Verkehrte Welt
Von Thomas Molke /
Fotos: © Clive Barda
Zeitlebens war der Erfolg Alfredo Catalanis von dem Ruhm
seines Kollegen Giacomo Puccini überschattet. Von seinen insgesamt sechs Opern,
die er bis zu seinem frühen Tod 1893 im Alter von nur 39 Jahren hinterließ, hat
heute eigentlich nur noch La Wally einen gewissen Bekanntheitsgrad, was
vor allem der Arie "Ebben? Ne andrò lontana" zu verdanken ist, die unter anderem
durch den französischen Spielfilm Diva die Aufmerksamkeit auf dieses
ansonsten vergessene Werk lenkte. Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts Arturo
Toscanini mit einem weiteren engen Freund Catalanis, Giuseppe Depanis, eine
Wiederbelebung der Werke des bis dahin bereits nahezu vergessenen Künstlers
unternahm, richteten die beiden ihr Augenmerk nur auf die letzten beiden Werke
La Wally und Loreley. Obwohl Catalanis am 27. Februar 1886 in der
Mailänder Scala uraufgeführte Edmea einen Meilenstein für den Erfolg
Toscaninis als Dirigent bedeutete, schenkte er dem Werk ein paar Jahre später keine
Beachtung mehr. Das Wexford Festival Opera will nun Catalanis vierte
Oper, die zuletzt 1989 in Lucca zu erleben war, wieder mehr ins Bewusstsein
rücken und eröffnet damit die mit einem Jahr Verspätung stattfindenden
Festspiele zum 70-jährigen Jubiläum. Was die Oper allerdings mit dem Motto
Shakespeare in the Heart zu tun hat, erschließt sich nicht auf den ersten
Blick, basiert das Libretto doch auf dem 1876 erschienenen Stück Les
Danicheff von Alexandre Dumas dem Jüngeren und Pierre Corvin.
Edmea (Anne Sophie Duprels) und Oberto (Luciano
Ganci) schwören einander ewige Liebe.
Erzählt wird die Geschichte der jungen Waisen Edmea, die im
Schloss des Grafen von Leitmeritz aufwächst und sich in seinen Sohn Oberto
verliebt. Da Oberto die Gefühle erwidert, der Graf die Verbindung allerdings
nicht für standesgemäß hält, schickt er Oberto auf eine längere Reise und zwingt
Edmea währenddessen in eine Ehe mit dem Diener Ulmo, der ebenfalls unsterblich
in Edmea verliebt ist. Edmea, die Oberto ewige Treue geschworen hat, sieht keinen
anderen Ausweg als den Freitod und springt in die Elbe. Sie wird allerdings von Ulmo gerettet, hat jedoch zunächst den Verstand verloren. Ulmo gibt sich als ihr
Bruder aus und gelangt mit ihr zu einer Schenke, wo sich die beiden einer
Schauspieltruppe anschließen, mit denen sie zum Schloss des Baron von Waldek
gelangen. Dort trifft sie erneut auf Oberto, den sie zunächst aber nicht
erkennt. Oberto beschließt, sie wieder auf das Schloss des Grafen
zurückzubringen. Allmählich kehren dort ihre Erinnerungen zurück. Doch nachdem
sie sich erneut mit Oberto ewige Liebe geschworen hat, erinnert sie sich auch
wieder
an die erzwungene Ehe mit Ulmo. Oberto will Ulmo daraufhin töten, doch dieser
ist bereit,
freiwillig aus dem Leben zu scheiden, da er schmerzhaft erkennen muss, dass Edmea
ihn niemals lieben wird. Der Graf hat mittlerweile ein schlechtes Gewissen und
verkündet, dass er die Ehe zwischen Edmea und Ulmo hat annullieren lassen. Doch
da ist es bereits zu spät. Mit einem Kuss Edmeas auf die Stirn stirbt Ulmo in
der Illusion, dass die junge Frau doch Gefühle für ihn gehegt habe.
Edmea (Anne Sophie Duprels, oben) zwischen den
beiden Welten (unten: Frauenchor)
Der vorübergehende Wahnsinn der Titelfigur mag ein Hauptgrund
gewesen sein, dieses Werk für das diesjährige Festival-Motto auszuwählen, da
Edmea in gewisser Weise mit Shakespeares Ophelia vergleichbar ist. Beide suchen
mit einem Gang ins Wasser den Freitod und verfallen dem Wahnsinn, Edmea
allerdings erst, nachdem sie von Ulmo aus den Fluten der Elbe gerettet worden
ist. Das Regie-Team um Julia Burbach verortet die Geschichte in Edmeas
Unterbewusstsein. Das Element Wasser kommt in der Inszenierung zunächst in Form von
lautstark prasselndem Regen während der Ouvertüre vor, der den Genuss von Catalanis emotionsgeladener
Musik ein wenig stört. Cécile
Trémolières hat einen eindrucksvollen Bühnenraum auf zwei Ebenen geschaffen,
wobei der untere Raum spiegelverkehrt zum oberen Raum ist, also
auf dem Kopf steht. Die obere Ebene zeigt einen großen Raum im Schloss des
Grafen mit einem kleinen Nebenraum und einem riesigen Fenster im Hintergrund,
das in einen blühenden Garten hinausführt und gleichzeitig die Verbindung zum spiegelverkehrten Raum darstellt. Ein großes Gemälde erinnert an Obertos bereits
verstorbene Mutter, zu der Edmea ein sehr inniges Verhältnis gehabt hat. Edmea
ist zunächst allein in dem oberen Raum und schaut verträumt in den Garten
hinaus, während die Dienerinnen, die zu Beginn der Oper das Geschehen
kommentieren in der spiegelverkehrten Welt in grünen Kostümen wie surreale
Wasserwesen aus einer anderen Welt wirken. Ob man einen Kontakt zwischen den
beiden Ebenen durch ein Telefon herstellen muss, das auf dem Tisch steht, ist
Geschmacksache.
