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Klangvokal 2021 Musikfestival Dortmund
Gismondo, Re di Polonia in italienischer Sprache Aufführungsdauer: ca. 2h 20' (keine Pause) (gekürzte Fassung) Aufführung im Konzerthaus Dortmund 3. Oktober 2021 |
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Barockoper light Von Thomas Molke / Fotos: © Bidzina Gogiberidza Max Emanuel Cencic hat es sich als künstlerischer Leiter der Parnassus Arts Productions seit einigen Jahren zum Ziel gesetzt, verborgene Schätze der Barockoper dem Vergessen zu entreißen. Seit 2020 leitet er auch das neu gegründete Festival Bayreuth Baroque, das das Markgräfliche Opernhaus in der "Wagner"-Stadt nahezu direkt im Anschluss an die Bayreuther Festspiele zur Pilgerstätte der Barockfans macht. In diesem Zusammenhang wird auch Leonardo Vinci - nicht zu verwechseln mit dem Schöpfer der Mona Lisa, Leonardo da Vinci - wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Vinci war für die italienischen Barockkomponisten in stilistischer und dramatischer Hinsicht im 18. Jahrhundert tonangebend und dürfte auch Antonio Vivaldi und Georg Friedrich Händel in ihrer Entwicklung inspiriert und nachhaltig geprägt haben. Nach der großen Europa-Tournee mit Vincis wohl erfolgreichster Oper Artaserse, bei der wie bei der Uraufführung 1730 in Rom alle Partien mit Männern besetzt waren (siehe auch unsere Rezension), und der Präsentation seiner Oper Catone in Utica bei den Internationalen Maifestspielen in Wiesbaden 2015 (siehe auch unsere Rezension), sollte 2020 beim Klangvokal Musikfestival das 1727 im Teatro delle Dame in Rom uraufgeführte Dramma per musica Gismondo, Re di Polonia seine Deutschland-Premiere erleben. Doch die Corona-Pandemie machte diesen Plänen einen Strich durch die Rechnung. So kam die Produktion erst ein halbes Jahr später beim Bayreuth Baroque Festival heraus (siehe auch unsere Rezension). Nun steht sie auch beim verschobenen Klangvokal Festival mit 16 Monaten Verspätung auf dem Programm. Da jedoch aufgrund der geltenden Corona-Regeln im Konzerthaus derzeit noch ohne Pause gespielt werden soll, ist dort (leider) nur eine gekürzte Fassung zu erleben, die aber dennoch nahezu Rheingold-Länge besitzt. Ensemble von links: Cunegonda (Sophie Junker), Ermanno (Nicholas Tamagna), Primislao (Aleksandra Kubas-Kruk), Ernesto (Jake Arditti), Gismondo (Max Emanuel Cencic), Ottone (Yuriy Mynenko) und Giuditta (Hasnaa Benanni) Vincis Dramma per musica basiert auf der 1709 zu Ehren König Fredericks IV. von Dänemark in Venedig uraufgeführten Oper Il vincitor generoso von Antonio Lotti. Aus dem Libretto von Francesco Briani übernimmt Vinci größtenteils die Rezitative und ändert nur die Arien ab, was neben den Texten auch die Gewichtung der Personen betrifft. Die Geschichte spielt in Warschau im 16. Jahrhundert. König Gismondo von Polen will dort den in der Union von Lublin 1569 vertraglich vereinbarten Lehnseid der verbündeten Fürstentümer entgegennehmen. Doch Primislao, der Fürst von Litauen, fürchtet einen Statusverlust und möchte den Eid nicht öffentlich leisten. Gismondo ist bereit, seinem ehemaligen Gegner entgegenzukommen, zumal er seinen Sohn Ottone mit Primislaos Tochter Cunegonda verheiraten möchte, und bietet ihm an, die Zeremonie im königlichen Zelt unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchzuführen. Doch Ermanno, der Fürst von Mähren, intrigiert gegen Primislao, den er für den Tod seines Bruders verantwortlich macht, und bringt das Zelt zum Einsturz. Daraufhin greift Primislao zu den Waffen und zieht gegen Gismondo in den Krieg. Cunegonda sagt sich von Ottone los und unterstützt ihren Vater. Als Primislaos Heer von den Polen besiegt wird, will Ermanno Primislao töten, doch dieser wird von Gismondos Tochter Giuditta, die heimlich in Primislao verliebt ist, gerettet. Ermanno zieht die Konsequenzen aus seinem Verrat und richtet sich selbst. Primislao kommt zur Einsicht, versöhnt sich mit Gismondo und stimmt der Hochzeit zwischen seiner Tochter und Gismondos Sohn zu. Im Gegenzug erhält er Gismondos Tochter Giuditta zur Braut. Max Emanuel Cencic als König Gismondo Da von den insgesamt 28 Arien für die Aufführung im Konzerthaus 11 Arien und 20 Szenen gestrichen worden sind, ist es nahezu unmöglich, der Handlung anhand des gesungenen Textes zu folgen. Während die Streichungen im ersten Akt noch einigermaßen funktionieren, da klar wird, was Primislao von Gismondo will und wie dieser darauf eingeht, wird es ab dem zweiten Akt problematisch. So erfährt man nur am Rande, in welche Qualen der erneute Ausbruch des Krieges die beiden