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Im Wald da sind die Räuber und andere GestaltenVon Thomas Molke / Fotos: © Oliver Vogel Seit 2016 gibt es bei den Opernfestspielen Heidenheim ein Projekt, die frühen Verdi-Opern in chronologischer Reihenfolge aufzuführen. Nachdem im letzten Jahr mit Nabucco als großer Opernproduktion im Rittersaal und I Lombardi direkt zwei Werke auf dem Spielplan standen, geht es in diesem Jahr mit Verdis fünfter Oper, Ernani, weiter, die mit dem sensationellen Erfolg bei der Uraufführung 1844 in Venedig nach dem mit großer Begeisterung aufgenommenen Nabucco zwei Jahre zuvor endgültig Verdis Durchbruch als international gefeierten Opernkomponisten markierte. Mit diesem Werk begann auch Verdis erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Librettisten Francesco Maria Piave. Die literarische Vorlage lieferte Victor Hugo mit seinem 1830 uraufgeführten Drama Hernani ou L'Honneur castillan. Im Gegensatz zu Verdis sieben Jahre später aufgeführtem Rigoletto, der auf Hugos Le Roi s'amuse basiert und das erste Stück der so genannten "Trilogia populare" darstellt, konnte sich Ernani keinen vergleichbaren Platz im Opernrepertoire sichern, da die Handlung völlig abstrus ist und die Figuren schwer nachvollziehbar agieren. Dennoch dürften Auszüge der Musik einem Großteil der Opernbesucher aus diversen Gala-Konzerten bekannt sein. Don Ruy Gómez de Silva (Pavel Kudinov, rechts) zwingt Ernani (Sung Kyu Park, Mitte mit Elvira (Leah Gordon)) zum Selbstmord. Die Oper erzählt von drei Männern, die alle Elvira begehren. Da ist zunächst ihr Onkel Don Ruy Gómez de Silva, ein spanischer Grande, der die junge Dame nach dem Tod ihrer Eltern bei sich aufgenommen hat und aufgrund seines Alters und Titels einen Anspruch auf die Nichte erhebt. Doch auch Don Carlos, der König von Spanien und spätere Kaiser Karl V., möchte die junge Dame heiraten. Elvira hingegen liebt Ernani, der als Bandit in den Bergen von Aragon eine Gruppe von Räubern anführt, in Wirklichkeit allerdings der Adlige Don Juan von Aragon ist, dessen Vater, der Herzog von Aragon, vom Vater des Königs entmachtet und getötet worden ist. Die Pläne der drei Rivalen, sich gegenseitig zu duellieren, werden mehrere Male durchkreuzt, bis schließlich Carlos Elvira als Geisel nimmt. Nun verbünden sich Ernani und Silva gegen den König, wobei Ernani Silva ein Jagdhorn mit dem Schwur übergibt, dass er, Ernani, sich selbst sofort töten werde, wenn Silva das Horn blase. Inzwischen wird Carlo in Aachen zum Kaiser gekrönt. Als er die Verschwörer unter der Leitung von Silva und Ernani stellen kann, will er Ernani, der sich als entmachteter Adliger zu erkennen gibt, töten lassen. Doch Elvira fleht um Gnade, und Carlo, der beschlossen hat, als neu gekrönter Kaiser Gnade walten zu lassen, lässt diesen nicht nur frei und rehabilitiert ihn als Herzog von Aragon, sondern erlaubt ihm auch, Elvira zu heiraten. Als die Hochzeit im Palast vorbereitet sind, fordert Silva Rache und bläst das Horn. Ernani erinnert sich an seinen Schwur und ersticht sich, während Elvira ohnmächtig an seiner Leiche zusammenbricht. Die Räuber (Herren des Tschechischen Philharmonischen Chors Brünn) jagen einen Hirsch (Julius Rinke). Jasmina Hadžiahmetović lässt in ihrer Inszenierung die komplette Handlung in einem dunklen Wald spielen und deutet nur durch kleine Veränderungen einen Wechsel des Ortes an. So tritt beispielsweise Elvira im zweiten Bild des ersten Aktes mit einer weißen Decke auf, um anzudeuten, dass man sich nun in Silvas Schloss befindet. Die Kaisergruft im Aachener Dom, in der Carlos sich im dritten Akt vor den Verschwörern versteckt hat, um das Ergebnis der Kaiserwahl abzuwarten, wird durch einen einfachen Stuhl inmitten dieses Waldes dargestellt, und beim Hochzeitsfest im Palast des Herzogs von Aragon stellt der Chor kleine Lampen im Wald auf. Insgesamt könnte man mit diesem Konzept leben, wenn Hadžiahmetović nicht bemüht wäre, weitere Akzente im Handlungsablauf zu setzen, die sich nicht erschließen. Da ist zunächst einmal ein weißer Hirsch (Statist: Julius Rinke) im ersten Bild des ersten Aktes, der von den Räubern nicht nur gejagt, sondern anschließend auf der Bühne auch noch ausgenommen wird. Wieso der Hirsch weiße Federn hat, die er in diesem Kampf verliert und die dann auch noch im Orchestergraben landen und nach dem ersten Akt zu einer kurzen Zwangspause führen, da ein Kontrabassist sich und sein Instrument erst reinigen muss, versteht man nicht wirklich. Soll dieser Hirsch Elvira sein, die im letzten Akt im weißen Brautkleid mit einem Geweih auftritt? Auch Elviras Einengung durch das Gerüst eines Reifrockes darzustellen, in den sie