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Verschlossene TürenVon Thomas Molke / Fotos: © Oliver Vogel Tschaikowskis vorletzte Oper Pique Dame markierte seinen größten Erfolg, der ihm am Ende seiner Karriere erstmals ermöglichte, finanziell auf eigenen Füßen zu stehen. In Russland entwickelte sich das Werk zum Sinnbild einer ganzen Epoche und gilt als Meilenstein der russischen Opernliteratur, da es einerseits in seiner szenischen Opulenz als Antwort auf die französische Grand opéra verstanden werden kann und andererseits musikalisch den Melodienreichtum des italienischen Belcanto mit dem literarischen, ernsthaften deutschen Musikdrama verbindet. Dabei hatte Tschaikowski zunächst gar kein Interesse an einer Vertonung der Puschkin-Vorlage. 1885 hatte Fürst Iwan Wsewoloschski, der Direktor des Kaiserlichen Theaters in St. Petersburg, Tschaikowskis Bruder Modest beauftragt, ein Libretto nach Puschkins Novelle zu verfassen. Zunächst begann Tschaikowskis Schüler Nikolaj Klenowski mit der Vertonung, brach die Komposition allerdings im März 1888 nach der vierten Szene ab. Ab Januar 1890 begann dann Tschaikowski, für dieses Projekt zu brennen, und schuf während seines Italienaufenthalts im Frühjahr 1890 in kurzer Zeit eine Rohfassung. Am 19. Dezember 1890 wurde die Oper am Mariinski-Theater in St. Petersburg mit dem russischen Startenor Nikolaj Figner als Hermann in einer opulenten Inszenierung mit insgesamt 297 Mitwirkenden uraufgeführt. Somit scheint sie prädestiniert für eine Open-Air-Veranstaltung zu sein. Dennoch bleiben bei der insgesamt zweiten Aufführung im Rittersaal Schloss Hellenstein - die anderen drei Aufführungen fanden wegen der Wetterlage allesamt im Festspielhaus statt - einige Plätze frei. Vielleicht hat das Stück doch nicht eine so große Anziehungskraft wie in den letzten beiden Jahren Der fliegende Holländer und Nabucco. Lisa (Karina Flores) will mit Hermann (George Oniani) fliehen. Im Gegensatz zu Puschkins Novelle spielt die Handlung bei Tschaikowski nicht im frühen 19. Jahrhundert, sondern in der Spätzeit der Zarin Katharina der Großen. Neu ist auch die Figur des Fürsten Jelezki, der mit Lisa, der Enkelin der geheimnisvollen Gräfin, verlobt ist. Hermann, ein deutscher Offizier, hat sich in Lisa verliebt, die aufgrund des Standesunterschiedes allerdings unerreichbar für ihn erscheint. Da erfährt er von seinem Freund, dem Grafen Tomski, dass die Gräfin in ihrer Jugend um den Preis einer Liebesnacht das Geheimnis dreier gewinnbringender Karten beim Spiel in Erfahrung gebracht habe. Dieses Geheimnis will Hermann ihr entlocken, um damit Lisa zu gewinnen. Heimlich lauert er der Gräfin in ihrem Schlafgemach auf und bedroht sie, ihm die drei Karten zu verraten. Doch die Gräfin stirbt, bevor Hermann eine Antwort erhält. Später erscheint sie ihm als Geist und nennt ihm drei Karten: Drei, Sieben und Ass. Von nun an ist Hermann besessen, sein Glück im Spiel zu machen. Lisa, die mittlerweile ihre Verlobung mit Jelezki gelöst hat, um mit Hermann zu fliehen, muss erkennen, dass das Spiel für Hermann wichtiger ist als sie, und nimmt sich in der Newa das Leben. Hermann ist derweil im Kasino mit den ersten beiden Karten sehr erfolgreich. Als in der dritten Runde keiner mehr gegen ihn antreten will, stellt sich Jelezki dem Spiel. Hermann setzt alles auf das Ass. Doch die gezogene Karte ist die Pique Dame. Der Geist der Gräfin erscheint Hermann erneut und triumphiert. Hermann erschießt sich. Tschekalinski (León de la Guardia, links), Tomski (Zoltán Nagy) und Surin (Alexander Teliga) genießen ein sorgenfreies