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Musikfestspiele
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Internationale Händel-Festspiele Göttingen
18.05.2023 - 29.05.2023

Semele

Musikalisches Drama in drei Akten (HWV 58)
Text vermutlich von Newburgh Hamilton als Bearbeitung des gleichnamigen Opernlibrettos von William Congreve nach den Metamorphosen von Ovid
Musik von Georg Friedrich Händel

In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4 h 10'  (zwei Pausen)

Premiere im Deutschen Theater Göttingen am 19. Mai 2023
(rezensierte Aufführung: 28.05.2023)

 

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Im goldenen Käfig

Von Thomas Molke / Fotos: © Alciro Theodoro da Silva

Händels Semele lässt sich im Gesamtwerk des Hallenser Komponisten schwer kategorisieren. Händel, der sich nach dem Misserfolg mit Deidamia 1741 endgültig von der italienischen Oper verabschiedet und dem englischsprachigen Oratorium zugewandt hatte, nannte das 1744 uraufgeführte Werk im Textbuch ohne Gattungsname einfach The Story of Semele. Die Zeitung London Daily ergänzte hinter dem Titel "after the Manner of an Oratorio", weshalb das Stück heutzutage zu den Oratorien gezählt wird. Dies wird Semele aber eigentlich nicht gerecht, da das Stück anders als beispielsweise Messiah oder Saul kein biblisches Thema behandelt und in der dramatischen Struktur eher einer Oper ähnelt. Grundlage für den Text war auch immerhin ein fast 40 Jahre zuvor von William Congreve verfasstes Opernlibretto, das John Eccles vertont hatte. Dieser startete damit den Versuch, nach Henry Purcell wieder eine Oper in englischer Sprache zu etablieren, was ihm allerdings misslang. Zu einer Aufführung dieser Oper kam es nicht, und nach Händels Rinaldo interessierte sich sowieso niemand mehr für die Renaissance einer englischsprachigen Oper. Auch Händel selbst war mit dem Sujet kein großer Erfolg beschert. So geriet das Werk sehr schnell in Vergessenheit. In den vergangenen Jahrzehnten haben allerdings die Händel-Festspiele in Halle, Göttingen, Karlsruhe und London dazu beigetragen, dass dem Werk auch außerhalb der Festspiele wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Erwähnt seien an dieser Stelle Inszenierungen an der Oper Köln 2001, am Aalto Theater in Essen 2008, bei den Salzburger Festspielen 2015, und auch ein 2016 im Theater Mönchengladbach uraufgeführtes Opern-Pasticcio unter dem Titel The Gods Must Be Crazy geht größtenteils auf Händels Werk zurück. Nun stellt auch der künstlerische Leiter der Internationalen Händel-Festspiele Göttingen, George Petrou, dieses Stück szenisch auf den Spielplan. Dabei fungiert Petrou in Doppelfunktion als musikalischer Leiter und Regisseur.

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Semele (Marie Lys) liebt Jupiter (Jeremy Ovenden)

Der Mythos von Semele, der Tochter des Kadmos (Cadmus), des Königs von Theben, und Harmonia, der Göttin der Eintracht, ist vor allem aus Ovids Metamorphosen bekannt. Jupiter verliebt sich in die schöne Königstochter und gewinnt ihr Herz, weil sie stolz darauf ist, von einem Gott begehrt zu werden. Doch Jupiters Frau Juno will die Geliebte, die zu allem Überfluss auch noch ein Kind von Jupiter erwartet, vernichten. Also sucht sie Semele in Gestalt der alten Amme Beroe auf - in der Oper erscheint sie ihr als ihre Schwester Ino - und weckt in ihr den Zweifel, ob ihr Geliebter wirklich der Göttervater Jupiter ist. Semele soll einfordern, dass Jupiter sich ihr in seiner ganzen göttlichen Pracht zeigt. Semele lässt sich überzeugen, ohne zu wissen, dass sie beim Anblick des Gottes verbrennen muss, und entlockt Jupiter das Versprechen, ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Als sie dann fordert, er möge ihr in seiner göttlichen Gestalt erscheinen, ist ihr Schicksal besiegelt. Jupiter kann noch das ungeborene Kind, Dionysos (Bacchus), den späteren Gott des Weins, retten. Händel ergänzt zusätzlich Semeles Verlobten Athamas, der auch von ihrer Schwester Ino begehrt wird. Außerdem betont er anders als im Mythos Semeles Wunsch, Unsterblichkeit zu erlangen, was sie für Juno noch leichter manipulierbar macht.

