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Die Milde einer KöniginVon Thomas Molke / Fotos: © Patrick Pfeiffer für Rossini in Wildbad Rossinis 15. Oper Elisabetta regina d'Inghilterra markiert einen weiteren Meilenstein in der Karriere des Schwans von Pesaro. Hatte er innerhalb von nur fünf Jahren mit den Opernstädten Venedig, Bologna, Ferrara und Mailand den Norden Italiens erobert, wandte er sich in den folgenden Jahren auch dem Süden zu. Elisabetta ist die erste von insgesamt neun ernsten Opern, die er für Neapel komponierte, und die Uraufführung am 4. Oktober 1815 im Teatro San Carlo wurde ein so großer Erfolg, dass sich das Werk fast 20 Jahre lang im dortigen Repertoire hielt. Dass die Oper heute fast ausschließlich bei Rossini Festspielen zu erleben ist - so steht sie in diesem Sommer auch in Pesaro auf dem Spielplan (siehe auch unsere Rezension) -, mag mehrere Gründe haben. Zum einen dürfte die Besetzung gerade kleinere Opernhäuser vor schier unlösbare Aufgaben stellen. Neben der sehr anspruchsvollen Titelpartie, die Rossini seiner späteren Gattin Isabella Colbran in die Kehle komponiert hatte - so nannte er die Oper in einem Brief an seine Eltern auch "Elisabella" -, erfordert sie zwei erste Tenöre. Außerdem war sie inhaltlich als Huldigungsoper an den von den Habsburgern unterstützten Bourbonenkönig Ferdinand gedacht, der als Ferdinand I. die beiden Königreiche Sizilien und Neapel vereinte, nachdem der Napoleon treue Joachim Murat im Mai 1815 von den österreichischen Truppen geschlagen worden war. Da zahlreiche politische Gegner nicht nur begnadigt wurden, sondern auch ihre öffentlichen Ämter behalten durften - so auch der damalige Impresario am San Carlo, Domenico Barbaja -, schien eine Oper um die Milde einer Königin, die ihren Feinden gegenüber Gnade walten lässt, als geeignetes Sujet für die damalige Situation in Neapel, was einen aktuellen Blick für eine heutige Inszenierung wahrscheinlich erschwert. Hinzu kommt außerdem, dass Rossini einen Großteil der Musik nicht nur aus seinen früheren Opern übernommen hat, sondern die Ouvertüre, die er bereits für Aureliano in Palmira zwei Jahre zuvor komponiert hatte, auch seiner wohl berühmtesten Oper Il barbiere di Siviglia voranstellte. Wenn dann in Elisabettas Kavatine im ersten Akt Rosinas Arie "Una voce poco fa" anklingt, dürfte ein heutiges Opernpublikum sich vielleicht vollends im falschen Stück wähnen. Elisabetta (Serena Farnocchia) zwischen Herrschaft und Liebe (im Hintergrund: Matilde (Veronica Marini) Auch wenn ein Großteil der Figuren der Oper historisch ist, ist die Handlung frei erfunden und basiert größtenteils auf dem italienischen Theaterstück Il paglio di Leicester von Carlo Federici. Königin Elisabeth I. (Elisabetta) ist in ihren jungen Heerführer Leicester verliebt, der zu Beginn der Oper siegreich aus Schottland zurückkehrt und die Anhänger ihrer Feindin Maria Stuart besiegt hat. Allerdings weiß sie nicht, dass er heimlich Marias Tochter Matilde geheiratet hat, die ihm gemeinsam mit ihrem Bruder Enrico in Männerkleidung mit den schottischen Gefangenen gefolgt ist. Leicester fürchtet, dass die Königin Matilde gegenüber keine Gnade walten lassen wird, und überlegt, wie er Matilde retten kann. So vertraut er sich seinem falschen Freund Norfolc, einem Lord des Königreichs, an, der damit ein geeignetes Mittel hat, den Rivalen bei der Königin in Misskredit zu bringen. Norfolc berichtet Elisabetta