Sturm in einer ernüchternden Inszenierung
Von Thomas Molke /
Fotos: © Clive Barda
Jacques Fromental Halévy gehörte in der Mitte des 19.
Jahrhunderts zu den großen französischen Komponisten und konnte in seiner fast
40-jährigen Karriere Werke an allen drei Opernhäusern in der Kulturmetropole
Paris herausbringen. Heute ist er eigentlich nur noch für seine Grand Opéra
La Juive bekannt, die zu den bedeutendsten Werken der Gattung zählt. Umso
interessanter macht es ihn natürlich für das Festival in Wexford, das sich ja
auf Raritäten fernab des gängigen Repertoires spezialisiert hat. Mit Blick auf
das diesjährige Festival-Motto "Magic & Music" ist die Wahl der
Eröffnungspremiere auf Halévys am 6. Juni 1850 am Her Majesty's Theatre in
London uraufgeführte Oper La tempesta gefallen, die gewissermaßen an das
Festspielthema des letzten Jahres, "Shakespeare in the Heart", nahtlos anknüpft.
Dabei ist vor allem die Entstehungsgeschichte des Werkes interessant. Das Opernhaus
steckte in der Mitte des 19. Jahrhunderts in großen Schwierigkeiten und suchte nach einer neuen
Attraktion. Was wäre also besser geeignet als eine Oper auf eine Vorlage von
William Shakespeare, komponiert von einem Mann, dessen Werke auf den Pariser
Bühnen große Popularität genossen? Allerdings sollte sie für den
Publikumsgeschmack in England auf Italienisch gesungen werden. Da das
Libretto von Eugène Scribe jedoch in französischer Sprache verfasst war, wurde
es kurzerhand von Pietro Giannone ins Italienische übertragen. Dann wollte man
auch noch eine große Rolle mit der damaligen Startänzerin in London, Carlotta Grisi,
besetzen. Also wurden die Arien des Luftgeistes Ariel (Ariele) kurzerhand
durch Ballettpassagen ersetzt und die Partie in eine stumme Rolle für eine
Tänzerin umgewandelt. Letzteres sieht man in Wexford nicht. Hier bleibt man bei
der Fassung mit Ariele als Sopranpartie.
Prospero (Nikolay Zemlianskikh) und sein
dienstbarer Luftgeist Ariele (Jade Phoenix)
Die Handlung der Oper fasst Shakespeares fünfaktiges Stück zu
drei Akten mit einem vorangestellten Prolog zusammen und lässt einzelne
Handlungsstränge weg. So fehlen beispielsweise der Königsbruder Sebastian und
seine von Prosperos Bruder Antonio angezettelte Intrige, den König Alonso im
Schlaf zu ermorden, um selbst Herrscher über Neapel zu werden. Überhaupt bleiben
der König und Antonio in der Oper recht blass, und auch ihre Versöhnung mit
Prospero wird am Ende des Stückes eher beiläufig abgehandelt. Dafür konzentriert
sich die Oper auf die Liebesgeschichte zwischen Miranda und Fernando
und enthält für die beiden große Arien und Duette. Nicht von Shakespeare stammt
auch das Wirken von Calibanos Mutter Sicorace, die ohne auf der Bühne zu
erscheinen, im Hintergrund die Fäden zieht. So überredet sie ihren Sohn
zunächst, magische Blütenblätter zu besorgen, die ihr ihre alte Macht
zurückgeben sollen. Calibano übergibt ihr die Blätter jedoch nicht, sondern
beschließt, sie selbst zu nutzen, um seinen Erzfeind, den Luftgeist Ariele,
gefangen zu nehmen und Miranda in seine Gewalt zu bringen. Die eintreffenden
Stefano und Trinculo verhindern mit ihrem Gefolge jedoch Schlimmeres und setzen
Calibano mit Alkohol außer Gefecht. Währenddessen ist Miranda geflohen und
trifft selbst auf Sicorace, die sie überredet, ihren Geliebten Fernando zu
töten, da er ihrem Vater nach dem Leben trachte. Der Anschlag misslingt
natürlich, und es kommt zu einer großen Versöhnung mit Happy End.
