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Mayrs Musik-Akademie mit ein bisschen Rossini und MozartVon Thomas Molke / Fotos: © Patrick Pfeiffer Das diesjährige Belcanto Opera Festival Rossini in Wildbad startete zunächst einmal mit einer großen Herausforderung für alle Beteiligten: Lorenzo Regazzo, der dem Festival seit vielen Jahren als Solist, Leiter von Meisterklassen und mittlerweile auch Regisseur verbunden ist, musste seine szenische Arbeit an der Eröffnungspremiere L'accademia di musica von Johann Simon Mayr nach wenigen Tagen wegen persönlicher Probleme abbrechen und nach Venedig heimreisen. Zurück blieb lediglich sein Konzept. Zum Glück konnte man Davide Strava gewinnen, die szenische Einrichtung und Inszenierung zu übernehmen, so dass die Aufführung doch noch termingerecht über die Bühne gehen konnte. Für die musikalischen Einlagen, die Regazzo persönlich am Flügel auf der Bühne begleiten wollte, verließ Andrés Jesús Gallucci seinen Platz am Tafelklavier und sprang kurzerhand ein. Dann verletzte sich der Darsteller des Dieners Cecchino, Ricardo Seguel, am Rücken, was den Premierentermin erneut gefährdete. Aber Seguel erklärte sich dennoch bereit, zu singen und nur auf einige akrobatische Einlagen und eine Arie am Ende zu verzichten, die für den Handlungsverlauf nicht erforderlich ist, so dass das Premierenpublikum von den ganzen Dramen, die sich im Vorfeld abgespielt hatten, eigentlich nichts mitbekam und eine rundum gelungene Aufführung erlebte. Inszenierter Tumult beim Akademiekonzert: von links: Annetta (Eleonora Bellocci), Valerio (César Cortés), Vespina (Maria del Mar Humanes), Momoletto (Filippo Pina Castiglioni) als verkleidete Marfisa, Cecchino (Ricardo Seguel) und Guglielmo (Filippo Morace) Mayr stand in der Blüte seiner Karriere, als er die einaktige Farsa L'accademia di musica nach einem Libretto des noch sehr jungen Gaetano Rossi 1799 im Teatro San Samuele in Venedig gemeinsam mit der Farsa Gli opposti caratteri von Sebastiano Nasolini zur Uraufführung brachte. Mayrs Stück ersetzte dabei den weniger erfolgreichen Einakter Il sarto di Milano von Vincenzo Fiocchi, mit dem Nasolinis Farsa die Spielzeit in Venedig eröffnet hatte. Die Geschichte geht auf eine gleichnamige zweiaktige Komödie von Francesco Albergati Capacelli aus den 1780er Jahren zurück. Der wohlhabende und alte Guglielmo hat seinen Sohn Valerio aus dem Haus geworfen und ist auf der Suche nach einer jungen Frau. Zunächst hat er dabei sein Dienstmädchen Vespina im Visier, die allerdings in den eifersüchtigen Diener Cecchino verliebt ist. Valerio hat sich in die schöne Venezianerin Annetta verliebt, die gemeinsam mit ihrem Bruder Momoletto einen Plan entwickelt, wie Valerio wieder von seinem Vater aufgenommen wird und sie gleichzeitig zur Frau nehmen kann. So schleicht sie sich als Veranstalterin einer Musikakademie bei Guglielmo ein und entlockt ihm das Versprechen, Valerio wieder aufzunehmen, wenn er eine Frau heirate, die auch dem Vater gefalle. Guglielmo ist von ihren Reizen derart angetan, dass er nicht durchschaut, dass Annetta selbst diese Frau ist. Als die Intrige auffliegt, taucht plötzlich die alte Marfisa auf, der Guglielmo einst ein Eheversprechen gegeben hatte. Guglielmo ist verzweifelt, bis er erkennt, dass es sich bei der Alten gar nicht um Marfisa sondern um Annettas verkleideten Bruder Momoletto handelt. Geläutert vergibt Guglielmo den jungen Leuten und stimmt der Doppelhochzeit der beiden Paare zu. Momoletto (Filippo Pina Castiglioni) "dirigiert" das Orchester. In der Figur des Momoletto meint man eigentlich eine Paraderolle für Lorenzo Regazzo zu erkennen. Doch auch beim ursprünglichen Regie-Konzept war es wohl nicht geplant, dass Regazzo diesen Part selbst übernimmt, zumal Filippo Pina Castiglioni als Tenor auch über ein anderes Stimmfach verfügt. Die Komik, mit der Castiglioni diese Rolle ausfüllt, und der direkte Kontakt, in den er mit dem Publikum tritt, lassen allerdings ganz deutlich Regazzos Handschrift erkennen. Ein Höhepunkt des Abends ist sein Auftritt als alte Marfisa, die verzweifelt beklagt, dass Guglielmo sie im Stich gelassen habe. Castiglionis Tenor wechselt dabei in eine herrlich übertriebene Kopfstimme, die er immer wieder mit dunklem Husten und Räuspern "reinigt". Wenn er entseelt breitbeinig auf das Sofa sinkt, wirft Guglielmo voller Scham ein kleines rotes Tuch mit dem venezianischen Löwen als Verlängerung über den in dieser Position zu kurzen Rock, was für zahlreiche Lacher im Publikum sorgt. Auch seine Arie vor dem Akademiekonzert, in der er gewissermaßen als kleine Umbaupause vor dem Vorhang die musikalische Leitung übernimmt und versucht, das Orchester zu lenken, wird von Castiglioni mit großem Spielwitz umgesetzt. Im Akademiekonzert selbst amüsiert