Dass er die Weltstadt an der Seine
und den kleinen Kurort am Flüsschen Oos auf eine Stufe
stellte, hatte seinen Grund in den Eindrücken, die er
während der musikalischen Sommerfeste in Baden-Baden
gewonnen hatte. Tatsächlich wurde hier Musik auf
höchstem Niveau geboten, wie man sie auch in Paris
gewohnt war.
Das "Conversationshaus" , erbaut von Friedrich Weinbrenner
(1821-24), heute Kurhaus
Dass Baden-Baden in der Mitte des 19.
Jahrhunderts zum sommerlichen Zentrum der
mitteleuropäischen Musikwelt wurde, hat indirekt mit der
Juli-Revolution 1830 in Frankreich zu tun. Denn als der
danach zur Macht gekommene Bürgerkönig Louis Philippe
1837 dort das Glücksspiel verbieten ließ, das als
Unsitte des reaktionären Adels galt, siedelte der
Pariser Spielbankenkönig Jean-Jacques Bénazet nach
Baden-Baden über, wo er die großherzogliche Lizenz zum
Betrieb der dortigen Spielbank im 1830 errichteten
Conversationshaus erhielt. Nach dem Tod seines Vater
baute Edouard Bénazet den Spielbankbetrieb aus und ließ
das Conversationshaus um einen repräsentativen
Konzertsaal und Ballsäle erweitern. Das zog bald die
musikalische Prominenz der Zeit nach Baden-Baden. 1858
wurde in einem Nachbarort eine Pferderennbahn eröffnet
und 1863 ein repräsentatives Theater. So war im Sommer
neben den bereits seit der Römerzeit bekannten
Thermalquellen für ganztägige Unterhaltung gesorgt:
Badevergnügen, Glücksspiel, spannende Pferderennen - und
erstklassige Musik. Baden-Baden wurde für Jahrzehnte zum
Magneten für Adel und Geldadel aus ganz Europa.
Das romantisch gelegene Baden-Baden
am Fuße des Schwarzwalds zog allerdings schon vor dieser
Blütezeit Musiker an. Carl Maria von Weber weilte hier,
1810 wanderte er durch die benachbarte Wolfsschlucht und
hatte nach eigener Aussage dort den passenden Einfall
für die berühmte Szene aus dem Freischütz.
Giacomo Meyerbeer bekundete, dass er sich anlässlich
eines Besuchs im Kloster der Zisterzienserinnen im nahe
gelegenen Lichtental 1830 zu den religiösen Szenen der Hugenotten
inspirieren ließ. Der junge Liszt kam zu Konzerten
ebenso Mendelssohn, Paganini, Offenbach und weitere
Größen der damaligen Musikwelt.
Berlioz-Büste vor dem Festspielhaus
Den Höhepunkt aber bedeutete das
Jahrzehnt zwischen 1853 und 1863, als Hector Berlioz die
Sommerkonzerte in Baden-Baden leitete, etliche seiner
Kompositionen hier aufführte und auch teilweise zuende
komponierte. Vor allem ist die für den Komponisten
mühsame Entstehung seiner Grand Opéra LesTroyens
mit Baden-Baden eng verbunden. Auszüge aus den Trojanern
stellte er 1859 erstmals hier bei seinen Sommerkonzerten
vor. Berlioz lobte das Orchester, das auf Veranlassung
des Großherzogs von Baden um die Hofkapelle aus
Karlsruhe erweitert worden war. Pauline Viardot-Garcia,
Opernstar aus Paris, sang mit ihrem großen
Stimmumfang die Arien beider weiblicher Hauptrollen
Cassandre und Dido. Der Erfolg soll überragend gewesen
sein und für Berlioz eine große Genugtuung, da das
Publikum in Paris seiner Musik generell reserviert
gegenüberstand. Wie die Stücke aus Les Troyens erklang
auch Harold in Italien zuerst hier in
Baden-Baden. Das Theater, das Bénazet neben dem
Conversationshaus im französischen Neobarock hatte
errichten lassen, wurde 1862 mit Berlioz' neuer Oper Bénédict
et Beatrice eröffnet.