Miranda (Hila Baggio) zwischen ihrem Vater
Prospero (Nikolay Zemlianskikh, rechts) und Calibano (Giorgi Manoshvili, links)
Während die Oper viele magische Momente enthält, die zum
diesjährigen Festspiel-Motto "Magic & Music" passen, sucht man diese Magie in
Roberto Catalanos Inszenierung vergeblich. Wenn sich der Vorhang zum Prolog
hebt, sieht man auf der Bühne zahlreiche Betten, in denen Antonio, Alonso und
Fernando mit ihrem Gefolge liegen. Von der Seite treten dunkle Gestalten in
schwarzen Trenchcoats mit schwarzen Plastikfolien auf, mit denen sie dann bei
Ausbruch des Sturmes den König und sein Gefolge zudecken. Das Bild erinnert an
ein Lazarett oder einen Leichensaal, soll aber wohl die Mannschaft auf dem Schiff
darstellen, die des Nachts auf der Rückfahrt nach Neapel vom Sturm
überrascht wird. Gleichzeitig wird hier auf Antonios schlechtes Gewissen
angespielt, wenn er in einer Art Vision in einem Lichtkegel im Hintergrund
seinen tot geglaubten Bruder Prospero erblickt. Wie Prospero
heben sich auch der Luftgeist Ariele, Miranda und Fernando durch nahezu weiße
Kostüme von den anderen Figuren, die alle farblos dunkel gekleidet sind, ab.
Soll das ihre Reinheit oder ihren "guten Charakter" unterstreichen?
Calibano (Giorgi Manoshvili) raubt Miranda (Hila
Baggio) (im Hintergrund: Chor).
Fragen wirft auch das Bühnenbild von Emanuele Sinisi auf. Vor
einer farblosen Wand im Hintergrund, die mehrere mit Steinen zugemauerte
Öffnungen besitzt, hinter denen mal der Luftgeist Ariele, später auch Antonio
erscheinen, sieht man eine Mauer mit einem riesigen Loch. Auf dem Boden liegen
noch vereinzelte Steine, die dann vom Chor eingesammelt und abtransportiert
werden. Über dem Loch ist in großen Buchstaben "Nostalgia" zu lesen. Soll das
heißen, dass man hier mit einem klassischen, konventionellen Ansatz der
Geschichte gebrochen hat? Anders lässt sich das wohl nicht erklären, wenn man
überhaupt einen Sinn darin suchen will. Die nicht auftretende Hexe Sicorace
erscheint durch zwei Lautsprecher, die aus dem Schnürboden herabgelassen werden.
Man hat allerdings nicht den Eindruck, dass ihre Stimme aus den Lautsprechern
erklingt, sondern von der Seite eingesungen wird. Da fragt man sich natürlich,
wieso man überhaupt diese Lautsprecher auf die Bühne herabsenkt. Unklar bleibt
auch, wieso der Baum, in den Calibano Ariele im zweiten Akt einsperrt, der
riesige Kopf einer antik anmutenden Statue ist, die auf der Rückseite eine Mulde
hat, in der Ariele "gefangen" ist. Ebenso sinnfrei bleibt die Tatsache, dass
Trinculo und Stefano mit ihren Gefährten den Kopf dieser Statue mit rotem Wein
bespritzen. Soll damit der Plan unterstrichen werden, dass sie nun Rache an
Prospero nehmen wollen? Das lässt sich zwar vielleicht von Shakespeares Stück
herleiten, wird im Libretto der Oper jedoch nicht weiter verfolgt. Besonders
albern wird dann der Schluss, wenn die dunklen Gestalten vom Anfang in ihren
Trenchcoats wieder
auftreten und mit Wassereimern ein Bett füllen, in das Prospero ein Schiff
setzt, mit dem er dann wohl am Ende die Insel verlässt.
