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Bayreuther Festspiele 2021
25.07.2021 - 28.08.2021

Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg

Große romantische Oper in drei Akten
Text und Musik von Richard Wagner

In deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 5 h (zwei Pausen)

Aufführung im Festspielhaus Bayreuth am 23. August 2021
(Premiere der Produktion: 25.07.2019)


Bayreuther Festspiele 2011 / Übersicht

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Kein Mittelweg

Von Christoph Wurzel, Fotos: © Enrico Nawrath und Christoph Wurzel
 
In seiner Kritik anlässlich der Premiere von Tobias Kratzers Tannhäuser  vor zwei Jahren stellte unser Rezensent die (rhetorische) Frage, ob es in Bayreuth schon einmal eine raffiniertere Inszenierung gegeben habe (siehe auch unsere Rezension). Nach der Wiederaufnahme und einem zweiten Blick auf die Produktion beantwortet sich diese Frage erneut von selbst. Dem Regieteam ist hier wohl einer der größten Würfe der Bayreuther Aufführungsgeschichte gelungen, und dies gilt für den Regisseur, den Bühnen- und Kostümbildner sowie die Licht- und Video-Designer in gleichem Maße.
 
Tatsächlich brilliert diese Inszenierung mit viel (Selbst-)Ironie,  witzigen Einfällen, geht aber auch (ähnlich wie Koskys Meistersinger) in bisher ungekannter, höchst aufschlussreicher Weise dem Sinn des Werks auf den Grund. Sie verortet Tannhäuser nämlich genau in jener Periode von Richard Wagners Schaffensprozess, die oft nicht im Focus der Rezeption seiner Opern steht. Tannhäuser ist im Grunde ein Stück des Vormärz, eine Oper aus Wagners revolutionärer, ja anarchistischer Lebensphase. Immerhin wurde er wegen "Teilnahme an einer aufrührerischen Bewegung", steckbrieflich gesucht. Gemeint ist der Maiaufstand in Dresden 1849. Wagner war zu dieser Zeit dort Hofkapellmeister und hatte Tannhäuser zwei Jahre zuvor herausgebracht. Er beteiligte sich nicht nur am Barrikadenbau, sondern schrieb auch einen Essay, in dem er den radikalen Umsturz forderte. Erst aus den Trümmern der alten Welt könne eine "neue, voll nie geahnten Glückes" entstehen, schreib er da. Wer denkt angesichts derartiger Utopie nicht sofort an den (musikalischen) Schluss der Götterdämmerung?
 
Das unübersehbare Motto dieser Inszenierung: Wagners Vorstellung vom Leben und von der Kunst (Foto: Christoph Wurzel)
 
Man muss aber auch an Tannhäuser denken. Wagner war kein Politiker. Er war Künstler. Und zwar ein Künstler mit dem vehementen Anspruch der Erneuerung. Diese Bayreuther Inszenierung stellt genau dieses Thema in den Mittelpunkt. Weniger die Frage nach der "Liebe Wesen" an sich, wie der Landgraf sie den Minnesängern auf der Wartburg stellt, sondern die Frage nach dem Leben als Künstler wird hier im heftigen Bühnendiskurs verhandelt; nicht reduziert auf den  individualpsychologischen Aspekt der erotischen Beziehungen Tannhäusers, sondern als untrennbare Verbindung mit dessen Lebensentwurf.  Er zeigt Tannhäuser als einen, der sich zwischen den Polen der libertären, hedonistischen und im Ergebnis rücksichtslosen Welt der Venus und den konventionellen Ritualen der Wartburggesellschaft zerreißt. Deswegen ist er ein Clown: Spaßmacher nach außen, im Innern tieftraurig. Und deswegen schlingert er zwischen der freakigen Popkultur der Venus mit dem trommelnden Oskar und der schrillen Dragqueen einerseits und der steifen, weltfremden Hofgesellschaft des Landgrafen andererseits unentschieden hin und her. Optisch eindrücklich stellen dies Kostüme und Bühnenbild heraus: die bunte und aus jeder "Normalität" fallende Truppe der Venus versus der buchstäblich in den Rahmen gezwängten, im Grunde anachronistischen Wartburgszenerie.
 
