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Musikfestspiele
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46. Tage Alter Musik in Herne

10.11.2022 - 13.11.2022

Pia et fortis mulier

Musik zu einem Jesuitendrama in einem Prolog und fünf Akten
Libretto nach der Legendensammlung Flos Sanctorum sive Vitae Sanctorum des Pedro de Ribadeneira von einem unbekannten Autor
Musik von Johann Caspar Kerll

In lateinischer Sprache (gesungene Texte) und deutscher Sprache (gesprochene Texte)

Aufführungsdauer: ca. 1 h 55' (keine Pause)

Konzertante Aufführung im Kulturzentrum in Herne am 11. November 2022

 

 

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Makabre Handlung als Märtyer-Drama

Von Thomas Molke / Fotos: © WDR / Thomas Kost

Johann Caspar Kerll zählt zu den Komponisten des 17. Jahrhunderts, die heute nur noch sehr wenigen bekannt sein dürften. Von seinen Opern, die er in seiner Zeit als Hofkapellmeister an der Residenz des Münchner Kurfürsten ab 1656 neben weiterer Vokal- und Instrumentalmusik schuf, sind lediglich Textdrucke, aber keine Noten erhalten. 1674 begab er sich nach einem nicht näher bekannten Eklat von München aus an den Kaiserhof nach Wien zu Kaiser Leopold, der ihn sofort in das Wiener Theaterleben einband. Der Jesuiten-Orden plante dort anlässlich der Hochzeit Leopolds mit Eleonore Magdalene von Pfalz-Neuburg am 14. Dezember 1676 für die Begrüßung des neuen Kaiserpaars im Februar 1677 eine aufwändige Theateraufführung. Die Wahl fiel auf ein Märtyrer-Drama eines anonym bleibenden Autors unter dem Titel Pia et fortis mulier, das mit Musik untermalt werden sollte. Da Kerll die Partitur Kaiser Leopold widmete, ist eine Abschrift in der Österreichischen Nationalbibliothek erhalten, so dass wenigstens auf diesem Weg ein Werk Kerlls erhalten ist, das nun in einer neuen Aufführungsfassung von Bernd Heyder bei den Tagen der Alten Musik  in Herne zu erleben ist.

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Natalia (Juliane Schubert) und Adrian (David Erler)

Die Handlung des Schauspiels ist gelinde gesagt starker Tobak und lässt sich eigentlich nur mit gewissem makabrem Humor ertragen. Die Geschichte spielt in Nikomedien zur Zeit des römischen Kaisers Maximian (305 - 311), der für sein hartes Vorgehen gegen die Christen bekannt war. Der römische Offizier Adrian ist mit seiner Frau Natalia zum Christentum konvertiert und soll daher nun hingerichtet werden. Wegen seiner treuen Verdienste für den Kaiser wird ihm jedoch das Recht gewährt, vor seiner Hinrichtung noch einmal seine Gattin zu besuchen, um von ihr Abschied zu nehmen. Natalia, die fürchtet, dass Adrian dem christlichen Glauben abgeschworen habe und deshalb freigelassen worden sei, lässt ihn nicht ins Haus. Unterstützt wird dieses Missverständnis noch von Flavius und seinem Handlanger Dorylus. Flavius selbst ist in Natalia verliebt und hofft, sie nach Adrians Tod heiraten zu können. Natalia erkennt ihren Fehler und will nun ihrerseits Adrian im Kerker aufsuchen, was für eine Frau jedoch unmöglich ist. Also verkleidet sie sich als Mann, um zu ihrem Gatten zu gelangen. Nach weiteren Verwicklungen gestehen sich die beiden ihre Liebe, und Adrian erleidet den Märtyrertod. Um nun einer Ehe mit Flavius zu entfliehen, begibt sich Natalia mit den Überresten ihres Mannes auf einem Schiff heimlich nach Byzanz, wo ihr neben zahlreichen Märtyrern auch Adrian erscheint, der ihr einen baldigen Tod und eine Vereinigung im Paradies voraussagt.

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Flavius (Tobias Hunger, rechts) und Dorylus (Wolf Matthias Friedrich, links) planen eine Intrige.

