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Kein MittelwegVon Christoph Wurzel, Fotos: © Enrico Nawrath und Christoph WurzelIn seiner
Kritik anlässlich der Premiere von Tobias Kratzers Tannhäuser vor zwei Jahren
stellte unser Rezensent die (rhetorische) Frage, ob es in Bayreuth
schon einmal eine raffiniertere Inszenierung gegeben habe (siehe auch
unsere Rezension). Nach der Wiederaufnahme und einem zweiten Blick auf die Produktion
beantwortet sich diese Frage erneut von selbst. Dem Regieteam ist hier
wohl einer der größten Würfe der Bayreuther Aufführungsgeschichte
gelungen, und dies gilt für den Regisseur, den Bühnen- und
Kostümbildner sowie die Licht- und Video-Designer in gleichem Maße.
Tatsächlich
brilliert diese Inszenierung mit viel (Selbst-)Ironie, witzigen
Einfällen, geht aber auch (ähnlich wie Koskys Meistersinger) in bisher
ungekannter, höchst aufschlussreicher Weise dem Sinn des Werks auf den
Grund. Sie verortet Tannhäuser
nämlich genau in jener Periode von Richard Wagners Schaffensprozess,
die oft nicht im Focus der Rezeption seiner Opern steht. Tannhäuser ist im Grunde ein Stück
des Vormärz, eine Oper aus Wagners revolutionärer, ja anarchistischer
Lebensphase. Immerhin wurde er wegen "Teilnahme an einer
aufrührerischen Bewegung", steckbrieflich gesucht. Gemeint ist der
Maiaufstand in Dresden 1849. Wagner war zu dieser Zeit dort
Hofkapellmeister und hatte Tannhäuser
zwei Jahre zuvor herausgebracht. Er beteiligte sich nicht
nur am Barrikadenbau, sondern schrieb auch einen Essay, in dem er den
radikalen Umsturz forderte. Erst aus den Trümmern der alten Welt könne
eine "neue, voll nie geahnten Glückes" entstehen, schreib er da. Wer
denkt angesichts derartiger Utopie nicht sofort an den (musikalischen)
Schluss der Götterdämmerung?
Das unübersehbare Motto dieser Inszenierung: Wagners
Vorstellung vom Leben und von der Kunst (Foto: Christoph Wurzel)
Man muss aber
auch an Tannhäuser denken.
Wagner war kein Politiker. Er war Künstler. Und zwar ein Künstler mit
dem vehementen Anspruch der Erneuerung. Diese Bayreuther Inszenierung
stellt genau dieses Thema in den Mittelpunkt. Weniger die Frage nach
der "Liebe Wesen" an sich, wie der Landgraf sie den Minnesängern auf
der Wartburg stellt, sondern die Frage nach dem Leben als Künstler wird
hier im heftigen Bühnendiskurs verhandelt; nicht reduziert auf
den individualpsychologischen Aspekt der erotischen Beziehungen
Tannhäusers, sondern als untrennbare Verbindung mit dessen
Lebensentwurf. Er zeigt Tannhäuser als einen, der sich zwischen
den Polen der libertären, hedonistischen und im Ergebnis
rücksichtslosen Welt der Venus und den konventionellen Ritualen der
Wartburggesellschaft zerreißt. Deswegen ist er ein Clown: Spaßmacher
nach außen, im Innern tieftraurig. Und deswegen schlingert er zwischen
der freakigen Popkultur der Venus mit dem trommelnden Oskar und der
schrillen Dragqueen einerseits und der steifen, weltfremden
Hofgesellschaft des Landgrafen andererseits unentschieden hin und her.
Optisch eindrücklich stellen dies Kostüme und Bühnenbild heraus: die
bunte und aus jeder "Normalität" fallende Truppe der Venus versus der
buchstäblich in den Rahmen gezwängten, im Grunde anachronistischen
Wartburgszenerie.
Zwei Sphären: eine inmitten, die andere außerhalb des
Rahmens (innen links vorn: Lise Davidsen (Elisabeth) u. Ensemble /
außen von links: Manni Laudenbach (Oskar), Ekaterina Gubanova und
Stephen Gould (Venus und Tannhäuser), Kyle Patrick (Le Gateau Chocolat)
(Foto: Enrico Nawrath)
Einen Mittelweg gibt es nicht. Tannhäuser scheitert bekanntlich,
Erlösung gibt es für ihn, außer dem anonymen
Versprechen aus undefiniert luftiger Höhe am Schluss,
realistischerweise nicht. Als sein Opfer bleibt auf der Strecke:
Elisabeth. Es ist eine der vielen Verdienste dieser Inszenierung, dass
sie diese Figur vom Klischee der keuschen Heiligen befreit hat.
Elisabeth, als schwärmerisch Liebende ebenso wie als zutiefst Enttäuschte
von Lise Davidsen grandios dargestellt und gesungen, ist hier neben
Tannhäuser die zweite tragische Figur. Der dritte Akt zeigt sie
ungemein anrührend am Ende ihrer Kraft. Bis dahin hat sie alle
Enttäuschungen durch Tannhäuser bis zur Selbstverletzung ausgehalten,
ihn gegen den Hass ihrer eigenen Gesellschaft in Schutz genommen, am
Schluss aber hat sie jede Hoffnung verloren, ihn zu gewinnen. Nicht als
Engel geht sie in den Himmel ein, sondern ruhig und bewusst in einen
selbstbestimmten Tod. Tannhäuser findet sie blutüberströmt
im schrottreifen Lieferwagen. Welch erschütterndes Bild!
