Elizabeth I. als Muse des Dichters
Von Thomas Molke
/ Fotos: © Clive Barda
Zu der Reihe der bekannteren Shakespeare-Vertonungen zählt
mit Sicherheit auch Hamlet von Ambroise Thomas. Doch die
1868 uraufgeführte Oper ist nicht das einzige Werk, in dem sich Thomas mit dem
großen Dichterfürsten beschäftigt hat. Bereits 18 Jahre vorher widmete er sich
mit einer Opéra-comique dem Schwan von Stratford-upon-Avon, deren Titel eine
Vertonung der wohl berühmtesten Komödien vermuten lässt: Le songe d'une nuit
d'été. Dabei handelt es sich aber um eine fiktive Geschichte aus dem Leben
des Dichterfürsten, die ihn erst zum Schreiben des Midsummernight's Dream
veranlasst haben soll. Das am 20. April 1850 im Théâtre de l'Opéra-Comique in
Paris uraufgeführte Werk wurde nicht nur von Hector Berlioz in höchsten Tönen
gelobt. Auch die Musical Times bezeichnete die Oper noch Ende des 19.
Jahrhunderts als "a little masterpiece". Daher verwundert es ein wenig, dass das
Stück heute völlig in Vergessenheit geraten ist, zumal mit Filmen wie dem 1998
entstandenen Shakespeare in Love durchaus das Interesse an den
sogenannten "dunklen Jahren" im Leben des Dichterfürsten geschürt worden ist. Da
"Shakespeare in the Heart" das diesjährige Festival-Motto in Wexford ist, passt
dieses Stück natürlich wunderbar in dieses Konzept.
Ausgelassene Feier in der Taverne: von links:
Lord Latimer (Vassily Solodkyy), Jeremy (Rory Dunne), Nelly (Kathleen Norchi),
Shakespeare (Sébastien Guèze) und Falstaff (Tommaso Barea)
Die Geschichte spielt zu einer Zeit, als Shakespeare der Erfolg
seiner großen Dramen ein wenig zu Kopf gestiegen ist. Er genießt es, von aller
Welt gefeiert zu werden und gibt sich irdischen Ausschweifungen hin. In einer
Taverne in Richmond bereitet sein Freund Falstaff die Ankunft des großen
Dichters vor und verspricht Feierlichkeiten mit viel Wein und gutem Essen. Die
Königin Elizabeth I. hat sich maskiert mit ihrer Hofdame Olivia ebenfalls in die
Taverne begeben, um den Dichter wieder auf den rechten Weg zu bringen und in
ihm die Inspiration für neue Werke zu wecken. Doch Shakespeare erscheint bereits
so betrunken, dass er gar nicht mehr aufnahmefähig ist. Daher beschließt die
Königin, ihn von Falstaff in den Park des Palastes bringen zu lassen. Dort will
sie ihm als Fee erscheinen. Zunächst geht der Zauber auch auf. Doch dann wird
Shakespeare zudringlich. Als die Königin in letzter Sekunde den Platz mit ihrer
Hofdame tauscht, taucht Olivias Geliebter Lord Latimer auf, der sie
sofort der Untreue bezichtigt und den Rivalen zum Duell herausfordert, in dem er
Shakespeare jedoch unterliegt. Da Shakespeare fürchtet, seinen Gegner getötet zu
haben, will er sich aus Verzweiflung in der Themse das Leben nehmen. Doch er
wird von einigen Fischern gerettet und bewusstlos zur Königin gebracht. Diese
versichert ihm nun, dass alles nur ein Traum gewesen sei, der seiner
Dichterseele neue Nahrung für weitere große Werke geben sollte. Als auch der tot
geglaubte Lord Latimer wieder erscheint und sich mit Olivia versöhnt, lässt sich
Shakespeare überzeugen und fühlt sich nun der Arbeit an neuen Stücken gewachsen.
Begegnung der magischen Art im königlichen
Palast: Shakespeare (Sébastien Guèze) und die Königin (Hasmik Torosyan)
Die Produktion wird als "semi-stage" angekündigt, wobei man
diese Bescheidenheit nicht ganz nachvollziehen kann. Was Stefania Panighini, die
die Produktion eigentlich nur als Assistentin betreuen sollte, sie allerdings
aufgrund der
Erkrankung des ursprünglich vorgesehenen Regisseurs Walter Le Moli
komplett übernommen hat, auf die Bühne bringt, hat nichts, was als lediglich "halbszenisch"
bezeichnet werden kann. Gespielt wird in einem kompletten Bühnenbild mit Kostümen. Der
Chor nimmt zwar im Parkett auf den Seiten Platz, was aber durchaus als Teil
einer durchdachten Inszenierung verstanden werden kann. Bevor die Oper beginnt,
treten die Choristen nämlich mit lautem Tamtam in feiner Abendgarderobe im Saal auf und
nehmen ihre Plätze gewissermaßen als Zuschauer im Parkett ein, die Herren auf
der rechten und die Damen auf der linken Seite. Dabei wird auch noch heftig mit
der gegenüberliegenden Seite geflirtet. Diese Entscheidung mag getroffen worden
sein, als man aufgrund der geltenden Corona-Regeln noch nicht sicher war, ob und
wie man den Chor auf der Bühne platzieren konnte. Szenisch geht dieses Konzept
auf. Nur musikalisch stellt die
Positionierung zumindest für die Besucher*innen, die am Rand im Parkett sitzen,
eine gewisse Einschränkung dar, weil die Stimmen sich nicht so gut mischen und
zumindest in der besuchten Premiere noch nicht immer genau zusammenkommen. Da
überdecken die Männerstimmen auf der rechten Seite ein wenig die Frauen und die Solist*innen auf der Bühne. Aber über diese
kleine Einschränkung lässt sich bei der Spielfreude der Solist*innen und dem
Glanz der Musik leicht hinwegsehen.
