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Klangvokal 2023 Musikfestival Dortmund
Rappresentatione di Anima, et di Corpo in italienischer Sprache Aufführungsdauer: ca. 1 h 40' (keine Pause) Aufführung im Reinoldihaus in Dortmund am 2. Oktober 2023, 19.30 Uhr |
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Frühes Kirchenspiel mit szenischen Elementen Von Thomas Molke / Fotos: © Bülent Kirschbaum Auch wenn Claudio Monteverdis am 24. Februar 1607 uraufgeführte Favola in musica L'Orfeo allgemein als "Ur-Oper der Opern" gilt, begann die Geschichte des Musiktheaters der Neuzeit bereits ein paar Jahre früher. Emilio de' Cavalieri, der neben seiner musikalischen Karriere auch als Politiker, Senator und Diplomat tätig war, schuf anlässlich der Feiern für das Heilige Jahr 1600 in Rom ein Werk, bei dem unter den Musikgelehrten lange diskutiert wurde, ob es sich nun um einen Vorläufer der Oper oder eine Art Oratorium handelte: La Rappresentatione di Anima, et di Corpo. Die Dirigentin Christina Pluhar, die sich auf Alte Musik spezialisiert hat, bezeichnete das Werk im Rahmen ihrer Einspielung 2004 als "die erste geistliche Oper". Als Beleg dafür führte sie den erstmals erwähnten rezitierenden Gesang an, die Bühnenanweisungen, die Notation des Basso continuo und die Instrumentalstücke, die in der Partitur enthalten sind. Das Klangvokal Musikfestival, das seit der vergangenen Spielzeit neben dem zentralen Festival im Mai und Juni eine über das ganze Jahr verteilte Konzert-Saison im Reinoldihaus Dortmund anbietet, hat nun das renommierte Vokalensemble Vox Luminis eingeladen, das dieses Stück mit szenischen Elementen präsentiert. Anima (Sophia Faltas) und Corpo (Raffaele Giordani) diskutieren über den richtigen Lebensweg. Im Zentrum der im Februar 1600 im Betsaal der Kirche Santa Maria in Vallicella in Rom uraufgeführten Rappresentatione steht der Streit zwischen der Seele (Anima) und dem Körper (Corpo) eines Menschen. Beide sind auf der Suche nach dem wahren Ort des Friedens und treffen dabei auf eine Vielzahl allegorischer Figuren, die versuchen, die beiden in ihrer Entscheidung zwischen weltlichem und himmlischem Leben zu beeinflussen. Am Ende tragen der Verstand (Intelletto) und der gute Rat (Consiglio) den Sieg davon, indem sie das weltliche Leben als Vorort der Hölle entlarven und den Weg ins Paradies als das einzig anzustrebende Ziel preisen. Die meisten Rollen des Stückes sind mit Solistinnen und Solisten des Vokalensembles besetzt, die sich als Chor hinter der Instrumentalgruppe befinden und für die jeweilige Figur eine exponierte Stellung einnehmen. Intelletto und Consiglio sind mitten in der Instrumentalgruppe positioniert und stehen somit zwischen Anima und Corpo, die vor den Musikerinnen und Musikern agieren, und dem Chor. Schon allein durch diese Aufstellung wird ein szenisches Element in der Aufführung geschaffen. Raffaele Giordani als Tempo, im Hintergrund: Vox Luminis Raffaele Giordani hat nicht nur die Partie des Corpo übernommen, sondern eröffnet auch nach einer eindrucksvoll von der Instrumentalgruppe gestalteten Sinfonia als die Zeit (Tempo) das Stück. Dabei schreitet er langsam und nachdenklich durch den Saal zur Bühne. Den Monolog der Zeit trägt er ohne Textbuch mit klarer Diktion und sauber geführtem Tenor vor. Es folgt eine bewegende Chorpassage, die die Aussage der Zeit über die Vergänglichkeit des Lebens unterstreicht. Der musikalische Leiter und Gründer des Vokalensembles Lionel Meunier steht als Bass auf der rechten Seite im Ensemble hinter der Instrumentalgruppe und zieht nahezu unsichtbar die Fäden. Intelletto erhebt sich anschließend aus der Instrumentalgruppe und stellt sich in einem langen Monolog zahlreiche Fragen, wie das Gute erreicht werden kann. André Pérez Muíño verfügt über einen sehr hellen Tenor, der nahezu schon ätherisch klingt, wenn er das ewige Glück im Himmel bei Gott suchen will. Nun kommen Corpo und Anima in ihrem ersten Dialog zu Wort. Noch sind beide sehr