Veranstaltungen & Kritiken Musikfestspiele |
|
La Capitale d'Été - Sommerfestspiele 2023
The MET Orchestra
Werke von Hector Berlioz, Leonard
Bernstein, Matthew Aucoin, |
(Homepage)
|
Nur Superlative Von Christoph Wurzel / Fotos: © Andrea Kremper Es ist bereits 24 Jahre her, seit das Orchester der Metropolitan Opera New York zuletzt in Baden-Baden zu Gast war. Verwunderlich, gibt sich doch die Elite des musikalischen Kulturbetriebs hier reihenweise die Klinke in die Hand. Es brauchte wohl erst die intensive Kontaktpflege zwischen dem Festpielhausintendanten Benedikt Stampa und dem Chefdirigenten der MET Yannik Nézet-Séguin, um dieses Gastspiel zu ermöglichen. Nach Konzerten in Paris und London gastierte das Orchester nun exklusiv in Deutschland in Baden-Baden. „Mit dem Gastspiel des MET Orchestra geht ein Traum in Erfüllung, den ich träume, seit ich zum Musikdirektor der MET ernannt wurde. Ich möchte dem Publikum in Europa zeigen, wie gut dieses Orchester ist“, sagte Nézet-Séguin anlässlich eines Pressegesprächs. Nach den zwei frenetisch umjubelten Konzerten ist dieser Traum wohl in Erfüllung gegangen. Und auch beim Baden-Baden Publikum hält das Gefühl von traumhafter Vollkommenheit sicherlich noch lange an. Daher kommt ein Bericht über diese Konzerte ohne Superlative nicht aus. Die beiden Konzerte mit dem MET Orchestra bildeten den Auftakt des Sommerfestivals "La Capitale d'Été", das Yannik Nézet-Séguin nun zum zweiten Mal in Baden-Baden kuratiert hat (siehe hierzu unseren Bericht). Der ersten Konzertreihe (später wird noch ein Brahms-Schwerpunkt folgen) hat er ein schlüssiges Programm unterlegt: am ersten Abend Werke von Berlioz und am zweiten Abend Komponisten, die ihre Musik aus der reichen Inspirationsquelle Shakespeare in ganz unterschiedlichen Zeit und Stilen schufen. Das einigende Band war das künstlerische Credo von Berlioz, nämlich einen poetischen Gedanken in musikalische Poesie zu fassen, die Analogie desselben Ausdrucks in Literatur und Musik zu erschaffen. Von der Ouvertüre Le Corsaire nach einem Poem von Lord Byron über die Auszüge aus den Trojanern, deren Libretto Berlioz nach Teilen der Aeneis von Vergil selbst verfasst hatte bis hin zur Symphonie fantastique, deren poetische Idee der Komponist in ein literarisches Programm gefasst hatte - in allen drei Programmteilen war dem MET Orchestra in außerordentlicher Expressivität und in grandiosen Klangwirkungen bezwingend gelungen, jeweils den gedanklichen Kern in Musik zum Ausdruck zu bringen. Die wirbelnde Wildheit der Ouvertüre Le Corsaire , das Vorwärtsdrängende der Musik mit nur wenigen Ruhepunkten machte Nézet-Séguin zum Grundton seines Dirigats. Stark pointierte Akzente, überraschende heftige Wendungen, rasante Tempi trug das Orchester in absoluter Virtuosität mit. Ein fulminanter Einstieg, Musik, die vom ersten Takt an fesselte. Joyce DiDonato mit dem MET Orchestra unter der Leitung von Yannik Nézet-Séguin am 1. Juli 2023 in Baden-Baden In den Auszügen aus Les Troyens war Joyce DiDonato wahrhaft eine königliche Dido; so muss man es formulieren, denn die Sängerin erschien, auch wenn es "nur" eine konzertante Aufführung war, vom ersten Moment an als diese karthagische Herrscherin. Mit großer Geste, starker Autorität und hinreißendem vokalem Ausdruck sang sie zwei größere Szenen und Arien, die erste aus dem 3. Akt, wo Dido sich an das Volk wendet, ihm für die