sofort von Leicesters heimlicher Heirat. Elisabetta lässt Leicester, Matilde und Enrico in den Kerker werfen und ordnet ihre Hinrichtung an. Das Volk ist bestürzt. Da auch Norfolc von der Königin abgewiesen wird, plant er die Befreiung Leicesters und den Sturz der Königin. Leicester ist zwar gerührt von dem vermeintlichen erneuten Freundschaftsbeweis, will sich aber trotz allem nicht gegen Elisabetta stellen. Als die Königin in seiner Zelle erscheint, um ihm einen heimlichen Fluchtweg aus dem Gefängnis zu weisen, erfährt er von Norfolcs Intrige. Norfolc sieht seine einzige Rettung in einem Anschlag auf die Königin, der von Matilde und ihrem Bruder vereitelt wird. So verurteilt Elisabetta Norfolc zum Tode, begnadigt Leicester, Matilde und Enrico, verzichtet auf den Geliebten und will sich fortan nur noch der Herrschaft widmen. Leicester (Patrick Kabongo) im Kerker (im Hintergrund rechts: Norfolc (Mert Süngü) Die Produktion von Festspiel-Intendant Jochen Schönleber feierte bereits eine Woche zuvor im Juliusz-Słowacki-Theater in Krakau im Rahmen des dortigen Royal Opera Festival Premiere. Um die Inszenierung einerseits für die große Vollbühne in Krakau und andererseits für die neue Bretterbühne in der Offenen Halle Marienruhe praktikabel zu machen, hat sich Schönleber entschieden, größtenteils mit Videoprojektionen zu arbeiten und als Bühnenbild lediglich ein schwarzes Rednerpult, das im ersten Akt auf der rechten und im zweiten Akt auf der linken Seite steht, und einzelne Stühle einzusetzen, die mal den Thron Elisabettas andeuten, dann die Gefängniszelle markieren, in der Leicester auf seine Hinrichtung wartet. Ein Server-Absturz zu Beginn der Premiere führt in Bad Wildbad allerdings dazu, dass die Projektionen im ersten Akt größtenteils ausfallen. Während man zu Beginn ein historisches Bild der englischen Königin auf der Rückwand sieht, lässt sich nicht verfolgen, wie sich dieses Bild in eine lebendige Frau verwandelt, die im Programmheft als "die andere Elisabetta" ausgewiesen wird. Am Ende sieht man diese Frau wieder, wie sie sich in die historische Königin zurückverwandelt. Der tiefere Sinn dieses Regie-Einfalls erschließt sich allerdings nicht. Auch wird nicht klar, wieso im zweiten Akt in einer Projektion "der andere Leicester" zunächst in mehreren Wiederholungen in eine Zelle geführt wird und anschließend in Leicesters großer Arie mit einem Kopfschuss hingerichtet wird, zumal am Ende bei der Verhaftung Norfolcs das gleiche Video gezeigt wird. Das Volk (Philharmonischer Chor Krakau) beklagt die Verhaftung Leicesters. Dass der Chor größtenteils aus dem Off singen muss, mag anfänglichen Corona-Bedingungen geschuldet sein. So sieht man die Choristen zwar in Alltagskleidung als Ritter, Damen und Volk im Hintergrund über die Bühne laufen, hört sie aber nur im Finale des 1. Aktes und am Ende auf der Bühne. Hier kann der Philharmonische Chor Krakau unter der Leitung von Marcin Wrobel seine ganze gesangliche Wucht entfalten, während er in den Off-Szenen ein wenig blass bleibt, zumal der prasselnde Regen außerhalb der Halle an diesen Stellen auch noch die Akustik beeinträchtigt. Hier helfen die Videoprojektionen, die ab dem zweiten Akt funktionieren, da der Chor dabei zumindest eingeblendet wird. Wieso im zweiten Akt jedoch der stumme Frauenchor auftritt, während der Männerchor aus dem Off die Verhaftung Leicesters beklagt, bleibt unklar, kann aber den musikalischen Genuss