Liebenden Ottone und Cunegonda stürzt und was ihre Väter von den beiden jeweils verlangen. Im letzten Akt wird dann der komplette Handlungsstrang um Giuditta gestrichen. Man erfährt weder, dass Primislao im Kampf verwundet worden ist, noch dass Ermanno ihn töten will, er aber von Giuditta gerettet wird. Immerhin wird nicht wie in Bayreuth die Partie des Ermanno gestrichen. Auch wenn der Fürst von Mähren insgesamt nur zwei Arien in der ganzen Oper hat, ist er als Bösewicht für die Handlung eigentlich unabkömmlich. Für den kompletten Eindruck dieses Werkes muss man wohl die CD-Aufnahme bemühen, die bei Parnassus Arts Productions in nahezu identischer Besetzung erschienen ist. Sophie Junker als Cunegonda und Yuriy Mynenko als Ottone beim innigen Duett Dass die Aufführung im Konzerthaus Dortmund dann doch eine gute halbe Stunde länger als geplant dauert, dürfte nicht zuletzt an der großen Begeisterung des Publikums liegen, das nach jeder Arie die hochkarätige Besetzung bejubelt. Da ist zunächst Yuriy Mynenko als Ottone zu nennen. Sein Countertenor besitzt eine große Spannbreite von dramatischer Höhe bis hin zu viriler Tiefe in der Bruststimme. Ihm nimmt man die Liebesleiden des jungen Prinzen in jedem Ton ab. Ein besonderer Glanzpunkt des Abends ist seine Gleichnis-Arie am Ende des ersten Aktes, wenn er die Nachtigall besingt, die ihr grausames Schicksal beklagt, während sie von Ast zu Ast fliegt. Mynenko findet hier mit den beiden Flöten zu einer betörenden Innigkeit, die unter die Haut geht. Auch die erste Arie im ersten Akt, in der Ottone voller Vorfreude auf das Wiedersehen mit seiner geliebten Cunegonda ist, wird von Mynenko mit beweglichen Koloraturen umgesetzt. Sophie Junker begeistert als Cunegonda mit rundem Sopran. Auch sie punktet mit strahlenden Koloraturen in ihrer Arie im ersten Akt, wenn sie der Verbindung mit ihrem geliebten Ottone entgegensieht. Doch das Schicksal meint es (zunächst) nicht gut mit ihr und lässt sie aus Pflichtgefühl zu Ottones Feindin werden. Das Duett am Ende des zweiten Aktes mit Mynenko, in dem Cunegonda und Ottone bewegt voneinander Abschied nehmen, wird nicht nur stimmlich von Junker und Mynenko großartig umgesetzt, sondern die beiden lassen auch dabei durch ihre szenische Interpretation völlig vergessen, dass es sich nur um eine konzertante Aufführung handelt. Aufhorchen lässt Cunegondas Arie im dritten Akt, die in der Instrumentierung mit der Gitarre sehr modern klingt. Auch hier überzeugt Junker mit großem Sopran und intensivem Spiel. Aleksandra Kubas-Kruk als Primislao Aleksandra Kubas-Kruk ist die einzige Solistin an diesem Abend, die als Primislao in eine Hosenrolle schlüpft. Man mag sich wundern, wieso diese Partie in der Inszenierung nicht ebenfalls mit einem Countertenor besetzt worden ist. Trotzdem lässt Kubas-Kruk stimmlich keine Wünsche offen und überzeugt mit kraftvollen Koloraturen und stupenden Höhen. Man nimmt ihr die Unbeherrschtheit und Kampfeslust des Fürsten in jedem Ton ab. Autoritär zeigt sie sich gegenüber der Tochter, von der sie verlangt, ihre Liebe zu Ottone aufzugeben, und gibt sich streitsüchtig dem König gegenüber, dem sie erneut den Krieg erklärt. Umso geläuterter ist sie nach ihrer Rettung durch Giuditta am Ende der Oper. Max Emanuel Cencic stattet die Titelpartie mit weichem Countertenor aus, der die Friedfertigkeit des Königs unterstreicht, und glänzt mit flexiblen Läufen in den Koloraturen. Hasnaa Bennani überzeugt als Giuditta mit leuchtendem Sopran und strahlenden Koloraturen. Ihr hätte man noch etwas mehr Raum im letzten Akt gewünscht, um sie ebenfalls als Heldin zu präsentieren. Jake Arditti stattet die Partie des Ernesto mit kräftigen Höhen aus. Mit ihm hat man fast ein wenig Mitleid, weil er aus Staatsräson auf seine Liebe zu Giuditta verzichten muss. Nicholas Tamagna gibt den Bösewicht Ermanno diabolisch mit dunkel gefärbtem Countertenor. Martyna Pastuszka lotet mit ihrem Ensemble Orkiestra Historyczna die Feinheiten der barocken Partitur differenziert aus. So gibt es für alle Beteiligten zu Recht frenetischen Beifall. FAZIT Von dieser konzertanten Oper hätte man gerne mehr gehört. Dennoch bieten die knapp zweieinhalb Stunden Barock-Genuss vom Feinsten. Weitere Rezensionen zum Klangvokal Festival Dortmund 2021
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ProduktionsteamMusikalische Leitung
{oh!} Orkiestra Historyczna
SolistenGismondo, König von Polen Primislao, Fürst von Litauen Ottone, Gismondos Sohn Cunegonda, Primislaos Tochter Giuditta, Gismondos Tochter Ernesto, Fürst von Livland Ermanno, Fürst von Mähren
Weitere |
- Fine -