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Nachts im TheaterVon Thomas Molke / Fotos: © Studio Amati Bacciardi (Rossini Opera Festival) Rossinis Frühwerk Demetrio e Polibio lässt für die Forschung noch einige Fragen unbeantwortet, was einerseits die Entstehungszeit und andererseits die Urheberschaft der Komposition betrifft. Rossini selbst gibt in einer überlieferten Schrift an, die Musik bereits im zarten Alter von 13 Jahren komponiert zu haben, ohne dabei zu wissen, dass sie von der Familie Mombelli zu einer Oper zusammengesetzt würde. Er habe nämlich Domenico Mombelli, der mit seinen beiden Töchtern Ester und Anna und dem befreundeten Bass Ludovico Olivieri als vierköpfige Theatertruppe zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf den Bühnen Italiens mit eigens auf sie zurechtgeschnittenen Opern große Erfolge feiern konnte, von seinem Kompositionstalent überzeugen können, als dieser ihm die Herausgabe einer Arie aus Portogallos Oper Omar re di Termagene verweigert habe und Rossini daraufhin nach einem weiteren Besuch der Oper unter Mombellis Augen die ganze Partitur niedergeschrieben habe. Anschließend habe Mombelli ihm einzelne Texte, die aus einem Libretto von Mombellis zweiter Ehefrau Vincenzina stammten, zur Komposition gegen Bezahlung vorgelegt, so dass schließlich Rossinis erste Oper entstanden sei. Mittlerweile weiß man allerdings, dass Rossinis Angaben zumindest bezüglich der Zeit nicht ganz stimmen können, da er der Familie Mombelli frühestens 1808 begegnet sein kann, da die Mombellis sich vorher in Lissabon aufhielten und erst ab 1809 in Bologna auftraten. Außerdem wurde die erwähnte Oper von Portogallo erst im Sommer 1810 aufgeführt, so dass es fraglich erscheint, ob Demetrio e Polibio wirklich vor Rossinis erster Farsa La cambiale di matrimonio entstanden ist, die bereits im November 1810 in Venedig ihre Uraufführung erlebte. Lisinga (Jessica Pratt) und Siveno (Cecilia Molinari) lieben einander. Des Weiteren ist nicht ganz klar, welche Teile der Oper tatsächlich von Rossini stammen und was Mombelli und eventuell andere Komponisten zu diesem Werk beigesteuert haben. An einigen Stellen entspricht die Musik nämlich noch sehr stark den Konventionen des ausgehenden 18. Jahrhunderts und erinnert in der Ausgestaltung an die Reformopern Glucks. Als nahezu sicher gilt, dass die Ouvertüre von Mombelli selbst ergänzt worden ist, was sich stilistisch und an einer erhaltenen Abschrift belegen lässt. Da Mombelli selbst die Partie des Demetrio - Eumene verkörpert hat, liegt nahe, dass auch dessen Bravourarie am Ende der Oper von Mombelli komponiert worden ist. Dennoch hat Mombelli selbst Rossinis Urheberschaft an diesem Werk nie abgestritten, was dem Erfolg der Oper nicht abträglich gewesen sein dürfte. Schließlich fand die Uraufführung von Demetrio e Polibio erst am 18. Mai 1812 am Teatro Valle in Rom statt, als Rossini bereits als neuer Shootingstar der Opernszene gefeiert wurde. Einige Jahre lang konnten die Mombellis mit dieser Oper große Erfolge in ganz Italien feiern, doch ab den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts verschwand das Werk von den Spielplänen und stand erst 2010 beim Rossini Opera Festival in Pesaro wieder auf dem Programm (siehe auch unsere Rezension von 2010). Die Inszenierung von Davide Livermore wird nun in einer Neueinstudierung von Alessandra Premoli im Teatro Rossini wieder aufgenommen. Polibio (Riccardo Fassi, rechts) will seine Tochter Lisinga (Jessica Pratt) mit Siveno (Cecilia Molinari, links) vermählen. Die Handlung spielt im 2. Jahrhundert vor Christus. Demetrio, der König von Syrien, hat die Macht in seinem Land und seine ganze Familie verloren. Sein Sohn Demetrio konnte aber von seinem Diener Minteo gerettet werden, indem dieser ihn als seinen eigenen Sohn unter dem Namen Siveno ausgab und ihn zu Polibio, dem König der Parther, brachte. Bevor Minteo dem Jungen seine wahre Identität mitteilen konnte, starb er. So wuchs Siveno am Hof des Königs Polibio ohne wahre