bisher geleistete Arbeit am Aufbau des Staates dankt und es zu zukünftigen Friedenstaten aufruft - eine Situation also des optimistischen Aufbruchs und der Hoffnung. Eine ganz andere Emotion, ein ganz anderer Ton dann im 5. Akt, dem Finale der Oper, nachdem Dido von Aeneas verlassen wurde, der es als seine Berufung empfindet, in Italien ein neues Reich zu gründen. Dido nimmt Abschied vom Leben und tötet sich aus bitterster Enttäuschung und einsamer Resignation selbst auf dem Scheiterhaufen. Es schien, als erlebte Joyce DiDonato alle Wut, allen Hass und das bittere Ende dieser starken Frau selbst mit, so empathisch war ihr Gesang und so tief berührend ihr Auftritt. Zum Niederknien schön fand der Dirigent - und tat es; wohl auch stellvertretend für das Publikum. Seine grandiose Kunst in der musikalischen Klangerzählung zeigte das Orchester in der rein instrumentalen Pantomime Königliche Jagd und Sturm, die eine von Berlioz im Libretto genau beschriebene Szene zu Beginn des 4. Aktes schildert: Jagdmotive in den Hörnern, Trompetensignale, trappelnde Pferde im Galopp, orchestraler Tumult des Gewitters und wieder Beruhigung und abziehende Wolken. Man hätte die Beschreibung des Textdichters nicht gebraucht, um diese Poesie nachzuempfinden. Zum Abschluss dann die fünf Sätze der Symphonie fantastique, die vor innerer Spannung zu bersten schienen. Berlioz selbst nannte das Werk das Dokument des größten Dramas seines Lebens. Seine eigene fixe Idee, die leidenschaftliche Verliebtheit in eine unerreichbare Frau, hat er in dieser Symphonie in Tönen geschildert. Im ersten Satz die chaotischen Gedanken und Empfindungen (es sind die des Komponisten selbst), die Robert Schumann "umgestürzte Musik" nannte, der elegante Walzer des zweiten Satzes, in den die musikalische idee fixe hineinstört, dann die scheinbare Idylle des dritten Satzes Scène aux champs, bis die Dramatik im vierten ansteigt und im fünften Satz Traum eines Hexensabbats kulminiert, mit der vulgär quäkenden Klarinette und zwei dröhnenden Glocken, die bedrohlich die Apokalypse, das dies irae, verkünden. Es war atemberaubend, welch rasende Klangentwicklung und vitale Erzählung in Tönen hier zu hören war. Wie Berlioz in den musikalischen Mitteln seiner Zeit weit voraus war, ließ sich ermessen, denn Nézet-Séguin arbeitete nicht nur die enorme Expressivität dieser Musik, sondern auch seine klanglichen Mittel plastisch heraus. Die Zugabe, das Orchesterlied Morgen von Richard Strauss, gesungen von Joyce DiDonato, war dann bestens geeignet, die Gemüter wieder zu beruhigen. Außerordentlich diverse Herausforderungen gab es am zweiten Abend für das Orchester. Wie brillant es diese meisterte, bewies erneut seine Spitzenklasse. Da war sie wieder, die enorme Präsenz vom ersten Ton an, der mitreißende Rhythmus, die großartige Klangfülle und das Energie sprudelnde Dirigat Nézet-Séguins. Er hatte wohl Noten vor sich, brauchte aber kaum hineinzuschauen. Das erlaubte mit dem Orchester intensivste Kommunikation und für die Musikerinnen und Musiker höchstmögliche Inspiration. Die Sinfonischen Tänze aus Bernsteins West Side Story wurden so zu einem Feuerwerk aus Beat und Melody. Der Groove von Jazz, die Wildheit der Latin-Music und die Disziplin klassischer Sinfonik verschmolzen zu einer atemberaubenden Mixtur. Seine Adaption von Romeo und Julia nennt Tschaikowsky eine Fantasie-Ouvertüre nach