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Juno (Vivica Genaux, vorne, mit Iris (Marilena Striftombola) im Hintergrund) schäumt vor Wut.

Petrou beginnt in seiner Inszenierung gewissermaßen mit dem Schluss. Während der Ouvertüre erscheint Semele zunächst in einer Videoprojektion auf einem schwarzen Vorhang mit geschlossenen Augen. Dann wird ein Bett auf der Bühne sichtbar, um das der Chor als medizinisches Personal steht. Semele liegt im Bett und ist gerade gestorben. Das ungeborene Baby hat man aber wohl noch retten können. Als Semele plötzlich die Augen aufschlägt, beginnt das Stück quasi als Retrospektive. Paris Mexis hat einen hohen flexiblen Raum mit dunklen Kassettenwänden geschaffen, der mit einem abstrakten Kirchenfenster im Hintergrund zunächst den Tempel der Juno darstellt. Hier will Cadmus seine Tochter Semele mit Athamas verheiraten, was der jungen Frau gar nicht recht ist, da sie doch den Göttervater Jupiter liebt. Vivica Genaux agiert nicht nur als Semeles unscheinbare Schwester Ino, die hoffnungslos in Athamas verliebt ist, sondern übernimmt auch den Part von Jupiters eifersüchtiger Gattin Juno, was ein besonderer Clou ist, da ja beide Figuren Semele um ihr Glück beneiden. Genaux stellt die beiden unterschiedlichen Figuren mit großartiger Interpretation und einer herrlichen Komik dar. Als Ino wirkt sie in ihrem mausgrauen langen Kleid und den feuerroten Haaren, die sich farblich wunderbar mit der knallroten Brille beißen, absolut unattraktiv, so dass es nicht verwundert, dass Athamas ihrer bildhübschen Schwester den Vorzug gibt. Als Juno präsentiert sie sich als aufgetakelte, herrlich zickige vornehme Lady mit schwarzem Pelzmantel auf High Heels, die mit ihrer Arroganz gewaltig über das Ziel hinausschießt, dabei aber irrwitzig komisch ist. Wenn sie dann als Juno in die Rolle der Ino im dritten Akt schlüpft und Genaux beide Figuren kombiniert, ist das ganz große Schauspielkunst.

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Semele (Marie Lys, hinten) zeigt ihrer Schwester Ino (Vivica Genaux, vorne) ihr Lustschloss.

Dass Jupiter Semele nicht wirklich liebt, sondern sie nur als weitere Eroberung betrachtet, die derzeit seine Gelüste befriedigt, macht Petrou mit einem goldenen Käfig deutlich, in dem Jupiter seine Geliebte "hält", nachdem er sie mit einem Donner aus dem Tempel entführt hat. Hier trällert Semele zunächst am Ende des ersten Aktes wie ein Vögelchen von ihrem Glück mit dem Göttervater, bevor es ihr im weiteren Verlauf des Stückes dort sehr langweilig wird und sie immer größere Forderungen an Jupiter stellt. Da kann es sie auch nicht trösten, wenn der Göttervater die ganze Szenerie in ein wunderschönes Arkadien verwandelt und sie mit einem wunderbaren barocken Kostüm ausstattet. Aus dem Schnürboden kommen Prospekte mit wunderschönen Landschaften herab, vor denen sich der Chor in opulenten Kostümen postiert. Während Ino, die ihre Schwester dort gerade besucht, von dem ganzen Zauber begeistert ist, erkennt Semele sehr schnell, dass alles nur eine billige Show ist und zieht sich am Ende des zweiten Aktes weinend in ihren goldenen Käfig zurück, während der Chor noch als Nymphen und Schäfer die pittoreske Landschaft besingt. Im dritten Akt kommt es dann folglich auch zur Katastrophe, wenn sie von Jupiter einfordert, dass er sich ihr in seiner göttlichen Pracht offenbart. Auch hierfür findet Petrou großartige Bilder. Hinter einem schwarzen Gaze-Vorhang, auf den ein loderndes Feuer projiziert wird, sieht man Semele, wie sie an dem Anblick verbrennt. In der nächsten Szene liegt sie dann wie bereits zu Beginn des Abends wieder im Sterbebett.

