Barocke Opulenz in Wexford
Von Thomas Molke
/ Fotos: © Clive Barda
Antonio Vivaldi wird heutzutage vor allem mit seinen zahlreichen
Instrumentalwerken assoziiert, von denen die vier Jahreszeiten am
bekanntesten sein dürften. Dabei schlug das Herz des begnadeten Geigenvirtuosen
aus Venedig eigentlich für die Oper, auch wenn er sich erst im Alter von 35
Jahren relativ spät mit dieser Gattung beschäftigte. Er selbst gibt an, knapp
100 Opern komponiert zu haben, von denen rund 35 Werke und einige Pasticcios
erhalten sind. Im Repertoire halten konnte sich allerdings lediglich sein
Orlando furioso. Nun hat auch das Wexford Festival Opera diesen
Komponisten auf den Spielplan gestellt und widmet sich damit seit über 30 Jahren
erstmals wieder einer Barockoper. Die Wahl ist dabei - nicht zuletzt, weil es
sich um eine Übernahme-Produktion des Teatro La Fenice in Venedig handelt - auf das am 9. November 1726
im Teatro Sant'Angelo in Venedig uraufgeführte Melodramma eroico-pastorale
Dorilla in Tempe gefallen, das damals wahrscheinlich einen großen Erfolg
verbuchen konnte. Immerhin wurde es in den folgenden Jahren mindestens dreimal
wieder aufgenommen, einmal sogar außerhalb Venedigs in Prag, was für die
damalige Zeit keine Selbstverständlichkeit war. An den meisten Opern zeigte man
nach der jeweiligen Uraufführungsserie kein Interesse mehr.
Admeto (Marco Bussi, rechts) will seine Tochter
Dorilla (Manuela Custer) mit dem Hirten Nomio (Véronique Valdès) verheiraten.
Die Handlung spielt in Tempe, einer Landschaft zwischen dem Olymp und dem
Ossa-Gebirge in Thessalien, und vermischt zwei mythologische
Sagen mit einer leicht verworrenen Liebesgeschichte. Der Gott Apollo befindet
sich hier als verkleideter Schäfer Nomio am Hof des Königs Admeto, dem er laut
Mythos neun Jahre lang dienen musste, als er als Strafe für die Ermordung
der Zyklopen aus dem Olymp verbannt worden war. Als Schäfer verliebt er sich in Dorilla, die Tochter des Königs. Diese liebt allerdings einen anderen Schäfer,
Elmiro, den wiederum die Nymphe Eudamia begehrt, um die Filindo vergeblich
wirbt. Als eines Tages der Drache Python Tempe bedroht und ein Orakel verkündet,
dass Dorilla geopfert werden müsse, um den Drachen zu besänftigen, tötet Nomio
den Python und rettet Dorilla. Dafür bittet er Admeto um die Hand seiner
Tochter, die dieser ihm natürlich sofort gewähren will. Doch Dorilla weist aus
Liebe zu Elmiro Nomio zurück. Elmiro beschließt, Dorilla zu entführen, um die
Hochzeit zwischen ihr und Nomio zu verhindern. Doch die Flucht wird von Nomio
vereitelt. Elmiro wird zum Tode verurteilt. Dorilla stürzt sich aus Verzweiflung
in den Fluss, wird allerdings von Nomio gerettet. Dieser gibt sich schließlich als Gott
Apollo zu erkennen und ordnet an, dass Dorilla und Elmiro verheiratet werden und
dass auch Eudamia das Liebeswerben Filindos erhören soll. So gibt es am Ende
zwei glückliche Paare, die einen Lobgesang auf den Gott Apollo anstimmen.
Doch Dorilla (Manuela Custer) liebt den Hirten
Elmiro (Josè Maria Lo Monaco).
