Bewegendes Alterswerk voller Melancholie
Von Thomas Molke
/ Fotos: © Clive Barda
Miguel de Cervantes' Don Quixote gilt als erster moderner Roman
der Weltgeschichte, der auch heute noch zu den meistgelesenen Werken der
Literatur zählt. Obwohl die Geschichte um den Landadeligen Alonso de Quijana,
der nach der Lektüre unzähliger Ritterromane verrückt wird und beschließt, als
fahrender Ritter Don Quixote durch die Welt zu reisen und das Unrecht zu
bekämpfen, auch zahlreiche Komponisten inspiriert hat, den Stoff zu vertonen,
konnten nur wenige dieser musikalischen Bearbeitungen sich dauerhaft auf den
Spielplänen der Opernhäuser durchsetzen. Ausnahmen bilden das Musical
Man of La Mancha von Mitch Leigh und Dale Wasserman und vielleicht seit einigen
Jahren Jules Massenets Comédie-héroïque Don Quichotte, die 1910
in Monte Carlo eine äußerst erfolgreiche Uraufführung erlebte und als Alterswerk
ähnlich wie bei Verdis zwei Jahrzehnte zuvor komponiertem Falstaff eine Art persönliches Lebensfazit des Komponisten zieht.
Don Quichotte (Goderdzi Janelidze, vorne rechts)
und sein Knappe Sancho Panza (Olafur Sigurdarson, vorne links) auf dem Weg zu
neuen Abenteuern
Dabei orientiert sich Massenet in seiner Vertonung mit Ausnahme der verbalen
Auseinandersetzungen zwischen Don Quichotte und seinem Knappen Sancho Panza
sowie
dem legendären Kampf gegen die Windmühlen weniger an Cervantes' zweibändigem
Ritterroman als vielmehr an dem Theaterstück Le chevalier de la longue figure
von Jacques Le Lorrain, das am 3. April 1904 uraufgeführt wurde und den
Schwerpunkt auf das Lebensende Don Quichottes setzt. Ein wesentlicher
Unterschied besteht in der Figur der Dulcinea, die bei Cervantes die Wirtsmagd Aldonza ist, die von Don Quixote zu einer Edeldame idealisiert wird und somit
eigentlich nur dessen Fantasie entspringt. Bei Lorrain und Massenet wird
diese Figur als La Belle Dulcinée nun Realität. Allerdings ist sie als
Kurtisane, die mit den Männern spielt, für Don Quichotte genauso unerreichbar
wie das Traumbild Dulcinea bei Cervantes. Obwohl Don Quichotte nämlich bei
Massenet ihren Wunsch erfüllt, ihr als Liebesbeweis eine von Räubern gestohlene
Perlenkette zurückzubringen, indem er auf wundersame Weise die Räuber bekehrt
und zur Herausgabe ihrer Beute bringt, weist Dulcinée den Ritter spöttisch
zurück. Mit gebrochenem Herzen zieht sich Don Quichotte mit seinem Diener Sancho
Panza in den Wald zurück und nimmt todkrank Abschied von der Welt, wobei ihm im
Tod noch einmal Dulcinée als Stern am Firmament erscheint.
Don Quichotte (Goderdzi Janelidze) verehrt La
Belle Dulcinée (Aigul Akhmetshina).
Das Regie-Team um Rodula Gaitanou verzichtet in seiner Inszenierung auf eine
Modernisierung oder Umdeutung der Geschichte und vertraut ganz
auf die Kraft der Vorlage, zu Recht. Selten hat man diese Oper bewegender
gesehen, so dass man sich an einen Stellen wirklich fragt, ob man jetzt vor
Begeisterung klatschen oder vor Rührung weinen möchte. Mit vier variablen hohen
Bühnenelementen aus Holz werden für die fünf Akte unterschiedliche Räume
geschaffen, die mit dem Prospekt im Bühnenhintergrund durchaus spanisches Flair
vermitteln. La Belle Dulcinée erinnert in ihren verführerischen Kostümen an
Carmen und scheint Teil eines Wanderzirkus zu sein, der mit Clown, Ritter und
Zauberkünstler zu Beginn der Oper in der Stadt seine Zelte aufschlägt. In der
Mitte befindet sich im ersten Akt eine kleine Bühne mit rotem Vorhang und zahlreichen Lämpchen, auf der Dulcinée ihren ersten großen Auftritt hat. Von den vier
Verehrern, die die wunderschöne Frau umgarnen, kann man allerdings nur zwei
wirklich ernst nehmen. Elly Hunter Smith und Dominick Felix wirken als Garcias
und Rodriguez in ihren Schuluniformen mit Mütze eher wie auf einem Schulausflug.
Aber auch Gabriele Dundoni und Gavan Ring können als Pedro und Juan nicht bei La
Belle Dulcinée landen. Der von Errol Girdlestone einstudierte Chor des Wexford
Festival Opera punktet durch große Spielfreude und kräftigen Klang.
