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Erinnerungen auf dem DachbodenVon Thomas Molke / Fotos: © Paula Malone Carty Pauline Viardot ist heute vor allem als berühmte Mezzosopranistin des 19. Jahrhunderts bekannt, für die Komponisten wie Charles Gounod die Partie der Sapho in der gleichnamigen Oper und Giacomo Meyerbeer die Rolle der Fidès in seiner Grand opera Le prophète geschaffen haben. Dass die Tochter des spanischen Tenors und Komponisten Manuel García und die jüngere Schwester von Maria Malibran daneben auch als Gesangspädagogin und Komponistin tätig war, ist heute weniger bekannt. So schuf sie mehrere Salonopern für Klavierbegleitung, die zunächst in Baden-Baden und später in der Villa Viardot in Paris zur Uraufführung gelangten. Für die letzte Kammeroper Cendrillon, die am 23. April 1904 zum ersten Mal im Pariser Salon Viardot präsentiert wurde, wahrscheinlich allerdings bereits früher komponiert worden ist, hat Viardot auch selbst das Libretto verfasst. Da die Oper für eine Besetzung mit sieben Solisten und einem Klavier konzipiert ist und eine Länge von einer guten Stunde besitzt, ist sie für eine Präsentation im Rahmen der "Short Works" im Clayton Whites Hotel prädestiniert. Armelinde (Cecilia Gaetani, links) und Maguelonne (Rachel Goode, rechts) machen ihrer Stiefschwester Marie (Isolde Roxby, Mitte) das Leben schwer. Wie Jules Massenets 1899 in Paris mit großem Erfolg uraufgeführte Märchenoper unter dem gleichen Titel greift auch Viardot im Gegensatz zu Rossinis berühmter Opera buffa La Cenerentola und Nicolas Isouards Cendrillon von 1810 wieder mehr auf das Märchen von Charles Perrault zurück und beinhaltet nicht zuletzt durch die Fee die magischen, märchenhaften Momente, auf die Rossini und Isouard größtenteils verzichtet haben. Anders als das Märchen und Massenet fehlt bei Viardot allerdings die böse Stiefmutter. Cendrillon (Marie) wird lediglich von ihren beiden Stiefschwestern Armelinde und Maguelonne und ihrem Stiefvater Baron de Pictordu herumkommandiert, der als ehemaliger Obst- und Gemüsehändler zu Geld gekommen ist. Der Prince Charmant tauscht nicht nur für den Ball mit seinem Kammerdiener, dem Comte Barigoule, die Kleider, sondern erscheint auch noch zu Beginn des ersten Aktes als Bettler im Haus der Pictordus, um nach einer potentiellen Braut mit reinem Herzen unter den Mädchen des einfachen Volkes Ausschau zu halten. Die Fee ermöglicht in dieser Fassung nicht nur Maries Besuch auf dem Ball, sondern begleitet sie dorthin und unterhält die Gesellschaft sogar mit einer Arie. Der Rest der Geschichte folgt dann wieder relativ nah dem Märchen. Der Prinz (Richard Shaffrey, rechts) tauscht mit Barigoule (Mark Bonney, links) die Rollen. Das Regie-Team um Davide Garrattini Raimondi siedelt die Geschichte inmitten von gepackten Kartons und abgedecktem Mobiliar an. Auf den Kisten sieht man mehrere alte Leuchtschriften mit den Aufschriften "Hotel" und "Viardot". Vielleicht befindet man sich auf einer Art Dachboden, auf dem Pauline Viardots Nachlass aufbewahrt wird. Die Fee tritt in einem beigefarbenen Trenchcoat mit einem Block und einem Stift mit einem langen Federschweif auf und scheint, die Gegenstände zu notieren, die sich hier befinden. Aus diesem "Nachlass" taucht dann plötzlich Marie in einem Dienstmädchenkostüm auf. Die Oper erwacht also inmitten der alten Kisten und Kartons zu neuem Leben und wird dann in der Geschichte angemessenen Kostümen von Luca Dalbosco recht librettonah umgesetzt. Der Prinz verkleidet sich jeweils im Zuschauersaal und betritt von dort aus die Bühne. Als Bettler verdeckt er sein Gesicht hinter einem Schal, so dass er wirklich nicht als Prinz zu erkennen ist. Anschließend tauscht er mit Barigoule die Sakkos und lädt im Namen des Prinzen Pictordus Töchter zum Ball ein. Nachdem Armelinde und Maguelonne sich noch übertriebener ausstaffiert und Marie allein zurückgelassen haben, greift die Fee, die als stumme Beobachterin in der ganzen Szene anwesend war, in die Handlung