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Musikfestspiele
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Internationale Händel-Festspiele Göttingen
18.05.2023 - 29.05.2023

Hercules

Musical Drama in drei Akten (HWV 60)
Libretto von Thomas Broughton
Musik von Georg Friedrich Händel

In englischer Sprache

Aufführungsdauer: ca. 3 h 25'  (eine Pause)

Konzertante Aufführung in der St. Johannis-Kirche in Göttingen am 18. Mai 2023

 

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Eifersucht und Wahnsinn

Von Thomas Molke / Fotos: © Alciro Theodoro da Silva

Händels Hercules nimmt wie Semele im Gesamtwerk des Hallenser Komponisten eine Sonderstellung ein. Gemeinhin werden beide Stücke zu den Oratorien gezählt, obwohl sie keinen biblischen, sondern einen mythologischen Inhalt haben. Bereits 1741 hatte sich Händel nach dem Misserfolg mit Deidamia von der italienischen Oper verabschiedet und sich fortan Werken in englischer Sprache gewidmet, in denen der Chor anders als in der Barockoper eine zentrale Rolle einnimmt. Dennoch blieb er seinem Schema treu und stellte auch in diesen Werken wie bei den meisten seiner Oratorien mit biblischem Inhalt die dramatische Entwicklung der Hauptfiguren ins Zentrum. Während Semele in diesem Jahr bei den Internationalen Händel-Festspielen in Göttingen als szenische Produktion auf dem Programm steht, gibt es Hercules als konzertante Aufführung zur Eröffnung der Festspiele in der St. Johannis-Kirche. Warum diesem Werk bei der Uraufführung 1745 anders als Semele einem Jahr zuvor kein großer Erfolg beschieden war, lässt sich nur mutmaßen. Wahrscheinlich lag es daran, dass vor der Uraufführung ein Großteil der Sängerinnen und Sänger krankheitsbedingt ausfiel und Händel einige Arien und Rezitative kurzerhand streichen oder transponieren musste, was für das Verständnis des Stückes problematisch war. Hinzu kam, dass der Bass Gustavus Waltz an dem Abend so heiser war, dass das Publikum einen Großteil der vorgetragenen Rezitative nicht verstand und die Situation so unfreiwillig komisch wurde. Dass es nicht an den Qualitäten des Stückes gelegen haben kann, macht die konzertante Aufführung in Göttingen mit einem großartigen Ensemble deutlich.

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George Petrou mit dem FestspielOrchester Göttingen und dem NDR Vokalensemble in der St. Johannis-Kirche

Das Libretto von Thomas Broughton basiert auf Sophokles' Tragödie Die Trachinierinnen (Die Frauen von Trachis), Ovids Heroides 9 (einem fiktiven Brief Dejaniras an ihren Gatten Hercules) und Euripides' Hercules-Tragödie. Erzählt wird das Ende des mythologischen Halbgottes Hercules. Als er siegreich aus dem Krieg gegen den König von Oechalia zurückkehrt, bringt er dessen Tochter Iole als Kriegsbeute mit. Dejanira sieht in der Prinzessin eine Nebenbuhlerin und fürchtet um die Zuneigung ihres Ehemannes, wobei es das Stück offenlässt, ob ihre Eifersucht begründet ist. In ihrer Verzweiflung erinnert sie sich, dass ihr der Zentaur Nessus kurz vor seinem Tod ein mit seinem Blut getränktes Gewand geschenkt hat, das denjenigen, der es trägt, in ewige Liebe versetzen soll. Damit will Dejanira die Zuneigung ihres Gatten zurückgewinnen. Dass sie Nessus' Aussage glaubt, mag verwundern, da der Zentaur zuvor versucht hatte, sie zu vergewaltigen, und daraufhin von Hercules getötet wurde. Jedenfalls schickt Dejanira, von Eifersucht besessen, ihrem Gatten das Gewand, der es anzieht und sofort Höllenqualen erleidet, da das Kleidungsstück vergiftet ist und unerträgliche Schmerzen verursacht. Hercules wünscht sich nur noch den Tod und bittet seinen Sohn Hyllus, ihn auf den Berg Oeta zu bringen und dort auf einem Scheiterhaufen zu verbrennen. Dejanira erkennt ihren Irrtum und verfällt dem Wahnsinn. Hercules hingegen wird von seinem göttlichen Vater Jupiter durch einen riesigen Adler in den Olymp aufgenommen und ordnet an, dass sein Sohn Hyllus mit Iole an seiner Seite in Trachis herrschen soll.

