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Im Garten der LüsteVon Thomas Molke / Fotos: © Studio Amati Bacciardi (Rossini Opera Festival) Rossinis 1828 uraufgeführte Oper Le Comte Ory ist die erste originär französische Oper des Schwans von Pesaro. Die beiden vorherigen Werke in französischer Sprache, Le siège de Corinthe und Moïse et Pharaon, sind genau genommen nur Überarbeitungen seiner italienischen Opern Maometto II. und Mosè in Egitto. Doch auch beim Comte Ory lässt sich darüber streiten, ob diese komische Oper wirklich als originär bezeichnet werden kann, da ein Großteil der Musik aus der drei Jahre zuvor komponierten Cantata scenica Il viaggio a Reims stammt, einem "Gelegenheitswerk", das er für die Krönungsfeierlichkeiten von Karl X. kreiert hatte, aufgrund des Sujets jedoch nicht für repertoiretauglich erachtete, so dass er es nach bereits vier Aufführungen vom Spielplan nahm. Im Gegensatz zu den anderen beiden Opern hat die Handlung von Le Comte Ory jedoch gar nichts mit der Geschichte in Il viaggio a Reims zu tun. Auch grenzt es eigentlich an ein Wunder, dass Le Comte Ory überhaupt an der Opéra zur Uraufführung kam. Zum einen ist der Stoff höchst pikant, so dass eine Genehmigung durch die Zensurbehörde höchst fraglich schien. Zum anderen war die Opéra eigentlich dem ernsten Metier verpflichtet, so dass eine komische Oper hier fast wie ein Fremdkörper wirken musste. Dennoch wurde das Stück ein Riesenerfolg, wohl nicht zuletzt wegen der großartigen Musik, die Rossinis kompositorische Genialität in voller Blüte zeigt. Drei Jahre später ging bereits die 100. Vorstellung über die Bühne, und bis 1884 hielt sich das Stück mit fast 500 Aufführungen im Repertoire. Eugène Scribe, der bei der Uraufführung noch nicht an einen derart überwältigenden Erfolg geglaubt hatte und deshalb nicht als Librettist genannt werden wollte, änderte daraufhin sehr schnell seine Meinung und ließ seinen Namen noch nachträglich unter das Textbuch setzen. Der als Eremit verkleidete Comte Ory (Juan Diego Flórez, Mitte) begeistert das Volk (links vorne: Raimbaud (Andrzej Filonczyk), Mitte von links: Ragonde (Monica Bacelli) und Alice (Anna-Doris Capitelli) mit dem Chor). Die Geschichte geht zurück auf die alte Ballade des Grafen Ory, eines adeligen Schürzenjägers, der sich mit seinen Kumpanen Zutritt zu einem Frauenkloster verschafft, indem sich alle als Nonnen verkleiden. Neun Monate später sollen dann zahlreiche Frauen im Kloster einen kleinen Ritter zur Welt gebracht haben. Scribe hatte zusammen mit Charles-Gaspard Delestre-Poirson 1816 dieses Thema zu einem Vaudeville verarbeitet, das unter anderem bereits 1819 von Carl Borromäus von Miltiz in Berlin vertont wurde. Aus den Nonnen wurden dabei eine Gräfin und ihre Edeldamen, die bis zur Rückkehr ihrer sich auf Kreuzzügen befindenden Ehemänner Keuschheit gelobt hatten. Ory und seine Gefährten verkleiden sich hier als Pilgerinnen, um Zutritt zum Schloss zu erhalten. Anders als in der Ballade können die Frauen das Ehegelübde halten, zum einen, weil der Page Isolier die Gräfin beschützt, zum anderen, weil die Kreuzritter in derselben Nacht zurückkehren und Ory und seinen Männern folglich nur noch die Flucht bleibt. Rossini erweiterte dieses einaktige Stück um eine Vorgeschichte, in der sich der Graf als weiser Eremit verkleidet, um sich die Sorgen und Wünsche der jungen Mädchen anzuhören. Der verwitweten Gräfin, die er erobern will, rät er, ihre Liebessehnsucht nicht weiter zu unterdrücken, hat dabei allerdings nicht damit gerechnet, dass ihr Verlangen seinem Pagen Isolier gilt. So kommt es in der Nacht vor der Rückkehr der Kreuzritter im Schlafgemach der Gräfin zu einer pikanten Ménage à trois, bei der der Graf seinen Pagen für die Gräfin hält, während diese sich mit Isolier vergnügt, der nach der Flucht von Ory und seinen Männern im Schloss bleiben und auf eine "Belohnung" hoffen darf.
Der Comte Ory (Juan Diego Flórez, links) und sein
Page Isolier (Maria Kataeva, rechts) begehren beide die Comtesse Adèle (Julie
Fuchs).
Ménage à trois im Schlafgemach: Comtesse Adèle
(Julie Fuchs) und Comte Ory (Juan Diego Flórez) mit Isolier (Maria Kataeva, im
Hintergrund)
Das Ansinnen Isoliers wird von de Ana keineswegs positiver gesehen als die
Absichten des Grafen. So lässt de Ana den Pagen, der mit dem Hauslehrer des
Grafen, dem Gouverneur, auf der Suche nach Ory ist, mit einem feuerroten Teufel
auftreten. Isolier ist in seinem Verlangen nach seiner Cousine, der Gräfin,
folglich genauso unkeusch wie der Graf. Der Auftritt der Gräfin hingegen wird
von zwei Engeln begleitet, die mit ihren Weihrauchgefäßen die bösen Geister
vertreiben wollen. Im zweiten Akt tritt dann die Schlosswächterin Ragonde in
feuerrotem Kostüm auf, um ihre Wollust zu unterstreichen. Wieso die Gräfin zu
Beginn des zweiten Aktes mit ihren Damen Sport mit Gymnastikbällen, Reifen und Matten
treibt, bleibt genauso unklar wie der Auftritt der zahlreichen Vögel, die vor
den als Nonnen verkleideten Gefährten des Grafen das Schloss betreten. Zwei
Vögel bevölkern auch das als schräger Kubus angedeutete Bett der Gräfin, in dem
es zu der pikanten Ménage à trois zwischen Ory, der Gräfin und Isolier kommt.