Wie schon vor drei Jahren bei Donizettis Maria de Rudenz
setzen Regisseur Fabio Ceresa und Bühnenbildner Giuseppe Palella auf eine
opulente Ausstattung, die ganz im Sinne einer Barockoper ist. Palella teilt den
Figuren dabei im Großen und Ganzen zwei Farben zu. Die aufwändigen Gewänder von Dorilla, Elmiro, Nomio, den Nymphen und den Hirten sind in Weiß passend zum
Bühnenbild gehalten, was vielleicht ihre Nähe zur Natur darstellt. Die Kostüme
des Königs, seiner Diener und Eudamias bilden in ihrem satten Grün einen starken
Kontrast. Nomio trägt unter seinem weißen Umhang ein golden glänzendes Gewand,
was ihn als verkleideten Gott kennzeichnet. Massimo Checchetto hat ein Bühnenbild
konstruiert, das mit seinen beiden halbrund nach oben führenden Treppen mit
zahlreichen antiken Statuen an einen Ausschnitt eines feudalen
Renaissance-Schlossparks erinnert. Die Verzierungen der Säulen und des Aufgangs
sind dabei genauso üppig gehalten wie die Kostüme von Palella. Da die Oper zu
Beginn musikalische Anklänge an den "Frühling" aus Vivaldis vier Jahreszeiten
enthält, wird auch im Bühnenbild auf den Zyklus des Jahres
angespielt. Wenn Dorilla zu Beginn der Oper mit den Nymphen und den Hirten die
Ankunft des Frühlings feiert, wird die ganze Bühne mit üppigen Blumenranken
geschmückt. Auch Dorilla wird mit zahlreichen Blüten verziert. Im weiteren
Verlauf der Oper durchläuft dieser Schmuck die einzelnen Jahreszeiten. Im Herbst
sind die Ranken verblüht und erinnern in ihren Farben an fallendes Laub. Im
Winter ist der Blumenschmuck verschwunden. Einzelne Flocken fallen aus dem
Schnürboden herab, und die Diener Admetos zittern vor Kälte.
Apollo (Véronique Valdès, oben Mitte) steigt in
den Himmel empor (unten von links: Elmiro (Josè Maria Lo Monaco), Dorilla
(Manuela Custer), Admeto (Marco Bussi), Eudamia (Laura Margaret Smith) und
Filindo (Rosa Bove), dahinter Chor und Tänzer).
Neben diesem Augenschmaus bekennt sich Ceresa auch in seiner
Regie zu einer gewissen Form des Kitsches, allerdings mit einem Augenzwinkern.
So lässt er den Drachen Python als eine Art Riesenkobra, die von den Tänzerinnen
und Tänzern in schlangenförmigen Bewegungen an Stöcken geführt wird, auftreten
und über die Bühne gleiten. Dorilla wird an eine Säule als Opfer gefesselt und
in letzter Sekunde von Nomio / Apollo gerettet, der den Drachen mit mehreren
Stößen niederstreckt und ihm anschließend auch noch den Kopf abschlägt. Admeto
wird in seinem wallenden Gewand mit einem bodenlangen Umhang leicht
effeminiert wie ein nicht ernst zu nehmendes Kind interpretiert, das aufgrund
seiner Machtposition seine Wünsche durchsetzt und dabei auf Verluste keine
Rücksichten nimmt. Wieso seine Diener zunächst mit einem schwarzen Mundschutz
auftreten und Dorilla mit weißen Regenschirmen in ihre Schranken weisen, bleibt
etwas unklar. Witzig ist es allerdings schon, wenn sie Dorilla ständig daran
hindern, zu viel Kalorien zu sich zu nehmen, und letztendlich auch Admeto die
zahlreichen Leckereien entwenden. Schmunzeln lässt natürlich auch das lieto
fine. Dass die intrigante Eudamia wirklich einlenkt und ihr Herz dem armen
Filindo schenkt, bleibt genauso unglaubwürdig wie die plötzlich erwachte Liebe
Admetos zu seiner Tochter und seine Bereitschaft, einer Vermählung mit Elmiro
zuzustimmen. Apollo hat sich mittlerweile als golden glänzender Gott zu erkennen
gegeben
und wird unter dem Jubel des Chors mit Strahlenkranz in den Schnürboden emporgezogen.