Happy End: vorne von links: Calibano (Giorgi
Manoshvili) und Prospero (Nikolay Zemlianskikh), dahinter von links: Fernando
(Giulio Pelligra), Miranda (Hila Baggio), Alonso (Rory Musgrave) und Antonio
(Richard Shaffrey) mit dem Chor
Halévys Musik enthält zwar wunderschöne Passagen ist aber
bisweilen etwas repetitiv. So haben gerade die Szenen zwischen Miranda und
Fernando musikalisch Längen. Auch fragt man sich, ob die schwarz gekleideten
Gestalten, die wohl als Gefolge zu dem Luftgeist Ariele gehören, ein
Überbleibsel der Ballettszenen darstellen sollen, die man ansonsten vergeblich
in der Oper sucht. Zumindest werden sie im Programmheft als Tänzerinnen und
Tänzer ausgewiesen. Auch war ja die Partie des Ariele als stumme Rolle für
eine Tänzerin konzipiert, wovon man in der Produktion jedoch nichts merkt. Jade
Phoenix begeistert zwar als Luftgeist mit strahlendem Sopran und glasklaren
Höhen. Aber man hätte doch vielleicht gerne gewusst, wie die Ballettmusik für
diese Figur geklungen hat. Von dem restlichen Ensemble sticht vor allem Giorgi
Manoshvili als Calibano hervor. Der junge georgische Bass punktet durch eine
dunkle Stimmfarbe, die den Charakter der Partie wunderbar einfängt.
Darstellerisch zeigt er ihn
dabei mit einer bewegenden Verletzlichkeit. Die größten
Momente hat er im zweiten Akt, wenn er beschließt, die magischen Blütenblätter
für seine eigenen Interessen zu nutzen. Da hat Halévy die ergreifendste
Musik der ganzen Oper komponiert. Manoshvili ist außerdem Teilnehmer der
diesjährigen Wexford Factory, die von Rosetta Cucchi 2020 ins Leben gerufen
worden ist, um junge Künstler*innen zu fördern. Gleiches gilt für den jungen
Bariton Nikolay Zemlianskikh, der die Partie des Prospero übernimmt und mit
markanten Tiefen die Autorität des Zauberers unterstreicht.
Hila Baggio punktet als Miranda mit beweglichem Sopran, der in
den Arien und im Duett mit Fernando große Strahlkraft besitzt. Wenn Miranda
allerdings im finalen Rondo ihr Glück besingt, bleibt Baggio in den Läufen ein
wenig blass. Giulio Pelligra verfügt als Fernando über eine hervorragende
Mittellage, klingt in den Höhen aber ein bisschen angestrengt. In den
kleineren Partien lassen Gianluca Moro mit einem hellen Tenor und Dan D'Souza
mit kraftvollem Bass aufhorchen. Der von Andrew Synnott einstudierte Chor des
Wexford Festival Opera überzeugt durch homogenen Klang. Francesco Cilluffo führt
das Orchester des Wexford Festival Opera mit sicherer Hand durch die Partitur.
FAZIT
Für den Auftakt des diesjährigen Festivals hätte man sich zumindest szenisch
etwas anderes gewünscht. Ob das Werk musikalisch einen Platz im Repertoire
verdienen würde, darf bezweifelt werden.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Francesco CilluffoInszenierung
Roberto Catalano Bühne
Emanuele Sinisi Kostüme
Ilaria Ariemme Choreographie
Luisa Baldinetti Licht
D. M. Wood Chorleitung
Andrew Synnott Orchester des Wexford Festival Opera Chor
des Wexford Festival Opera Solistinnen und Solisten
Prospero
Nikolay Zemlianskikh
Miranda
Hila Baggio
Calibano
Giorgi Manoshvili
Fernando
Giulio Pelligra
Ariele
Jade Phoenix Alonso
Rory Musgrave Antonio
Richard Shaffrey Stefano
Gianluca Moro Sicorace
Emma Jüngling Trinculo
Dan D'Souza Tänzerinnen und Tänzer
Sara Catellani
Andrea Di Matteo
Nicola Marrapodi
Giada Negroni
Andrea Carlotta Pelaia
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