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Das sanfte Rauschen von 53 Schlagzeugenvon Stefan Schmöe / Fotos © Thomas Berns
Entwarnung: Der Dezibel-Schock bleibt aus. Zwar gibt es - wieder einmal - vorsorglich Ohrstöpsel beim Einlass, aber die Lautstärken bleiben moderat und sind selbst in den (wenigen) Spitzen nicht extrem hoch. Dabei schien die Gefahr real: Immerhin 53 Schlagzeuger*innen sitzen auf der Bühne, einem Quadrat von etwa 20 m Seitenlänge, an zwei gegenüberliegenden Seiten von zwei aufsteigenden Zuschauertribünen begrenzt. Die Kraftzentrale im Landschaftspark Duisburg-Nord, eine 1902 erbaute und 1911 erweiterte Industriehalle, in der einst die Elektrizität für das Hüttenwerk und die Hochöfen nebenan bereitgestellt wurde, bietet mit 170 m Länge und 37 m Breite Platz genug. Das Instrumentarium ist für alle gleich: Kleine Trommel, Becken, Woodblock, Klangschale, Tamtam, Röhrenglocke, Floor Tom, Surdo, Große Trommel, Nicophon, diverse Schlägel, Stoppuhr. Letztere dient streng genommen nicht als Instrument, war jedenfalls nicht als solches erkennbar, sondern der Orientierung - einen Dirigenten gibt es nicht, die Partitur verläuft entlang einer Zeitleiste.
Als Perkussionsritual bezeichnet Komponist Fritz Hauser (*1953) sein einstündiges Werk. Auf die schiere Wucht des Klanges setzt er dabei fast nie. Viel dominanter sind geräuschhafte Klangteppiche, die sich im Raum ausbreiten und nicht genau zu ortende, dynamisch fließende Flächen erzeugen. Oft werden die Instrumente gar nicht geschlagen, sondern gestrichen. Manchmal - selten - kristallisieren sich geheimnisvolle Obertöne heraus. Die Lautstärken sind oft gering, was mitunter ein mystisches Grundrauschen erzeugt. Dabei spielen meist alle das gleiche Instrument, in Abschnitten von mehreren Minuten Länge, sodass vor allem der Wechsel der Klangfarben für eine - recht gemächliche - zeitliche Struktur sorgt. Es ist ein fast meditatives Ritual.
Tonhöhe - soweit die verwendeten Instrumente überhaupt definiert in einer solchen klingen - spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Und da die Art der Instrumente zwar vorgegeben ist, jeder aber sein eigenes Instrumentarium mitbringt, haben Röhrenglocken und Klangschalen keineswegs alle denselben Ton, sind auch nicht aufeinander abgestimmt. Eine Tonhöhenfolge ergibt sich nur zufällig, melodische Strukturen gibt es überhaupt nicht. Definierbare Töne setzt Hauser manchmal wie Klanginseln im geräuschhaften Kontext ein. Und auch bewusste rhythmische Strukturen treten eher selten auf. Mehrfach lässt er einen gleichmäßigen Puls in verschiedenen Geschwindigkeiten laufen, was zu Verschiebungen führt. So etwas wie einen kollektiven Rhythmus, den alle synchron übernehmen, gibt es nur ganz punktuell.
Damit unterläuft Hauser so manche Erwartung. Die Dynamik der Masse, das Einschwingen auf einen gemeinsamen Puls, Rhythmus und Ton, eine Vervielfachung der Lautstärke (man denke an Fangesänge im Stadion oder kollektives rhythmisches Klatschen), das bleibt weitgehend aus. Damit thematisiert Hauser auch die Beziehung zwischen Individuum und Gruppe. Die verführerische Macht der Zwangskollektivierung bleibt aus, vielmehr choreographiert er die Autonomie. Anders gesagt: Marschiert wird hier nicht, was ja sehr sympathisch ist. Und vielleicht auch ein bisschen schade: Die Möglichkeiten dieser eigentümlichen Besetzung auszuloten, die elementare (und rituelle) Kraft von über 50 Schlagzeugen vorzuführen, das hätte ja auch seinen Reiz gehabt.
Dazu gibt es eine durchaus gelungene, den Abstand zur Bühnenshow wahrende Lichtregie (Rolf Derrer). In sanften Bühnennebel eingehüllt, werden mal einzelne Musiker scharf hervorgehoben, mal ist die Beleuchtung flächig. Die Farben können, korrespondierend zum Klang, kraftvoll leuchten (wobei die Farbpalette reduziert ist: Knallig bunt wird es nie, sanftes Orange oder kühles Blau markieren die Grenzen) oder auch fahl verblassen. Wenn das Licht am Ende mit dem letzten - tatsächlich kollektiv ausgeführten - Trommelschlag verlischt, dann wird bei dieser Uraufführung leider viel zu schnell applaudiert. Den Nachhall, die Stille des Raumes als Teil des Rituals, das wird der Performance dadurch genommen.
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Produktionsteam
Konzeption, Komposition,
Künstlerische Projektbegleitung
Dramaturgie
PercussionZoi ArgyriouMarilia Barbosa Henning Bergmann Bruna Cabral Paul Ebert Hans Fahr Tido Frobeen Oded Geizhals Marc Gosemärker Jonas Graetzer Vasilisa Gordasevich Leon Günther Charlotte Hahn Henry Heizmann Luisa Horst Malte Höweler Shiau-Shiuan Hung Daniel Ismaili Themis Kandalepas Maxime Koblinski Jie-Goo Lee Katharina Lehmann Tobias Liebezeit Alexander Maczewski David Auli Morales Timothée de la Moriniere Jose Palacios Munoz Stefan Mühlenkamp Florian Nabyl-Köhn Seijiro Nagai Christian Nink Falko Oesterle Gustavo de Oliveira Lavandeira Eunji Park Mateo Quiroga Carolina Raany Erik Rempis Noah Ruoff Moritz Sasowski Marlon Schäfer Luca Schall Jonathan Schierhorn Zhewen Shi Ryo Shimitzu Walison de Souza Rita Soares Kleber Tertuliano Johanna Toivanen Stefan Turton Santiago Villar Martin Javier Verduras Christian Wagenseil Yixuan Zhou weitere Berichte von der Ruhrtriennale 2021 - 2023 Homepage der Ruhrtriennale Die Ruhrtriennale in unserem Archiv |
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