Pauline Viardot-Garcia, Sängerin, Komponistin und
Gastgeberin zahlloser Berühmtheiten in Baden-Baden
Pauline Viardot-Garcia, die jüngere
Schwester der berühmten Sopranistin Maria Malibran hatte
ausgehend vom Théâtre Italien in Paris eine
internationale Karriere gemacht. Berlioz hatte für sie
Glucks Orphée bearbeitet und schätzte ihre
Stimme so sehr, dass er sie mehrfach zu seinen Konzerten
nach Baden-Baden einlud. Nachdem sie sich von der Bühne
zurückgezogen hatte, siedelte sie sich 1863 in
Baden-Baden an. Hier entwickelte sie ein reges
Gesellschaftsleben. In ihrem Salon gingen der
internationale Adel bis hin zu Queen Victoria aus und
ein, vor allem auch nahezu alle namhaften Künstlerinnen
und Künstler der Zeit. Mit ihrem Ehemann und dem
russischen Schriftsteller Iwan Turgenjew lebte sie in
einer Ménage-à-troi zusammen. Was sie aber noch
interessanter machte, war ihre hohe Musikalität. In
ihrer schlossähnlichen Villa befand sich ein kleines
Theater, in dem sie selbstkomponierte Salonopern
aufführte und regelmäßig Konzerte veranstaltete, bei
denen sie als Pianistin und Sängerin auftrat.
So kam auch Clara Schumann nach
Baden-Baden, mit der die Viardot schon früher
mehrfach musiziert hatte, und sie überzeugte auch Clara,
sich in Baden-Baden niederzulassen. 1863 erwarb sie in
Lichtental Haus. An Johannes Brahms schrieb sie: "Die
wundervolle Natur kennst du ja, mein Haus aber wirst du
kaum bemerkt haben, da es das kleinste unter allen ist,
von außen fast wie ein Bauernhäuschen, im Innern
freilich nicht - ich habe drei Flügel, also genug
Platz." Sie spielte dabei auf einen kurzen Besuch von
Brahms an, der auf einer mehrtägigen Wanderung in die
Kurstadt gekommen war. Clara schrieb ihm weitere
begeisterte Briefe aus ihrem neuen Domizil und lud
Brahms zu einem Besuch ein. Dies ist der Beginn der
langjährigen Verbindung zwischen Brahms und Baden-Baden,
der seitdem viele Sommer bis 1889 hier in einer kleinen
Wohnung unweit von Claras Haus verbrachte, die er als
seine "Komponierhöhle" bezeichnete. Das Haus beherbergt
heute in den von Brahms seinerzeit genutzten Räumen ein
kleines Museum sowie den Sitz der Brahmsgesellschaft
(https://brahms-baden-baden.de).
Brahms-Denkmal an der Lichtentaler Allee, an der er auf
dem Weg zu den Konzerten im Conversationshaus entlang
wanderte
Brahms war bekanntlich ein großer
Freund der Natur und ließ sich bei seinen ausgedehnten
Wanderungen erklärtermaßen zu seiner Musik inspirieren.
So berichtete er exakt von dem Platz, an dem ihm die
Hauptmelodie seines Horntrios einfiel. Seine 1.
Symphonie vollendete er in Lichtental, auch an seiner
Zweiten arbeitete er hier intensiv. Im Conversationshaus
gab er immer wieder Konzerte und führte hier im privaten
Kreis sein Doppelkonzert zum ersten Mal auf.
Pauline Viardot-Garcia sang die Alt-Rhapsodie
und wirkte beim den Liebeslieder-Walzern mit.
Mit Beginn des Deutsch-französischen
Kriegs 1870 verließen alle Franzosen schlagartig die
Stadt, so auch Pauline Viardot. Das zuvor so rege
Musikleben erlitt damit einen großen Einschnitt. Brahms
und Clara Schumann blieben Baden-Baden noch eine Weile
treu und gaben hier weitere Konzerte. Aber 1873
verließ Clara Schumann die Stadt und zog nach Berlin und
später nach Frankfurt, wo sie Professorin am Hoch'schen
Konservatorium wurde. Brahms' letzter Aufenthalt in
Baden ist im Jahre 1873 belegt, sieben Jahre vor seinem
und acht Jahre vor Claras Tod.
Als eines der "Great Spas of Europe"
des 19. Jahrhunderts wurde Baden-Baden 2021 in die Liste
der Welterbestätten aufgenommen. Da lag es für das
Festspielhaus nahe, auch an die reiche Musiktradition
jener Zeit hier anzuknüpfen und rief im Sommer des
vergangenen Jahres das erste Festival La Capitale d'Été
ins Leben. Unter der künstlerischen Leitung von Yannik
Nézet-Séguin stand Musik von Brahms auf dem Programm,
von Robert und erstmals im Festspielhaus auch von Clara
Schumann (siehe
unsere Rezension). Musik mit Lokalbezug
also. Und dazu, wie auch in diesem Jahr, Sinfonien
der französischen Komponistin Louise Farranc. In diesem
Jahr kam neben einem weiteren Brahmsschwerpunkt nun
Berlioz zum Zuge u. A. mit den Trojanern
(siehe unsere Rezension).
Eine weitere Auflage des Festivals 2024 ist angekündigt
und man darf gespannt sein, welche musikalischen Schätze
aus der Baden-Badener Musikhistorie Yannik Nézet-Séguin
bis dahin entdeckt haben wird.