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47. Tage Alter Musik in Herne09.11.2023 - 12.11.2023 Il Venceslao Dramma per musica in fünf Akten Libretto von Apostolo Zeno Musik von Antonio Caldara In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln Aufführungsdauer: ca. 2 h 45' (eine Pause) Kooperation mit dem All'improvviso Festival Gliwice und Les Lumières e. V. Konzertante Aufführung im Kulturzentrum in Herne am 12. November 2023 |
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Fulminanter Festival-Abschluss Von Thomas Molke / Fotos: © Thomas Kost / WDR Der Venezianer Antonio Caldara reiht sich heute in die Riege der Barockkomponisten ein, die größtenteils dem Vergessen anheim gefallen sind. Dabei hat er nach seinen Erfolgen in Italien ab 1716 das Wiener Musikleben gut 20 Jahre lang bestimmt und mit seinen zahlreichen Kompositionen dem Wiener Hof zu einer ungeheuren kulturellen Blüte verholfen, obwohl er in den ersten Jahren lediglich als Vize-Kapellmeister neben Johann Joseph Fux tätig war. Vielleicht lag es allerdings auch an dieser festen Stellung, dass sein Ruhm sich nicht so über Europa verbreitete wie der seiner Zeitgenossen Georg Friedrich Händel und Alessandro Scarlatti. So schlummern seine über 90 Opern und Oratorien zum großen Teil in irgendwelchen Archiven alter Fürstenhäuser. In Kooperation mit dem All'improvviso Festival Gliwice und Les Lumières e. V. gibt es nun zum Abschluss der Tage Alter Musik in Herne ein Dramma per musica von Caldara, das anlässlich des Namenstags von Kaiser Karl VI. im renommierten Leopoldinischen Hoftheater am 4. November 1725 uraufgeführt wurde: Il Venceslao. Schlusschor: von links: Stefan Sbonnik, Suzanne Jerosme, Max Emanuel Cencic, Nicholas Tamagna, Sonja Runje, Dennis Orellana und Pavel Kudinov Eigentlich hatten Caldara und der Hofdichter Apostolo Zeno zu diesem Anlass eine Oper über den römischen Feldherrn und Staatsmann Gaius Marius als Identifikationsfigur für den Kaiser geplant, dessen Vorliebe für antik-römische Themen den Stil der Wiener Hofoper in seiner Regierungszeit prägte. Aufgrund einer schweren Erkrankung Zenos konnte das Libretto jedoch nicht rechtzeitig fertiggestellt werden. So griff Caldara auf einen alten Text Zenos zurück, den dieser bereits 1703 für die Karnevalssaison des Teatro San Giovanni in Venedig verfasst hatte. Der titelgebende polnische König Venceslao (Wenzel) hatte zumindest mit dem Kaiser einen von acht Vornamen gemeinsam. Ansonsten ist die Geschichte frei erfunden und reichlich abstrus. Die beiden Söhne des Königs Venceslao, Casimiro und Alessandro lieben beide die Prinzessin Erenice. Dabei hat Casimiro vor einiger Zeit der Königin von Litauen, Lucinda, die Ehe versprochen. Auch der General Ernando ist heimlich in Erenice verliebt, will jedoch zu Gunsten Alessandros auf sie verzichten. Casimiro wittert in Ernando einen Rivalen und will ihn töten, ersticht jedoch im Dunkel der Nacht versehentlich seinen Bruder Alessandro, der gerade den Bund der Ehe mit Erenice schließen will. Venceslao will Casimiro dafür zum Tode verurteilen. Doch Lucinda bittet um Mitleid für den Geliebten. Weil das Volk auf Casimiros Seite steht und Casimiro bereut, begnadigt Venceslao seinen Sohn, dankt als König ab und übergibt ihm die Herrschaft. Alessandro (Dennis Orellana, Mitte) liebt Erenice (Sonja Runje), (rechts: Gismondo (Pavel Kudinov)). Für die Uraufführung in Wien standen neben dem erstklassigen Ensemble aus langjährigen Mitgliedern der Wiener Hofkapelle auch die Starsängerin Faustina Bordoni zur Verfügung, die Georg Friedrich Händel ein Jahr später nach London holte. Auch in Herne haben sich renommierte Stars der Barockszene versammelt, um die musikalischen Qualitäten dieser Oper zu untermauern. Da sind zunächst drei Countertenöre mit sehr unterschiedlichen Stimmfärbungen zu nennen, die den König und seine beiden Söhne verkörpern. Den Anfang macht Dennis Orellana als jüngerer Königssohn Alessandro. Schon beim Auftrittsgesang begeistert der junge Sopranist aus Honduras mit strahlenden Höhen, die den Sieg gegen die rebellischen Kosaken zelebrieren. Laut Textbuch ist diese Eingangsnummer eigentlich für den siegreichen General Ernando gedacht, aber Orellana hat diesen Part übernommen, vielleicht weil er sonst so wenig zu singen gehabt hätte. Immerhin wird er ja schon vor der Pause getötet