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Skurrile Geschichte in witziger OpulenzVon Thomas Molke / Fotos: © Studio Amati Bacciardi (Rossini Opera Festival)
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Ernestina (Teresa Iervolino) zwischen ihrem
Hauslehrer Ermanno (Pavel Kolgatin, links), ihrem Bräutigam Buralicchio (Davide
Luciano, 2. von rechts) und ihrem Vater Gamberotto (Paolo Bordogna, rechts)
Die Geschichte behandelt ein Thema, dass zur Entstehungszeit der Oper durchaus
noch existent war: das Kastratentum. Auch wenn die Praxis der Kastration zu
Beginn des 19. Jahrhunderts eigentlich bereits verboten war, waren Kastraten zu
dieser Zeit auf den Opernbühnen und in der Kirche durchaus noch
präsent. Einer Anekdote gemäß soll Rossini als Kind angeblich nur durch
Intervention seiner Mutter vor einer möglichen Karriere als Sängerkastrat
bewahrt worden sein. In der Oper will der neureiche Bauer Gamberotto seine
Tochter Ernestina mit dem wohlhabenden und selbstverliebten Buralicchio
verheiraten. Ernestina, die sich sehr für Philosophie und Bücher interessiert,
wird allerdings auch von dem mittellosen Ermanno geliebt, der von den beiden
Dienern Frontino und Rosalia als Philosophielehrer für Gamberottos Tochter ins
Haus geschleust wird. Da Ernestina zunächst in ihren Gefühlen zwischen Ermanno
und Buralicchio schwankt, lässt Frontino dem designierten Bräutigam einen Brief
zukommen, wonach Ernestina eigentlich Ernesto heiße und als kleiner Junge
aufgrund einer viel versprechenden Knabenstimme kastriert worden sei. Da er im
Anschluss aber doch keine Gesangskarriere eingeschlagen habe, werde er nun als
Mädchen ausgegeben, um so nicht zum Militär eingezogen zu werden. Entsetzt zeigt
Buralicchio Ernestina als Deserteur an und lässt sie von Soldaten einsperren.
Ermanno kann Ernestina aus dem Gefängnis befreien. Zurück bei Gamberotto muss
Buralicchio erkennen, dass er hereingelegt worden ist. Gamberotto, der über
Buralicchios Verhalten empört ist, gewährt Ermanno die Hand seiner Tochter,
während Buralicchio beschließt, sich eine andere Frau zu suchen.
Gamberotto (Paolo Bordogna, 2. von rechts) und
Buralicchio (Davide Luciano, rechts) gehen die Vertraulichkeiten zwischen
Ernestina (Teresa Iervolino, links) und Ermanno (Pavel Kolgatin, links) zu weit
(in der Mitte: Rosalia (Claudia Muschio)).
Das Regie-Team um Moshe Leiser und Patrice Caurier verzichtet auf eine zeitliche
Einordnung des Stückes und legt die Geschichte als Karikatur an. Mit überdimensionalen Nasen
wirken die Figuren nicht real, so dass die ganze Komik ausgespielt werden kann, ohne dass man dabei die Logik hinterfragen muss.
Agostino Cavalca hat für die Charaktere aufwändige Kostüme entworfen, die in
ihrer Opulenz an die Entstehungszeit der Oper erinnern. Dabei suggeriert das
wallende Kleid, das Ernestina trägt, keineswegs maskuline Züge, so dass man sich
fragt, wieso Buralicchio eigentlich auf diesen Schwindel hereinfallen soll. Die
Regie arbeitet hier nur mit der Stimmlage Ernestinas und der musikalischen
Gestaltung, um bei Buralicchio den Eindruck entstehen zu lassen, dass es sich
bei Ernestina wirklich um einen Ernesto handeln könnte. Christian Fennouillat
hat die Bühne in einen riesigen goldenen Rahmen gesetzt, der in einem Gemälde
auf der Bühne wieder aufgegriffen wird. Während das beige-farbene Tapetenmuster
mit den großen Blumenranken Gamberottos finanziellen Aufstieg suggeriert, deutet
das große Gemälde mit den Kühen auf der Rückwand Gamberottos einfache
Herkunft an. Im zweiten Akt wird das Bild zu einem Fenster, und eine Kuh blickt
neugierig ins Zimmer. Leiser und Caurier arbeiten mit einer ausgefeilten
Personenregie und einem sehr spielfreudigen Ensemble die Komik des Stückes
wunderbar heraus, auch wenn nicht klar wird, wieso die Figuren zum Schlussgesang
ihre langen Nasen abstreifen.
