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Vom Rassismus als Weltkulturbe. Ein Selbstplagiat.von Stefan Schmöe / Fotos © Walter Mair / Ruhrtriennale 2018
Alle Menschen werden Brüder, wo Dein sanfter Flügel weilt. So steht's bei Schiller in der Ode an die Freude, so wird's bei Beethoven im Finale der 9. Symphonie gesungen. Ein Heiligtum deutscher Kultur, auf das alle Deutschen stolz sein dürfen. Nur blöd, dass da alle Menschen erwähnt werden (und nicht alle Deutschen). Das ist so ein Moment voller Nachdenklichkeit, wenn das großartige Ensemble ganz leise diesen Satz vor sich hin singt, mit Pausen, und plötzlich die Diskrepanz zwischen der großen humanistischen Utopie, die so gerne bei offiziellen Anlässen eben mit Beethoven und Schiller beschworen wird, und der Rhetorik am politisch rechten Rand (wo man doch angeblich eben diese humanistisch-deutsche Kultur retten möchte) überdeutlich wird. Übrigens kein deutsches Problem: Die zur Europahymne erhobene Ode wird kontrastiert mit Fantasien von Victor Orbán (oder aus dessen Umfeld, die Quellenangabe bleibt hier unklar) über die Ungarn als dem von Gott auserwählten Volk. Hier wie da: Alle Menschen sind bei der Verbrüderung von der neuen Rechten dann doch nicht gemeint.
Christoph Marthaler und Stephanie Carp, das amtierende Leitungsduo der Ruhrtriennale (sie als Intendantin, er als Artiste associé) spielen im Auditorium Maximum, dem zentralen großen Hörsaal der Ruhr-Universität in Bochum, mit der Vision eines zukünftigen Europa nach dem Gusto der Rechten. Ein fiktives Parlament der Zukunft debattiert darüber, wie man die eigene Lebenswirklichkeit von allem Fremden (und auch gleich von der sozialen Unterschicht) separiert hat. Man freut sich, dass der Rassismus zum Weltkulturerbe erklärt worden ist, und huldigt dem "Kaiser von Hohenzollern-Europa". (Warum da "Hohenzollern" steht, wird am Ende dieser Rezension deutlich.) Dem gegenüber stehen historische Texte ähnlicher Geisteshaltung wie eine Rede von Karl Lueger, Wiener Bürgermeister von 1897 bis zu seinem Tod 1910 und berüchtigt für seine aggressiv antisemitische Rhetorik, aber auch collagierte Texte, die Äußerungen von Politikern der AfD aufgreifen. Das Prinzip ist schnell klar: Die Parallelen zwischen dem historischen Antisemitismus, der die NS-Katastrophe vorbereitete und ermöglichte, und der aktuellen Situation mit einer erstarkten Rechten soll aufgezeigt werden.
Mitunter kommt man sich vor wie in einem Proseminar zur politischen Rhetorik, aber wenn die Ruhrtriennale schon in den Hörsaal einer Universität zieht, gehört das wohl zum Konzept (ist aber trotzdem vor allem in der ersten Hälfte der Aufführung ermüdend). Wobei Josef Ostendorf aus der Lueger-Rede ein Kunststück für sich macht - im Pianissimo mit dem Gestus des unerschütterlichen Granden mehr gemurmelt als gesprochen, zwischendurch ganz kurz, aber umso bedrohlicher aufbrausend. Insgesamt aber fehlt den Figuren doch einiges von Witz und Skurrilität, die andere Marthaler-Abende auszeichnet, aber vermutlich verbietet der sich angesichts der Zivilisationsbrüche, um die es hier geht. Das sind nicht nur die, vor denen wir uns mit Blick auf die Zukunft angesichts einer zunehmenden Verrohung der Diskurse fürchten müssen, sondern auch die der Vergangenheit. Denn das tumbe Getöse der Rechten wird konfrontiert mit Musik von Komponisten jüdischer Herkunft, die von den Nazis umgebracht wurden (wie Victor Ullmann und Pavel Haas in Auschwitz) oder emigrierten (wie Ernest Bloch oder Fritz Kreisler).
