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Tiroler Festspiele Erl Winter

26.12.2023 - 07.01.2024


Schneeflöckchen
(Snegurotschka)

Frühlingsmärchen in vier Akten mit Prolog
nach dem gleichnamigen Märchendrama von Alexander Ostrowski (1873)
Musik und Text von Nikolai Rimski-Korsakow

In russischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4 h 10' (zwei Pausen)

Premiere im Festspielhaus am 27. Dezember 2023

 

 

 

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Tod durch Liebe

Von Thomas Molke / Fotos: © Xiomara Bender (TFE Presse)

Nikolai Rimski-Korsakow ist in Westeuropa vor allem durch den berühmten "Hummelflug" aus der Oper Das Märchen vom Zaren Saltan und die sinfonische Dichtung Scheherazade populär geworden. Die übrigen Bühnenwerke des russischen Komponisten, der in seiner Heimat trotz Glinka, Mussorgski und Tschaikowski als der "eigentliche Opernkomponist des 19. Jahrhunderts" gilt, stehen außerhalb Osteuropas relativ selten auf dem Programm. Dazu zählt auch die Oper Snegurotschka (Schneeflöckchen), die Rimski-Korsakow nach eigenem Bekunden besonders am Herzen lag. In weniger als drei Monaten schrieb er die Oper nieder, verwendete Volksmelodien in eingängiger Harmonik für die realen Figuren und verband sie mit komplexeren Strukturen für die fantastisch-märchenhaften Figuren, die auch Ravel und Strawinsky in ihren Werken noch beeinflusst haben. So kann Schneeflöckchen mit ihrem Liebestod zur Versöhnung der Natur als Vorbild für Strawinskys Frühlingsopfer betrachtet werden. Bei den Tiroler Winterfestspielen in Erl, bei denen unter der künstlerischen Leitung von Bernd Loebe häufig Werke abseits des gängigen Repertoires zu erleben sind, gelangt dieses "Frühlingsmärchen" nun zur österreichischen Erstaufführung.

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Schneeflöckchen (Clara Kim) ist vom Gesang des Hirten Lel (Iurii Iushkevich) fasziniert.

Grundlage des Textes, den Rimski-Korsakow selbst verfasst hat, ist ein pantheistisch-philosophisches Schauspiel des Dramatikers Alexander Ostrowski von 1873, das in Russland so bekannt ist wie in Deutschland beispielsweise die Märchen der Gebrüder Grimm. Erzählt wird die Geschichte des Mädchens Schneeflöckchen, das als Tochter des Frostes und des Frühlings einerseits aufgrund der Kälte des Vaters keine körperliche Liebe empfinden kann, sich andererseits aufgrund der Mutter Frühling danach sehnt. Der Sonnengott Jarilo, der in der Oper nicht als Person auftritt, ist über die Verbindung zwischen Frost und Frühling so erbost, dass er das Volk der Berendäer mit kalten, kurzen Sommern bestraft. Zar Barendej, der sich für sein Volk wünscht, dass die Natur mit den Jahreszeiten wieder in Einklang kommt, sieht in Schneeflöckchen eine Lösung aller Probleme. Wenn er sie einem Mann zuführt, wird sie an der Liebe schmelzen und damit den Sonnengott Jarilo versöhnen. Dazu benutzt er den Hirten Lel, dessen Gesang alle Frauen bewegt, und den reichen Misgir, der eigentlich ins Dorf gekommen ist, um um die selbstbewusste Kupawa zu werben, jetzt aber nur noch Augen für Schneeflöckchen hat. Lel fühlt sich von Schneeflöckchen zurückgewiesen, da sie ihm lediglich eine Blume schenkt und nicht bereit ist, sich ihm körperlich hinzugeben, und heiratet aus Trotz Kupawa. Schneeflöckchen ist darüber so gekränkt, dass sie ihre Mutter anfleht, ihr endlich die Fähigkeit zur körperlichen Liebe zu schenken. Die Mutter kann dem Drängen der Tochter nicht widerstehen, warnt sie aber vor den Sonnenstrahlen. So erhört Schneeflöckchen Misgirs Werben. Ihrer Bitte, sie vor den Sonnenstrahlen zu schützen, kommt er jedoch nicht nach, weil er sie nicht versteht. So schmilzt Schneeflöckchen dahin, Misgir geht verzweifelt in den Freitod. Der Zar fordert das Volk auf, nicht zu trauern, sondern stattdessen den Sonnengott Jarilo zu preisen, da die Welt nun wieder im Einklang mit der Natur sei.