ein. Auf der Bühne werden an langen Stangen Plastikplanen aufgestellt, die die Kartons im Hintergrund verdecken. Auf diese Planen werden dann als Schattenspiel die Kutsche, die Pferde und die Diener projiziert, die scheinbar aus einem goldenen Kürbis, einer Mausefalle und mehreren Eidechsen, die allesamt von Marie hinter die Plane geworfen werden, entstehen. Die Fee hat ihren Trenchcoat abgelegt und überreicht Marie ein Paar silberne Schuhe und einen Schleier für den Ball. Baron de Pictordu (Ben Watkins, rechts) und Barigoule (Mark Bonney, links) sind sich scheinbar früher schon einmal begegnet. Der Ball findet dann ebenfalls vor den Planen statt. Marie erscheint nun in einem grau schimmernden Kleid, das zwar einerseits relativ vornehm wirkt, andererseits aber auch auf ihre Herkunft als "Aschenputtel" hinweist. Unklar bleibt, wieso auf die Arie der Fee im zweiten Akt verzichtet wird und Marie stattdessen das "Vilja-Lied" aus Lehárs lustiger Witwe anstimmt. Zwar begeistert Isolde Roxby in der Titelpartie mit warmem und weichem Sopran und wird vom Publikum gefeiert. Eigentlich passt das Lied aber nicht ins Stück. Der Prinz wäre auch ohne diese Einlage auf Marie aufmerksam geworden. Des Weiteren hätte man bei einem so unbekannten Werk die Arie der Fee gerne gehört, da Viardots Musik in dieser Oper insgesamt als sehr blumig und fantasievoll wahrgenommen wird. Kelli-Ann Masterson hätte als Fee mit ihrem hellen leuchtenden Sopran diese Arie auch sicherlich singen können. Wenn die Uhr Mitternacht schlägt und Marie den Ball fluchtartig verlassen muss, verliert sie den Schuh nicht, sondern zieht ihn absichtlich aus. So verwundert es auch nicht, dass sie im dritten Akt, wenn der Prinz das Haus der Pictordus auf der Suche nach der Trägerin dieses Schuhs aufsucht, den anderen in ihrer Schürze trägt. Die Fee (Kelli-Ann Masterson, links) bringt Marie (Isolde Roxby, Mitte) und den Prinzen (Richard Shaffrey) zusammen. Die Solisten setzen das Stück mit großer Spielfreude und musikalisch auf gutem Niveau um. Cecilia Gaetani und Rachel Goode geben als Armelinde und Maguelonne zwei herrlich zickige Stiefschwestern ab, die durch große Komik in der Mimik und Gestik überzeugen. Wie sie den falschen Prinzen umgarnen und den echten Prinzen nicht eines Blickes würdigen, wird wunderbar von den beiden ausgespielt. Genauso berechnend ist auch ihre plötzlich erwachende Liebe zu ihrer Stiefschwester Marie zu deuten, wenn diese schließlich vom Prinzen als zukünftige Braut ausgewählt wird. Gaetani punktet dabei mit einem satten Mezzosopran, während Goode über einen runden Sopran verfügt, den sie je nach Bedarf auch sehr schrill einzusetzen weiß. Ben Watkins gestaltet den arroganten Stiefvater mit leichtem Buffoton und wirkt wunderbar trottelig. Richard Shaffrey punktet als Prince Charmant mit weichem Tenor, dem man seine Liebe zu Marie in jedem Moment abnimmt. Mark Bonney setzt als Barigoule mit leichtem Spieltenor dafür die komischen Momente, wenn er die berechnenden Stiefschwestern umgarnt, und fühlt sich sichtlich wohl beim Rollentausch. Von Isolde Roxby bleibt in der Titelpartie neben dem "Vilja-Lied", das nicht ins Stück gehört, vor allem ihre Auftrittsarie "Il était jadis un prince" im Ohr, deren Melodie sie wie eine Art Leitmotiv im weiteren Verlauf immer wieder aufgreift. Jessica Hall begleitet die Solisten am Klavier mit eindringlichem Spiel, so dass es für alle Beteiligten verdienten Applaus gibt.
FAZIT Pauline Viardot hätte es durchaus verdient, neben ihren männlichen Kollegen stärker als Komponistin wahrgenommen zu werden. Davon kann man sich bei dieser Aufführung überzeugen.
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Wexford Festival Opera 2019 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungJessica Hall Regie Bühne und Kostüme Licht
SolistenLe Baron de Pictordu Marie (Cendrillon) Armelinde Maguelonne La Fée (Fairy Godmother) Le Prince Charmant Le Comte Barigoule
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- Fine -