und taucht als Figur anschließend überhaupt nicht mehr auf, was auch mit Blick auf seine großartigen stimmlichen Qualitäten mehr als bedauerlich ist. Ein Glanzpunkt des Abends ist seine große Arie am Ende des ersten Aktes, wenn er glücklich der heimlichen Eheschließung in der Nacht entgegensieht. Hier ruft Orellana mit exorbitanten Höhen in reinster Form regelrechte Begeisterungsstürme beim Publikum hervor. Venceslao (Max Emanuel Cencic, rechts) und sein Sohn Alessandro (Dennis Orellana, links) Max Emanuel Cencic übernimmt die Titelpartie und gestaltet sie mit recht dunkel gefärbtem Countertenor, der dem König eine gewisse Abgeklärtheit verleiht. Dabei punktet er mit weichen und äußerst flexiblen Bögen in den Läufen. Schon in seiner ersten Arie zeigt er die Selbstzweifel des Königs, wenn er sich selbst ermahnt, als König nicht die Beherrschung zu verlieren. Das gelingt ihm bei Casimiros Verhalten allerdings nicht, und seine Wut entlädt sich im zweiten Akt in halsbrecherischen Koloraturen. Am Ende findet er dann doch seine innere Ruhe, wenn er abdankt und seinem Sohn Casimiro den Thron übergibt. Nicholas Tamagna mimt auch darstellerisch überzeugend den Bösewicht Casimiro, bei dem man eigentlich gar nicht einsehen will, wieso sich am Ende für ihn alles zum Guten wendet und er zum neuen König ernannt wird. Mit großartiger Mimik und relativ schroffen Höhen rät er der verkleideten Lucinda im ersten Akt, wieder abzureisen, und leugnet jedwede Versprechungen, die er ihr einst gemacht hat. Umso schamloser umwirbt er Erenice und ist ohne jeden Skrupel bereit, seinen Rivalen aus dem Weg zu räumen, was er in schonungslosen Koloraturen am Ende des zweiten Aktes zum Ausdruck bringt. Lucinda (Suzanne Jerosme) liebt Casimiro (Nicholas Tamagna). Als weiterer Star des Abends darf Suzanne Jerosme bezeichnet werden, die der Partie der Lucinda ein umfangreiches Spektrum an Gefühlen verleiht. Bei aller Begeisterung für die drei Männerpartien hat man das Gefühl, dass Caldaras Herz beim Komponieren doch vor allem für diese Figur geschlagen hat. Schon im ersten Akt lässt er sie bewegend mit der Oboe in einen traurigen Dialog treten, der unter die Haut geht. Jerosme wirkt mit ihrem warmen Sopran durch die Zurückweisung Casimiros derart unglücklich, dass man ihr am liebsten Trost spenden möchte. Im zweiten Akt zeigt sie dann eine ganz andere Seite. Hier lässt sie in halsbrecherischen Koloraturen ihrer Wut über die Untreue des Geliebten freien Lauf. Zu Beginn des dritten Aktes zeigt Jerosme die Königin dann wieder von der verzweifelten Seite. Wenn Casimiro dann verurteilt wird, erwacht ihre Liebe erneut und sie bittet inständig für den untreuen Geliebten, der aus welchem Grund auch immer am Ende ihr Werben wieder erhört. Wesentlich dunkler ist die zweiter Frauenpartie Erenice angelegt. Sonja Runje stattet die Prinzessin mit einem satten Mezzosopran aus. Wenn sie im zweiten Akt zu Kastagnetten-Klängen auf die Ankunft ihres Geliebten wartet, fühlt man sich beinahe an Bizets Carmen erinnert. In einem wunderbaren Kontrast präsentieren sich die beiden Frauen in zwei Duetten im vierten Akt, die durch eine gestrichene Szene in Herne quasi direkt aufeinander folgen. Während Jerosme und Tamagna in weichen Tönen und warmer Innigkeit einander ihre Liebe gestehen, fordert Runje gemeinsam mit Stefan Sbonnik als Ernando mit wütenden schnellen Läufen Rache für Alessandros Tod. Auch den beiden "dunklen" Männerstimmen sind von Caldara anspruchsvolle Arien zugedacht. Erstaunlich ist, dass diesen beiden kleineren Charakteren häufig der Aktschluss zugeteilt wird. Stefan Sbonnik stattet die Partie des Ernando mit strahlendem Tenor aus, der in den Höhen zu glänzen vermag. Pavel Kudinov punktet als Diener Gismondo mit dunklem und in den Läufen sehr beweglichem Bass. Martyna Pastuszka führt das {OH!} Orkiestra an der Violine mit sicherer Hand durch die farbige Partitur und rundet den Abend großartig ab. Als Zugabe gibt es dann noch einmal den Schlusschor der Oper. FAZIT Zum Abschluss der Tage Alter Musik in Herne gibt es Barockoper auf höchstem Niveau. Dass die Handlung des Stückes mehr als fragwürdig ist, kann den musikalischen Genuss nicht stören. |
AusführendeMusikalische Leitung und Violine
{OH!} Orkiestra
Solistinnen und SolistenVenceslao Casimiro
Alessandro Lucinda Erenice Ernando Gismondo
Weitere |
- Fine -