Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musikfestspiele
Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum



La Capitale d'Été

01.07.2023 - 09.07.2023


Von Christoph Wurzel / Fotos: © Christoph Wurzel

"Europa hat zwei Hauptstädte - eine Winterhauptstadt, Paris - und eine Sommerhauptstadt, Baden-Baden", befand Eugène Guinot in seinem Reisebericht "Ein Sommer in Baden-Baden" im Jahre 1847.

Dass er die Weltstadt an der Seine und den kleinen Kurort am Flüsschen Oos auf eine Stufe stellte, hatte seinen Grund in den Eindrücken, die er während der musikalischen Sommerfeste in Baden-Baden gewonnen hatte. Tatsächlich wurde hier Musik auf höchstem Niveau geboten, wie man sie auch in Paris gewohnt war.

Bild zum Vergrößern

Das "Conversationshaus" , erbaut von Friedrich Weinbrenner (1821-24), heute Kurhaus

Dass Baden-Baden in der Mitte des 19. Jahrhunderts zum sommerlichen Zentrum der mitteleuropäischen Musikwelt wurde, hat indirekt mit der Juli-Revolution 1830 in Frankreich zu tun. Denn als der danach zur Macht gekommene Bürgerkönig Louis Philippe 1837 dort das Glücksspiel verbieten ließ, das als Unsitte des reaktionären Adels galt, siedelte der Pariser Spielbankenkönig Jean-Jacques Bénazet nach Baden-Baden über, wo er die großherzogliche Lizenz zum Betrieb der dortigen Spielbank im 1830 errichteten Conversationshaus erhielt. Nach dem Tod seines Vater baute Edouard Bénazet den Spielbankbetrieb aus und ließ das Conversationshaus um einen repräsentativen Konzertsaal und Ballsäle erweitern. Das zog bald die musikalische Prominenz der Zeit nach Baden-Baden. 1858 wurde in einem Nachbarort eine Pferderennbahn eröffnet und 1863 ein repräsentatives Theater. So war im Sommer neben den bereits seit der Römerzeit bekannten Thermalquellen für ganztägige Unterhaltung gesorgt: Badevergnügen, Glücksspiel, spannende Pferderennen - und erstklassige Musik. Baden-Baden wurde für Jahrzehnte zum Magneten für Adel und Geldadel aus ganz Europa.

Das romantisch gelegene Baden-Baden am Fuße des Schwarzwalds zog allerdings schon vor dieser Blütezeit Musiker an. Carl Maria von Weber weilte hier, 1810 wanderte er durch die benachbarte Wolfsschlucht und hatte nach eigener Aussage dort den passenden Einfall für die berühmte Szene aus dem Freischütz. Giacomo Meyerbeer bekundete, dass er sich anlässlich eines Besuchs im Kloster der Zisterzienserinnen im nahe gelegenen Lichtental 1830 zu den religiösen Szenen der Hugenotten inspirieren ließ. Der junge Liszt kam zu Konzerten ebenso Mendelssohn, Paganini, Offenbach und weitere Größen der damaligen Musikwelt.

Bild zum Vergrößern

Berlioz-Büste vor dem Festspielhaus

Den Höhepunkt aber bedeutete das Jahrzehnt zwischen 1853 und 1863, als Hector Berlioz die Sommerkonzerte in Baden-Baden leitete, etliche seiner Kompositionen hier aufführte und auch teilweise zuende komponierte. Vor allem ist die für den Komponisten mühsame Entstehung seiner Grand Opéra LesTroyens mit Baden-Baden eng verbunden. Auszüge aus den Trojanern stellte er 1859 erstmals hier bei seinen Sommerkonzerten vor. Berlioz lobte das Orchester, das auf Veranlassung des Großherzogs von Baden um die Hofkapelle aus Karlsruhe erweitert worden war. Pauline Viardot-Garcia, Opernstar aus Paris,  sang mit ihrem großen Stimmumfang die Arien beider weiblicher Hauptrollen Cassandre und Dido. Der Erfolg soll überragend gewesen sein und für Berlioz eine große Genugtuung, da das Publikum in Paris seiner Musik generell reserviert gegenüberstand. Wie die Stücke aus Les Troyens erklang auch Harold in Italien zuerst hier in Baden-Baden. Das Theater, das Bénazet neben dem Conversationshaus im französischen Neobarock hatte errichten lassen, wurde 1862 mit Berlioz' neuer Oper Bénédict et Beatrice eröffnet.

