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Rossini in Wildbad
Belcanto Opera Festival
11.07.2019 - 28.07.2019


Corradino, Cuor di ferro ossia
Matilde di Shabran

Melodramma giocoso in zwei Akten
Libretto von Jacopo Ferretti
Musik von Gioachino Rossini

In italienischer Sprache mit italienischen und deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h 50' (eine Pause)

Premiere in der Trinkhalle am 18. Juli 2019
(rezensierte Aufführung: 21.07.2019)

 

 

 

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Frauenfeindlichkeit in der Zeitungsredaktion

Von Thomas Molke / Fotos: © Patrick Pfeiffer

Rossinis letzte Oper, die er für Rom komponierte, hat, wie es bei den Werken des Schwans von Pesaro häufig der Fall war, eine recht abenteuerliche Entstehungsgeschichte. Dass Rossini mit seinen Kompositionsaufträgen in enormen Zeitdruck geriet und damit die Verantwortlichen der Theater, die seine Opern zur Uraufführung bringen wollten, oft an den Rand der Verzweiflung brachte, war nichts Ungewöhnliches. Im Fall der Matilde di Shabran wurden die Verzögerungen allerdings nahezu auf die Spitze getrieben. Nachdem Rossini schon aufgrund der verschobenen Premiere seiner Oper Maometto II bereits mit einem Monat Verspätung aus Neapel nach Rom kam, musste er feststellen, dass das Libretto, dem wahrscheinlich das französische Drama Mathilde von Jacques-Marie Boutet de Monvel über eine uneheliche Tochter und einen vermuteten Inzest zugrunde lag, überhaupt nicht seinen Vorstellungen entsprach und sicherlich von der Zensur in Rom beanstandet worden wäre. So wandte er sich an Jacopo Ferretti, der ihm schon einmal mit dem Libretto zu La Cenerentola aus der Patsche geholfen hatte. Ferretti, der zu der Zeit gerade an zwei weiteren Stücken arbeitete, versprach Rossini auf dessen Drängen, ein Melodramma zu adaptieren, an dem er bereits vorher gearbeitet hatte: Corradino. Da der Titel Matilde aber bereits für Rossinis künftige Oper bekannt gegeben war, wurde aus der weiblichen Heldin in Ferrettis Libretto, Isabella Shabran, kurzerhand Matilde di Shabran. Hinzu kam, dass Rossini keine Möglichkeit sah, die Komposition rechtzeitig fertigzustellen, so dass er zum einen seinen Kollegen Giovanni Pacini bat, drei Nummern für den zweiten Akt zu komponieren und zum anderen auf Auszüge aus seiner früheren Oper Ricciardo e Zoraide zurückgriff, die in Rom relativ unbekannt gewesen sein dürfte. Für die Übernahme des Werkes in Neapel überarbeitete er allerdings die Oper, indem er die Kompositionen Pacinis und die Übernahmen aus Ricciardo e Zoraide durch neue Kompositionen ersetzte. In Pesaro wurde zuletzt die zweite Fassung aus Neapel gespielt, da diese "Rossini pur" enthält. In Bad Wildbad hat man sich nun für die ursprüngliche Fassung aus Rom entschieden und benennt das Werk nach der eigentlichen Titelfigur Corradino, Cuor di ferro, und verwendet Matilde di Shabran als Untertitel.

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Aliprando (Emmanuel Franco) und Matilde (Sara Blanch) wollen Corradino von seinem Hass auf Frauen "heilen".