Kampf gegen die Windmühlen: Don Quichotte (Goderdzi
Janelidze, oben) und Sancho (Olafur Sigurdarson, unten)
Don Quichotte und sein Knappe Sancho Panza sind optisch so
gezeichnet, wie man sich die beiden aus Cervantes' Roman vorstellt. Dem noch
recht jungen Goderdzi Janelidze gelingt es in der Titelpartie dabei absolut
glaubhaft, in seinen Bewegungen einen alten, bereits etwas gebrechlichen
Menschen darzustellen. Olafur Sigurdarson ist darstellerisch und stimmlich eine
Idealbesetzung für den Knappen Sancho Panza. Mit großem Spielwitz kommentiert er
einerseits die Zweifel an den hehren Träumen seines Herrn, weist aber
andererseits das Volk, das sich über Don Quichottes seltsames Wesen lustig
macht, beherzt und entschieden in seine Schranken. Mit beweglichem Bariton
glänzt Sigurdarson und beherrscht dabei genauso einen leichten Parlando-Ton wie
große dramatische Ausbrüche. Ein Höhepunkt des Abends stellt seine Arie im
zweiten Akt dar, wenn er sein allgemeines Misstrauen gegenüber Frauen zum
Ausdruck bringt. Janelidze verfügt mit seinem Bass über eine markante Tiefe, die
sich auch mühelos in baritonale Höhen schwingt. Ihm gelingt es,
diesen "Ritter der traurigen Gestalt" in keinem Moment der Lächerlichkeit
preiszugeben, auch wenn er den Spott der anderen auf sich zieht. Als Pferd
Rosinante und als Esel fungieren ein altes klappriges Fahrrad und eine nicht
mehr ganz funktionstüchtige Vespa. Auch die Windmühlenszene wird überzeugend
umgesetzt. An den Bühnenelementen sind zwei Windmühlenräder befestigt, die
allmählich beginnen sich zu drehen. Don Quichotte wird beim Kampf an zwei Schnüren
emporgezogen, bevor der Vorhang fällt.
In seiner Todesstunde sieht Don Quichotte (Goderdzi
Janelidze, im Bett) Dulcinée (Aigul Akhmetshina) als Stern am Firmament (links:
Sancho (Olafur Sigurdarson)).
Bewegend wird auch die Szene bei den Banditen im dritten Akt
gestaltet. Die Situation scheint bereits völlig aussichtslos zu sein, als es Don
Quichotte mit seinem Gebet gelingt, die Räuber zum Umdenken zu bringen und ihm
die gestohlene Kette auszuhändigen. Dulcinée und das Volk sind absolut
überrascht, als Don Quichotte im vierten Akt siegreich in die Stadt zurückkehrt.
Aigul Akhmetshina ist optisch und stimmlich eine Idealbesetzung für
die Partie der Belle Dulcinée. Mit samtweichem Mezzosopran fängt sie einerseits
die Melancholie der Figur ein, wenn sie in ihrer Auftrittsarie die
Vergänglichkeit der Jugend beklagt, und spielt andererseits absolut glaubhaft
die Verführungskunst dieser Femme fatale aus, die ihre Verehrer zappeln lässt.
Wenn Don Quichotte im vierten Akt um ihre Hand anhält, ist sie zunächst amüsiert
und weist ihn zurück, empfindet im Gegensatz zum Volk aber schließlich doch
Mitleid, wenn sie ihn anschließend als gebrochenen Mann erlebt. Da handelt sie
beinahe wie Sancho und will nicht, dass das Volk Don Quichotte in seinem Elend
sieht. Von daher verwundert es nicht, dass sie Don Quichotte in seiner
Todesstunde als strahlender Stern am Firmament erscheint. Akhmetshina schreitet
dabei in einem reinen weißen Kleid, das im Schnitt den vorherigen Kleidern
nachempfunden ist, im Hintergrund über die Bühne. Timothy Myers lotet mit dem
Wexford Festival Opera das lebhafte Treiben in der Stadt ebenso formschön aus
wie die melancholischen Klänge, die Don Quichottes Welt beschreiben. Hervorzuheben ist hier vor allem
das großartige Cello-Solo im Zwischenspiel vor dem fünften Akt,
das Don Quichottes Sterbeszene einleitet und zu Recht großen Zwischenapplaus
erntet. So gibt es am Ende für alle Beteiligten verdienten Beifall.
FAZIT
Diese Inszenierung geht unter die Haut und zeigt, wie viel Melancholie und
Schönheit in Massenets letzter Oper steckt.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Timothy MyersRegie
Rodula Gaitanou Bühne und Kostüme
takis Licht
Simon Corder Choreographie
Luisa Baldinetti Chorleitung
Errol Girdlestone
Orchester des
Wexford Festival Opera
Chor des
Wexford Festival Opera
Solisten
La Belle Dulcinée
Aigul Akhmetshina
Don Quichotte
Goderdzi Janelidze
Sancho
Olafur Sigurdarson
Pedro
Gabrielle Dundoni
Garcias
Elly Hunter Smith
Rodriguez
Dominick Felix Juan
Gavan Ring Ténébrun
Henry Grant Kerswell Banditen
Mark Bonney
Jack Holton
René Bloice-Sanders
Richard Shaffrey
Huw Ynyr Footman One
Thomas Chenhall Footman Two
René Bloice-Sanders Tänzerinnen und Tänzer
Luisa Baldinetti
Nicola Marrapodi
Luca Nava
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