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La Capitale d'Été - Sommerfestspiele 2023
Chamber Orchestra of Europe |
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Nézet-Séguin-Festspiele Von Christoph Wurzel / Fotos: © Andrea Kremper Yannik Nézet-Séguin war der Allrounder dieses Festivals. In der ersten Staffel hatte er das Orchester der MET mitgebracht und zu Spitzenleistungen geführt, in der zweiten inspirierte er das Chamber Orchestra of Europe zur Hochform, im Kammerkonzert war er der Pianist in Quintettwerken von Brahms. Schließlich hielt er seine Hand als Kurator über das gesamte Festival. Yannik Nézet-Séguin zeigte sich als ideenreicher Programmgestalter, sprudelnder Impulsgeber und begnadeter Dirigent. Alles war aus einem Guss. Yannik Nézet-Séguin bei den Konzerten mit dem Chamber Orchestra of Europe in Baden-Baden Zwischen den beiden Konzerten mit dem MET Orchestra (siehe unsere Rezension) und den drei Johannes Brahms und Louise Farranc gewidmeten Konzerten lag eine Projekt-Woche intensiver Proben mit dem Chamber Orchestra of Europe, das unter Nézet-Séguin hier schon mehrfach zu Gast war und dabei jedes Mal exzellente Eindrücke hinterließ. Im vergangenen Jahr spielten sie die ersten beiden Sinfonien von Brahms, in diesem Jahr folgten die Nummern 3 und 4. Es zeigte sich wieder, wie genau der Dirigent mit dem Orchester gearbeitet hatte und wie durchgestaltet buchstäblich jeder Takt war. Vor allem auch der Geist jedes Werkes, die jeweils individuelle musikalische Farbe kam eindrucksvoll zur Geltung. Romantischen Ausdruck und klare Struktur spielten Musikerinnen und Musiker und ihr Dirigent in der Dritten wunderbar heraus. Im zweiten Satz herrschte kammermusikalische Klarheit, bezaubernd klagen die Holzbläserpassagen. Ebenso im dritten Satz das subtile Widerspiel zwischen Streichern und Bläsern in wiegendem Allegretto. Temperamentvolle Dramatik bis hin zu grotesker Zuspitzung türmte sich im vierten Satz auf, bis er mit dem zweimaligen Pizzicato-Akkord der Streicher im überraschenden Pianissimo verklang. Yannik Nézet-Séguin bei den Konzerten mit dem Chamber Orchestra of Europe in Baden-Baden Wie sehr Brahms das Horn liebte und diesem Instrument in seinen Sinfonien mit die schönsten Stellen zugedacht hat, war in beiden Konzerten allseits zu hören. Prominent auch in der Vierten im zweiten Satz, wo die Hörner weich und wunderbar sonor einen elegischen Grundton anschlugen. In der Passacaglia des vierten Satz dagegen nahm der Gesamtklang Strenge an und zugleich absolute Transparenz in den zahllosen Variationen. Energiegeladen fegte die Schlussstretta bis zum fulminanten Schlussakkord dahin. Humor durchdrang die Akademische Festouvertüre, die den zweiten Abend eröffnete. Die Aufführung machte deutlich, wie sehr Brahms hier mit seinem Pfunde wuchert und es allen zeigen will. Die Ouvertüre entstand als Reverenz vor der Breslauer Universität, die ihm 1879 die Ehrendoktorwürde verlieh. Recht ruppig begann das Werk mit Achtelketten wie Pferdegetrappel, dann eine wilde Klarinettenkaskade und das Geflecht von Variationen entspann sich - Variationen von Studentenliedern, die allen Zuhörern (es dürften bei der Uraufführung in der Leopoldina ausschließlich Männer gewesen sein) dieser "Doktorarbeit" nur allzu bekannt waren. Aber welch ironischer Widerspruch: die recht simplen Kommerslieder verpackt in die hoch artifizielle Kontrapunktik der Brahmsschen Kompositionsweise. Dirigent und Orchester kosteten die schmissigen Melodien weidlich aus; und karikierten sie genüsslich, etwa als das Fagott quäkend "Was kommt da von der Höh?" intonierte oder das volle Orchester am Schluss das "Gaudeamus igitur" wie eine ironische Schlussapotheose dahinschmetterte. Einfach grandios! Yannik Nézet-Séguin bei den Konzerten mit dem Chamber Orchestra of Europe in Baden-Baden Im Violinkonzert wandelte sich die burschenherrliche Fröhlichkeit in klassische Heiterkeit. Klar und zugleich gelassen und gelöst trat Lisa Batiashvili als Solistin aufs Podium. Ihre traumhaft klangvolle Höhe, die Festigkeit ihrer Intonation und ihr wunderbar seelenvoller Ton ergänzten den eleganten Klang des Orchesters. Vollkommene Harmonie der Auffassung zwischen Solistin und Dirigent war zu spüren. Orchester und Solovioline, die keinen Anspruch auf virtuose Dominanz erhob, ergänzten sich wie selbstverständlich. Schön, wie in der Kadenz am Schluss des ersten Satzes die Pauke höchst ausdrucksvoll die Geigenlinie stütze und ihrem Ausdruck folgte, höchst sensibel fortissimo geschlagen oder pianissimo getupft. Der Mann an der Pauke hatte seinen Sonderbeifall am Ende verdient. Anrührend war Lisa Batiashvilis Zugabe am 502. Tag des Kriegs in der Ukraine, wie sie sie selbst ankündigte, die Komposition Requiem – Dedication to Freedom des ukrainische Komponisten Igor Loboda. Eine hymnische Melodie wird darin in harten, hässlichen Dissonanzen bis zur schließlichen Zerstörung malträtiert. Mit mehrfach pianissimo gezupften Tönen verlischt der musikalische Gedanke und lässt eine Auflösung offen. Lisa Batiashvili beim Violinkonzert von Johannes Brahms mit dem Chamber Orchestra of Europe unter Yannik Nézet-Séguin Auch mit dem letzten Werk des Festivals wurde eine Serie komplettiert. Nach der zweiten und dritten Sinfonie von Louise Farranc im vergangenen Jahr (siehe unsere Rezension) erklang nun ihre erste Sinfonie. Wieder wurde klar, Yannik Nézet-Séguin setzt sich zu Recht für die französische Komponistin ein, deren Sinfonien 150 Jahre unentdeckt in Archiven schlummerten. Dabei ist es in ihrer Vielfalt und ihrem Einfallsreichtum hochinteressante Musik. Von Hector Berlioz hochgeschätzt und von Robert Schumann bewundert, hatten in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Sinfonien einer komponierenden Frau jedoch keine Chance. Hinzu kommt, dass in dieser Zeit in Frankreich das musikalische Hauptinteresse der Oper gehörte. Nézet-Séguin nennt diese Komponistin ein Entdeckung. Schon in ihrer ersten Sinfonie erweist sich Louise Farranc als Meisterin der Form, bestens an Beethovens Modell geschult, aber im musikalischen Gehalt völlig eigenständig und erfüllt vom romantischen Impetus. Charakteristisch sind die sorgfältig ausgearbeiteten Bläserstimmen, die hier im Verhältnis zu den Streichern gleiches Gewicht erhalten. Nach jeder Phrase kommt ein neuer Einfall, dennoch hat die Sinfonie klare Struktur und eine ausgeprägte Ausdrucksintensität. Dirigent und Orchester widmeten sich dieser Musik mit großer Empathie und ausgeprägt feinem Klanggefühl. Der Eindruck aus den letztjährigen Konzerten war noch lebendig: von dieser Komponistin möchte man mehr hören. So war das Festival mit diesem Werk zu seiner Erfüllung gelangt. FAZIT Mit den Sommerfestspielen La Capitale d'Été ist dem Festspielhaus Baden-Baden nun zum zweiten Mal ein Format der Sonderklasse gelungen. Yannik Nézet-Séguin hat persönlich die Fortsetzung versprochen. |
Die Programme und AusführendenChamber Orchestra of Europe Musikalische Leitung 9. Juli 2023
Johannes Brahms 10. Juli 2023
Johannes Brahms Zugabe
Igor Loboda
Solistin
Louise Farranc
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- Fine -