Ein kleiner Vogel sitzt auf dem Rücken einer Ente, die gewissermaßen erschöpft
auf dem Boden liegt. Mit Dunkelheit wird in dieser Szene nicht gespielt.
Das Licht bleibt an, so dass der Graf eigentlich in jedem Moment erkennen
müsste, dass sich neben der Gräfin ein weiterer Besucher im Schlafgemach
befindet. Aber das scheint bei dem Liebesspiel niemanden so recht zu stören.
Wenn dann die Szene von den plötzlich zurückkehrenden Kreuzrittern unterbrochen
wird und dem Grafen mit seinen Gefährten nur noch die Flucht bleibt, tritt die
Gräfin in einem leicht gefiederten Kostüm auf, das sie selbst fast wie einen Vogel
erscheinen lässt. Wieso die Kreuzritter dann in Unterwäsche einen
Blechtrichter auf dem Kopf und eine Autofelge als Schutzschild tragen, mag
eine Veralberung des Kreuzzuges sein. Ansonsten erschließt sich die Schlussszene nicht.
Der Comte Ory (Juan Diego Flórez)
Musikalisch ist die Aufführung ein Hochgenuss. Die Titelpartie stellt eine
Paraderolle für den Startenor Juan Diego Flórez dar. Mit großem Spielwitz und
hervorragend gespielter Eitelkeit mimt er einen Schwerenöter, wie er im Buche
steht, und bleibt dabei aber immer auf eine gewisse Art charmant. Von großartiger
Komik zeugt der Moment, wenn er mit zwei Tafeln als Eremit auftritt, die ihn mit
der leuchtenden Schrift wie Moses erscheinen lassen, der mit den zehn Geboten
zum Volk zurückgekehrt ist. Musikalisch glänzt er mit stupenden Spitzentönen und
sauberen Bögen und überzeugt als verkleidete Nonne auch mit viel Komik beim
Gebet im Falsett. Zu erwähnen ist seine große Arie "Que les destins prospères",
mit der er die Herzen der jungen Bauernmädchen höher schlägen lässt, die sich anschließend in Einkaufswagen in seine Grotte fahren lassen. Mit Andrzej Filonczyk steht ihm als Raimbaud ein kongenialer Gefährte zur Seite, der mit
leichtem Buffo-Bariton begeistert. Ein musikalischer Glanzpunkt ist Raimbauds
Weinarie im zweiten Akt, in der er in schillerndsten Farben die Entdeckungen des
Kellers beschreibt, die aus dem spartanischen Mahl, das die Damen den Nonnen
angeboten haben, ein prachtvolles Gelage machen.
Auch die Partie der Comtesse Adèle ist mit Julie Fuchs großartig besetzt. Direkt
in ihrer Auftrittsarie "En proie à la tristesse", in der sie ihre Schwermut
beklagt, glänzt Fuchs mit strahlenden Höhen und leicht fließenden Koloraturen.
Dabei wird im zweiten Teil durch Fuchs' Interpretation schnell deutlich, dass
die Gräfin keineswegs so keusch ist, wie sie sich gibt, sondern sich nach ihrem
Cousin Isolier sehnt. Maria Kataeva begeistert in der Hosenrolle als Isolier mit
sattem Mezzosopran und wunderbarem Spiel. Wenn sie als Page dem vermeintlichen
Eremiten Isoliers Liebesleid beichtet und sich dabei das Geld förmlich aus der
Tasche ziehen lässt, wirkt Kataeva noch jugendlich naiv. Doch wenn sie den
Grafen als Isoliers Rivalen um die Gunst der Gräfin erkannt hat, zieht sie
geschickt die Fäden. Ein weiterer musikalischer Höhepunkt ist das Terzett
zwischen Flórez, Fuchs und Kataeva, bei dem die drei sich im Schlafgemach
vergnügen, was vom Publikum mit nicht enden wollendem Applaus belohnt wird.
Nahuel di Piero gestaltet den Gouverneur mit markanten Tiefen und beweglicher
Stimmführung, wenn er in seiner Arie "Veiller sans cesse" den Sorgen um den
Verbleib seines Zöglings Ory glaubhaft Ausdruck verleiht, zeigt aber im zweiten
Akt als verkleidete Nonne, dass er den weltlichen Gelüsten gegenüber ebenfalls
nicht ganz abgeneigt ist. Monica Bacelli stattet die Partie der Ragonde mit
satten Tiefen und großartiger Komik aus. Der von Giovanni Farina einstudierte
Chor überzeugt durch homogenen Klang und große Spielfreude. Diego Matheuz
zaubert mit dem Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai einen frischen
Rossini-Sound aus dem Graben, so dass es für alle Beteiligten am Ende zu Recht
großen Jubel gibt.
FAZIT
Musikalisch bietet der Abend puren Rossini-Genuss. Szenisch passiert sehr viel
auf der Bühne, wobei nicht immer alles nachvollziehbar ist.
Weitere Rezensionen zu dem
Rossini Opera Festival 2022 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungDiego Matheuz Regie, Bühnenbild und Kostüme Licht Chorleitung
Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai
Solistinnen und Solisten
Le Comte Ory
Raimbaud
Le Gouverneur
La Comtesse Adèle
Dame Ragonde
Isolier
Alice
|
- Fine -