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Die falsche ElisabethVon Thomas Molke / Fotos: © Studio Amati Bacciardi (Rossini Opera Festival) Auch wenn Rossinis 15. Oper Elisabetta regina d'Inghilterra einen Meilenstein in der Karriere des Schwans von Pesaro markiert, da die Uraufführung am 4. Oktober 1815 im Teatro San Carlo in Neapel ein so großer Erfolg wurde, dass er damit nicht nur den Süden Italiens eroberte, sondern sich das Werk fast 20 Jahre lang im dortigen Repertoire hielt und auch in ganz Europa zur Aufführung kam, wird diese erste von insgesamt neun ernsten Opern, die Rossini für Neapel komponierte, auch im Rahmen der Rossini-Renaissance eher stiefmütterlich behandelt. Ein Grund mag sein, dass die Besetzung mit der sehr anspruchsvollen Titelpartie, die Rossini seiner späteren Gattin Isabella Colban in die Kehle komponierte, und zwei ersten Tenören gerade kleinere Opernhäuser an ihre Grenzen bringen könnte. Auch war ein Großteil der Musik nicht originär sondern aus früheren Werken übernommen, so dass der Oper vielleicht der Makel eines Pasticcios anhaftet. Des Weiteren war das Werk ursprünglich als Huldigungsoper an den von den Habsburgern unterstützten Bourbonenkönig Ferdinand gedacht, der als Ferdinand I. die beiden Königreiche Sizilien und Neapel wieder vereinte, nachdem der Napoleon treue Joachim Murat im Mai 1815 von den österreichischen Truppen geschlagen worden war. Die Milde einer Königin zu preisen, die ihren Feinden gegenüber, wie Ferdinand, Gnade walten ließ, mag vielleicht ein heutiges Publikum nicht sonderlich ansprechen. Außerdem könnte die Ouvertüre, die Rossini auch seiner wohl berühmtesten Oper Il barbiere di Siviglia voranstellte, ein weiteres Hindernis darstellen, da ein heutiges Opernpublikum sich damit vielleicht im falschen Stück wähnen könnte. Nachdem man in Pesaro im Rahmen des Rossini-Festivals dieses Werk 2004 relativ spät erstmals zur Aufführung gebracht hat, steht in diesem Jahr nicht nur hier eine Neuproduktion auf dem Spielplan, sondern die Oper war auch einen Monat zuvor beim Belcanto-Festival Rossini in Wildbad zu erleben (siehe auch unsere Rezension). Elisabetta (Karine Deshayes) liebt den siegreichen Heerführer Leicester (Sergey Romaovsky). Ein Großteil der Figuren der Oper ist zwar historisch, die Handlung ist allerdings frei erfunden und basiert größtenteils auf dem italienischen Theaterstück Il paglio di Leicester von Carlo Federici. Königin Elisabeth I. (Elisabetta) ist in ihren jungen Heerführer Leicester verliebt, der zu Beginn der Oper siegreich aus Schottland zurückkehrt und die Anhänger ihrer Feindin Maria Stuart besiegt hat. Allerdings hat er heimlich Marias Tochter Matilde geheiratet, die ihm gemeinsam mit ihrem Bruder Enrico in Männerkleidung mit den schottischen Gefangenen nach England gefolgt ist. Leicester fürchtet, dass die Königin Matilde gegenüber keine Gnade walten lassen wird, und überlegt, wie er Matilde retten kann. So vertraut er sich seinem falschen Freund Norfolc an, der darin ein geeignetes Mittel sieht, den Rivalen bei der Königin in Misskredit zu bringen, und Elisabetta sofort von Leicesters heimlicher Heirat erzählt. Elisabetta lässt aus verletztem Stolz Leicester, Matilde und Enrico in den Kerker werfen und ordnet ihre Hinrichtung an, weist allerdings auch Norfolc ab. Aus Rache plant er den Sturz der Königin und die Befreiung Leicesters. Dieser ist zwar gerührt von dem scheinbaren erneuten Freundschaftsbeweis, will sich aber trotz allem nicht gegen Elisabetta stellen. Als die Königin in seiner Zelle erscheint, um ihm einen heimlichen Fluchtweg aus dem Gefängnis zu weisen, erfährt er von Norfolcs Intrige. Norfolc sieht seine einzige Rettung in einem Anschlag auf die Königin, der jedoch von Matilde und ihrem Bruder vereitelt wird. So verurteilt Elisabetta Norfolc zum Tode und begnadigt Leicester, Matilde und Enrico. Sie beschließt, auf die Liebe zu verzichten und sich fortan nur noch der Herrschaft zu widmen. Norfolc (Barry Banks) buhlt um die Gunst der Königin (Karine Deshayes).
