maietta), Clarina (Maria Rita Combattelli), Norton (Javier Povedano), Fannì (Eleonora Bellocci), Edoardo (Xiang Xu) und Tobia Mill (Matija Meić)

Mit "Wechsel" ist in der Oper allerdings eigentlich ein Schuldschein gemeint, den der kanadische Kaufmann Slook seinem englischen Kollegen Tobia Mill ausgestellt hat. Slook will nun nach England kommen, um diesen Wechsel persönlich einzulösen. Seine Idee ist es, in Kanada ein "Eheunternehmen" zu gründen. Dafür benötige er eine Ehefrau. Mill will ihm seine Tochter Fannì anbieten. Diese ist allerdings bereits in den mittellosen Edoardo verliebt und will natürlich keinesfalls mit Slook nach Kanada gehen. Gemeinsam mit dem Buchhalter Norton und der Zofe Clarina überlegen Edoardo und Fannì, wie sie diese Hochzeit verhindern können. Fannì zeigt sich Slook gegenüber zunächst sehr kämpferisch und droht, ihm die Augen auszukratzen, wenn er nicht auf die Einlösung des Wechsels verzichten wolle. Auch Edoardo, den Norton als seinen Buchhalter-Kollegen ausgegeben hat, fordert Slook auf, ohne Fannì nach Kanada zurückzukehren. Slook zeigt sich über die Sitten der Europäer sehr verwirrt. Da warnt ihn Norton, dass Fannì vielleicht mit einer "Hypothek" belegt sein könne. Als Slook diese Anspielung versteht, ist er bereit, auf Fannì zu verzichten. Das will aber wiederum Mill nicht akzeptieren und fordert Slook zum Duell heraus. Edoardo und Fannì bieten dem verzweifelten Slook ihre Hilfe an, so dass Slook kurzerhand den Wechsel auf Edoardo überschreibt und ihn als seinen Erben einsetzt. Als Edoardo bei Mill nun die Einlösung des "Heiratswechsels" verlangt, fühlt dieser sich verraten und will nicht vom bevorstehenden Duell ablassen. Doch als er erfährt, dass Edoardo ein Ehrenmann ist, der nicht nur einen reichen Onkel hat, sondern auch Slook beerben wird, lenkt er ein und ist bereit, seine Tochter Fannì Edoardo zur Ehefrau zu geben.

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Der Regisseur (Lorenzo Regazzo, hinten) zieht im Hintergrund die Fäden (vorne von links: Fannì (Eleonora Bellocci), Clarina (Maria Rita Combattelli) und Slook (Roberto Maietta)).

Lorenzo Regazzo, der in Bad Wildbad nicht nur bereits in zahlreichen Buffo-Opern sein komisches Talent als Sängerdarsteller unter Beweis stellen konnte, sondern auch seit vielen Jahren hier gemeinsam mit Raúl Giménez die Meisterklassen der Akademie BelCanto betreut, übernimmt in dieser Produktion die Regie. Dabei begnügt er sich allerdings nicht damit, als Regisseur hinter der Bühne zu agieren, sondern wird Teil der Inszenierung. Zu Beginn der Oper steht ein Regiestuhl in der Mitte der Bühne, auf dem er selbstverliebt Platz nimmt und in einem riesigen Buch mit dem Titel "Handbuch der neuen Theaterregie" blättert. Während der Ouvertüre lässt er sich von diesem Buch inspirieren und gibt Norton immer wieder neue Anweisungen. Man hat den Eindruck, dass Regazzo hier Erlebnisse verarbeitet, die er während seiner langjährigen Bühnenkarriere mit Vertretern des modernen Regie-Theaters gemacht hat. So lässt er Norton zunächst eine gelbe Mülltonne auf die Bühne bringen, der er allerlei "Trash" entnimmt, den er mit dem Kommentar "Wunderbar" in seine Inszenierung einbauen will. Dass der Schweinskopf, der Nachttopf und die Bombe überhaupt nichts mit dem Stück zu tun haben, versteht sich dabei von selbst. Zu Beginn birgt dieser Ansatz große Komik, da man sich wirklich an zahlreiche abstruse Inszenierungen erinnert fühlt, während man rechts und links an den Wänden Fotos von Zefirelli und anderen Regisseuren als Ikonen der "klassischen Inszenierungen" sieht, die Norton allerdings verdecken muss, da "Maestro Regazzo" sie natürlich nicht neben sich ertragen kann. Doch mit der Zeit fragt man sich, ob diese Persiflage des modernen Regietheaters nicht selbst wieder modernes Regietheater ist.

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Tobia Mill (Matija Meić) muss auf die Couch (hinter dem Buch: Slook (Roberto Maietta) als Psychiater).