Das Regie-Team um Florentine Klepper wählt einen relativ abstrakt gehaltenen Ansatz, um die Geschichte nicht auf ein banales, aus heutiger Sicht schwer nachvollziehbares Märchen zu reduzieren. Wolfgang Menardi hat dafür einen Bühnenraum des ewigen Winters geschaffen. Weißer Schnee bedeckt die Bühne, die von einer halbrunden weißen Wand eingerahmt wird, so dass es hier keine Möglichkeit gibt zu entkommen. Drei kahle Baumreste sind zu sehen, die andeuten, dass hier nichts mehr blüht. In der Mitte formen mehrere Kreise mit unterschiedlich großen Durchmessern ein Zentrum, das zu unterschiedlichen Zwecken genutzt wird. Zu Beginn formt der kleinere Kreis mit hohen Latten, die nicht ganz geschlossen sind, die ferne Welt der allegorischen Figuren Frühling und Frost. Auf einem zylinderförmigen Element wird Mutter Frühling aus diesem Kreis aus dem Bühnenboden emporgefahren und wirkt optisch wie eine Hausfrau, die auf die Rückkehr ihres Mannes wartet und das Essen vorbereitet. Ihr Kind Schneeflöckchen "spielt" in einem rosafarbenen Rock mit weißem Oberteil und Ohrenschützern im Schnee. Wieso sie hier von den Vögeln, die vom Kinderchor der Schule für Chorkunst München mit roten Schnäbeln in schwarzen Kostümen dargestellt werden, geärgert und mit Schneebällen beworfen wird, wird nicht wirklich klar. Vielleicht soll damit die Ausgrenzung Schneeflöckchens direkt am Anfang deutlich gemacht und sie als geeignetes Opfer gebrandmarkt werden.

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Kupawa (Nombulelo Yende, Mitte) klagt Misgir (Danylo Matviienko, links am Tisch sitzend) und Schneeflöckchen (Clara Kim, links am Tisch) an.

Zu Beginn ist die Welt der Menschen um dieses Zentrum herum sehr in Unordnung geraten. Stühle, Bänke und Tische liegen auf dem ganzen Bühnenboden verstreut herum und müssen erst aufgestellt werden. Das geschieht, wenn Mutter Frühling und Vater Frost ihr Kind in die Obhut des Häuslers und der Häuslerin geben. Für die Menschen hat die Kostümbildnerin Anna Sofie Tuma zunächst sehr dunkle Kostüme gewählt, um die Kälte und Trostlosigkeit zu betonen. Da verwundert es nicht, dass der Hirte Lel mit seinem warmen Gesang den Menschen Trost zu spenden vermag. Laut Partitur ist die Rolle für einen Mezzosopran oder Alt geschrieben. In Erl wird der Hirte von dem Countertenor Iurii Iushkevich gesungen, der die Partie mit warmem, weichem Counter ausstattet. Klepper lässt ihn in der Personenregie recht melancholisch agieren. Es wird klar, dass er von Schneeflöckchen angezogen wird, ihre Zurückweisung jedoch nicht ertragen kann. So wirft er die Blume, die sie ihm für seinen Gesang schenkt, gekränkt fort und wählt im weiteren Verlauf Kupawa zur Braut.

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Zar Barendej (Aaron Cawley) will Ordnung im Land.

Wenn der Zar auftritt, steht er im Zentrum der Bühne. Der große helle Kreis wird aus dem Schnürboden schräg herabgelassen und wirkt mit den Lichtern wie eine Art Heiligenschein oder Krone. Wenn er Schneeflöckchen in dieses Zentrum hineinzieht, wird klar, dass auch sie zumindest die Männer fasziniert. Für die Frauen stellt sie eher eine Gefahr dar. So klagt Kupawa sie an, weil sie ihr ihren Bräutigam gestohlen habe. Im weiteren Verlauf bildet das Zentrum, das aus dem Boden angestrahlt wird, einen Leuchtkreis, in dem die Frauen sich nun den Männern für die Ehe präsentieren sollen. Die Frauen haben nun die schwarzen Kostüme abgelegt und treten in zarten Pastellfarben auf, die den Sommer zurückbringen sollen. Auch Schneeflöckchen trägt ein pastellfarbenes Kleid, hebt sich allerdings durch einen Kranz auf dem Kopf von den anderen ab, was sie für die Männer erneut begehrenswerter macht. Verzweifelt wirft sie den Kranz weg und schlüpft wieder in ihr Kostüm vom Anfang, wobei der rosafarbene Rock jetzt schmutzige Ränder hat, weil sie im Prinzip mit dem Gang in die Menschenwelt ihre Reinheit verloren hat. Recht schonungslos präsentiert Klepper dann, wie die Frauen sich den Männern im Wald hingeben. Beide Kreise werden aus dem Schnürboden herabgelassen, so dass von den Frauen nur noch die Beine sichtbar sind. Nun heben sie ihre Röcke und lassen sich von den Männern, die nacheinander in den Kreis treten und an den Frauen vorübergehen, begutachten.

