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Magie der FantasieVon Thomas Molke / Fotos: © Clive Barda Félicien David zählt zu der Riege der großen Komponisten der Mitte des 19. Jahrhunderts, deren Werke heute nahezu vergessen sind. Das Zentrum für Französische Romantische Musik in Venedig, Palazzetto Bru Zane, arbeitet seit einigen Jahren an einer Wiederentdeckung dieses französischen Komponisten und hat 2015 eine Aufnahme seiner damals sehr erfolgreichen Grand Opéra Herculanum herausgebracht, die 2016 in Wexford zu erleben war (siehe auch unsere Rezension). Noch größere Erfolge feierte David, der in seinem Kompositionsstil großen Einfluss auf Berlioz und Bizet gehabt hat, mit seinen orientalisch angehauchten komischen Opern, in denen er musikalisch seine Erfahrungen einfließen ließ, die er in den zwei Jahren während seines Aufenthaltes im Nahen Osten gesammelt hatte. Von seinen insgesamt fünf Opern, die er ab 1851 komponierte, gilt Lalla-Roukh, die am 12. Mai 1862 an der Opéra Comique uraufgeführt wurde, nach Meinung der Kritiker und des Publikums der damaligen Zeit als sein Meisterwerk. 2013 wurde die Oper an der Opera Lafayette in Washington DC erstmals in moderner Zeit wieder komplett aufgeführt und auf CD eingespielt (Naxos). Nun ist dieses zu Unrecht vergessene Werk erstmals wieder in Europa zu erleben und ist wie geschaffen für das diesjährige Festspiel-Motto "Magic & Music". Lalla-Roukh (Gabrielle Philiponet, rechts) fürchtet sich vor der Reise zu ihrem unbekannten Gatten und wird von Mirza (Niam O'Sullivan, linkst) getröstet. Die Geschichte basiert auf dem 1817 erschienenen Gedicht Lalla Rookh von Thomas Moore. Darin befindet sich die persische Prinzessin Lalla Rookh (in der Oper Lalla-Roukh) auf der Reise zu ihrem künftigen Ehemann, dem König von Bukhara, und wird auf dem Weg von einem jungen Dichter namens Feramorz mit insgesamt vier Erzählungen unterhalten. Dabei verliebt sie sich in den Dichter, ohne zu wissen, dass es sich um ihren künftigen Ehemann in Verkleidung handelt. Während die eigentliche Handlung um die Prinzessin nur die Rahmenhandlung zu vier weiteren Gedichten von Moore bildet, wird sie in der Oper zum Kernstück. Hier soll der Minister Baskir mit einem großen Gefolge Lalla-Roukh zum König von Bukhara bringen und versucht dabei, den geheimnisvollen Dichter Nourreddin, den er nicht als König erkennt, da er den König noch nie gesehen hat, von Lalla-Roukh fernzuhalten, da er ihre Faszination für den Poeten bemerkt. Lalla-Roukhs Kammerzofe Mirza hilft Lalla-Roukh auf dem Weg nach Bukhara immer wieder, mit Nourreddin zusammentreffen zu können. Als Lalla-Roukh schließlich in Bukhara ankommt, weigert sie sich, den König zu heiraten. Baskir will Nourreddin verhaften und hinrichten lassen, als dieser sich schließlich als König zu erkennen gibt. Der Erzähler (Lorcan Cranitch) taucht in die Welt von Lalla-Roukh ein. Das Regie-Team um Orpha Phelan hat sich mit der Frage beschäftigt, wie der Zauber der orientalischen Märchengeschichte erhalten werden kann, ohne dabei in absoluten Kitsch abzudriften, und wie mit den teilweise recht langen gesprochenen Dialogen umzugehen ist, die in der Opéra Comique des 19. Jahrhunderts einen festen und unverzichtbaren Bestandteil bildeten und für den Fortgang der Handlung nicht unbedeutend sind. Dafür hat Phelan die Rolle eines Erzählers eingeführt, für den Timothy Knapman eine neue Dialogfassung auf Englisch erstellt hat. Wenn die Oper beginnt, sieht man diesen Erzähler zunächst als Obdachlosen, der sein Hab und Gut in einem Einkaufswagen aufbewahrt, vor einer Teestube auftreten, die den Namen "Leila & Rourke Tea Emporyum" trägt, und in einem großen Müllcontainer vor dem Laden nach brauchbaren Dingen suchen. Dabei stößt er auf ein altes Buch, das, der Fülle nach zu beurteilen, nahezu das komplette Werk Thomas Moores enthalten könnte. In dieses Buch taucht er nun im wahrsten Sinne des Wortes ein und lässt die Geschichte vor seinem inneren Auge entstehen. Die Menschen im Teesalon verwandeln sich in märchenhafte Wesen, die die Prinzessin auf ihrem Weg nach Bukhara begleiten. Kostümbildnerin Madeleine Boyd hat dabei aus dem Vollen geschöpft und gibt dem Zauber mit den Kostümen enormen Raum. Die Frontseite der Teestube verschwindet, und so befindet man sich nun auf der Reise. Wenn Lalla-Roukh nach der Pause in Bukhara ankommt, lässt der Erzähler auch die Rückwand verschwinden, so dass man auf der Bühne einen riesigen Saal mit Säulen sieht, in dem Lalla-Roukh ihrem zukünftigen Bräutigam zugeführt werden soll. Auch für das Bühnenbild zeichnet Boyd verantwortlich. Die Rolle des Erzählers ist mit dem irischen