Der Conte di Leitmeritz (Ivan Shcherbatykh,
Mitte) zwingt Edmea (Anne Sophie Duprels) Ulmo (Leon Kim, links) zu heiraten.
Während sich Edmea und Oberto vor seiner Abreise ewige Liebe schwören,
beobachtet Ulmo die ganze Zeit die Liebesszene vom benachbarten
Raum aus. Man sieht, wie er leidet, weil er selbst ebenfalls unsterblich in
Edmea verliebt ist. Wenn Edmea in die Elbe springt, verlässt sie den Raum durch
das Fenster, um kurz darauf in der spiegelverkehrten Welt mit neuem Kostüm und
neuer Frisur, die den Dienerinnen angepasst ist, wieder aufzutauchen. Nun scheint
sie eins mit den Wasserwesen der anderen Welt geworden zu sein. Für den zweiten
Akt wird das Bühnenbild nach hinten gefahren. Die Schenke, in der die
Schauspieltruppe verweilt, und das Schloss des Barons, in dem die Truppe
anschließend auftreten will, werden durch wenige Elemente mit mehreren
Fadenvorhängen angedeutet, was den Bühnencharakter der Szene unterstreicht. Edmea wirkt in ihrem gelben Kleid zwischen den ansonsten recht farblos
gehaltenen Kostümen wie eine Art Fremdkörper. Im dritten Akt sieht man dann
zunächst nur die "verkehrte" Welt. Ein riesiger Blumenberg fungiert als eine Art
Treppe zum Fenster, über das Edmea am Ende, wenn sie ihren Verstand zurückgewonnen hat,
wieder in die Realität zurückkehrt. Während die übrigen Figuren noch alle wie
auf einer Art Kostümball gekleidet sind, stirbt Ulmo in dieser verkehrten Welt
einen bewegenden Tod. Den im Libretto vorgesehenen Kuss am Ende der Oper
verweigert ihm Edmea allerdings. Stattdessen verlässt sie den Raum und taucht
wieder in der "Oberwelt" auf, nun wieder in dem Kleid und mit der Frisur vom
Anfang.
Ulmo (Leon Kim, Mitte) wählt für Edmea (Anne
Sophie Duprels) und Oberto (Luciano Ganci) den Freitod.
Musikalisch hat die Oper einiges zu bieten und ist in Wexford
gut besetzt. Da ist zunächst Anne Sophie Duprels in der Titelpartie zu nennen.
Mit leuchtendem Sopran und variabler Stimmführung lotet sie die
unterschiedlichen Gemütszustände Edmeas bewegend aus und überzeugt auch
darstellerisch. Mädchenhaft unschuldig wirkt sie in ihrer ersten Arie, wenn sie
das Unglück, das ihr bevorsteht, noch nicht erahnt und verfällt anschließend mit großer
Dramatik dem Wahnsinn, wenn sie zur Ehe mit Ulmo gezwungen wird. Im
zweiten Akt wirkt Duprels nahezu geistig entrückt, bis sie erneut in Oberto
ihren Geliebten wiedererkennt. Mit großer Bandbreite gestaltet sie dann die
Szene im dritten Akt, in der sie allmählich ihren Verstand zurückgewinnt.
Luciano Ganci verfügt als Oberto über einen höhensicheren Tenor mit großen
Kraftreserven. Die beiden Duette mit Duprels im ersten Akt, wenn Edmea und
Oberto voneinander Abschied nehmen, und im dritten Akt, wenn die beiden wieder
zueinander finden, werden in der Interpretation von Ganci und Duprels zu
weiteren musikalischen Höhepunkten des Abends. Leon Kim ist als Ulmo alles
andere als der Bariton-Bösewicht. Man hat großes Mitleid mit ihm, weil seine
Gefühle nicht erwidert werden, obwohl er alles für Edmea tut, letztendlich sogar
für sie in den Tod geht. Seine große Abgangsarie präsentiert er emotional
gebrochen mit flexibler Stimmführung. Ivan Shcherbatykh, John Molloy, Conor
Prendiville und Conall O'Neill gefallen in den kleineren Partien genauso wie der
von Andrew Synnott einstudierte Chor des Wexford Festival Opera. Francesco
Cilluffo führt das Orchester des Wexford Festival Opera mit sicherer Hand durch
die emotionsgeladene Partitur, so dass es am Ende großen Beifall für alle
Beteiligten gibt.
FAZIT
Ob die Oper nun wirklich zum Shakepeare-Motto dieses Festivals passt, ist
sicherlich diskutabel. Ein gelungener Auftakt für das diesjährige Festival ist
die Produktion aber auf jeden Fall.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Francesco CilluffoInszenierung
Julia Burbach Bühne und Kostüme
Cécile Trémolières Licht
D. M. Wood Chorleitung
Andrew Synnott Orchester des Wexford Festival Opera Chor
des Wexford Festival Opera Solisten
Edmea
Anne Sophie Duprels
Oberto
Luciano Ganci
Ulmo
Leon Kim
Il Conte di Leitmeritz
Ivan Shcherbatykh
Il Barone di Waldek
John Molloy Fritz,
giullare
Conor Prendiville L'oste
Conall O'Neill
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