Während Jochen Schönleber in Bad Wildbad bezüglich der Bühnenmöglichkeiten sehr
eingeschränkt ist und einen eher abstrakten und zeitlosen Zugang gewählt hat, schöp
Elisabetta (Karine Deshayes, vorne Mitte) fordert
von Leicester (Sergey Romanovsky), auf Matilde (Salome Jicia, rechts) zu
verzichten.
Musikalisch begegnen sich die beiden Produktionen in Bad Wildbad und Pesaro auf
Augenhöhe. Der von Giovanni Farina einstudierte Coro del Teatro Ventidio Basso
kann natürlich eine ganz andere Wucht entfalten als der Chor in Bad Wildbad, der
größtenteils aus dem Off singen muss. Allerdings verzichtet Livermore darauf,
Teile dieses Chors als Gefangene auftreten zu lassen, die ja im ersten Akt mit
Matilde und Enrico vorgeführt werden. Auch Matilde und Enrico nimmt man in ihrer
schicken Kleidung die Gefangenschaft nicht ab. Sie wirken eigentlich wie ganz
normale Höflinge. Evelino Pidò versucht, mit dem Orchestra Sinfonica Nazionale
della Rai vor allem in der Ouvertüre durch ungewöhnliche Tempi Akzente zu
setzen. Soll damit eine Verfremdung der aus dem Barbiere berühmten Nummer
erzeugt werden? Ansonsten sind beim Orchester keine Abstriche zu machen.
Elisabetta (Karine Deshayes) als einsame Königin
Karine Deshayes wirkt in der Titelpartie bei der Auftrittskavatine der Königin
noch ein wenig unsicher. Da kommen die Koloraturen zwar sauber, aber noch nicht
ganz auf den Punkt. Im weiteren Verlauf zeichnet sie aber ein überzeugendes
Porträt einer Königin, bei der Herrschaft und Liebe nicht zusammenfinden können.
Mit überzeugendem Spiel gestaltet sie die innere Zerrissenheit der Königin und
lässt ihrer Wut und Verzweiflung mit flexiblem Sopran und kräftigen Höhen freien
Lauf. Sergey Romanovsky ist stimmlich und optisch ein strahlender junger
Leicester, dessen kräftiger Tenor in den Höhen große Strahlkraft besitzt.
Hervorzuheben ist die große Kerkerszene im zweiten Akt, wenn er sich von sauber ausgesungenen Höhen in voluminöse Tiefen hinabbegibt und das Leiden seiner
Gattin Matilde beklagt. Ob die Diener während dieser Arie einen imaginären
Leicester im Kerker foltern müssen, während Romanovsky noch singt, ist
allerdings Ansichtssache. Überzeugend gestaltet er auch die Loyalität zu seiner
Königin, ohne jedoch seinen Prinzipien dabei untreu zu werden. Ob der Auftritt
zu Beginn der Oper mit einer projizierten Propellermaschine erforderlich ist,
ist genauso entbehrlich wie sein verherrlichtes Konterfei auf der Rückwand, das
ihn erneut als strahlenden Helden auszeichnen soll. Barry Banks gestaltet den
intriganten Norfolc mit recht metallenem Tenor, der gut zum Charakter passt. In
den extremen Höhen hat er allerdings bisweilen kleine Probleme. Salome Jicia ist
als Matilde eine "sichere Bank". Mit großer Dramatik und sauberen Höhen
gestaltet sie die treu liebende Gattin, die für ihren Leicester alle Gefahren
auf sich nimmt. Marta Pluda und Valentino Buzza runden als Matildes Bruder
Enrico und als Guglielmo das Ensemble überzeugend ab. Der Applaus bei der
besuchten Aufführung fällt nicht ganz so begeistert aus wie bei der zwei Tage
zuvor aufgeführten Produktion Moïse et Pharaon, was aber w
FAZIT
Auch wenn die Inszenierung in Pesaro wesentlich opulenter ist, hat Bad Wildbad
im direkten Vergleich wie bereits beim Guillaume Tell 2013 die Nase vorn.
Weitere Rezensionen zu dem
Rossini Opera Festival 2021 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungEvelino Pidò Regie Bühnenbild Kostüme Licht Video-Design Chorleitung
Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai
Solisten
Elisabetta
Leicester
Matilde
Enrico
Norfolc
Guglielmo
|
- Fine -