Vielleicht will Regazzo anprangern, wie rücksichtslos Regisseure teilweise mit den Darstellern umgehen. So muss besonders Matija Meić als Tobia Mill unter den Launen des Regisseurs leiden. Regazzo zwingt ihn, auf der Bühne ständig Sport zu treiben. Dass Meić bei diesem körperlichen Einsatz trotzdem stimmliche Höchstleistungen präsentiert, ist schon beeindruckend. Dann kritisiert Regaazo beim Rezitieren des Briefes aus Kanada Meićs italienischer Aussprache und übernimmt es selbst, in selbstgefälligem Tonfall vorzuführen, wie er die Szene gerne umgesetzt hätte. Meić wirkt dabei, wie ein kleines Häufchen Elend, so dass schwer nachvollziehbar ist, wie er eigentlich immer wieder in die Rolle des Mill zurückfindet. Natürlich darf auch die #MeToo-Debatte nicht fehlen. Maria Rita Combattelli muss als Zofe Clarina nicht nur beim Umbau des Bühnenbildes aufreizend vor Regazzos lüsternen Blicken posieren, sondern kündigt ihre Arie auch als "Chanson de striptease" an, wobei ihr Striptease eigentlich gar nichts mit dem gesungenen Text zu tun hat. Zum "Handbuch der neuen Theaterregie" kommt dann auch noch Richard von Krafft-Ebings "Psychopathia sexualis", in dem erstmals sexuelle Abweichungen und Perversionen anhand von Fallbeispielen beschrieben wurden. Mill muss nun auf die Couch und sich von Slook therapieren lassen. Der stinkende Nachttopf, der zwischendurch immer wieder über die Bühne getragen wird, soll wohl ein Kommentar zu all diesen abstrusen Regieeinfällen sein. Am Ende wird es den Darstellern, die permanent von Regazzo malträtiert werden, dann endgültig zu viel, und sie knallen den Regisseur im Off einfach ab.

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Das waren noch Zeiten: Fannì (Eleonora Bellocci) vor einem Bild der legendären Maria Callas.

Musikalisch ist der Abend hochkarätig besetzt. Eleonora Bellocci begeistert als Fannì mit strahlendem, beweglichem Sopran. Ihre große Arie am Ende der Oper, "Vorrei spiegarvi il giubilo", in der sie Slook dankt, dass er sie für Edoardo freigibt, avanciert zu einem der zahlreichen musikalischen Höhepunkte der Oper. Xiang Xu verfügt als Edoardo über einen klaren Tenor mit kräftigen Spitzentönen. Leider wird die Innigkeit, die Xu und Bellocci stimmlich in ihrem Duett zu Beginn der Oper verbindet, durch die Regieanweisung torpediert, dass sie zwei große Stoffpuppen mit mehreren Gesichtern liebkosen müssen und jegliche Nähe zwischen den beiden von Regazzo unterbunden wird. Auch dass Xu in Frauenkleidern mit blonder Perücke auftreten muss, um Slook zu drohen, ist nicht wirklich glaubwürdig. Maria Rita Combattelli stattet die Zofe Clarina mit leuchtendem Sopran aus und gefällt durch verführerisches Spiel. Sehr schön spielt sie dabei auch aus, wie unangenehm es ihr ist, ihre Reize vor Regazzo als Regisseur einsetzen zu müssen. Großartiges komisches Potenzial entwickelt auch Javier Povedano als Norton, der mit beweglichen Buffo-Bass aufhorchen lässt. Neben den vier Stipendiaten der Akademie BelCanto stehen auch zwei "alte Hasen" auf der Bühne, die zahlreichen Besuchern des Festivals noch aus den Vorjahren als viel versprechende Talente der Akademie BelCanto in Erinnerung sein dürften und die beide hier mit dem BelCanto-Preis ausgezeichnet wurden. Matija Meić stattet den englischen Kaufmann Mill mit durchschlagendem Bariton aus und spielt die Demütigungen durch den Regisseur Regazzo sehr glaubhaft aus. Roberto Maietta ist ein Vollblutkomödiant und begeistert stimmlich und darstellerisch als extrovertierter "Cowboy" Slook. Ein weiterer musikalischer Höhepunkt ist das Duett der beiden, "Dite presto, dove sta", in der Mill Slook zum Duell herausfordert. Jacopo Brusa arbeitet mit den Virtuosi Brunenses den frischen Rossini-Sound wunderbar heraus, so dass es für alle Beteiligten großen Applaus und Jubel gibt. Bei Regazzo hingegen ist der Applaus ein bisschen verhaltener. Man hat den Eindruck, dass mancher Besucher der Meinung ist, dass Regazzo den Bogen mit der Persiflage auf das moderne Regietheater ein wenig überspannt.

FAZIT

Rossinis Erstling hat musikalisch bereits einiges zu bieten und wird in Bad Wildbad von einem hervorragenden Sängerensemble interpretiert. Die Regie geht mit ihrer Persiflage des modernen Regietheaters allerdings ein bisschen zu weit, was den Genuss des Abends aber nur geringfügig schmälert.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Jacopo Brusa

Regie und Bühne
Lorenzo Regazzo

Kostüme
Claudia Möbius

Licht
Oliver Porst

 

Virtuosi Brunenses

Tafelklavier
GianLuca Ascheri


Solisten

Tobia Mill
Matija Meić

Fannì, seine Tochter
Eleonora Bellocci

Edoardo Milfort
Xiang Xu

Slook, Kaufmann aus Amerika
Roberto Maietta

Norton, Kassier von Mill
Javier Povedano

Clarina, Zofe von Fannì
Maria Rita Combattelli

 

 


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