Die Handlung spielt auf einem alten spanischen Schloss, auf dem der als grausamer Herrscher gefürchtete Corradino, der den Beinamen Cuor di ferro (Eisenherz) trägt, regiert. Dieser droht nicht nur jedem, der sich ohne Einladung dem Schloss nähert, mit der Todesstrafe, sondern ist auch ein absoluter Frauenhasser, da das weibliche Geschlecht seines Erachtens die Entschlossenheit und Moral eines Kämpfers beeinträchtigt. Folglich ist er auch nicht begeistert, dass er aus Ehrerbietung vor einem von ihm hochgeschätzten gefallenen Krieger dessen Tochter Matilde auf seinem Schloss aufnehmen soll. Matilde hingegen betrachtet die Ablehnung Corradinos als Herausforderung und ist fest entschlossen, mit weiblicher Verführungskunst Corradinos Herz zu gewinnen. Dabei zeigt sie sich zunächst auch recht erfolgreich, da Corradino sich kaum gegen seine Gefühle für die reizende junge Frau wehren kann. Allerdings hat sie die Rechnung ohne die intrigante Contessa d'Arco gemacht, der Corradino schon vor langer Zeit, um den Frieden zu sichern, ein Eheversprechen geben musste. Während Corradino mit seinen Soldaten in den Kampf gegen seinen Feind Raimondo zieht, dessen Sohn Edoardo er im Kerker gefangen hält, und Matilde zur Hüterin der Burg erklärt, befreit die Contessa Edoardo aus dem Gefängnis und lässt alle in dem Glauben, dass Matilde dafür verantwortlich ist. Als dann auch noch ein Brief Edoardos an Matilde auftaucht, in dem er sich bei ihr für seine Befreiung bedankt, ist Corradino von Matildes Untreue überzeugt und ordnet an, sie hinzurichten und von einer Klippe zu stürzen. Der Poet Isidoro soll diesen Befehl ausführen, bittet Matilde jedoch, selbst von der Klippe zu springen. Edoardo kann Matildes Selbstmord verhindern und klärt die Intrige der Contessa auf. Mittlerweile hat Isidoro allerdings Corradino die Nachricht überbracht, dass er das Todesurteil über Matilde vollstreckt habe. Corradino ist verzweifelt und will Matilde in den Tod folgen. Doch bevor er sich selbst in den Fluss stürzt, taucht Matilde auf. Als Wiedergutmachung fordert sie die Freilassung Edoardos und die Aussöhnung mit dessen Vater Raimondo. Corradino gibt nach, und Matilde stimmt ein Hohelied auf die Liebe und die Macht der Frauen an.

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Corradino (Michele Angelini, Mitte) macht als Redaktionschef einer Tageszeitung Ginardo (Ricardo Seguel, links) und Isidoro (Giulio Mastrototaro, rechts) das Leben zur Hölle.

Die Regisseurin Stefania Bonfadelli hat die mittelalterliche Handlung sehr nah an die Gegenwart herangerückt, da für sie Frauenfeindlichkeit auch in der heutigen Zeit noch ein großes Thema ist. Folglich lässt sie die Geschichte  in einer Zeitungsredaktion in den 1990er Jahren spielen, in der der Schlossherr Corradino der Chefredakteur ist, der von seinen Mitarbeitern wegen seiner Wutausbrüche sehr gefürchtet wird. Ginardo, Egoldo, Rodrigo und der Chor sind Journalisten, die allesamt Corradinos Anforderungen nicht gerecht werden. Schon während der Ouvertüre macht er seine Mitarbeiter wegen deren unzulänglicher Arbeiten fertig. Isidoro, der Dichter, ist innerhalb der Zeitungsredaktion für den Kulturteil verantwortlich, und Edoardo stellt einen jungen begabten Politjournalisten dar, dessen Ansichten Corradino nicht teilt. Frauen duldet er in seiner Redaktion nicht. Die Contessa ist eine Hauptaktionärin der Zeitung, von deren Geld er folglich abhängig ist. Matilde kommt nun als junge Journalistin in die Redaktion, um für die Zeitung zu arbeiten. Leider trägt diese Ausgangssituation den weiteren Verlauf der Geschichte nicht. Es beginnt mit Kleinigkeiten, wenn die Journalisten - im Original eigentlich Bauern - beim Chefredakteur vorsprechen wollen und bei Ginardos Hinweis auf die Plakate äußern, nicht lesen zu können. Wenn die Nachricht von einem Angriff auf die Burg kommt, sieht man auf einem Fernseher auf der linken Seite der Bühne Bilder von einem Kriegsangriff, was andeutet, dass die Journalisten sich nun zur Berichterstattung außer Haus begeben müssen. Die eigentliche Intrige verpufft allerdings, da Edoardo ja nicht wirklich in der Redaktion eingesperrt ist und somit das Gebäude durchaus verlassen kann. Wie soll folglich das Todesurteil, dass Corradino über Matilde verhängt, motiviert sein? Am ehesten lässt sich noch seine Verzweiflung nachvollziehen, wenn er in verteilten "Rossini-Zeitungen" der sexuellen Belästigung beschuldigt wird. Bei diesem Rufmord kann man sich schon vorstellen, dass Corradino, da er Matilde für tot hält und somit keine Chance sieht, von diesem Makel rein gewaschen zu werden, als einzigen Ausweg den Freitod wählen will. Dies soll dann im Fahrstuhl geschehen, was Matilde mit ihrer Rückkehr noch so eben verhindern kann. Wenn sie dann am Ende die Macht der Frauen ausruft, übernimmt sie seinen Posten in der Redaktion und ersetzt die männlichen Mitarbeiter durch weibliche, die allesamt gute Artikel abliefern. Diese Sicht mag so eindimensional und plakativ sein wie der Schluss der Oper auch.