Kenntnis seiner Herkunft auf und verliebte sich in dessen Tochter Lisinga. Die Oper beginnt, als Demetrio die Herrschaft über Syrien zurückerlangt hat, und sich nun getarnt als Botschafter des Königs unter dem Namen Eumene auf die Suche nach seinem Sohn begibt. Polibio will gerade seine Tochter Lisinga mit Siveno vermählen, als Demetrio auftaucht und die Auslieferung Sivenos verlangt. Polibio lehnt ab, woraufhin Demetrio Siveno aus dem Schlafgemach entführen will. Dort trifft er aber nur auf Lisinga und nimmt sie stattdessen als Geisel. Siveno macht sich mit Polibio auf den Weg, um Lisinga zu befreien. Als Demetrio mit Lisinga in seinem Versteck aufgespürt wird, gibt sich Demetrio als Sivenos Vater zu erkennen. Die beiden Kinder werden ausgetauscht. Doch Siveno will auch als Demetrios Sohn nicht ohne Lisinga nach Syrien zurückkehren. Diese mobilisiert mittlerweile das Heer der Parther gegen Demetrio und kann ihn überwältigen. Als Lisinga Demetrio töten will, stellt sich Siveno schützend vor seinen Vater. So lenkt Demetrio schließlich ein und bietet Polibio ein Bündnis an, das mit Lisingas und Sivenos Hochzeit besiegelt wird. Polibio (Riccardo Fassi, hinten links) und Demetrio (Juan Francisco Gatell, im Spiegel rechts) als Phantome der Oper Die Inszenierung siedelt die Geschichte in einem Theater an, und zwar des Nachts, nachdem der letzte Vorhang gefallen ist. Während der Ouvertüre sieht man quasi aus der Perspektive der Bühnentechniker wie sich der Startenor zum letzten Applaus vor dem imaginären Publikum im Hintergrund der Bühne verbeugt. Dann wird alles abgebaut, und zurück bleiben Theaterkisten und Bühnenelemente, denen dann, nachdem der letzte Techniker das Licht ausgeschaltet hat, die Figuren des Stückes wie Geister in Kostümen entsteigen, die der Entstehungszeit der Oper entsprechen dürften. Soll es sich hierbei vielleicht um die Mombellis selbst handeln, die immer noch im Verborgenen im Theater spuken und nachts, wenn alles schläft, in ihren ehemaligen Wirkungsstätten ihre Stücke präsentieren? Vergleicht man die im Programmheft abgedruckten Portraits der Mombellis mit den dargestellten Charakteren, scheint diese Idee nicht ganz abwegig zu sein. Mit Hilfe eines Doubles, das häufig auch die Lippen zum Gesang bewegt, verschwinden die Geister wie Phantome der Oper auf der einen Seite der Bühne, um im gleichen Moment auf der anderen Seite wieder aufzutauchen. Das Aufflackern der Figuren in Spiegeln erinnert stark an Andrew Lloyd Webbers berühmtes Musical Phantom of the Opera. Glückliches Ende: Demetrio (Juan Francisco Gatell, rechts) und Polibio (Riccardo Fassi, links) mit ihren Kindern Siveno (Cecilia Molinari, 2. von rechts) und Lisinga (Jessica Pratt) Auch ansonsten ist viel Bühnenzauber und Magie im Spiel. So können die Charaktere ihren Händen Feuer entspringen lassen, wobei sich die Flammen von Lisinga und Polibio farblich von denen in Demetrios und Sivenos Händen unterscheiden. Bei Sivenos Arie schwebt eine Kerze scheinbar schwerelos bis in den Zuschauerraum, wobei man die Schnüre, von denen sie gehalten wird, kaum sehen kann. Großartig gelingt auch der Effekt, wenn die Väter ihre Kinder als Geiseln genommen haben und sie scheinbar mit einer Hand durchbohren, als wenn die Geister nur aus Luft bestünden. Bisweilen schleichen während des Stückes Wächter mit Taschenlampen durch das Theater, nehmen die Geister in ihrem Spiel aber nicht wahr. Erst als am Ende des ersten Aktes das Theater in Brand gesetzt wird - laut Libretto hat Demetrio ein Feuer gelegt, um Lisinga zu entführen -, rückt die Feuerwehr an, um den Brand zu löschen. Nach der Pause hängen von den wunderschönen Kostümen, zwischen denen die Figuren ihr Stück spielen, nur noch die traurigen verbrannten Reste. Lisingas Brautgemach ist ein schwebendes Klavier, auf dem Demetrio sie anschließend entführt. Am Ende sind der Zauber und die Nacht vorbei. Das Theater füllt sich wieder mit den Technikern, einer Diva und Balletttänzern die eine neue Vorstellung im Theater vorbereiten.