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Riccardo Novaro als Somnus mit seinen "Jüngern"

Petrou findet nicht nur für den zwölfköpfigen von Agathangelos Georgakatos einstudierten Kammerchor Athen zahlreiche Rollen, in die die Choristen mit großem Spielwitz schlüpfen, sondern kreiert neben den ernsten Szenen auch absolut komische Situationen. Das Lustschloss auf dem Berg Kithairon, in das Jupiter Semele gemäß Libretto entführt hat, ist bei Petrou ein angesagter Club, an dem die Gäste Schlange stehen. Die beiden niemals schlafenden Drachen, die das Schloss bewachen, sind zwei Türsteher, die Juno und ihrer Gehilfin Iris deutlich machen, dass sie hier keinen Zutritt haben. Auch Jupiter lungert hier, getarnt als Obdachloser, herum, vielleicht auf der Suche nach neuen Eroberungen. Wenn sich Juno im dritten Akt an Somnus, den Gott des Schlafes wendet, um Jupiter einen erotischen Traum von Semele zu schicken und die beiden Drachen in Schlaf zu versetzen, gerät sie an eine Hare-Krishna-Sekte, deren Oberhaupt Somnus ist. Riccardo Novaro zeichnet die Figur des Somnus, der sich wie seine Jünger dabei selbst immer wieder vom Schlaf übermannen lässt, mit großartigem Spielwitz. Komödiantischer Höhepunkt des Abends ist dann die Szene zwischen Semele und der als Ino verkleideten Juno. Genaux entfaltet hier eine unglaubliche Slapstick-Komik, wenn sie einerseits Semele einreden muss, dass ihre Schönheit alles Göttliche noch überstrahlt, und andererseits dabei gegen ihre wahren Gefühle der Wut ankämpfen muss. Marie Lys kostet diese Szene mit exzellentem Spiel aus, lässt sich nicht nur von ihrer vermeintlichen Schwester zahlreiche Schuhe herbeischaffen, sondern fordert im Endeffekt auch noch Junos High Heels und den Pelzmantel ein.

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Vivat Bacchus: Cadmus (Riccardo Novaro, Mitte) feiert (links: Jeremy Ovenden als Jupiter / Apollo).

Auch für den Schluss hat Petrou noch einen Gag parat. Das gerettete Baby Bacchus entpuppt sich als eine Flasche Sekt, mit der dann alle auf den neu geborenen Gott des Vergnügens und der Lust anstoßen. Apollo, der dem Volk am Ende diese Verkündigung macht, wird in der Inszenierung nicht nur vom Darsteller des Jupiter gespielt, sondern sieht auch aus wie Jupiter, so dass man ohne das Libretto gar nicht merken würde, dass es hier nicht der Göttervater ist, der dem Volk diese Botschaft verkündet. Am Ende wird es dann aber im Gegensatz zum Freudenchor sehr ernst. Semele tritt in dem barocken Kostüm auf, das sie bereits im zweiten Akt getragen hat, und nähert sich Jupiter an. Doch die beiden können nicht mehr zueinanderfinden. Jupiter vergnügt sich lieber mit dem Liebesgott Cupido im goldenen Käfig, während Semele trauernd vor dem Käfig zurückbleibt. Doch auch Athamas' und Inos Glück ist damit zerstört. Athamas sinkt nämlich vor Semele nieder, während Ino verzweifelt erkennen muss, dass sie den geliebten Mann niemals für sich gewinnen kann.

