Es ist an der Zeit, diese Welt einer jungen Generation zu übergeben
Von Stefan Schmöe
/ Fotos © Salzburger Festspiele / Marten Vanden Abeele
Etikettenschwindel? Wer auf Salzburgs heiligem Mozartboden eine mustergültig werktreue Auseinandersetzung mit dem Idomeneo erwartet, wird sich mitunter die Augen reiben, insbesondere im Ballett am Schluss der Oper, das getanzt wird als ein Ritual aus Samoa, sehr fremd, ein offensichtlicher und drastischer Stilbruch. Nun steht der Name Peter Sellars natürlich nicht für Werktreue im konventionellen Sinn. Der Regisseur hat in den 1980er-Jahren Mozarts da-Ponte-Opern ziemlich radikal und mit großer Resonanz in die Gegenwart befördert, in ein New York zwischen Trump Tower und Coffeeshop; er hat Bachs Passionen als moderne Rituale inszeniert, und in Salzburg 2107 Mozarts La Clemenza di Tito in den Kontext der Flüchtlingskrise gestellt (siehe unsere Rezension). Wenn er jetzt, wie schon bei genanntem Titus gemeinsam mit dem Dirigenten Teodor Currentzis, den Idomeneo szenisch und ein kleines bisschen auch musikalisch durcheinanderwirbelt, dann dreht es sich wie immer bei Sellars um die Relevanz des Werkes für unsere Zeit - und die hat in dieser Sichtweise globale Konsequenzen bis hin nach Samoa.
Tragische Begegnung: Idomeneo (der geschworen hat, den ersten Menschen, dem er begegenet, zu opfern) und sein Sohn Idamante
Idomeneo ist eine Oper über den Generationenkonflikt. Der kretische König hat allzu leichtfertig das Gelübde abgelegt, Meeresgott Neptun den ersten Menschen zu opfern, der ihm begegnet, und das ist ausgerechnet sein Sohn Idamante. Die Elterngeneration opfert für ihr eigenes Wohl die Kinder, also die nächste Generation - das ist der Aspekt, den Sellars herauskristallisiert, und die tagespolitische Brisanz liegt angesichts der Friday-for-future-Bewegung auf der Hand. Da zudem der Meeresgott und seine Ungeheuer, also die aufgebrachte Natur, besänftigt sein wollen, liegt der Umweltkonflikt auf der Hand. Um Missverständnissen vorzubeugen: Weder interpretiert noch inszeniert Sellars die Oper als Parabel auf Umweltsünden der Väter auf Kosten der Kinder, und keineswegs "übersetzt" er die Handlung in diesem Sinn. Tatsächlich bewegt sich die Inszenierung über weite Strecken zwischen Abstraktion und Ritual. Die Umweltproblematik wird auf betont künstlerische Weise im Bühnenbild von George Tsypin aufgegriffen, der eine Unzahl von durchsichtigen Skulpturen, wohl Plexiglas oder Plastik, geschaffen hat, in der Form von antiken Amphoren und Figuren, und spätestens, wenn diese Skulpturen an Fäden hochgezogen werden und auf einer Höhe schweben (als schwämmen sie auf der Wasseroberfläche), lässt das an die Verschmutzung der Meere durch Plastikmüll denken. Gleichzeitig lassen sich die Gegenstände als Zeichen einer (im wahrsten Sinne des Wortes) untergegangenen Kultur denken.
Rivalinnen: Ilia (links) und Elektra
Idomeneo ist ein Flüchtlingsdrama: Ilia kommt aus dem besiegten Troja als Besiegte nach Kreta. Hier wird Sellars tatsächlich sehr konkret, zeichnet in der Anfangsszene ein brutales Grenzregime als Gegensatz zum grenzüberschreitenden Humanismus dieser Frau, die sich in der Liebe zum kretischen Herrschersohn Idamante ausdrückt. Im Libretto der Oper spielt das keine große Rolle, da geht es vielmehr um die Rivalität zweier Frauen (die andere ist Elektra, auch eine Fremde). Entsprechend schnell ist dieser Regieansatz auch wieder verschwunden und weicht einem sehr viel weniger konkreten Konzept. Bühnenbildner Robby Duiveman steckt die Kreter in blaue, die Troer in rötliche Ganzkörperanzüge, stilisierende Fantasiekleidung, die unterscheidet und im selben Atemzug gleich macht. Die vorsichtig tastende Liebesbeziehung von Ilia und Idamante über das vermeintlich Trennende hinweg gehört zu den berührendsten Szenen der Aufführung. Hier wechselt Sellars auf eine unmittelbar erzählende Ebene, während die Personenregie sonst oft ritualisiert erscheint (etwa im großen Quartett des dritten Akts, das Sellars mit streng formalisierten Gesten und Bewegungsabläufen inszeniert). Im Schlussbild am Ende der Ballettmusik tragen einige der Choristinnen und Choristen Alltagskleidung anderer Kulturen, viele mit Kopftüchern, ein deutlicher Appell an Weltoffenheit und Akzeptanz.