Ein wenig zweischneidig ist es schon, wenn die genannten Komponisten wieder einmal in die Schublade "verfolgte jüdische Komponisten" gesteckt werden, als könne ihre Musik nicht auch ohne diese Etikettierung bestehen. Denn es gibt einige Entdeckungen wie ein Satz aus einem Streichquartett von Szymon Laks. Dieser wird wie fast alle andere Musik in einer Bearbeitung von Uli Fussenegger gespielt, gesetzt für Violine, Viola, Klarinette oder Bassetthorn, Kontrabass, Akkordeon und Klavier oder Harmonium. Das farbige Klangbild erinnert an Klezmermusik und bildet einen akustischen "roten Faden" (und das ist vielleicht schon deshalb ganz gut so, um einen nicht auch noch in ein musikhistorisches Seminar zu versetzen). Die letzten Noten, die Victor Ullmann hinterließ, bevor er von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert und dort umgebracht wurde, eine kleine Melodie, zieht sich leitmotivisch durch den Abend, denn Fussenegger hat Variationen darüber komponiert. Gegenüber dem hohlen und unmenschlichen Pathos der Worte erschafft die Musik eine intime Sphäre der Humanität, und daraus entwickelt der Abend (den Marthaler diesmal als "Spätabend" und nicht, wie in anderen Stücken, als "Liederabend" betitelt, denn das Lied als Kunstform spielt keine Rolle) seine ganz eigentümliche Spannung, zumal die Musik mehr und mehr Gewicht bekommt und in der zweiten Hälfte klar dominiert.
Im Zentrum der Aufführung steht aber eine ganz andere Musik, Ricorda cosa ti hanno fatto in Auschwitz ("Erinnere Dich, was sie Dir in Auschwitz angetan haben") von Luigi Nono, entstanden 1965/66, eine etwa 11-minütige Tonband-Komposition für Sopran, Chor und Elektronik, denen eine Bühnenmusik Nonos zu Peter Weiss' Theaterstück Die Ermittlung (das auf Protokollen der Frankfurter Auschwitz-Prozesse basiert) zugrunde liegt. Ein berührendes, geräuschhaftes Stück, das Klangfetzen wie von Ferne oft mehr erahnen als erkennen lässt. Und ganz am Schluss dieses Theaterabends erklingt Felix Mendelssohn-Bartholdy, der Satz Wer bis an das Ende beharrt, der wird selig aus dem Oratorium Elias, gesungen a capella vom Ensemble, dann von den Instrumentalisten. Marthaler-Akteure sind Alleskönner. Wenn diese den großen elliptischen Hörsaal, der architektonisch ja auch den Wandel Bochums (und des Ruhrgebiets) von der Montanindustrie zur Wissensgesellschaft symbolisiert, verlassen haben und den kleinen Mendelssohn-Satz in Endlosschleife wieder und wieder intonieren, wie er ähnlich wohl auch in Theresienstadt erklungen ist, dann hat dieser unmarthalerisch ernste Spätabend immerhin marthalersche Dichte gewonnen.
Ein Geschmäckle erhält diese Produktion aus anderer Richtung. 2013 präsentierte das Duo Marthaler/Carp in Wien eine Kreation mit dem verblüffend ähnlichen Titel Letzte Tage. Ein Vorabend. Und offenbar handelt es sich um im Wesentlichen dasselbe Stück, wie man z.B. bei den Kollegen von nachtkritik.de nachlesen kann, lediglich ein wenig aufgefrischt. (Im ehemaligen Preußen kommt der Kaiser natürlich aus dem Hause Hohenzollern und nicht Habsburg.) Im Triennale-Programmheft findet man keinerlei Hinweis dazu. Gut, dass ein Theaterabend keine Dissertation ist. Und unabhängig von diesem etwas zweifelhaften Umgang mit dem Publikum: Für die Eröffnungspremiere des aktuellen Triennale-Jahrgangs hätte es vielleicht doch eine wirkliche Uraufführung sein dürfen.
Ein in den besten Momenten bedrückender wie beeindruckender, in den schlechteren ein akademisch belehren wollender Spätabend mit dem Beigeschmack der Zweitverwertung.
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Produktionsteam
Regie
Musikalische Leitung
Texte und Konzeption
Bühne
Kostüme
Licht
Sound-Design
Co-Regie
Co-Dramaturgie
Co-Kostüm
Co-Licht-Design
MusikerUli Fussenegger, BassHsin-Huei Huang, Klavier/Harmonium Claudia Kienzler, Viola Michele Marelli, Klarinette/Bassetthorn Sophie Schafleitner, Violine Martin Veszelovicz, Akkordeon Darsteller / PerformerTora AugestadBenito Bause Carina Braunschmidt Bendix Dethleffsen Walter Hess Claudius Körber Katja Kolm Stefan Merki Josef Ostendorf Elisa Plüss Bettina Stucky weitere Berichte von der Ruhrtriennale 2018 - 2020 Homepage der Ruhrtriennale Die Ruhrtriennale in unserem Archiv |
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