Abstruse Geschichte in einer vergessenen Oper
Von Thomas Molke
Karl Goldmark verbindet man heutzutage hauptsächlich mit
seiner ersten Oper Die Königin von Saba, die 1875 an der Wiener Hofoper
ihre Uraufführung erlebte und zu den erfolgreichsten Werken des späten 19. Jahrhunderts
avancierte. Mit seinen insgesamt fünf weiteren Opern konnte er an diesen
Ruhm nicht anknüpfen. So ist auch das am 2. Januar 1908 an der Wiener Hofoper
uraufgeführte Werk
Ein Wintermärchen, das auf Shakespeares etwas sperrigem Stück The
Winter's Tale basiert, in Vergessenheit geraten. Als Rosetta Cucchi das
Wexford Festival Opera 2020 unter dem Motto "Shakespeare in the Heart"
plante, sollte das Festival eigentlich mit dieser Oper eröffnet werden,
vielleicht weil sie von den drei geplanten großen Opernproduktionen als einzige
eine Vertonung eines Shakespeare-Stückes darstellt. Da die 2021 nachgeholten
Festspiele in Wexford immer noch aufgrund der Corona-Pandemie gewissen
Einschränkungen unterworfen waren, war eine szenische Umsetzung dieser Produktion
ein Jahr später nicht möglich, weshalb man sich entschied, die Oper nur konzertant zu
präsentieren und sie deshalb nicht als Eröffnungspremiere auswählte. Ob das
Stück in einer szenischen Umsetzung eine gelungene Wahl gewesen wäre, kann man
sicherlich nicht beantworten. Die konzertante Aufführung lässt jedoch
nachvollziehen, wieso der Oper kein andauernder Erfolg beschieden war.
Shakespeares The Winter's Tale gehört in der
Forschung nicht zu den größten Errungenschaften des englischen Dichterfürsten.
Die Handlung ist zu abstrus und selbst mit großer Fantasie nicht
nachvollziehbar. Leontes, der König von Sizilien, bittet seine Gattin Hermione,
den gemeinsamen Freund Polixenes, den König von Böhmen, zu überreden, noch
länger in Sizilien zu verweilen. Als Polixenes einwilligt, obwohl er schon viel
zu lange seinem Königreich ferngeblieben ist, wird Leontes plötzlich misstrauisch
und verdächtigt seine Frau, mit Polixenes nicht nur ein Verhältnis zu haben,
sondern auch noch in dieser Zeit eine Tochter gezeugt zu haben. Von seinem Diener
Camillo verlangt Leontes, den König von Böhmen zu vergiften. Doch Camillo flieht
mit Polixenes nach Böhmen. Daraufhin befiehlt Leontes Antigonus, das neugeborene
Kind an der Küste auszusetzen. Hermione bricht aufgrund der Verdächtigungen und
des Verlustes ihrer Tochter zusammen und wird für tot gehalten. Der gemeinsame
Sohn Mamillius stirbt. Durch diese Ereignisse und die Befragung eines Orakels erkennt Leontes seinen Fehler und verfällt in endlose Trauer. Dann macht die Geschichte
einen Zeitsprung von 16 Jahren. Leontes' verbannte Tochter Perdita ist in Böhmen
von dem Hirten Valentin aufgezogen worden und hat sich in Polixenes' Sohn
Florizel verliebt. Da Polixenes die Verbindung seines Sohnes nicht für
standesgemäß hält, rät Camillo den beiden, nach Sizilien zu Leontes zu fliehen,
da Camillo selbst auch gerne in seine Heimat zurückkehren möchte. In Sizilien
stellt sich schließlich heraus, dass Perdita Leontes' verschollene Tochter ist.
Polixenes stimmt also einer Heirat zwischen Perdita und Florizel zu. Um die
Freude perfekt zu machen, erwacht dann auch noch die Statue Hermiones zum Leben,
und so sind auch der sizilianische König und seine Frau wieder vereint.
Goldmark findet für die verschiedenen Handlungsorte der Oper
eine recht unterschiedliche Tonsprache, die die Atmosphäre des jeweiligen Aktes
gut einfängt. Die Ouvertüre wirkt sehr idyllisch, weil hier noch die Welt
in Sizilien in Ordnung ist. Leontes genießt die gemeinsame Zeit mit seinem
Jugendfreund Polixenes und wünscht sich, dass er noch bei ihm bleibt. Während
Polixenes bei Shakespeare nur neun Monate bei Leontes gewesen ist, sind es bei
Goldmarks Librettisten Alfred Maria Willner zwölf Monate. Vielleicht soll damit
Leontes' Vermutung, dass sich in dieser Zeit eine Affäre zwischen Hermione und Polixenes angebahnt habe, der dann auch noch ein Kind entsprungen
sei,
glaubhafter gemacht werden. Musikalisch unruhig malt Goldmark dann Leontes' wachsende
Zweifel aus. Burkhard Fritz, den man vor allem als Wagner-Tenor kennt, setzt
diesen Wandel vom glücklichen zum misstrauischen und von Eifersucht zerfressenen
König mit kräftigem Tenor und sauber angesetzten Spitzentönen um. Er versucht
nicht, irgendetwas zu beschönigen oder zu verharmlosen, sondern
zeichnet Leontes recht grausam und ohne jeden Verstand. Sophie Gordeladze
bildet stimmlich als Hermione einen großartigen Kontrast. Mit weichen Bögen und
zarten Spitzentönen unterstreicht sie den Charme und die Milde der Königin.