Zwei Sphären: eine inmitten, die andere außerhalb des Rahmens (innen links vorn: Lise Davidsen (Elisabeth) u. Ensemble / außen von links: Manni Laudenbach (Oskar), Ekaterina Gubanova und Stephen Gould (Venus und Tannhäuser), Kyle Patrick (Le Gateau Chocolat) (Foto: Enrico Nawrath)
 
Einen Mittelweg gibt es nicht. Tannhäuser scheitert bekanntlich, Erlösung gibt es für ihn, außer dem anonymen Versprechen aus undefiniert luftiger Höhe am Schluss, realistischerweise nicht. Als sein Opfer bleibt auf der Strecke: Elisabeth. Es ist eine der vielen Verdienste dieser Inszenierung, dass sie diese Figur vom Klischee der keuschen Heiligen befreit hat. Elisabeth, als schwärmerisch Liebende ebenso wie als zutiefst Enttäuschte von Lise Davidsen grandios dargestellt und gesungen, ist hier neben Tannhäuser die zweite tragische Figur. Der dritte Akt zeigt sie ungemein anrührend am Ende ihrer Kraft. Bis dahin hat sie alle Enttäuschungen durch Tannhäuser bis zur Selbstverletzung ausgehalten, ihn gegen den Hass ihrer eigenen Gesellschaft in Schutz genommen, am Schluss aber hat sie jede Hoffnung verloren, ihn zu gewinnen. Nicht als Engel geht sie in den Himmel ein, sondern ruhig und bewusst in einen selbstbestimmten Tod. Tannhäuser findet sie  blutüberströmt  im schrottreifen Lieferwagen. Welch erschütterndes Bild!
 
Genial ist der dramaturgische Entwurf dieser Inszenierung. Kratzers Erzählung findet auf drei Ebenen statt. Neben einander und teilweise auch parallel gibt es Bühnenhandlung und Videoeinspielungen, die perfekt aufeinander abgestimmt sind und beeindruckend synchron zur Musik ablaufen. Während der ersten Pause wird die Handlung zudem ins Freie verlängert. Da zeigt Venus' Sponti-Truppe nämlich rund um den See im Park, was ihre Kunst so hergibt. Es wird gepaddelt, getanzt, aus Wagners Manifest vorgelesen und das Plakat gepinselt, das später am Balkon des Festspielhauses befestigt wird. Alternative Musik dröhnt dabei aus den Lautsprechern. Johlend quittiert das ein Teil des Publikums mit kräftigem Beifall, um aber gerufen von den Fanfaren bald wieder zur "Hochkultur" auf den Hügel zu eilen, wo es auf zweigeteilter Bühne unten den Sängerkrieg auf Wartburg erleben und gleichzeitig oben im Film (z. T. mit Live-Kamera) verfolgen kann, wie das Festspielhaus von den drei Anarchos gekapert wird, bis Katharina Wagner, die Herrin des Hügels, die Polizei rufen muss, weil sonst Vorstellung und Wartburg-Ordnung zu kippen drohen. Kratzers geniales Vexierspiel zwischen den gegensätzlichen Realitäten dieser Inszenierung kulminiert hier in ihrer stärksten Pointe. Das Konzept funktioniert bestens. Vor allem auch, weil die gesamte Belegschaft bruchlos mitspielt - bis hin zur gekidnappten Chorstin, damit sich Venus in deren Kostüm unter die Edelknaben mischen kann.
 