Bild zum Vergrößern

Pauline Viardot-Garcia, Sängerin, Komponistin und Gastgeberin zahlloser Berühmtheiten in Baden-Baden

Pauline Viardot-Garcia, die jüngere Schwester der berühmten Sopranistin Maria Malibran hatte ausgehend vom Théâtre Italien in Paris eine internationale Karriere gemacht. Berlioz hatte für sie Glucks Orphée bearbeitet und schätzte ihre Stimme so sehr, dass er sie mehrfach zu seinen Konzerten nach Baden-Baden einlud. Nachdem sie sich von der Bühne zurückgezogen hatte, siedelte sie sich 1863 in Baden-Baden an. Hier entwickelte sie ein reges Gesellschaftsleben. In ihrem Salon gingen der internationale Adel bis hin zu Queen Victoria aus und ein, vor allem auch nahezu alle namhaften Künstlerinnen und Künstler der Zeit. Mit ihrem Ehemann und dem russischen Schriftsteller Iwan Turgenjew lebte sie in einer Ménage-à-troi zusammen. Was sie aber noch interessanter machte, war ihre hohe Musikalität. In ihrer schlossähnlichen Villa befand sich ein kleines Theater, in dem sie selbstkomponierte Salonopern aufführte und regelmäßig Konzerte veranstaltete, bei denen sie als Pianistin und Sängerin auftrat.

So kam auch Clara Schumann nach Baden-Baden, mit der  die Viardot schon früher mehrfach musiziert hatte, und sie überzeugte auch Clara, sich in Baden-Baden niederzulassen. 1863 erwarb sie in Lichtental Haus. An Johannes Brahms schrieb sie: "Die wundervolle Natur kennst du ja, mein Haus aber wirst du kaum bemerkt haben, da es das kleinste unter allen ist, von außen fast wie ein Bauernhäuschen, im Innern freilich nicht - ich habe drei Flügel, also genug Platz." Sie spielte dabei auf einen kurzen Besuch von Brahms an, der auf einer mehrtägigen Wanderung in die Kurstadt gekommen war. Clara schrieb ihm weitere begeisterte Briefe aus ihrem neuen Domizil und lud Brahms zu einem Besuch ein. Dies ist der Beginn der langjährigen Verbindung zwischen Brahms und Baden-Baden, der seitdem viele Sommer bis 1889 hier in einer kleinen Wohnung unweit von Claras Haus verbrachte, die er als seine "Komponierhöhle" bezeichnete. Das Haus beherbergt heute in den von Brahms seinerzeit genutzten Räumen ein kleines Museum sowie den Sitz der Brahmsgesellschaft (https://brahms-baden-baden.de).

Bild zum Vergrößern

Brahms-Denkmal an der Lichtentaler Allee, an der er auf dem Weg zu den Konzerten im Conversationshaus entlang wanderte

Brahms war bekanntlich ein großer Freund der Natur und ließ sich bei seinen ausgedehnten Wanderungen erklärtermaßen zu seiner Musik inspirieren. So berichtete er exakt von dem Platz, an dem ihm die Hauptmelodie seines Horntrios einfiel. Seine 1. Symphonie vollendete er in Lichtental, auch an seiner Zweiten arbeitete er hier intensiv. Im Conversationshaus gab er immer wieder Konzerte und führte hier im privaten Kreis sein Doppelkonzert zum ersten Mal auf. Pauline Viardot-Garcia sang die Alt-Rhapsodie und wirkte beim den Liebeslieder-Walzern mit.

Mit Beginn des Deutsch-französischen Kriegs 1870 verließen alle Franzosen schlagartig die Stadt, so auch Pauline Viardot. Das zuvor so rege Musikleben erlitt damit einen großen Einschnitt. Brahms und Clara Schumann blieben Baden-Baden noch eine Weile treu und  gaben hier weitere Konzerte. Aber 1873 verließ Clara Schumann die Stadt und zog nach Berlin und später nach Frankfurt, wo sie Professorin am Hoch'schen Konservatorium wurde. Brahms' letzter Aufenthalt in Baden ist im Jahre 1873 belegt, sieben Jahre vor seinem und acht Jahre vor Claras Tod.

Als eines der "Great Spas of Europe" des 19. Jahrhunderts wurde Baden-Baden 2021 in die Liste der Welterbestätten aufgenommen. Da lag es für das Festspielhaus nahe, auch an die reiche Musiktradition jener Zeit hier anzuknüpfen und rief im Sommer des vergangenen Jahres das erste Festival La Capitale d'Été ins Leben. Unter der künstlerischen Leitung von Yannik Nézet-Séguin stand Musik von Brahms auf dem Programm, von Robert und erstmals im Festspielhaus auch von Clara Schumann (siehe unsere Rezension). Musik mit Lokalbezug also. Und dazu, wie auch in diesem Jahr,  Sinfonien der französischen Komponistin Louise Farranc. In diesem Jahr kam neben einem weiteren Brahmsschwerpunkt nun Berlioz zum Zuge u. A.  mit den Trojanern (siehe unsere Rezension).

Eine weitere Auflage des Festivals 2024 ist angekündigt und man darf gespannt sein, welche musikalischen Schätze aus der Baden-Badener Musikhistorie Yannik Nézet-Séguin bis dahin entdeckt haben wird.

 

(Homepage)

 

 

 

Rezensionen:

 

 

Konzerte vom 1. und 2. Juli 2023

Konzerte vom 7. und 9. Juli 2023

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Weitere Informationen
erhalten Sie unter
Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)

 

 

 



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum

© 2023 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de

- Fine -