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Mutter Frühling (Victória Pitts)

Während Mutter Frühling bei ihrem ersten Auftritt im Prolog wie eine Hausfrau wirkte, erscheint sie im letzten Akt wie eine Königin, mit Strahlenkranz auf dem Kopf und dunkelrotem Kleid. Wieder wird sie auf dem zylinderförmigen Bühnenelement aus dem Boden hochgefahren. Der dunkle kleinere Kreis wird nun geteilt und nur die vordere Hälfte Richtung Schnürboden gezogen, so dass ein unwirklicher Raum entsteht, in dem Mutter Frühling ihrer Tochter erscheint und ihrem Flehen nachgibt. Zum Schluss werden dann alle Kreise Richtung Schnürboden gezogen und geben den Blick auf die weiße Rückwand frei. Auf diese hat das Volk mittlerweile "Contende in dulce" geschrieben, was wohl soviel bedeuten soll wie "Strebe nach dem Angenehmen". Diese Botschaft erschließt sich nicht wirklich. Auch fragt man sich zunächst, was die vier pinkfarbenen Luftballons im Hintergrund zu bedeuten haben. Wenn Schneeflöckchen am Ende im grellen Licht des Zentrums zugrunde geht und das Volk auf Weisung des Zaren den Sonnengott Jarilo preist, formen die Luftballons das Wort "Obey", was dem scheinbar versöhnlichen Schluss einen zu Recht faden Beigeschmack gibt.

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Misgir (Danylo Matviienko) bedrängt Schneeflöckchen (Clara Kim).

Während die Handlung dieser Oper wirklich harter Tobak ist und man sich der Aussage des Stückes schwerlich öffnen kann, ist die Musik und die musikalische Umsetzung großartig. Rimski-Korsakow findet wunderbare Melodien, um die unterschiedlichen Welten zu zeichnen, und spielt dabei lautmalerisch mit einzelnen Instrumenten. Dmitry Liss arbeitet mit dem Orchester der Festspiele Erl die verschiedenen Farben und Stimmungen eindrucksvoll heraus und wird dafür zu Recht mit tosendem Beifall bedacht. Auch die Solistinnen und Solisten lassen keine Wünsche offen. Clara Kim ist ein bezauberndes Schneeflöckchen und begeistert mit mädchenhaftem klaren Sopran, der die Unschuld der Figur unterstreicht. Ihr musikalischer Leidensweg rührt dabei zu Tränen. Nombulelo Yende bildet stimmlich als Kupawa einen großartigen Kontrast. Ihr kraftvoller Sopran ist dunkler gefärbt als der Sopran Kims und macht damit deutlich, dass Kupawa anders als Schneeflöckchen eine selbstbewusste Frau ist. Danylo Matviienko punktet mit virilem Bariton und dunkler Färbung, die der Figur etwas Machohaftes gibt. Dass er am Ende mit Schneeflöckchen in den Tod geht, versöhnt ein wenig mit der ansonsten eher unsympathischen Figur. Aaron Cawley verleiht dem Zaren Barendej mit höhensicherem starkem Tenor herrschaftliche Züge. Victória Pitts lässt als Mutter Frühling mit vollem Mezzosopran und dunkler Mittellage aufhorchen und begeistert im vierten Akt, wenn sie schließlich dem Drängen ihrer Tochter nachgibt. Aidan Smith glänzt mit profundem Bass sowohl als Vater Frost im Prolog, der seine Tochter schützen will, als auch als Barendejs Berater Bermjata. Der von Olga Yanum einstudierte Chor überzeugt durch große Homogenität, so dass es für alle Beteiligten großen Beifall gibt.

FAZIT

Man kann verstehen, dass dieses Stück selten auf den Spielplänen steht, da es inhaltlich wirklich fragwürdig ist. Sieht man von der kruden Geschichte ab, bietet es musikalischen Hochgenuss.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Dmitry Liss

Regie
Florentine Klepper

Bühnenbild
Wolfgang Menardi

Kostüme
Anna Sofie Tuma

Licht
Stefan Bolliger

Chor
Olga Yanum

Kinderchor
Maksim Matsiushenkau

Dramaturgie
Mareike Wink

 

Orchester und Chor
der Tiroler Festspiele Erl

Kinderchor der Schule für
Chorkunst München


Solistinnen und Solisten

Schneeflöckchen
Clara Kim

Mutter Frühling
Victória Pitts

Vater Frost / Bermjata
Aidan Smith

Kupawa
Nombulelo Yende

Lel
Iurii Iushkevich

Misgir
Danylo Matviienko

Zar Barendej
Aaron Cawley

Der Häusler
Carlos Cárdenas

Die Häuslerin
Anna Dowsley

Der Waldschrat
Liam Bonthrone

 


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