Leben im Luxus. Das Regie-Team um Tobias Heyder betont die Außenseiterrolle Hermanns in der feinen russischen Gesellschaft. Das äußert sich zum einen im Bühnenbild von Britta Tönne, das aus einer dunkelblauen Rückwand mit sechs weißen Türen besteht. Diese Türen bleiben Hermann verschlossen, während alle anderen Figuren durch diese Türen auf- und abgehen. Auf der rechten Seite befindet sich Hermanns Zimmer, mit einem schäbigen Spind, einem Bett und einer abgenutzten Rückwand. Die Tür zu diesem Raum ist ebenfalls nicht so weiß poliert wie die übrigen Türen und hebt damit ebenfalls hervor, dass sich Hermann den Wohlstand der oberen russischen Gesellschaft nicht leisten kann. Zum anderen äußert sich der Standesunterschied in den Kostümen von Verena Polkowski. Während Hermanns Freunde in feinen blauen Anzügen gekleidet sind, wirkt er in seinem schlicht gehaltenen Anzug wesentlich ärmer. Auch Heyders Personenregie betont diesen Aspekt, wenn er den Chor und Hermanns Freunde mit Bündeln von Geld oder zahlreichen Einkaufstaschen auftreten lässt, die zeigen, dass der Luxus in dieser Gesellschaftsschicht selbstverständlich dazugehört. Da verwundert es nicht, dass Hermann um jeden Preis das Kartengeheimnis der alten Gräfin erfahren möchte, um ein Teil dieser Gesellschaft zu werden. Hermann (George Oniani, Mitte mit dem Geist der Gräfin (hier: Roswitha Christina Müller)) hat auf die falsche Karte gesetzt. Die Gräfin wirkt keineswegs alt, sondern in ihrem schwarzen Anzug, den hochhackigen Schuhen und den feuerroten wilden Haaren wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Wenn sie als Geist im dritten Akt auftritt, wird diese unheimliche Erscheinung noch durch ein weiß geschminktes Gesicht und eine schwarz hervorgehobene Augenpartie betont. Aus dem Nichts taucht sie quasi am Ende auf dem Spieltisch auf, wenn Hermann auf das Ass gesetzt hat und die Pique Dame gezogen worden ist. Sie es dann auch, die Hermann die Waffe wegnimmt und ihn erschießt. Während der Schluss sehr überzeugend inszeniert wird, bleibt ihr Tod im zweiten Akt ein wenig unlogisch. Da sie in ihren Bewegungen absolut jugendlich wirkt, scheint es nicht sehr glaubhaft, dass sie unter Hermanns Drohung einfach tot zusammensinken soll. Auch ihre Beziehung zu Lisa ist diskutabel umgesetzt. So scheint sie eher die Vorsteherin eines Mädcheninternats zu sein als Lisas Großmutter. Die Freundinnen, die im ersten Akt Lisa aufzuheitern versuchen, schleichen sich aus den Türen der Rückwand in Lisas Schlafgemach, das sich auf der linken Bühnenseite befindet, und planen wohl eher eine wilde Partie mit Zigaretten und Alkohol, die von der Gouvernante und dem Dienstmädchen Mascha mit strenger Hand verhindert wird. Zur großen französischen Arie der Gräfin im zweiten Akt, "Je crains de lui parler la nuit", müssen sie sich in Reih und Glied aufstellen und stören durch ihre Albereien ein wenig die Melancholie dieser Szene. Musikalisches Zwischenspiel: Chloe (Michaela Maria Mayer, auf dem Bett) mit Daphnis (Tamara Gura, links vom Bett) und Plutus (Zoltán Nagy, rechts vom Bett) (im Hintergrund: Lisa (Karina Flores) und Hermann (George Oniani)) Die Musik lässt in vielen Momenten eine Nähe zu Eugen Onegin erkennen. Da ist zunächst die Arie des Fürsten Jelezki, in der er seine Gefühle für Lisa beschreibt und in der er stark an den Fürsten Gremin aus Eugen Onegin erinnert. Csaba Szegedi wirkt in der Interpretation dieser Arie ein wenig blass. Hier hätte man sich ein bisschen mehr markante Tiefe und Durchschlagskraft gewünscht, die den ruhigen Charakter des Fürsten beschreibt. Dafür