zunächst von Silva gezwängt wird und in dem sie sich anschließend mit Ernani wie in einem Käfig versteckt, wirkt ein wenig bemüht. Gefangen im Reifrock: Elvira (Leah Gordon) und Ernani (Sung Kyu Park), hinten rechts: Silva (Pavel Kudinov) Musikalisch gibt es an diesem Abend nichts zu beanstanden. Die Partien sind großartig besetzt, so dass man schon jetzt eine Empfehlung für den CD-Mitschnitt aussprechen kann, der von dieser Produktion gemacht wird. Da ist zunächst Sung Kyu Park in der Titelpartie zu nennen. Mit großem teilweise recht dunkel angesetzten Tenor und enormer Durchschlagskraft, verkündet er in seiner Auftrittskavatine "Come rugiada al cespite" den Räubern seinen Plan, die geliebte Elvira zu entführen und so die Zwangsehe mit ihrem Onkel zu verhindern. Dabei glänzt er mit sauberen Spitzentönen und zeigt auch darstellerisch eine Entschlossenheit, die davor warnt, sich mit diesem Helden anzulegen. Auch Leah Gordon lässt als Elvira keine Wünsche offen. In der berühmten Kavatine "Ernani! involami", in der sie sich danach sehnt, von Ernani befreit zu werden, braucht sie den Vergleich mit großen Sopranistinnen der Vergangenheit, die in dieser Arie mit stupenden Koloraturen geglänzt haben, nicht zu scheuen. Gordon begeistert vor allem in dem Registerwechsel von einer voluminösen Mittellage hin zu strahlenden Koloraturen. In den Duetten mit Park findet sie zu einer berührenden Innigkeit, die sogar über den schwachsinnigen Schluss hinwegsehen lässt, wenn Ernani sich zur Einhaltung seines Schwurs das Leben nehmen muss. Elvira (Leah Gordon, Mitte links) bittet den zum Kaiser gekrönten Carlos (Marian Pop) um Gnade für die Verschwörer (Tschechischer Philharmonischer Chor Brünn). Marian Pop glänzt als König Don Carlos mit markantem Bariton, auch wenn die Figur dramaturgisch am wenigsten nachvollziehbar ist. So versteht man beispielsweise nicht, wieso er sich zunächst im Gemach Elviras mit Ernani duellieren will, um ihn anschließend vor Silva in Schutz zu nehmen. Auch sein Wechsel vom rachsüchtigen König zum milden Kaiser, der nach seiner Krönung auf Elviras Bitten nicht nur bereit ist, Ernani zu verschonen, sondern ihm gleichzeitig auch noch seinen Titel zurückgibt und ihn mit Elvira vermählt, bleibt dramaturgisch doch sehr fragwürdig. Wenn Pop allerdings im dritten Akt seine große Kavatine "Oh de! Verd'anni miei" präsentiert, in der er kurz vor seiner Krönung zum Kaiser nahezu wehmütig an seine Jugend zurückdenkt und plant, als neuer Kaiser mit einer gerechten Herrschaft in die Geschichtsbücher einzugehen, lässt er mit seinem samtig fließenden Bariton diese dramaturgischen Schwächen sofort vergessen. Pavel Kudinov stattet die Partie des boshaften Onkels Silva mit herrlich schwarzem Bass aus. So jagt sein finsteres "Morrà", das er seiner verzweifelten Nichte am Ende voller Hass entgegenschleudert, dem Publikum einen Schauer über den Rücken. Auch der von Zuzana Kadlčíková einstudierte Tschechische Philharmonische Chor Brünn leistet Gewaltiges. Mit großer Homogenität meistern die Herren des Chors zu Beginn des ersten Aktes die schnellen Läufe der Räuber im Wald. Die Frauen sind zwar eher als Räuberbräute kostümiert, wenn sie als Dienerinnen in Silvas Schloss Elvira Trost spenden wollen, begeistern aber ebenfalls durch homogenen Klang und große Spielfreude. Beim Maskenball im letzten Akt treten dann alle als Tiere auf, was im Wald ja recht passend ist. Marcus Bosch begeistert am Pult des Festspielorchesters Cappella Aquileia mit expressivem Dirigat und arbeitet die beinahe schon schwülstigen Emotionen der Partitur differenziert heraus. So hört man gerade in den ersten beiden Akten einen Klang, der noch vollkommen vom jungen Verdi beseelt ist und in der Tradition des Belcanto steht, auch wenn in dieser Leichtigkeit die Ernsthaftigkeit der Figuren bisweilen in Frage gestellt werden. Ab dem dritten Akt gewinnt die Musik dann an Tiefe. Nach beinahe jeder Arie gibt es Zwischenapplaus und Jubel, und auch am Schluss werden alle Beteiligten mit großem Beifall belohnt.
FAZIT Wer diese Aufführung versäumt, hat bald die Möglichkeit, sich auf einem CD-Mitschnitt von der musikalischen Qualität dieser Produktion zu überzeugen.
Weitere Rezensionen zu
den
Opernfestspielen Heidenheim 2019 |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Lichtdesign
Chorleitung
Choreinstudierung
Dramaturgie
Cappella Aquileia Tschechischer Philharmonischer Chor Brünn
SolistenErnani, ein Bandit Don Carlos Don Ruy Gómez de Silva Elvira, seine Nichte und Verlobte Giovanna, ihre Vertraute Don Riccardo, der Schildknappe des Königs Jago, der Schildknappe Silvas Hirsch (Statist)
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