Schauspieler Lorcan Cranitch besetzt, der mit einer humorvollen Portion Lokalkolorit und viel Sprachwitz durch die Handlung führt und damit die Musiknummern wunderbar miteinander verbindet. Dabei macht er bei aller Abgeklärtheit der Figur glaubhaft, wie sehr er selbst von der Geschichte bewegt wird, in die er da eingetaucht ist. Wenn er zunächst wie eine Regie-Anweisung beschreibt, dass Lalla-Roukh im zweiten Akt ihrem Nourreddin verzweifelt in die Augen schaut, weil sie den König nicht heiraten möchte, verliert er sich selbst in ihrem Blick und kommt in seiner Erzählung scheinbar aus dem Konzept. Cranitch gelingt es, diese Szene ohne einen Hauch von Kitsch, dabei aber mit größtmöglicher Tragik zu transportieren. Happy End für Lalla-Roukh (Gabrielle Philiponet, Mitte) und Nourreddin (Pablo Bemsch, Mitte) (links: Erzähler (Lorcan Cranitch) und Baskir (Ben McAteer), rechts: Mirza (Niam O'Sullivan), im Hintergrund: Chor) Musikalisch ist in keiner Weise nachzuvollziehen, wieso dieses Werk noch nicht den Weg zurück ins Repertoire gefunden hat. Fast jede Nummer ist eine regelrechte Perle, so dass man sich gewissermaßen von einem Ohrwurm zum nächsten bewegt. Selbst wenn man bei Inszenierungen vor dem vermeintlichen Kitsch der Handlung zurückschreckt, bieten die Melodien genug Potenzial, um zumindest konzertante Aufführungen zu wagen. Da sind zunächst die beiden großartigen Arien der Titelpartie zu nennen. Zu Beginn des ersten Aktes äußert Lalla-Roukh ihre Sorgen vor der bevorstehenden Reise ins Ungewisse, "Sous le feuillage sombre", und am Anfang des zweiten Aktes beklagt sie herzzerreißend ihr Leid, weil sie den Dichter und nicht den König heiraten möchte, "O nuit d'amour". Gabrielle Philiponet begeistert dabei in der Titelpartie mit warmem, rundem Sopran, der eine wunderbar kraftvolle Mittellage besitzt und damit die Intensität ihrer Gefühle unterstreicht. Hinzu kommt ein wunderbares Duett mit ihrer Kammerzofe im zweiten Akt, "Loin du bruit, loin du monde", in dem Mirza ihre Herrin zu trösten versucht. Niamh O'Sullivans satter Mezzosopran und Philiponets voller Sopran finden dabei zu einer bewegenden Innigkeit. Auch dem Tenor wird in diesem Werk genügend Platz zum Glänzen gegeben. Zu nennen ist seine große Arie im zweiten Akt und die wunderbaren Duette mit Lalla-Roukh. Pablo Bemsch verfügt als Nourreddin über einen weichen Tenor, der in den Höhen große Klarheit besitzt. Auch szenisch werden die Duette bewegend unterstrichen, wenn Philiponet und Bemsch von den Tänzerinnen und Tänzern im Duett sanft in den Tanz integriert werden und sich dabei Zeit und Raum gewissermaßen aufzuheben scheinen. Baskir (Ben McAteer, links), weiß nicht, dass sich hinter Nourreddin (Pablo Bemsch) der König verbirgt.
Für die komischen Momente sorgt vor allem Ben McAteer als Baskir. Er hat seine
liebe Not, die Prinzessin von dem Dichter fernzuhalten und punktet mit
herrlichem Buffo-Bariton. Auch im Zusammenspiel mit O'Sullivan überzeugt McAteer
mit humorvollem Spiel, wenn er den Flirt-Versuchen der Kammerzofe erliegt und
sich somit ablenken lässt, damit Lalla-Roukh erneut mit ihrem Nourreddin
zusammentreffen kann. Ein weiterer Höhepunkt ist das Duett mit Nourreddin, in
dem er im zweiten Akt den König austricksen will, ohne dabei zu merken, dass er
gerade mit dem König selbst spricht. Wenn er anschließend um sein Leben fürchten
muss, da Nourreddin und Lalla-Roukh ihn hereingelegt haben, bringt er das in
einem fulminanten Couplet zum Ausdruck, bei dem er von den Tänzerinnen und
Tänzern im Einkaufswagen wie auf einem Schiff im Sturm regelrecht über die Bühne
geschleudert wird. Der von Andrew Synnott einstudierte Chor rundet mit großer
Spielfreude das Geschehen auf der Bühne ab. Steven White taucht mit dem Wexford
Festival Orchestra mit viel Gefühl in die romantische Partitur Davids ein und weckt
den Wunsch, dieses Werk häufiger zu hören. Das Publikum zeigt sich absolut
begeistert und spendet dem Ensemble und dem Regie-Team frenetischen Beifall.
FAZIT
Mit der zweiten Produktion des diesjährigen Festivals ist die "Magie" des
Festspiel-Mottos "Magic & Music" nun in vollem Maße angekommen. Es bleibt zu
hoffen, dass die Schönheit dieses Werkes über Wexford hinausstrahlt und auch
andere Bühnen veranlasst, diese Oper auf den Spielplan zu stellen.
Weitere Rezensionen zum
Wexford Festival Opera 2022 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungSteven White Inszenierung Bühne und Kostüme Choreographie Licht Chorleitung
Orchester des Wexford Festival Opera Chor des Wexford Festival Opera
Solistinnen und SolistenLalla-Roukh
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- Fine -