überzeugt er umso mehr am Ende, wenn er Hermanns Herausforderung zum Spiel annimmt und damit auch seine private Rache an seinem Rivalen nimmt. Auch die stetigen Stimmungsumschläge und kontrastreichen Wechsel zwischen lyrischen Passagen und hoch emotionalen Gefühlsausbrüchen bei Lisa und Hermann weisen Parallelen zu Tatjanas großer Briefszene auf und bieten Tschaikowski die Möglichkeit, seine eigenen Stimmungsschwankungen in großartiger Musik umzusetzen. Die Vielseitigkeit von Tschaikowskis Kompositionsstil wird im Intermezzo des zweiten Aktes deutlich, wenn Michaela Maria Mayer, Tamara Gura und Zoltán Nagy im "Stück im Stück" die Liebe des armen Schäfers Daphnis (Gura) zur schönen Nymphe Chloe (Mayer) nachspielen, die sich trotz des verlockenden Geldes gegen den reichen Plutus (Nagy) und für den Schäfer entscheidet. Hier kopiert Tschaikowski überzeugend den Stil von Mozart und dessen Zeitgenossen, um zu unterstreichen, dass die Handlung der Oper am Ende des 18. Jahrhunderts spielt. Marijn Simons arbeitet mit den Stuttgarter Philharmonikern die unterschiedlichen Farben von Tschaikowskis Musik differenziert heraus und taucht bewegend in die emotionsgeladenen Momente ein. George Oniani verfügt als Hermann über einen höhensicheren Tenor, der in den Spitzentönen glänzen kann und die Entwicklung der Figur glaubhaft nachvollziehen lässt. So wird man genau wie Lisa von diesem Mann geblendet und muss entsetzt zusehen, wie er in sein Verderben rennt. Karina Flores punktet als Lisa mit großem dramatischen Sopran. In ihrem weißen Kleid wirkt sie wie absolut unschuldig und naiv. Zoltán Nagy begeistert als Graf Tomski mit kräftigem Bass und lässt sowohl seine Erzählung im ersten Akt über die Gräfin als "Vénus moscovite" als auch sein Spielerlied im dritten Akt zu musikalischen Höhepunkten des Abends avancieren. León de la Guardia und Alexander Teliga überzeugen als Offiziere Tschekalinski und Surin mit lebhaftem Spiel und beweglichem Tenor bzw. markantem Bass. Tamara Gura gestaltet Lisas Freundin Polina im Duett mit Flores mit sattem Mezzosopran. Michaela Maria Mayer lässt vor allem als Schäferin Chloe mit leuchtendem Sopran aufhorchen und überzeugt als Dienstmädchen Mascha mit energischem Spiel. Zlata Kershberg verfügt als Gräfin über enorme Bühnenpräsenz und versprüht die Aura eines geheimnisvollen unnahbaren Wesens. Mit dunklem Mezzosopran verleiht sie der Gräfin Würde, zeigt aber auch in ihren dramatischen Ausbrüchen, dass diese Person nicht unterschätzt werden darf. Der Tschechische Philharmonische Chor Brünn unter der Leitung von Petr Fiala rundet den Abend mit großer Spielfreude und homogenem Klang wunderbar ab, so dass es am Ende verdienten Beifall für alle Beteiligten gibt. FAZIT Pique Dame ist ein großartiges Stück, das musikalisch und szenisch in Heidenheim gut umgesetzt wird. Dennoch ist fraglich, ob es für eine Freilichtaufführung wirklich geeignet ist oder ob sich der Zauber in einem geschlossenen Raum besser entfalten könnte.
Weitere Rezensionen zu
den
Opernfestspielen Heidenheim 2019 |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Lichtdesign
Chorleitung
Choreinstudierung
Dramaturgie
Stuttgarter Philharmoniker Tschechischer Philharmonischer Chor Brünn
Solisten*rezensierte Aufführung Hermann, ein Offizier Graf Tomski / Slatogor / Plutus Fürst Jelezki Tschekalinski, Offizier Surin, Offizier Tschaplizki, Spieler Narumow, Spieler Zeremonienmeister Die Gräfin Lisa, ihre Enkeltochter Polina, Lisas Freundin
/ Milowsor / Daphnis Gouvernante Mascha / Prilepa / Chloe
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