Liebe über (Kultur-)Grenzen hinweg: Ilia (vorne) und Idamante
Umweltkatastrophe, Generationenkonflikt und Flüchtlingsdrama sind keine getrennten Sphären, vielmehr plädiert Sellars für einen weltumfassenden neuen Humanismus. In diesem Sinn ist dieser Idomeneo eben nicht einfach eine Neuinterpretation der Mozart'schen Oper, sondern ein Gesamtkunstwerk, dass bei der Besetzung anfängt, die vermutlich bewusst international ist (jedenfalls werden Nationalität oder Herkunft im Programmheft prominent herausgestellt). Mit der Irin Paula Murrihy als burschikos auftretendem, leicht dunkel timbrierten, loderndem Idamante und der aus China stammenden Ying Fang als mädchenhaft klarer, gleichwohl raumfüllender Ilia steht ein großartig singendes Paar im Zentrum, von der Amerikanerin Nicole Chevalier als Elektra mit vokal furioser Attacke in höchster Intensität angefeindet. Russel Thomas, ebenfalls Amerikaner, ist als Idomeneo allerdings eine Fehlbesetzung; sein in der Mittellage angenehmer Tenor wird im Piano eng, in der Höhe matt. Issachah Savage (Amerikaner) als Priester mit kraftvollem Tenor und Jonathan Lemalu (Samoaner, in Neuseeland geboren) als klangschöner Neptun singen absolut überzeugend. Aufhorchen lässt der junge Südafrikaner Levy Sekgapane mit leichtem, aber konturiertem Tenor in der kleinen Partie des Arbace. David Steffens (aus dem Salzburger Umland) singt mit prachtvollem Bass ein eingeschobenes Solo aus Mozarts Thamos, König von Ägypten. Und der phänomenale Chor musicAeterna der Oper Perm (Einstudierung: Vitaly Polonsky), 2004 von Teodor Currentzis gegründet, kommt aus dem entlegenen Teil von Russland. Die Botschaft ist eindeutig: Die Bewahrung unseres Planeten verbindet uns über alle Grenzen hinweg. In diesem Kontext steht dann auch das eingangs erwähnte Tänzerpaar, Brittne Mahealani Fuimaono (auf Hawaii geboren) und Arikatau Tentau (aus Kiribati) wie auch die Choreographie von Lemi Ponifasio (aus Samoa). Die Inselstaaten im Pazifik sind durch den drohenden Anstieg des Meeresspiegels in besonderem Maße gefährdet, und in diesem Sinn ist der verstörend fremdartige Schluss der Oper wohl zu denken: Mozart als Ausgangspunkt einer Grenzen überwindenden Kultur des Miteinander.
Die Beziehung zwischen Idamante (vorne) und Elektra bleibt unklar: Mal erotisch geprägt, mal eine Mutter-Sohn-Konstellation
Das funktioniert auf der Bühne nicht ohne Brüche und Widersprüche, hat mitunter Längen und schwache Momente, braucht das Programmheft (wo den Statements jugendlicher Umweltaktivisten im viel Platz eingeräumt wird, was in diesem Fall sicher mehr sein soll als ergänzende Lektüre) mit klugen Aufsätzen als Ergänzung. Aber es geht keineswegs gegen Mozart und dessen Oper, deren schon zur Entstehungszeit altmodische Form zwischen französischer Tragédie lyrique und italienischer opera seria mit der Ballettmusik als Abschluss hier mit einigem Recht als Gesamtkunstwerk interpretiert und entsprechend umgesetzt wird. Teodor Currentzis dirigiert einen genau ausformulierten Mozart, mit ein paar Manierismen (wie extrem langen Generalpausen, in denen sich die Spannung auch verlieren kann; auch die Freiheiten des Hammerklaviers klingen nicht immer nach "originalem" Mozart), verliert sich in den reflektierend langsamen Arien mitunter in allzu gemächlichem Tempo. Das sehr gute Freiburger Barockorchester auf historischen Instrumenten hat nicht die klangliche Schärfe wie Currentzis' "eigenes" Orchester musicAeterna, mit dem er den Titus musiziert hatte, dadurch ist die Interpretation weniger pointiert, aber auch weniger extravagant, insgesamt "runder", besitzt aber jederzeit genaues Profil.
Statt mit konventionellem Ballett klingt die Oper mit kulturübergreifendem Tanz aus: Elektra liegt tot am Boden, Tänzerin Brittne Mahealani Fuimaono erobert den Raum
Nicht zuletzt wollte der junge Mozart mit seinem Idomeneo Grenzen sprengen, formal-musikalische einerseits, aber in der Auflehnung gegen den übermächtigen Vater (eine Entsprechung zum Generationskonflikt in der Oper) auch familiäre - womit wir wieder beim Aufbegehren der jungen Generation sind, die ihre Rechte einfordert. Das alles ist mitgedacht in dieser sicher mitunter irritierenden Produktion. Letztendlich kann man sich aber auch fragen, ob Sellars diese Sprengkräfte nicht sogar allzu sehr im Künstlerischen domestiziert und somit gebändigt hat.
FAZIT
Idomeneo als politisches Gesamtkunstwerk mit entsprechendem intellektuellen Überbau - ein Geniestreich ist das ambitionierte Großprojekt vielleicht nicht geworden, bleibt dafür wohl auch allzu sehr im Festspielkorsett gefangen, aber sendet viele Impulse aus und ist zudem weitgehend großartig musiziert.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Teodor Currentzis
Inszenierung
Peter Sellars
Bühne
George Tsypin
Kostüme
Robby Duiveman
Licht
James F. Ingalls
Choreographie
Lemi Ponifasio
Chor
Vitaly Polonsky
Dramaturgie
Antonio Cuenca Ruiz
Chor musicAeterna der Oper Perm
Freiburger Barockorchester
Solisten
Idomeneo
Russell Thomas
Idamante
Paula Murrihy
Ilia
Ying Fang
Elettra
Nicole Chevalier
Arbace
Levy Sekgapane
Gran Sacerdote
Issachah Savage
Nettuno / La voce
Jonathan Lemalu
Tänzerin
Brittne Mahealani Fuimaono
Tänzer
Arikitau Tentau
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