Musikalisch bewegt sich der Abend auf gutem Niveau. Jessica Pratt verfügt als
Lisinga über einen kräftigen Sopran, der in den Läufen große Flexibilität
besitzt, an einzelnen Stellen jedoch ein bisschen zu schwer klingt. Mit großer
Dramatik legt sie ihre Rache-Arie im zweiten Akt, "Superbo, ah! tu vedrai", an,
in der sie beschließt, Siveno zu befreien und Demetrio zu töten. Mit bewusst
scharf angesetzten Spitzentönen macht sie deutlich, dass man sich mit dieser
Frau besser nicht anlegen sollte. Cecilia Molinari hält in der Hosenrolle des
Siveno mit weichem Mezzo und flexiblen Läufen dagegen und punktet vor allem in
der Arie "Perdon ti chiedo" im zweiten Akt mit warmer Mittellage, wenn sie ihrem
Vater erklärt, dass sie nicht bereit ist, ohne Lisinga mit ihm nach Syrien
zurückzukehren. Ein weiterer musikalischer Höhepunkt ist das Liebesduett der
beiden im ersten Akt, "Questo cor ti giura amore", in dem sich Lisinga und
Siveno ewige Treue schwören. Hier verschmelzen Pratts Sopran und Molinaris Mezzo
zu einer Einheit, die unter die Haut geht, so dass man sich fragt, wieso dieses
Stück nicht schon längst Eingang in zahlreiche Wunschkonzerte gefunden hat.
Hervorzuheben ist auch das Quartett "Donami omai Siveno" im zweiten Akt, in dem
Polibio und Demetrio die Kinder austauschen. Juan Francisco Gatell gestaltet die
Partie des Demetrio mit strahlendem Tenor und verleiht dessen Zornausbrüchen mit
sauber angesetzten Höhen große Dramatik. Riccardo Fassi stattet den König
Polibio mit markantem Bass aus. Paolo Arrivabeni zaubert mit den Musikern der
Filarmonica Gioachino Rossini einen frischen Sound aus dem Orchestergraben, der
noch die Nähe zur Musik des ausgehenden 18. Jahrhunderts erkennen lässt. Die
Herren des von Mirca Rosciani einstudierten Coro del Teatro della Fortuna M.
Agostini runden als Gefolge von Polibio und Demetrio den Abend überzeugend ab,
so dass es für alle Beteiligten am Ende der Vorstellung großen Applaus gibt.
FAZIT
Auch wenn die Oper in weiten Teilen noch nicht das ganze Genie Rossinis erkennen
lässt, hat sie musikalisch durchaus ihre Meriten. Gut geht auch das
Regie-Konzept auf, ein vergessenes Werk als Gespenst zwischen dem normalen
Theaterbetrieb aufzuführen.
Weitere Rezensionen zu dem
Rossini Opera Festival 2019 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungPaolo Arrivabeni Regie Neueinstudierung Bühnenbild und Kostüme Licht Chorleitung
Filarmonica Gioachino Rossini
Solisten
Lisinga
Demetrio - Siveno
Demetrio - Eumene
Polibio
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- Fine -