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Vivica Genaux als Dejanira

Auch wenn das Stück nach dem mythologischen Halbgott benannt ist, steht musikalisch Dejanira im Zentrum. Für sie hat Händel eine Fülle unterschiedlicher Arien komponiert, die ihren jeweiligen Gemütszustand eindringlich beschreiben. Vivica Genaux arbeitet diese Stationen mit einem beweglichen Mezzosopran absolut glaubhaft heraus und zeigt dabei eine enorme Wandlungsfähigkeit. In ihrer ersten Arie ist sie die besorgte Ehefrau, die um die Rückkehr ihres Mannes aus dem Krieg fürchtet. Diese Angst zeichnet Genaux mit weichen, beinahe verletzlich klingenden dunklen Tönen. Wenn der Bote dann verkündet, dass Hercules siegreich zurückgekehrt ist, kennt ihre Freude keine Grenzen. Mit halsbrecherischen Koloraturen jubiliert Genaux in der großen Arie "Begone, my fears, fly hence, away". Doch ihr Glück ist nur von kurzer Dauer. Beim Anblick der schönen Iole packt sie die Eifersucht. Hier liefert sie sich mit Anna Dennis als Iole auch mimisch einen genialen Schlagabtausch. Wenn es dann zum großen Streit mit Hercules im zweiten Akt über seine vermeintliche Untreue kommt, punktet Genaux erneut mit stupenden Koloraturen, die aber nun keine Freude mehr ausstrahlen, sondern eher an eine rasende Furie erinnern und dementsprechend scharf angesetzt sind. Wenn sie sich dann an das Gewand erinnert, dass ihr Nessus einst gegeben hat, keimt erneut Hoffnung in der verzweifelten Frau auf, die sogar so weit geht, dass es zu einem versöhnlichen Duett mit ihrer Rivalin Iole kommt. Als sie dann im dritten Akt die Katastrophe erkennt, die sie mit dem Gewand ausgelöst hat und dem Wahnsinn verfällt, kennt Genaux musikalisch keine Grenzen mehr und verkörpert diese Szene so eindringlich, dass das Publikum begeisterten Zwischenapplaus spendet.

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Andreas Wolf als Hercules

Auch die anderen Partien sind großartig besetzt. Andreas Wolf stattet den Titelhelden mit kraftvollem Bass-Bariton aus. Auf differenzierte Untertöne verzichtet er bewusst und zeichnet Hercules als leicht selbstgefälligen Herrscher, der es gewohnt ist, alle seine Ziele problemlos zu erreichen. So präsentiert er seine erste große Arie am Ende des ersten Aktes absolut siegesbewusst. Die Eifersucht seiner Gattin im zweiten Akt kann er gar nicht nachvollziehen. Im Streitgespräch mit Genaux zeigt er sich recht uneinsichtig und nimmt ihre Ängste und Sorgen nicht ernst. Bewegend gestaltet er die Höllenqualen, die Hercules leidet, nachdem er das Gewand angelegt hat. Anna Dennis verfügt als Iole über einen reinen Sopran, der die Unschuld der Figur unterstreicht. In ihrer Auftrittsarie "My father! ah! me thinks I see", in der sie das Leid ihrer Familie beklagt, punktet sie mit dunklen Tönen, die ihren tiefen Schmerz betonen. Eigentlich handelt es sich bei dieser Arie um ihre zweite Arie, aber die vierte Szene des ersten Aktes, in der Iole mit den Gefangenen erscheint, ist in der Aufführung gestrichen. Dem sanften Charakter der Figur bleibt sie auch im Streitgespräch mit Genaux treu, so dass sie bei allem Leid, das sie durch Hercules erfährt, noch Mitleid mit ihm und seiner Familie empfindet.

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Lena Sutor-Wernich als Lichas

Aufhorchen lässt Lena Sutor-Wernich als Bote Lichas. Händel hatte diese Partie für eine befreundete Sängerin mit insgesamt acht Arien bedacht. Sutor-Wernich begeistert mit einem dunklen Alt, der die zahlreichen Schilderungen des Boten zu musikalischen Glanzpunkten des Abends avancieren lässt. Nick Pritschard rundet das hervorragende Solisten-Ensemble als Hyllus mit weichem Tenor ab. Wie es für ein "Oratorium" üblich ist, hat natürlich auch der Chor eine große Bedeutung. Das NDR Vokalensemble unter der Leitung von Klaas-Jan de Groot punktet mit homogenem Klang und verkörpert mal das jubelnde Volk, dann die unheilvollen Stimmen in Dejaniras Kopf. Ein Glanzpunkt ist natürlich das berühmte "Jealousy"-Chorstück. Während George Petrou mit dem FestspielOrchester die "infernal pest", die von der Eifersucht ausgeht, schon in der Einleitung der Passage mit eindringlichem Spiel vorwegnimmt, setzt der Chor den Anfang nahezu zart und leise an und unterstreicht damit, dass die Eifersucht erst langsam die zerstörerische Kraft entwickelt, die zur Katastrophe führt. Das macht der Chor dann in einer fulminanten Steigerung im Stück deutlich. So gibt es am Ende für alle Beteiligten zu Recht jubelnden Applaus.

FAZIT

George Petrou gelingt mit einem großartigen Ensemble ein toller Einstand in die diesjährigen Festspiele. Dabei arbeitet er die Faszination von Händels Hercules auf den Punkt genau heraus.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
George Petrou

Chor
Klaas-Jan de Groot



FestspielOrchester Göttingen

NDR Vokalensemble

 

Solistinnen und Solisten

Hercules
Andreas Wolf

Dejanira
Vivica Genaux

Iole
Anna Dennis

Hyllus
Nick Pritchard

Lichas
Lena Sutor-Wernich

 

 

Weitere
Informationen

erhalten Sie unter
Händel-Festspiele Göttingen
(Homepage)



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