Das komplette Schauspiel ist im Original in lateinischer Sprache gehalten und wurde bei der Uraufführung von Schülern und Studenten des Jesuiten-Ordens geboten. Heyder hat diesen Schauspieltext nun extrem gekürzt und ins Deutsche übertragen lassen. Eingeführt wird eine Erzählerin, die in großen Teilen die Handlung zusammenfasst. Natalia, Adrian, Flavius und Dorylus treten lediglich in kurzen Sprechpassagen auf. Gesungen wird von ihnen nichts. Die Musik rahmt die eigentliche Handlung des Dramas lediglich ein und erzählt dabei eine mehr oder weniger mythologische Geschichte. Nur an zwei Stellen steht die Musik in direktem Bezug zum Drama. Wenn Flavius zu Beginn des zweiten Aktes vor Natalias Haus wartet, lässt er ihr ein Ständchen bringen, in dem er Natalia als wunderschönen Stern bezeichnet, der dem Haus Glanz verleiht. Im fünften Akt steht der Kampf der Winde, die Natalias Flucht über das Meer verhindern wollen, und das Einlenken des Favor caeli (der Gunst des Himmels), der das tosende Meer beruhigt, so dass die Abreise möglich wird, ebenfalls in direktem Bezug zur Handlung. Das Schlaflied am Ende des fünften Aktes ist dann ebenfalls an Natalia gerichtet.

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Roland Wilson (Mitte) mit La Capella Ducale (sitzend links Mitte: Marie Luise Werneburg, stehend rechts Mitte: Hanna Zumsande) und Musica Fiata

Das 1992 von Roland Wilson gegründete Vokalensemble La Capella Ducale übernimmt bei dieser Aufführung sowohl die einzelnen Sprechrollen als auch die solistischen Passagen im musikalischen Begleitteil. Dabei überzeugen die 10 Sängerinnen und Sänger zum einen als Ensemble mit homogenem und vollem Klang, und arbeiten zum anderen auch die solistischen Passagen überzeugend heraus. Besonders hervorzuheben sind die beiden Sopranistinnen Marie Luise Werneburg und Hanna Zumsande, die einen Großteil der ariosen Melodien gestalten. Abwechselnd schlüpfen sie in die Rolle des Apollo, der in unterschiedlichen Gestalten jeweils versucht, erst die Nymphe Daphne, dann die eheliche Aufrichtigkeit in Gestalt der Figur Luna und schließlich die Prudentia (Klugheit) zu besiegen. Werneburg verfügt dabei über leuchtende Höhen, die durch große Klarheit bestechen. Zumsande gestaltet die Partien mit einem vollen Sopran. Besonders gelungen ist auch ihr Wechselspiel im Prolog, wenn Werneburg als Votum mundi (Gebet der Welt) mit dem Hochzeitsgott Hymen (Zumsande) in den Dialog tritt. Der Prolog bezieht sich inhaltlich auf die Situation am kaiserlichen Hof, an dem zunächst noch durch den Tod von Leopolds vorheriger Gattin Trauer herrscht, bevor der Auftritt des Hochzeitsgottes Hymen mit der neuen Ehe dem Herrscherpaar eine rosige Zukunft verkündet.

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Regina Münch führt als Erzählerin durch das Drama.

Doch nicht alles ist hehr und erhaben in der Musik des Dramas, und Kerll beweist, dass er auch durchaus komisches Talent bei der Komposition besitzt. Wenn Apollo im vierten Akt schließlich auf Stultitia (Dummheit) trifft, wird der Tonfall eher einfach, und der lateinische Text geht über in Silben wie "brum, brum", "rum, rum" und schließlich sogar in einen deutschen Text "fahr mit mier spazirn herum, rum, rum". Das wird von Tobias Hunger, der als Stultitia agiert, mit viel Humor umgesetzt. Auch bei den Sprechpassagen besitzen die Solist*innen eine gehörige Prise Humor. Teilweise überzeichnen sie beim Vortrag die einzelnen Texte bewusst, um deutlich zu machen, dass man das Handeln Natalias und Adrians wirklich nicht ganz ernst nehmen kann. Wenn Juliane Schubert als Natalia, die alles daransetzt, zur Märtyrergattin zu werden, David Erler als ihrem Gatten Adrian einen Stock anbietet, weil er sich ein wenig schwach fühlt, um sich zur Hinrichtung zu begeben, darf man das wahrscheinlich auch nur noch mit schwarzem Humor betrachten. Regina Münch bleibt als Erzählerin hingegen sehr sachlich. Das Ensemble Musica Fiata arbeitet unter der Leitung von Roland Wilson die Musik differenziert heraus und rundet den Abend überzeugend ab.

FAZIT

Inhaltlich darf man nicht darüber nachdenken, was man da zu sehen und hören bekommt. Der musikalische Genuss ist für Anhänger*innen des Frühbarock allerdings vorhanden.

 Weitere Rezensionen zu den Tagen Alter Musik in Herne 2022

Ausführende

Musikalische Leitung
Roland Wilson

 

La Capella Ducale

Musica Fiata

 

Solistinnen und Solisten

Natalia
Juliane Schubert

Adrian
David Erler

Flavius
Tobias Hunger

Dorylus
Wolf Matthias Friedrich

Soldat
Stefan Gähler

Priester
Martin Wistinghausen

Erzählerin
Regina Münch

 

 

Weitere
Informationen

erhalten Sie unter
Tage Alter Musik in Herne
(Homepage)



Da capo al Fine

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