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Sextett im zweiten Akt: von links: Matilde (Sara Blanch), Corradino (Michele Angelini), Contessa d'Arco (Lamia Beuque), Isidoro (Giuliano Mastrototaro), Aliprando (Emmanuel Franco) und Ginardo (Ricardo Seguel)

Eine musikalische Besonderheit dieses Werkes liegt darin, dass die Oper trotz ihrer Länge von beinahe vier Stunden nur über sehr wenige Arien und Kavatinen verfügt, die mit Ausnahme einer Selbstanleihe aus Ricciardo e Zoraide und dem Rondo am Ende noch nicht einmal den eigentlichen beiden Hauptfiguren Matilde und Corradino zukommen. Der Großteil der Oper besteht aus zwei groß angelegten Duetten, einem Terzett, Quartett, Quintett, Sextett und sogar Septett, die durch die hochkarätige Besetzung beim Publikum regelrechte Begeisterungsstürme auslösen. Ein musikalischer Höhepunkt ist das A-cappella-Septett im ersten Finale, kurz bevor die Männer in den Kampf ziehen. Dieses großartige Stück nimmt bereits das große Finale zu 14 Stimmen aus Il viaggio a Reims "Ah! A tal colpo inaspettato" vorweg. Auch bei den übrigen Ensembles hat man den Eindruck, dass die Oper gleich mehrere Finali besitzt und nach jedem Ensemble die Stimmung im Zuschauerraum so aufgeheizt wird, dass man erst einmal eine Pause brauchen könnte. Die Herren des Górecki Chamber Choir zeigen sich als Journalisten absolut spielfreudig und changieren homogen zwischen leisen und lauten Tönen. Auch das Passionart Orchestra Krakau findet unter der Leitung von José Miguel Pérez-Sierra einen packenden Zugang zu Rossinis meisterhafter Partitur. Hervorzuheben ist vor allem das großartige Horn-Solo in Raimondos bewegender Szene und Kavatine im zweiten Akt, wenn er auf der Suche nach seinem Sohn ist, und Gianluca Ascheris Begleitung der Rezitative am Fortepiano.

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Matilde (Sara Blanch, Mitte) triumphiert und übernimmt die Redaktion (hinten von links: Aliprando (Emmanuel Franco), Ginardo (Ricardo Seguel), Corradino (Michele Angelini), Raimondo (Shi Zong) und Edoardo (Victoria Yarovaya)).