Besonders bewegend gelingt ihr Wiegenlied, das abrupt vom Raub der Tochter
unterbrochen wird. Mit welcher Kälte sich Leontes nun als Urheber dieser
Entführung zu erkennen gibt, ist so herzlos, dass man gut nachvollziehen kann,
dass der gemeinsame Sohn stirbt und auch Hermione unter diesen Bedingungen nicht
weiterleben möchte. Niamh O'Sullivan, die Hermiones Freundin Paulina mit
kraftvollem Mezzo gestaltet, lässt im Minenspiel allerdings bereits vermuten,
dass Hermione nicht wirklich tot ist.
Nach dem dramatischen Ende des ersten Aktes, der die ersten
drei Akte von Shakespeares fünfaktigem Stück umfasst, ändert sich Goldmarks Musikstil
völlig. Fiona Finsbury verkündet als Zeit mit ruhigem Sprechgesang, dass
mittlerweile ein Zeitraum von 16 Jahren ins Land gegangen sei und man sich nun
in Böhmen befinde. Für Böhmen findet Goldmark eine ganz andere Musiksprache,
die schon fast einen operettenhaften Ton anschlägt. Die ländliche Idylle ist vom
Tanz der Schäfer geprägt, und auch das Lied das Sheldon Baxter als Perditas
vermeintlicher Vater Valentin anstimmt, wirkt beinahe wie ein Couplet aus einer
Operette. Die Partie des Florizel ist ähnlich anspruchsvoll wie die des Leontes.
Daniel Szeili gelingt die Mittellage recht kraftvoll. In den Höhen muss er
allerdings stark forcieren. Da klingt nicht alles sauber. Strahlenden
Glanz hingegen versprüht der Sopran von Ava Dodd als Perdita. In den
glockenklaren Höhen wird die musikalische Nähe zu Hermione hörbar, und Dodd, die
in diesem Jahr auch noch Teilnehmerin der Wexford Factory ist, zeigt, dass sie
Gordeladze hier in jeder Beziehung ebenbürtig ist. Simon Thorpe gestaltet die
Partie des Polixenes mit kraftvollem und autoritärem Bariton. Während er im
ersten Akt noch der Sympathieträger im Vergleich zu Leontes war, wirkt er nun
ähnlich unsympathisch, da er das Glück seines Sohnes mit der vermeintlichen
Schäferin torpedieren will. Doch Rory Musgrave, der die Partie des Camillo mit
solidem Bass gestaltet, weiß Rat und schickt die Kinder nach Sizilien.
Für den dritten Akt wählt Goldmark nun zunächst wieder die
dunkle Musiksprache, mit der der erste Akt geendet hat. Die Jahre sind zwar ins
Land gegangen, aber Leontes hat es nicht geschafft, mit seiner Schuld fertig zu
werden. Erst als sich die Probleme allmählich lösen, Perdita als Tochter des
Königs erkannt wird und der Hochzeit nichts mehr im Wege steht, wird es auch
musikalisch heller. Fritz vollzieht hier auch stimmlich eine glaubhafte
Entwicklung zum geläuterten König. Ein Höhepunkt ist dann der Instrumentalteil
im dritten Akt, in dem Hermione zunächst als Statue auftritt und dann zum Leben
erwacht. Hier hat Goldmark wirklich noch einmal unter Beweis gestellt, welche
Ausdruckskraft er in seine Komposition stecken kann. Man spürt in den
emotionalen Ausbrüchen der Musik regelrecht die "Menschwerdung" Hermiones. Dies
wird auch von Marcus Bosch mit dem Orchester des Wexford Festival Orchestra
großartig herausgearbeitet. Die Versöhnung erfolgt dann im Vergleich zum Rest
der Oper relativ schnell. Nachdem man sich also zunächst durch einige Längen im
Stück gequält hat, ist man am Ende fast traurig, dass es nun vorbei ist. Das
Orchester, der Chor und die Solist*innen werden mit großem Beifall bedacht.
FAZIT
Ein richtig großer Wurf ist Karl Goldmarks Ein Wintermärchen sicherlich
nicht. Da hätte gewiss auch keine szenische Umsetzung etwas retten können.
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Wexford Festival Opera 2021
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Marcus BoschLicht
D. M. Wood Chorleitung
Errol Girdlestone Orchester des Wexford Festival Opera Chor
des Wexford Festival Opera Solisten
*Premierenbesetzung
Leontes
Burkhard Fritz
Hermione
Sophie Gordeladze
Perdita
Ava Dodd
Polixenes
Simon Thorpe Florizel
Daniel Szeili Camillo
Rory Musgrave Antigonus
Jevan McAuley Paulina
Niamh O'Sullivan Mamillius
*Conor Gahan /
Adian Morissey Cleomenes
Ben Knight Dion
Vladimir Sima Valentin
Sheldon Baxter Hausierer
Peter Lidbetter Die Zeit, Mädchen
Fiona Finsbury
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