des Abends nicht stören. Die musikalischen Höhepunkte des Abends gehören den erstklassigen Solistinnen und Solisten. Da ist zunächst Serena Farnocchia in der Titelpartie zu nennen. Mit sehr rundem und reifem Sopran zeichnet sie ein überzeugendes Porträt einer Königin, bei der Herrschaft und Liebe nicht zusammenfinden können. Ihre Auftrittskavatine setzt sie recht dunkel an und bewegt sich mit großer Flexibilität durch die Läufe und Koloraturen. Wenn sie Leicester im ersten Akt mit einem weißen Strumpfband ehrt, das sie von ihrem entblößten Bein löst, macht sie mit glaubhaftem Spiel deutlich, was die Königin für diesen jungen Heerführer empfindet. Folgerichtig bietet sie ihm kurz vor Ende des ersten Aktes auch einen Ring als Krone an. Mit großartigem Spiel gestaltet sie die innere Zerrissenheit der Königin und darf dabei auch in den Höhen durchaus mal etwas scharf und schneidend klingen, um die Wut der Königin zu unterstreichen. Patrick Kabongo gestaltet den jungen Leicester mit weich fließendem Tenor, der in den Höhen große Strahlkraft besitzt. Stimmlich beeindruckend gelingt ihm die große Kerkerszene im zweiten Akt, wenn er sich von tenoraler Höhe in voluminöse Tiefen begibt und das Leiden seiner Gattin Matilde beklagt. Überzeugend gestaltet er auch die Naivität, mit der er zweimal auf den falschen Freund Norfolc hereinfällt. Mert Süngü gestaltet den Bösewicht mit höhensicherem Tenor und diabolischem Spiel. Auch die kleineren Partien sind mit Stipendiat*innen der Akademie BelCanto hochkarätig besetzt. Veronica Marini begeistert als Leicesters heimliche Gattin Matilde mit strahlenden Höhen und intensivem Spiel. Einen Höhepunkt bildet ihre Arie im ersten Akt, wenn ihr eine innere Stimme sagt, dass sie zum Weinen und Leiden geboren sei. Marini macht mit weichen, nahezu fragilen Höhen deutlich, wie Matilde diese Gefühle durchlebt. Großartig gestaltet sie auch die Szene mit Farnocchia, wenn sie die Königin inständig bittet, ihren Bruder und Leicester zu bewahren und nur sie zu bestrafen. Mara Gaudenzi punktet als ihr Bruder Enrico mit sattem Mezzosopran, von dem man an diesem Abend gerne mehr gehört hätte, aber leider hat Rossini die Partie mit keiner eigenen Arie oder großen Szene bedacht. Luis Aguilar rundet als Guglielmo das Ensemble mit dunkel gefärbtem Tenor überzeugend ab. Maestro Antonino Fogliani lässt sich auch von einem Sturz bei den Proben im Orchestergraben nicht abhalten, die Premiere mit bandagierter rechter Hand zu dirigieren, und arbeitet mit dem Philharmonischen Orchester Krakau den "typischen Rossini-Stil" detailliert heraus. So gibt es für alle Beteiligten am Ende großen und verdienten Jubel für eine rundum gelungene Produktion.
FAZIT Jochen Schönleber arbeitet mit dem Ensemble die Meriten dieser wunderbaren Oper Rossinis großartig heraus und unterstreicht, dass auch dieses Werk eigentlich einen Platz im Repertoire verdient hätte.
Weitere Informationen zum
Festival Rossini in
Wildbad 2021 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungAntonino Fogliani Regie und Bühne Kostüme Video Licht Chor
Philharmonisches Orchester Krakau Philharmonischer Chor Krakau
SolistenElisabetta, Königin von England Leicester, General der
Streitkräfte Matilde,
seine heimliche Gattin Enrico, ihr Bruder Norfolc, Lord des Königreichs Guglielmo, Hauptmann der königlichen
Wachen Die andere Elisabetta Der andere Leicester
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