Shakespeare. Auch hier wieder, ganz im Sinn von Berlioz, die musikalische Erzählung einer literarischen Vorlage: vom Orchester packend herausgearbeitet die Brutalität des Kampfes der beiden Veroneser Familien, die Härte der Rhythmen, Schärfe der Bläser - Emotionalität aufs Äußerste. Das Liebesthema in schwelgerischer Breite und prägnant ausgestaltet im Englischhorn, den Holzbläsern und den Harfen. Aber es konnte sich gegen die grobe Kampfmusik nicht mehr durchsetzen. Ein Trommelwirbel und die Fantasie endete mit einem harten Tuttischlag. Auch die Auseinandersetzung des amerikanischen Komponisten Matthew Aucoin (geboren 1990) mit dem King-Lear-Thema ist in hohem Maße erzählende Musik. In vier ineinander übergehenden Szenen schildert sie das nach der Abdankung des Königs entstandene Chaos im Reich in schrillen Motivfetzen und wirren Partikeln, in schweren Akkorden und düsteren Farben seine Einsamkeit auf der Heide, dem Ort seiner Verbannung, die der Komposition auch den Titel Heath gab. Den Spott des Narren über Lear malen "quecksilbrige Klänge", wie der Komponist sie selbst beschreibt, wilde Läufe der Holzbläser und heftige Paukenschläge. Vibraphon, Xylophon und Flöte schildern die Verwirrung des geblendeten Glouster und der letzte Abschnitt With a Dead March die überwältigende Tragik des Endes von King Lear. Die Interpretation des MET Orchestra machte die narrative Kraft dieser unmittelbar eingängigen Musik deutlich, die auch ein schönes Beispiel dafür ist, dass neue Musik nicht hermetisch sein muss, sondern in seiner Aussage leicht zugänglich und trotzdem modern in Klang und Form sein kann. Angel Blue (Desdemona) und Russell Thomas (Otello) mit dem MET Orchestra unter der Leitung von Yannik Nézet-Séguin am 2. Juli 2023 in Baden-Baden Tiefe Tragik schließlich auch im 4. Akt von Verdis Otello. Operndramatik der faszinierendsten Art. Im Vorspiel sensible Feinzeichnung, die Englischhorn-Kantilene: die Stimmung war sofort da. Angel Blue als Desdemona sang anrührend schön: Das Lied von der Weide, dreimal gesteigert intensiver im Ton, die böse Vorahnung von Otellos mörderischer Aggression. Erschütternd die Bitte um Fürsprache "Ave Maria, prega per noi" - zuerst fromm und leise, dann als verzweifelter Schrei. Russel Thomas als Otello war unbedingt ebenbürtig. Auch er sensibel in der vokalen Gestaltung, jeder Ton klug überlegt und mit offenem Organ klangschön ausgesungen. Bewährte MET-Kräfte waren auch für die in diesem Akt fünf kleinen Rollen aus den USA angereist, wodurch eine lebendige Ahnung des Weltklasse-Standards dieses führenden Opernhauses der USA aufkam. Adoration - Bewunderung ist die kleine Komposition betitelt, die Yannik Nézet-Séguin als Zugabe mitgebracht hatte. So machte er sich für die afroamerikanische Komponistin Florence Price (1887 - 1953) stark, deren Musik er schon mehrfach aufgeführt hatte. Übrigens auch für die französische Komponistin Louise Farrenc (1804-1875) setzt er sich ein. Von ihr wird die 1. Sinfonie auf dem Programm der folgenden zweiten Konzertreihe stehen.
|
Die Programme und AusführendenMusikalische Leitung The MET Orchestra 1. Juli 2023
Hector Berlioz
Aus der Oper Les Troyens: Symphonie fantastique op. 14 Solistin: Joyce DiDonato, Mezzosopran 2. Juli 2023
Leonard Bernstein
Matthew Aucoin
Peter Tschaikowsky
Giuseppe Verdi Solistinnen und Solisten:
Angel Blue (Desdemona)
Weitere
Informationen
|
- Fine -