Eudamia (Laura Margaret Smith, oben) benutzt
Filindo (Rosa Bove, unten) für ihre Intrige.
Was die Akustik betrifft, erweist sich das O'Reilly Theatre
als durchaus geeignet für Barockopern. Wieso man sie so viele Jahre gemieden
hat, ist unklar (vielleicht weil die zu Beginn einer jeden Opernaufführung
gespielte irische Hymne auf Barockinstrumenten etwas fremd klingt?). Andrea Marchiol lotet mit dem Wexford Festival Opera den Glanz von Vivaldis Musik
differenziert aus. Für die szenische Umsetzung der Arien, die die eigentliche
Handlung in der Barockoper zum Stillstand bringen, hat Ceresa gute Wege
gefunden, so dass in keinem Moment Langeweile aufkommt. So lässt er
beispielsweise Filindo, wenn dieser sich für die Zurückweisungen Eudamias rächen
will, mit einer Flinte einen weißen Vogel jagen, der an einer Stange auf die
Bühne gehalten wird und zu den Trillern der Musik entsprechende passende
Bewegungen macht. Eudamia ist in Ceresas Inszenierung das Orakel, das verkündet,
dass Dorilla geopfert werden müsse, um einen weiteren Versuch zu unternehmen,
Elmiro für sich zu gewinnen. In ihrer Gleichnisarie wird sie zu einer
Zauberin, unter deren Rock sich ein regelrechter Seesturm abspielt,
in dessen Wogen Filindo unterzugehen droht.
Von den Solisten haben drei Sängerinnen die Partien bereits in
Venedig interpretiert. Da ist zunächst Véronique Valdès in der Rolle des Nomio /
Apollo zu nennen. Mit dunklem Mezzosopran und beobachtendem Spiel legt sie sehr
erhaben die
Partie des Gottes an, der in Liebe zu der schönen Dorilla entbrennt, am Ende
aber erkennen muss, dass er sie nicht für sich gewinnen kann. Manuela Custer
gestaltet die Titelpartie mit warmem Mezzosopran, der die Lieblichkeit der Figur
unterstreicht. Besonders überzeugend gelingen ihr die leidenden Szenen. Rosa
Bove verfügt als Filindo über einen sehr frischen Mezzosopran, der in den Läufen
große Beweglichkeit besitzt. Mit dieser Figur hat man vielleicht ein wenig
Mitleid, da sie sich vergeblich nach Eudamia sehnt. Laura Margaret Smith punktet
als intrigante Eudamia mit beweglichem Mezzosopran, der in den Höhen große
Strahlkraft besitzt. Wunderbar spielt sie auch die Hinterlist dieser Figur aus.
Josè Maria Lo Monaco gestaltet die Partie des Hirten Elmiro mit virilem
Mezzosopran und eindringlichem Spiel. Allerdings wirkt das weiße Haarnetz, das
sie trägt, ein wenig feminin, so dass man sie im Gegensatz zu Nomio und Filindo
am Anfang nicht unbedingt sofort als Hosenrolle identifiziert. Marco Bussi legt die Partie
des Königs mit dunklem Bariton an, wobei die stimmliche Autorität durch die
Darstellung allerdings wieder in Frage gestellt wird. Die vier Tänzerinnen und
Tänzer sorgen als Diener, Nymphen und Hirten für optisch ansprechende
Untermalungen der Szenen. Der Chor unter der Leitung von Errol Girdlestone rundet
die gelungene musikalische Umsetzung überzeugend ab, so dass es am Ende
verdienten Beifall gibt, der allerdings ein bisschen schwächer als bei Don
Quichotte am Abend
zuvor ausfällt. Vielleicht fremdelt das Publikum in Wexford nach über 30 Jahren
noch ein wenig mit der Gattung Barockoper.
FAZIT
Das Team um Fabio Ceresa setzt dieses selten gespielte Werk opulent und mit
witzigen Regie-Einfällen um. Für ein Festival, das sich überwiegend
Opernausgrabungen widmet, würde die Barockoper auch für die kommenden Jahre noch einiges Potenzial
bieten.
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