Das alles bietet nicht nur Unterhaltung auf dem höchsten Niveau, sondern wird auch noch musikalisch großartig umgesetzt. Marie Lys begeistert in der Titelpartie mit strahlenden Koloraturen und leuchtendem Sopran. Dabei changiert sie gekonnt zwischen den tragischen Stellen, in denen Semele unglücklich ist, den jubelnden Szenen, in denen sie mit halsbrecherischen Läufen ihrer Freude freien Lauf lässt, und trumpft auch noch als fordernde Geliebte mit dramatischen Ausbrüchen regelrecht auf. Glanzpunkte ihrer Interpretation sind natürlich die beiden Arien im dritten Akt, "Myself I shall adore" und "No, no! I'll take no less". Hier lässt Lys im Gespräch mit der verkleideten Juno zunächst die Koloraturen nur so perlen und entwickelt sich anschließend in der Auseinandersetzung mit Jupiter zu einer rasenden Furie. Vivica Genaux findet nicht nur darstellerisch für Ino und Juno konträre Ausdrucksformen, sondern untermalt auch stimmlich, dass zwischen diesen beiden Frauen Welten liegen. Nahezu zerbrechlich und weich gesteht sie im ersten Akt als Ino Athamas ihre Liebe und verkündet genauso sanft im dritten Akt Jupiters Befehl, Athamas zu heiraten. Als Juno punktet sie mit beweglichen Läufen und grandiosen tiefen Tönen, die deutlich machen, dass man sich mit der Gattin des Göttervaters besser nicht anlegen sollte. Ihr zur Seite steht Marilena Striftombola als Iris mit leuchtendem Sopran und wunderbar komödiantischem Spiel. Jeremy Ovenden gestaltet den Göttervater Jupiter mit kraftvollem Tenor und intensivem Spiel. Rafał Tomkiewicz punktet als Athamas mit weichem Countertenor, der die Verzagtheit der Figur unterstreicht. Riccardo Novaro changiert mit seinem Bariton zwischen profunden dunklen Tönen als Semeles Vater Cadmus und großartiger Komik als Gott des Schlafes, Somnus. Der Kammerchor Athen begeistert neben der großen Spielfreude durch homogenen Klang. George Petrou bereitet mit dem FestspielOrchester Göttingen einen wahren Ohrenschmaus und arbeitet die Qualitäten des Stückes hervorragend heraus. So gibt es auch bei der Dernière einhelligen Jubel und Begeisterung für eine großartige Inszenierung.

FAZIT

Es spielt gar keine Rolle, ob man Semele nun einer bestimmten Gattung zuordnet oder nicht. In Göttingen bietet die Inszenierung bestes Musiktheater.

Weitere Rezensionen zu den Internationalen Händel-Festspielen Göttingen 2023

 

Produktionsteam

Musikalische Leitung und Regie
George Petrou

Bühnenbild und Kostüme
Paris Mexis

Choreinstudierung
Agathangelos Georgakatos

Licht
Stella Kaltsou



FestspielOrchester Göttingen

Kammerchor Athen

 

Solistinnen und Solisten

Semele
Marie Lys

Jupiter / Apollo
Jeremy Ovenden

Ino / Juno
Vivica Genaux

Athamas
Rafał Tomkiewicz

Cadmus / Somnus / High Priest
Riccardo Novaro

Iris / Cupid
Marilena Striftombola

 

Weitere
Informationen

erhalten Sie unter
Händel-Festspiele Göttingen
(Homepage)



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