Nächtliches Duell im königlichen Park. von links:
Shakespeare (Sébastien Guèze), Falstaff (Tommaso Barea), Jeremy (Rory Dunne) und
Lord Latimer (Vassily Solodkyy)
Die Bühne wird von drei riesigen abstrakten Leinwänden
beschränkt, die für das Wirtshaus im ersten Akt einen passenden Hintergrund
bilden. Die Taverne ist mit zahlreichen Bänken und Tischen recht liebevoll und
zeitgemäß ausgestattet. Zur Ouvertüre, die mit dem leichten Flirren der
Streicher Assoziationen an die Feen im Sommernachtstraum weckt, treten
die Solist*innen auf, um in ihre Rollen zu schlüpfen. Shakespeare und Latimer
trainieren bereits ohne Waffen das im dritten Akt stattfindende Duell, und
Falstaff kommt so spät, dass die anderen bereits in Sorge sind, dass die
Vorstellung nicht mehr rechtzeitig beginnen könne. Dann ziehen sich alle mit
ihren Kostümen zurück, und die Geschichte beginnt. Im zweiten Akt sind die
Tische und Bänke verschwunden. Ein letzter Krug muss noch von der Bühne entfernt
werden, während eine große grüne Wiese auf der Bühne ausgerollt wird. Im
Hintergrund sind mehrere schwarze Ständer mit kleinen Lichtern aufgestellt, die
in der Szene, in der sich die Königin als Fee ausgibt, magisch zu leuchten
beginnen. Im dritten Akt wird diese Wiese dann von einem roten Tuch bedeckt, und
ein riesiger Thron wird aus dem Schnürboden herabgefahren, in dem Elizabeth
zunächst etwas verloren wirkt, den sie dann aber sehr majestätisch ausfüllt.
Falstaff (Tommaso Barea) bei der Königin (Hasmik
Torosyan, links) und ihrer Hofdame Olivia (Valentina Mastrangelo)
Musikalisch ist es wirklich schade, dass dieses Werk heute
nahezu vergessen ist, da es zahlreiche Glanzpunkte enthält. Da sind zunächst die
äußerst komischen Szenen mit Falstaff zu nennen. Tommaso Barea verzichtet
optisch als Falstaff zwar auf den dicken Bauch, füllt die Rolle jedoch mit
großartigem Spielwitz und kräftigem Bariton aus. Wenn er zu Beginn der Oper den
Wirt anweist, alles für die Ankunft des großen Dichters Shakespeare
vorzubereiten, wirkt er absolut pompös und autoritär. Seine Selbstverliebtheit
unterstreicht auch das heftige Flirten mit der Wirtin Nelly und den beiden
maskierten Damen, die er zunächst für die Wirtstöchter hält. Das folgende
Terzett mit Hasmik Torosyan als Elizabeth I. und Valentina Mastrangelo als
Olivia, in dem die beiden Frauen ihren Spaß mit Falstaff treiben, ist ein
Glanzpunkt der Inszenierung. Torosyan begeistert als Königin mit strahlenden
Koloraturen und flexibler Stimmführung. Großartig spielt sie ihren inneren Kampf
zwischen Begeisterung für den Dichter und Wahrung der inneren Würde aus. Auch
ihre große Szene im dritten Akt, wenn sie zunächst wie ein kleines ängstliches
Mädchen in den Thron kriecht und anschließend majestätisch von ihm Besitz
ergreift, wird von Torosyan großartig umgesetzt. Mastrangelo punktet als Olivia mit
sauberem Sopran und spielt die ständige Sorge um ihren eifersüchtigen Geliebten
Lord Latimer großartig aus.
Vassily Solodkyy stattet die Partie des Lord Latimer mit
höhensicherem Tenor aus und überzeugt auch darstellerisch als leidender
Liebhaber. Sébastian Guèze gibt den Dichterfürsten Shakespeare optisch als regelrechten
Draufgänger und punktet mit einem kräftigen Tenor. Ein weiterer musikalischer
Höhepunkt ist sein Duett mit der Königin im zweiten Akt, wenn er sie zunächst
für eine Fee hält, nach der Auseinandersetzung mit Latimer aber erkennt, dass
es sich dabei wohl um die Königin gehandelt hat, was ein weiterer Grund dafür
ist, sich in seiner Verzweiflung in die Themse zu stürzen. Rory Dunne und
Kathleen Norchi, beides Teilnehmer der Wexford Factory, überzeugen in den
kleineren Rollen des Jeremy und der Nelly, wobei bei Dunne Erinnerungen an seine
Darstellung des Falstaff in den Falstaff Chronicles aus der gestreamten
Produktion der Factory aus dem letzten Jahr wach werden.
Guillaume Tourniaire führt das Orchester des Wexford Festival Opera mit sicherer
Hand durch die romantisch klingende Partitur, so dass es für alle Beteiligten
verdienten Applaus gibt.
FAZIT
Nach La cour de Célimène 2011 und Le songe d'une nuit d'été in
diesem Jahr hat man das Bedürfnis, mehr Opern von Ambroise Thomas dem Vergessen
zu entreißen.
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Wexford Festival Opera 2021
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Guillaume TourniaireInszenierung Stefania Panighini Licht
D. M. Wood Chor
Andrew Synnott Orchester des Wexford Festival Opera Chor
des Wexford Festival Opera Solisten
Elizabeth I.
Hasmik Torosyan
Olivia
Valentina Mastrangelo
Shakespeare
Sébastien Guèze
Falstaff
Tommaso Barea Lord Latimer
Vassily Solodkyy Jeremy
Rory Dunne Nelly
Kathleen Norchi
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