Genial ist der dramaturgische Entwurf dieser Inszenierung. Kratzers
Erzählung findet auf drei Ebenen statt. Neben einander und teilweise
auch parallel gibt es Bühnenhandlung und Videoeinspielungen, die
perfekt aufeinander abgestimmt sind und beeindruckend synchron zur
Musik ablaufen. Während der ersten Pause wird die Handlung zudem ins
Freie verlängert. Da zeigt Venus' Sponti-Truppe nämlich rund um den See
im Park, was ihre Kunst so hergibt. Es wird gepaddelt, getanzt, aus
Wagners Manifest vorgelesen und das Plakat gepinselt, das später am
Balkon des Festspielhauses befestigt wird. Alternative Musik dröhnt
dabei aus den Lautsprechern. Johlend quittiert das ein Teil des
Publikums mit kräftigem Beifall, um aber gerufen von den Fanfaren bald
wieder zur "Hochkultur" auf den Hügel zu eilen, wo es auf zweigeteilter
Bühne unten den Sängerkrieg auf Wartburg erleben und gleichzeitig oben
im Film (z. T. mit Live-Kamera) verfolgen kann, wie das Festspielhaus von
den drei Anarchos gekapert wird, bis Katharina Wagner, die Herrin des
Hügels, die Polizei rufen muss, weil sonst Vorstellung und
Wartburg-Ordnung zu kippen drohen. Kratzers geniales Vexierspiel
zwischen den gegensätzlichen Realitäten dieser Inszenierung kulminiert
hier in ihrer stärksten Pointe. Das Konzept funktioniert bestens. Vor
allem auch, weil die gesamte Belegschaft bruchlos mitspielt - bis hin
zur gekidnappten Chorstin, damit sich Venus in deren Kostüm unter die
Edelknaben mischen kann.
Perfekte Überblendungen der Realitäten: Der Theaterwagen
im Film und auf der Bühne: Stephen Gould (Tannhäuser) und Ekaterina
Gubanova (Venus) (Foto: Enrico Nawrath)
Gegenüber der
Premiere (mittlerweile als DVD erhältlich) gab es in diesem Jahr
einige Umbesetzungen, die der Produktion nicht schlecht bekommen
sind. Ekaterina Gubanova, die 2019 unfallbedingt ausfiel, war nun die
Venus, schauspielerisch enorm vielseitig, aber auch vokal in Hochform.
Günther Groissböck gab als Landgraf genau die richtige Mischung aus
Autorität und Väterlichkeit, stimmlich ohnehin untadelig. Der junge
dänische Tenor Magnus Vigilius sang den Walther emphatisch und
mit wohlklingender Stimme. Einen vokalen Glanzpunkt setzte auch
Alexandra Steiner als ökobewusster Hirt mit dem Fahrrad und Ólafur
Sigurdarson war bedrohlich und militant genug für die Rolle des
Biterolf. Neben Lise Davidsen und Stephen Gould, der in sagenhafter
Kondition und mit nicht einmal ansatzweise ermüdeter Stimme
offensichtlich mit seiner Rolle verschmolz, war auch Markus Eiche die
dritte wesentliche Stütze dieses Ensembles. Auch er präsentierte in
geschmeidigem Belcanto überzeugend ein geschärftes Rollenprofil, zeigte
einen Wolfram zwischen Entsagung, Eifersucht und Solidarität und ließ auch diese Figur zu
einer tief tragischen werden.
Erstmals im Festspielhaus: Der LGBT-Regenbogen (Kyle
Patrick) (Foto: Enrico Nawrath)
In den
Videosequenzen gab Le Gateau Chocolat, der australo-britische
Performancekünstler, seine charmanten Einlagen. Wegen coronabedingter
Reisebeschränkungen wurde er auf der Bühne in diesem Jahr von Kyle
Patrick vertreten, der seine Profession als Tänzer wirkungsvoll
einbringen konnte und ein Stück mehr Diversität ins Festspielhaus
brachte.
Das Dirigat
Valery Gergievs galt vor zwei Jahren als einziger Schwachpunkt dieser
Produktion. Nun stand der verlässliche Axel Kober am Pult des bestens
präparierten Festspielorchesters. Subtil und tiefenscharf realisierte
er die Partitur, dynamisch fein abgestimmt und spannungsvoll phrasiert.
Der im Probensaal singende Teil des Chors wurde ohne jede klangliche
Einbuße elektronisch zugespielt, der andere Teil war darstellerisch
aktiv auf der Bühne beschäftigt. Eine gute Lösung angesichts der
geltenden Abstandsregeln.
Szenisch ist diese Inszenierung nur in Bayreuth möglich. Musikalisch
erfüllte sie alle Ansprüche. Und das macht ja Festspiele aus. |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Video
Licht
Chorleitung
Dramaturgie
Orchester der Bayreuther Festspiele Solisten
Landgraf Hermann
Tannhäuser
Wolfram von Eschenbach
Walter von der Vogelweide
Biterolf
Heinrich der Schreiber
Reinmar von Zweter
Elisabeth, Nichte des Landgrafen
Venus
Ein junger Hirt
Edelknaben
Le Gateau Chocolat
Oscar
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- Fine -