er mit der eingängigen Canzone "La biondina in gondoletta", die das touristische Flair Venedigs einfängt und einen starken Kontrast zu den übrigen angestimmten Arien darstellt. Im Original steht hier eigentlich eine große Arie Annettas, in der sie in unterschiedlichen Rollen die Geschichte zweier junger Verliebten erzählt, deren gemeinsames Glück durch einen mürrischen alten Vater verhindert wird. Vespina (Maria del Mar Humanes) ist von Cecchinos (Ricardo Seguel) Eifersucht genervt. Durch das eingefügte Akademiekonzert bekommt die Aufführung auch eine besondere Beziehung zu der Akademie BelCanto, die in Bad Wildbad jedes Jahr von Raúl Giménez und Lorenzo Regazzo geleitet wird und in mittlerweile drei sehr beliebten Konzerten ihre Ergebnisse präsentiert. Als Stipendiaten der Akademie BelCanto sind in dieser Produktion Maria del Mar Humanes als Dienerin Vespasia und César Cortés als Valerio beteiligt. Humanes überzeugt als Dienstmädchen mit kokettem Spiel und lieblichem Sopran. Wenn ihr die Eifersucht ihres Geliebten Cecchino jedoch zu heftig wird, kann sie auch zu einer rasenden Furie werden, die ihrem Cecchino ganz deutlich macht, wie weit er gehen darf. Valerio gegenüber präsentiert sie sich sehr zugeneigt. Mit großem Geschick wehrt sie die Avancen des liebestollen Guglielmo ab. Schon im Vorfeld stimmt sie Rosinas berühmte Arie "Una voce poco fa" aus Rossinis Il barbiere di Siviglia an, die sie später im Akademiekonzert noch einmal vollständig präsentiert. Dabei punktet sie mit sauber angesetzten Spitzentönen und großer Beweglichkeit in den Läufen. César Cortés stattet den jungen Valerio mit geschmeidigem Tenor aus und schafft es überzeugend, mit sauberen lyrischen Bögen seine Geliebte Annetta von seiner Treue zu überzeugen. Im Akademiekonzert meistert er die anspruchsvolle Tenorarie "si, ritrovarla io giuro" aus Rossinis La Cenerentola beachtlich. Ricardo Seguel gestaltet trotz seiner Rückenprobleme die Buffo-Partie des Cecchino mit überbordendem Spielwitz und profundem Bassbariton, der in den Läufen große Beweglichkeit besitzt. Herrlich spielt er die eifersüchtigen Auseinandersetzungen mit Humanes aus. Nur im Akademiekonzert muss auf eine Arie von ihm verzichtet werden. Guglielmo (Filippo Morace, rechts) schwärmt wie sein Sohn Valerio (César Cortés, im Hintergrund) von Annetta (Eleonora Bellocci). Großes komisches Talent beweist auch Filippo Morace als Guglielmo. Schon in seiner Auftrittskavatine macht er mit kräftigem Bassbariton deutlich, wie viel Lebenskraft in diesem alten wohlhabenden Mann, der sich nach neuen Liebesabenteuern sehnt, noch steckt. Dabei tritt er im Rang auf und begibt sich erst auf die Bühne, als er Vespina als neue potentielle Beute für seine Jagd entdeckt hat. Die Lüsternheit des alten Mannes spielt Morace mit großer Spielfreude aus. Dabei gelingt es ihm wunderbar, wie ein Vogel zu pfeifen, wenn er zunächst Vespinas und später Annettas Reizen erliegt. Auch Guglielmos Heimatliebe zu Venedig kommt in der Inszenierung mit großartiger Komik zum Ausdruck. Zum einen ist die angedeutete Rückwand seiner Wohnung mit mehreren Fahnen behängt, die den berühmten Markuslöwen zeigen. Zum anderen singt er im Akademiekonzert als Hommage an Venedig eine Arietta von Giovanni Battista Perucchini, die von Rossini später als "Barcarole" bearbeitet wurde. Dabei schwingen alle kleine rote Fähnchen mit dem berühmten Löwen. Eleonora Bellocci, Preisträgerin des International Belcanto Prize 2018, glänzt als Annetta mit kräftigem Sopran, der in den Höhen enorme Strahlkraft besitzt. Mit großem Spielwitz wickelt sie den alten Guglielmo um den Finger und lässt dabei herrlich ihre Reize spielen. Ihrem Geliebten Valerio gegenüber präsentiert sie sich überzeugend eifersüchtig, wenn sie fürchtet, dass er für die bezaubernde Vespina mehr empfinden könne. Beim Akademiekonzert selbst zeigt sie sich beim Vortrag Vespinas daher recht arrogant und ein wenig gelangweilt. Als eigenen Beitrag präsentiert sie die große Arie der Königin der Nacht aus Mozarts Die Zauberflöte mit glasklaren Koloraturen. Das Debüt des Passionart Orchestra Krakau in Bad Wildbad unter der Leitung von Nicola Pascoli kann als gelungen bezeichnet werden. So gibt es am Ende großen, verdienten Jubel für alle Beteiligten.
FAZIT Diese Inszenierung ist ein riesiger Spaß und musikalisch ein Genuss.
Weitere Rezensionen zu Rossini in
Wildbad 2019 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungNicola Pascoli Regiekonzept Szenische Umsetzung Bühnenbild Kostüme Licht
Passionart Orchestra Krakau
Tafelklavier
SolistenGuglielmo, reicher Herr Valerio, sein Sohn Annetta,
junge Venezianerin Cecchino, Diener Guglielmos
Vespina, Dienerin Guglielmos
Momoletto, Annettas Bruder
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- Fine -