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Ernster Rossini mit bewegend tragischem SchlussVon Thomas Molke / Fotos: © Patrick Pfeiffer Das dürfte man beim Belcanto Opera Festival Rossini in Wildbad selten erlebt haben. Nachdem der letzte Ton verklungen ist, herrscht fast eine Minute lang Stille, bevor das Publikum sich allmählich aus der Erstarrung löst und heftigen Beifall spendet. Was ist passiert? Im Königlichen Kurtheater gab es Rossinis erste ernste Oper Tancredi in der Ferrara-Fassung mit dem tragischen Schluss. Mit diesem Werk, das der große Rossini-Biograph Stendhal für Rossinis beste Oper hielt und noch weit über den Barbiere stellte, stieg der Schwan von Pesaro nach einer Reihe kürzerer lyrischer oder komischer Werke mit einem Schlag in die Riege der großen Komponisten auf. Die Cabaletta des Titelhelden "Di tanti palpiti" entwickelte sich schnell zu einem Gassenhauer, der überall zu hören war. Obwohl die Uraufführung am 6. Februar 1813 in Venedig und auch die zweite Aufführung wegen des angeschlagenen Gesundheitszustands der beiden Interpretinnen Malanotte (Tancredi) und Manfredini (Amenaide) vor der großen Szene des zweiten Aktes abgebrochen werden mussten, trat die Oper ab dem 11. Februar 1813 einen Siegeszug an, der sich in den nächsten Jahren über ganz Italien ausbreitete und auch im übrigen Europa große Begeisterung auslöste. Allerdings geriet der "ernste" Rossini lange Zeit in Vergessenheit und wird erst seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts im Rahmen der Rossini-Renaissance wiederentdeckt. Interessant sind dabei die zahlreichen unterschiedlichen Tancredi-Fassungen, die unter Mitwirkung von Rossini entstanden. So gibt es mehr als fünf Varianten, die als authentisch betrachtet werden und bei jeder neuen Produktion die Frage aufwerfen, für welche Fassung man sich nun entscheiden soll. In der Regel wurden in den letzten Jahren immer Teile aus den einzelnen Fassungen zusammengesetzt. Häufig entschied man sich dabei für den tragischen Schluss, der eigentlich nur in der Ferrara-Fassung gewählt wurde und beim damaligen Publikum so schlecht ankam, dass Rossini ihn schon für die weiteren Aufführungen in Ferrara wieder durch das glückliche Ende ersetzte. Argirio (Patrick Kabongo, Mitte rechts) und Orbazzano (Ugo Guagliardo, Mitte links) schließen Frieden miteinander (am Rand: Herren des Górecki Chamber Choir). Die Oper spielt in Syrakus im Jahre 1005. Nach langem Bürgerkrieg schließen die Familien des Argirio und des Orbazzano Frieden, um sich miteinander gegen den gemeinsamen Feind, den Sarazenenführer Solamir, der Syrakus bedroht, zu verbünden. Um die neue Freundschaft zu besiegeln, bietet Argirio Orbazzano die Hand seiner Tochter Amenaide an. Diese liebt jedoch heimlich Tancredi, den Sohn einer aus Syrakus verbannten Familie, dem sie heimlich einen Brief geschickt hat, in dem sie ihn um die Rückkehr nach Syrakus bittet. Da es ihm jedoch unter Todesstrafe verboten ist, nach Syrakus zurückzukehren, kann er seine alte Heimat nur inkognito betreten. Um ihn folglich nicht zu gefährden, hat Amenaide keinen Empfängernamen im Brief angegeben. Der Brief wird von Orbazzano abgefangen. Er beschuldigt Amenaide des Verrats, da er glaubt, der Brief sei an Solamir gerichtet. Auch Tancredi, der mittlerweile heimlich nach Syrakus gekommen ist, fühlt sich von Amenaide hintergangen. Orbazzano fordert Amenaides Hinrichtung. Diese kann verhindert werden, da Tancredi bereit ist, für die Unschuld Amenaides zu