Panik am Ende des ersten Aktes: Das Militär rückt
an (Chor und auf der rechten Seite von links: Ernestina (Teresa Iervolina),
Frontino (Manuel Amati), Ermanno (Pavel Kolgatin), Gamberotto (Paolo Bordogna)
und Buralicchio (Davide Luciano)).
Musikalisch hat dieses Werk einiges zu bieten, was Rossinis Genie ausmacht.
Perfekt werden hier bereits in den Ensembles die schnellen Parlando-Stellen
angelegt, die von den Herren des von Giovanni Farina einstudierten Coro del
Teatro Ventidio Basso und den Solisten mit großer Präzision und punktgenauem
Spiel umgesetzt werden. Zu nennen ist hier vor allem das erste Finale, wenn alle
irritiert über das anrückende Militär sind. So verwundert es nicht, dass sich
Rossini für seine späteren Opern ausgiebig an diesem frühen Werk bedient hat,
zumal das Stück ja nach der frühzeitigen Absetzung nicht mehr aufgeführt werden
durfte. Carlo Rizzi arbeitet am Pult des Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai
die musikalische Vielfalt differenziert heraus und führt den Rossini-typischen
Klang in grandiosen Steigerungen zur Perfektion. Die Tenorpartie des Ermanno ist
noch nicht so virtuos gestaltet, wie man es aus späteren Opern Rossinis kennt.
Pavel Kolgatin verfügt über einen weichen lyrischen Tenor, der beim ersten
Auftritt noch ein wenig unsicher wirkt, im weiteren Verlauf die Höhen mit
Leichtigkeit sauber aussingt. Irritieren mag auch, dass der Diener Frontino für
einen Tenor komponiert ist. Manuel Amatis leichter Spieltenor hat bisweilen ein
wenig Schwierigkeiten, sich gegen das Orchester durchzusetzen. Im Zusammenspiel
mit Claudia Muschio als Rosalia punktet Amati hingegen durch große Komik.
Ernestina (Teresa Iervolino) wird als Deserteur
von den Soldaten abgeführt.
Die beiden Paraderollen der Oper sind Gamberotto und Buralicchio, die mit Paolo
Bordogna und Davide Luciano hochkarätig besetzt sind. Bordogna begeistert als
neureicher Bauer, der seine einfache Herkunft nicht verleugnen kann, mit
wunderbar komödiantischem Spiel. Schon sein erster Auftritt gelingt grandios,
wenn er sich über die ihn plagenden Insekten beschwert, die keinen Unterschied
zwischen Arm und Reich machen, und er sich permanent kratzend über die Bühne
bewegt. Stimmlich glänzt er durch einen kräftigen Bariton, der die schnellen
Läufe und Parlando-Stellen in Perfektion beherrscht. Luciano gestaltet den
Buralicchio als herrlich selbstverliebten Geck, vor dem kein Rock sicher ist.
Schon in seiner Auftrittskavatine punktet er durch markante Tiefen und flexible
Stimmführung. Im Zusammenspiel mit Bordogna treibt er die Komik auf die
Spitze. Wie Schwiegervater und Schwiegersohn in spe sich gegenseitig mit
Schmeicheleien überhäufen, lässt schon fast den Eindruck gewinnen, dass die
beiden besser zusammenpassen als Buralicchio und Ernestina.
FAZIT
Moshe Leiser und Patrice Caurier zeigen, dass die Komik dieses Frühwerks
Rossinis ohne Aktualisierung funktioniert. Was die Musik betrifft, hätte das
Werk bei aller Verrücktheit der Handlung einen Platz im Repertoire verdient.
Weitere Rezensionen zu dem
Rossini Opera Festival 2019 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungCarlo Rizzi Regie Bühnenbild Kostüme Licht Chorleitung
Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai
Solisten
Ernestina
Gamberotto
Buralicchio
Ermanno
Rosalia
Frontino
|
- Fine -