Die Premiere am 18. Juli stand zunächst unter keinem guten Stern, da Michele Angelini aus gesundheitlichen Gründen die Partie des Corradino zwar spielen, aber nicht singen konnte. Dennoch gelang es dem Festival, mit Francisco Brito einen adäquaten Ersatz für die schwer zu besetzende Partie zu engagieren, der die Rolle aus dem Orchestergraben sang. In der zweiten Aufführung kann Angelini den Corradino auch stimmlich wieder übernehmen. Mit überzeugender Intensität gestaltet er den unliebsamen Chef, der von allen gefürchtet wird und nur zu seinem Hausarzt Vertrauen hat, und glänzt mit kräftigem Tenor, der über großes Volumen in der Mittellage verfügt und auch die hohen Töne, ohne zu forcieren, meistert. Bewegend legt er seine große Arie am Ende des zweiten Aktes, "Anima mia, Matilde" an, wenn er beschließt der zu Unrecht verstoßenen Geliebten in den Tod zu folgen. Sara Blanch begeistert als selbstbewusste Matilde mit leuchtendem Sopran und glasklaren Koloraturen. Im Rondo im zweiten Finale glänzt sie mit stupenden Läufen und großartiger Flexibilität. Ihr glaubt man in jedem Moment, dass sie in der Lage ist, einen Mann zu manipulieren. Im Duett mit Edoardo, dessen erster Teil von Pacini stammt, punktet sie mit großer Leidensfähigkeit. Victoria Yarovaya gestaltet die Hosenrolle des Edoardo mit sattem Mezzosopran und meistert die Registersprünge in den Koloraturen mit großer Flexibilität. Unter die Haut geht ihre Interpretation der Kavatine im ersten Akt, wenn Edoardo sein Schicksal beklagt. Hier findet Yarovaya sehr weiche, dunkle Töne. Shi Zong hat als Edoardos Vater Raimondo zwar nur einen kleinen, dafür aber sehr anspruchsvollen Part, den er mit beweglichem Bass, profunder Tiefe und enormer Strahlkraft in den Höhen meistert.

Die beiden komischen Rollen sind mit Emmanuel Franco und Giulio Mastrototaro ebenfalls hochkarätig besetzt. Franco macht den Arzt Aliprando mit beweglichem Bariton und humorvollem Spiel zu einem kongenialen Verbündeten Matildes, dem sehr daran gelegen ist, Corradino von seiner krankhaften Einstellung dem weiblichen Geschlecht gegenüber zu heilen. Das große Duett im ersten Akt mit Blanch wirkt wie ein Vorläufer des Duetts Norina - Malatesta aus Donizettis Don Pasquale. Mastrototaro zeigt sein großes komisches Talent vor allem in seiner Auftrittskavatine, in der er hofft, in Corradino einen großzügigen Mäzen für seine Kunst zu finden. Ricardo Seguel reiht sich als Turmwächter Ginardo ebenfalls mit flexiblem Bariton und humorvollem Spiel als Idealbesetzung in die Riege der Buffo-Partien ein. Lamia Beuque hat als intrigante Contessa d'Arco zwar keine eigene Arie, gestaltet die Partie aber mit sattem und beweglichem Mezzosopran und großem komischen Talent. Ihre Streitszene mit Blanch im ersten Akt entwickelt sich zu einem herrlich angelegten Zickenkrieg. Julian Henao Gonzalez rundet in der Doppelrolle als Egoldo und Rodrigo mit weichem Tenor das Ensemble wunderbar ab, auch wenn szenisch nicht ganz klar ist, wann er wer von beiden ist. So gibt es am Ende verdienten frenetischen Jubel für alle Beteiligten.

FAZIT

Die großartige musikalische Umsetzung lässt über einige Unstimmigkeiten in der Inszenierung leicht hinwegsehen und das viel zu selten gespielte Stück in vollen Zügen genießen.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
José Miguel Pérez-Sierra

Regie und Kostüme
Stefania Bonfadelli

Bühnenbild
Serena Rocco

Licht
Michael Feichtmeier

Chorleitung
Marcin Wróbel

 

Passionart Orchestra Krakau
(Leitung: Janusz Wiergzacz)

Fortepiano
Gianluca Ascheri

Górecki Chamber Choir


Solisten

Corradino, Eisenherz
Michele Angelini

Matilde di Shabran
Sara Blanch

Raimondo Lopez
Shi Zong

Edoardo, sein Sohn
Victoria Yarovaya

Aliprando, Arzt
Emmanuel Franco

Isidoro, Dichter
Giulio Mastrototaro

Contessa d'Arco
Lamia Beuque

Ginardo, Turmwächter
Ricardo Seguel

Egoldo, Bauernführer /
Rodrigo, Anführer der Kriegsknechte
Julian Henao Gonzalez

Kriegsknechte, Bauern
Männerchor

 


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