kämpfen, ohne jedoch von dieser überzeugt zu sein. Tancredi tötet Orbazzano und zieht in den Kampf gegen Solamir. In der Ferrara-Fassung besiegt Tancredi Solamir zwar wie in den übrigen Versionen des Stückes, kehrt allerdings tödlich verwundet zurück, um in Amenaides Armen zu sterben, nachdem das Missverständnis aufgeklärt worden ist und ihm klar ist, dass er der Empfänger des geheimnisvollen Briefes gewesen ist und Amenaide somit die Treue nicht verletzt hat. Mit diesem Ende nähert sich die Oper wieder mehr der literarischen Vorlage, Voltaires Tancrède von 1760, an. Amenaide (Elisa Balbo, Mitte) wird von ihrem Vater Argirio (Patrick Kabongo, im Hintergrund) und Tancredi (Diana Haller, Mitte rechts) des Verrats beschuldigt (ganz rechts: Isaura (Diletta Scandiuzzi)). Jochen Schönlebers Inszenierung ist für das Royal Opera Festival in Krakau, dem neuen Kooperationspartner Passionart, entstanden und erlebte am 30. Juni 2019 im Juliusz-Słowacki-Theater seine Premiere, bevor es nun als Gastspiel-Produktion im Königlichen Kurtheater aufgeführt wird. Das Bühnenbild ist relativ schlicht gehalten und betont den kammerspielartigen Charakter des Werkes. Im Hintergrund befindet sich ein grauer Rahmen mit einem schrägen Viereck in der Mitte, der auseinander gezogen werden kann, um weitere Auftritte zu ermöglichen. Außerdem wird der Blick auf hohe Steine freigegeben, die an einen Friedhof erinnern. In dem Viereck befinden sich auch Stangen, die den Raum dahinter in ein Gefängnis verwandeln können, in dem Amenaide zu Beginn des zweiten Aktes auf ihre Verurteilung wartet. Die Kostüme sind zeitlos und recht dunkel gehalten, was den düsteren Charakter der ganzen Geschichte unterstreicht. Der Männerchor wird zu Beginn in zwei Parteien geteilt. Der eine Teil stellt mit einer roten Armbinde die Anhänger Orbazzanos, der andere Teil mit einer weißen Armbinde das Gefolge Argirios dar. Schon während der Ouvertüre werden beim Streit um eine Frau die Rivalitäten zwischen diesen beiden Familien zum Ausdruck gebracht. Unklar bleibt, wieso später ein paar Herren des Chors in beige-farbenen Trenchcoats auftreten. Nach dem Friedensschluss zwischen den beiden Parteien wäre eine einheitliche Kostümierung im Chor sinnvoller gewesen. Auch ist nicht klar, wieso die Edeldame Isaura im zweiten Akt mit einer schwarzen Hose ein regelrecht kämpferisches Outfit trägt. Schließlich zieht sie nicht in den Kampf gegen den Sarazenenführer. Aber diese beiden Anmerkungen sollen das insgesamt stimmige Konzept und die ausgefeilte Personenführung keinesfalls schmälern. Tancredi (Diana Haller) will für Amenaide kämpfen, auch wenn er sie für untreu hält. Musikalisch lässt die Aufführung keine Wünsche offen und bewegt sich auf sehr hohem Niveau. Antonino Fogliani erweist sich am Pult des Passionart Orchestra Krakau als Meister des Belcanto und arbeitet mit großer Konzentration die feinen Nuancen von Rossinis wunderbarer Musik differenziert heraus. Wie er das für Rossini absolut ungewöhnliche Opernfinale gestaltet, geht derart unter die Haut, dass das Publikum wirklich einen Augenblick gebannt innehält und nicht sofort in großen Jubel ausbrechen kann. So realistisch hat man selten einen Helden auf der Opernbühne sterben sehen. Ganz großen Verdienst daran hat natürlich auch Diana Haller als Titelheldin. Mit kämpferischem Mezzosopran glänzt sie in den dramatischen Koloraturen und zeigt in den Läufen enorme Beweglichkeit. Ihr nimmt man es ab, dass dieser jugendliche Held in seinem