unschlüssig, welchen Weg sie einschlagen sollen. Sophia Faltas punktet als Anima mit rundem, warmem Sopran. Gemeinsam mit Giordani setzt sie den Dialog nahezu szenisch um. Die abschließende Chorpassage des ersten Aktes endet musikalisch sehr eingängig. Der Lobgesang auf den Herrn wird mehrere Male a cappella wiederholt, während der Chor singend die Bühne und den Saal verlässt. Das letzte "Lobet den Herrn" erklingt dann wie aus weiter Ferne. Nach der Sinfonia zum zweiten Akt, kehrt der Chor dann mit dem gleichen Lobgesang in den Saal zurück und nimmt seine Position hinter der Instrumentalgruppe wieder ein. Piacere (Jan Kullmann, Mitte) versucht, mit seinen beiden Begleitern (von links: Roberto Rilievi und Guglielmo Buonsani) Anima (Sophia Faltas) und Corpo (Raffaele Giordani) zu verführen. Nun kommt der gute Rat (Consiglio) zu Wort. Massimo Lombardi gestaltet die Partie mit kraftvollem Tenor, der dunkler angelegt ist als Muíños Intelletto. Regelrechte Spielfreude entfachen dann Jan Kullmann, Roberto Rilievi und Guglielmo Buonsanti als Piacere (das Vergnügen) und seine beiden Begleiter. Zur Musik tänzelnd schreiten die drei mit großem Spaß vor die Instrumentalgruppe und versuchen, Anima und Corpo zu verführen. Kullmanns Countertenor, Rilievis Tenor und Buonsantis Bass entwickeln dabei im Zusammenspiel eine enorme Klangvielfalt, die das irdische Glück des Vergnügens spürbar macht. Auch Anima und Corpo scheinen von ihren Verlockungen begeistert. Doch Anima bleibt schließlich standhaft und hinterfragt das irdische Vergnügen. Zsuzsi Tóth verlässt dafür die Bühne und begibt sich hinter das Publikum, um als himmlisches Echo auf Animas Fragen zu antworten. Hier ist der Text vom Librettisten Agostino Manni besonders geschickt gesetzt, wenn das Echo durch Wiederholung der letzten Silben neue Wörter bildet, die eine recht deutliche Antwort geben. Im Anschluss begibt sich Victoria Cassano als Schutzengel (Angelo custode) in eine erhöhte Position hinter dem Orchester und spricht eine Warnung aus, der dann schließlich Piacere mit den beiden Begleitern und das weltliche Leben (Estelle Lefort als verführerische Vita mondana) weichen müssen. Der dritte Akt lässt dann die verdammten und glücklichen Seelen zu Wort kommen. Auch hierfür findet das Ensemble passende Positionen. Die verdammten Seelen in der Hölle befinden sich auf der rechten Bühnenseite unter dem darüberliegenden Balkon, kommen also quasi "von unten", während die glücklichen Seelen im Himmel hinter der Instrumentalgruppe gewissermaßen in höheren Sphären thronen. Lóránt Najbauer gestaltet als Anima damnata mit den dunklen Männerstimmen des Ensembles die verdammten Seelen sehr finster und schwarz, was durch die bedrohlich klingende Musik noch unterstrichen wird. Die glücklichen Seelen im Himmel werden durch hohe Frauenstimmen und einen Countertenor gezeichnet und wirken wesentlich friedvoller. Da ist es eigentlich klar, welchen Weg Anima und Corpo nun unter der Leitung von Consiglio und Intelletto einschlagen werden. So endet alles in einer großen Feier des Glaubens, der den Weg zum Paradies weist. Das mag man inhaltlich vielleicht hinterfragen. Musikalisch ist es allerdings großartig umgesetzt. Das Publikum bedankt sich mit lang anhaltendem und begeistertem Applaus. FAZIT Vox Luminis macht mit szenischen Elementen deutlich, dass dieses Werk zumindest als Vorstufe zur Oper betrachtet werden kann. Weitere Rezensionen zum Klangvokal Festival Dortmund 2023
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AusführendeMusikalische Leitung und Bass Vox Luminis
Solistinnen und Solisten
Anima (die Seele)
Corpo (der Körper) / Tempo (die Zeit)
Consiglio (der gute Rat) / Mondo (die Welt)
Intelletto (der Geist)
Piacere (das Vergnügen)
Compagni di Piacere (Begleiter von Piacere)
Angelo custode (der Schutzengel)
Vita mondana (das irdische Leben)
Anima damnata (die verdammte Seele)
Anima beata (die glückliche Seele)
Altus
Tenor
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- Fine -