Veranstaltungen & Kritiken Musikfestspiele |
|
|
Hoppla, der MondVon Roberto Becker / Fotos von Lucie Jansch
Wenigstens keine Blackfacing-Debatte. Welche Hautfarbe der Titelheld hat, das ist diesmal völlig egal. Und damit auch, ob sie für irgendetwas steht, was heute als politisch inkorrekt zu bewerten wäre. Für überschäumendes Temperament etwa. Für eine gesellschaftliche Ausgrenzung, die trotz militärischer Karriere bei den Venezianern nie völlig überwunden wird und die ein extremes Verhalten in der Beziehung zu Desdemona befördert. Diese Psychologie der Figuren und die Gesellschaft, in der sie leben, lieben oder intrigieren spielen ohnehin keine entscheidende Rolle, wenn Robert Wilson (78) sich eine Oper vornimmt. Seine Übersetzungen in Farbe und Form, seine Figurinen und deren Reduktion auf stilisierte Bewegungen können manchmal eine neue Dimension eröffnen. Verblüffenderweise funktioniert das meinst dann besonders gut, wenn es lustig wird oder Wilson eigene Stück-Kreationen auf die Bühne bringt. An allen drei Ostberliner Schauspielbühnen ist ihm da einiges ausgesprochen geglückt. Sogar Shakespeares Sonette oder Goethes Faust gerieten ihm zu musikalischen Schauspielen der besonderen, höchst vergnüglichen Art. Aus der Wilson-Factory: Cassio geht gerade, Jago in der Mitte und Otello lauscht rechts
Nun ist Otello per se nichts zum Amüsieren. Aber Verdis Liebe-Intrige-Eifersuchts- und Mord-Oper nach Shakespeare wird in der Wilson-Factory vom Gesamtkunstwerk zu selbstverliebten Lichtspielen reduziert, von der bewegenden Kunst zum zierenden Kunstgewerbe. Man muss sich nur mal die Liste des Produktionsteams anschauen. Der Meister steht als Marke für Inszenierung, Bühnenbild und Licht oben drüber. Und dann gibt es jeweils noch einen Co-Partner für Hair-, Make-up- und Video-Designer. Und so sieht das Ganze dann auch aus. Das musikalisch so bewegte Sturmbild zum Auftakt wird noch zur beeindruckenden Installation von stilisierten Blitzen, Bühnennebel und erstarrten Chormassen. Ab dann geht es aber auf vertrauten Wilson-Pfaden weiter. Sänger als optische Designprodukte, Bewegung nach Schema F (oder besser: W) und schöne Bilder. Meistens als eine Marc-Rothko-Variante. Es gibt viel Blau, mal Schwarz, dann Grün, der Mond ist blutrot. Diesmal kommen ein paar Arkadenbögen dazu, die durch die Luft fliegen oder sich zu einem Raum verdichten. Auch das berühmteste Taschentuch der Geschichte unterschlägt er nicht. Das macht alles Effekt. Wie immer bei Wilson. Aber ob das nun Otello näher oder auch nur nahe kommt? Otello und Desdemona - erstarrte Leidenschaft
Eine Novität zumindest gibt es gleich zum Auftakt: einen riesigen Elefanten. Zunächst als Projektion und dann auf der Bühne. Der blinzelt und wackelt mit seinem Elefantenohr. Dazu Windgeräusche. Eine Installation, die auf die ersten stürmischen Takte der Musik einstimmt. Damit und mit den Scheinwerferbatterien und stilisierten Blitzen ist die Kiste mit den Überraschungen aber auch schnell wieder zu. Für die Sänger ist das Ausbremsen jeder Bewegung beim Singen allemal eine Herausforderung, die quer zu dem liegt, was sonst so von ihnen erwartet wird. Es ist unfreiwillig komisch, wenn sich einige Choristen in den hinteren Reihen auf der Stelle um sich selbst drehen, wo man schon Massen wogen sah. In dieser Slow-motion-Welt des schönen Scheins muss Otello am Ende nicht mal wirklich zudrücken, um seiner Desdemona die Luft abzudrehen. Es bleibt als szenisches Fazit dieser Exerzitien, dass Otello zu denen Werken gehört, die ziemlich Federn lassen müssen, wenn sie in der Wilson-Factory bearbeitet werden. Der Mond ist wie der Mond - nur blutrot
Selbst im Festspielhaus von Baden-Baden gab es da dem Vernehmen nach bei der Premiere ein paar Unmutsäußerungen und in der besuchten Vorstellung durchaus wahrnehmbare Lücken im Zuschauerraum. Für das Festspielpublikum bzw. für die Dramaturgie des scheidenden Intendanten spielen dererlei künstlerische Erwägungen aber eh' eine eher untergeordnete Rolle. Hier passt Wilson ganz gut hinein, auch wenn er ein Produkt seiner Kunstgewerbeabteilung liefert. Musikalisch profitiert der Abend von den Berliner Philharmonikern. Obwohl kein originäres Opernorchester, liefern sie natürlich den musikalischen Luxus, mit dem sich so ein Festspielunternehmen (und seine Preise) allein rechtfertigen lassen. Diesmal mit dem Altmeister Zubin Mehta (82) am Pult. Alles sehr nobel, höchst gediegen und obendrein sängerfreundlich. Obwohl es (zum Glück) weder den Sängern, noch den Zuschauern (in dem Fall leider) den Atem verschlug, liefert der Graben den eigentlichen Verdi. Mord im Schlafgemach: Desdemona und Otello
Gesungen wird auf hohem Niveau, wenngleich nicht im Gala-Format. Stuart Skelton und Sonya Yoncheva haben die Partien von Otello und Desdemona drauf. Er mit strahlenden Tönen, die nur in den Piani leicht holpern. Sie anfangs mit betonter Entschiedenheit, dann aber zunehmend ganz bei sich. Vladimir Stoyanov als teuflisch grimassierender Jago-Schattenriss fehlt ein Fünkchen vokaler Finsternis zur sonst tadellosen Noblesse. Rodrigo (Gregory Bonfatti) und Cassio (Francesco Demuro) sind solide. Anna Malavasi ist die markant energisch, aber wie immer zu spät auftrumpfende Emilia. Der Philharmonia Chor Wien und der Kinderchor des Pädagogiums Baden-Baden überzeugen. Gegen die eisgekühlt erstarrte Optik kommen aber weder die Sänger noch die Philharmoniker wirklich an. Am Ausgang gibts dann wie immer eine Rose für die Damen.
Bei den Osterfestspielen in Baden-Baden bewegen sich die Berliner Philharmoniker mit Zubin Mehta in eine andere Richtung als Robert Wilsons starre Regie. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
ProduktionsteamMusikalische LeitungZubin Mehta
Inszenierung, Bühne, Licht
Co-Regie
Co-Bühnenbild
Kostüme
Co-Lichtdesign
Hair & Make-up Design
Videodesign
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Otello
Desdemona
Jago
Emilia
Cassio
Rodrigo
Ludovico
Montano
Herold
|
- Fine -