Männlichkeitswahn derart verblendet ist, dass er die Treue der Geliebten Amenaide bis zum Schluss nicht erkennt und deshalb in seinen eigenen Untergang rennt. Einen musikalischen Glanzpunkt stellt natürlich die berühmte Cabaletta "Di tanti palpiti" dar, in der der verbannte Held seine geliebte Heimat wieder begrüßt. In der Schlusskavatine schafft Haller es, mit immer leiser und schwächer werdendem Mezzosopran glaubhaft zu machen, wie Tancredi langsam sein Leben aushaucht. Elisa Balbo begeistert als Amenaide mit strahlendem Sopran und großen dramatischen Ausbrüchen. Im Duett im ersten Akt, das in der Venedig-Fassung erst im zweiten Akt verwendet wird, liefert sie sich mit Haller ein großartiges Duell, in dem die beiden Liebenden nicht zueinander finden können, weil zu viele Dinge unausgesprochen bleiben. Wenn Tancredi am Ende in ihren Armen stirbt, finden die beiden Stimmen zu einer betörenden Einheit zusammen. Weitere Höhepunkte markieren ihre Kavatine im zweiten Akt, wenn sie im Kerker ihr Schicksal bedauert, und ihre große Arie im zweiten Akt, wenn sie Gott um Hilfe für Tancredi im Kampf um ihre Unschuld bittet. Hier lässt Balbo ihren großartigen Sopran in den Höhen nur so strahlen und unterstreicht die Zerrissenheit der jungen Frau. Tancredi (Diana Haller) stirbt in Amenaides (Elisa Balbo) Armen. Patrick Kabongo darf zwar die große Arie des Argirio im zweiten Akt nicht singen, da sie in der Ferrara-Fassung fehlt, kann aber auch ohne diese Arie erneut mit kräftigem Tenor begeistern, der in den Höhen eine enorme Durchschlagskraft besitzt und dabei im Ansatz sehr geschmeidig ist. Auch darstellerisch überzeugt er als alter leicht gebrochener Mann, der selbst sterben will, nachdem er das Todesurteil für seine Tochter unterschrieben hat. Ugo Guargliardo glänzt als unsympathischer Orbazzano mit einem profunden Bass, der so schwarz ist wie der Charakter, den er darstellt. Auch die kleineren Partien sind hervorragend besetzt. Da ist zunächst Claire Gascoin zu nennen, Stipendiatin der diesjährigen BelCanto Akademie, die mit jugendlichem Mezzosopran Tancredis Begleiter Roggiero interpretiert und in ihrer Sorbetto-Arie am Ende des zweiten Aktes aufhorchen lässt, wenn sie auf einen glücklichen Ausgang hofft, nachdem sie von Isaura erfahren hat, dass Amenaides Brief für Tancredi bestimmt war. Besonders überzeugend gelingt ihr auch die Darstellung der Hosenrolle mit jungenhafter Mimik und Gestik. Diletta Scandiuzzi gestaltet die Partie der Edeldame Isaura mit dunkel gefärbtem Mezzosopran und überzeugt in ihrer Arie zu Beginn des zweiten Aktes, wenn sie Amenaides Schicksal beklagt, durch große Beweglichkeit. Die Herren des Górecki Chamber Choir runden als Adelige, Ritter, Knappen und Volk mit homogenem Klang den Abend wunderbar ab, so dass es nach dem ersten Schock des unerwarteten Endes verdienten und großen Jubel für alle Beteiligten gibt.
FAZIT Auch wenn es sich bei dieser Produktion eigentlich "nur" um ein Gastspiel handelt, markiert sie szenisch und musikalisch einen der Höhepunkte des diesjährigen Festivals.
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Wildbad 2019 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungAntonino Fogliani / Nicola Pascoli (Krakau) Inszenierung, Mitarbeit Bühnenbild Bühnenbild Kostüme Licht Chorleitung
Passionart Orchestra Krakau Górecki Chamber Choir
SolistenTancredi Amenaide Argirio Orbazzano
Isaura Roggiero Adelige,
Ritter, Knappen, Volk
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