Perfekte Überblendungen der Realitäten: Der Theaterwagen im Film und auf der Bühne: Stephen Gould (Tannhäuser) und Ekaterina Gubanova (Venus) (Foto: Enrico Nawrath)
 
Gegenüber der Premiere (mittlerweile als DVD erhältlich) gab es in diesem Jahr einige  Umbesetzungen, die der Produktion nicht schlecht bekommen sind. Ekaterina Gubanova, die 2019 unfallbedingt ausfiel, war nun die Venus, schauspielerisch enorm vielseitig, aber auch vokal in Hochform. Günther Groissböck gab als Landgraf genau die richtige Mischung aus Autorität und Väterlichkeit, stimmlich ohnehin untadelig. Der junge dänische Tenor Magnus Vigilius sang den Walther emphatisch und mit  wohlklingender Stimme. Einen vokalen Glanzpunkt setzte auch Alexandra Steiner als ökobewusster Hirt mit dem Fahrrad und Ólafur Sigurdarson war bedrohlich und militant genug für die Rolle des Biterolf. Neben Lise Davidsen und Stephen Gould, der in sagenhafter Kondition und mit nicht einmal ansatzweise ermüdeter Stimme offensichtlich mit seiner Rolle verschmolz, war auch Markus Eiche die dritte wesentliche Stütze dieses Ensembles. Auch er präsentierte in geschmeidigem Belcanto überzeugend ein geschärftes Rollenprofil, zeigte einen Wolfram zwischen Entsagung, Eifersucht und Solidarität und ließ auch diese Figur zu einer tief tragischen werden.
 
Erstmals im Festspielhaus: Der LGBT-Regenbogen (Kyle Patrick) (Foto: Enrico Nawrath)
 
In den Videosequenzen gab Le Gateau Chocolat, der australo-britische Performancekünstler, seine charmanten Einlagen. Wegen coronabedingter Reisebeschränkungen wurde er auf der Bühne in diesem Jahr von Kyle Patrick vertreten, der seine Profession als Tänzer wirkungsvoll einbringen konnte und ein Stück mehr Diversität ins Festspielhaus brachte.
 
Das Dirigat Valery Gergievs galt vor zwei Jahren als einziger Schwachpunkt dieser Produktion. Nun stand der verlässliche Axel Kober am Pult des bestens präparierten Festspielorchesters. Subtil und tiefenscharf realisierte er die Partitur, dynamisch fein abgestimmt und spannungsvoll phrasiert. Der im Probensaal singende Teil des Chors wurde ohne jede klangliche Einbuße elektronisch zugespielt, der andere Teil war darstellerisch aktiv auf der Bühne beschäftigt. Eine gute Lösung angesichts der geltenden Abstandsregeln.

 

FAZIT

Szenisch ist diese Inszenierung nur in Bayreuth möglich. Musikalisch erfüllte sie alle Ansprüche. Und das macht ja Festspiele aus.

Weitere Rezensionen zu den Bayreuther Festspielen 2021


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Axel Kober

Inszenierung
Tobias Kratzer

Bühne und Kostüme
Rainer Sellmaier

Video
Manuel Braun

Licht
Reinhard Traub

Chorleitung
Eberhard Friedrich

Dramaturgie
Konrad Kuhn



Chor der Bayreuther Festspiele

Orchester der Bayreuther Festspiele


Solisten

Landgraf Hermann
Günther Groissböck

Tannhäuser
Stephen Gould

Wolfram von Eschenbach
Markus Eiche

Walter von der Vogelweide
Magnus Vigilius

Biterolf
Ólafur Sigurdarson

Heinrich der Schreiber
Jorge Rodriguez-Norton

Reinmar von Zweter
Wilhelm Schwinghammer

Elisabeth, Nichte des Landgrafen
Lise Davidsen

Venus
Ekaterina Gubanova

Ein junger Hirt
Alexandra Steiner

Edelknaben
Cornelia Heil
Ekaterina Gubanova
Laura Margret Smith
Karolin Zeinert

Le Gateau Chocolat
Le Gateau Chocolat (im Film)
Kyle Patrick (auf der Bühne)

Oscar
Manni Laudenbach


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