Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musikfestspiele
 Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum



Innsbrucker Festwochen der Alten Musik
11.07.2023 - 29.08.2023


L'Olimpiade

Oper in drei Akten
Libretto von Pietro Metastasio (in einer Bearbeitung von Bartolomeo Vitturi)
Musik von Antonio Vivaldi

In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4 h (zwei Pausen)

Premiere im Tiroler Landestheater in Innsbruck am 4. August 2023




Homepage

Barocke Verwicklungen beim Sport

Von Thomas Molke / Fotos: © Birgit Gufler / Innsbrucker Festwochen

Als Alessandro De Marchi vor 14 Jahren die künstlerische Leitung der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik übernahm, war seine erste große Opernproduktion L'Olimpiade von Pergolesi, ein Werk, das heute genauso unbekannt ist wie das ihm zugrunde liegende Libretto von Pietro Metastasio. Dabei handelte es sich im 18. Jahrhundert um ein absolut beliebtes Sujet, das über 50 Mal vertont wurde. Verfasst hatte Metastasio den Text 1733 anlässlich des Geburtstags der Kaiserin Elisabeth Christine, und Antonio Caldara war der erste Komponist, der es vertonte und am 28. August 1733 in Wien zur Uraufführung brachte. Am 17. Februar 1734 feierte dann Vivaldi mit seiner Vertonung in Venedig ein umjubeltes Comeback. Doch wie sein übriges Opernschaffen geriet auch L'Olimpiade schnell in Vergessenheit, bis ein spektakulärer Fund in den 1920er Jahren auf dem Dachboden eines Klosters und einer chaotisch archivierten Turiner Privatbibliothek dazu führten, dass der in Venedig geborene Komponist eine Art Renaissance erlebte. Von den wiederentdeckten Partituren war L'Olimpiade das erste Werk, das 1939 in Venedig erneut zur Aufführung gelangte, wahrscheinlich nicht zuletzt wegen des olympischen Bezugs. Danach wurde es wieder lange still um die Oper, bis schließlich die ersten Einspielungen auf CD folgten und es 2007 beim Festival Winter in Schwetzingen, das in den ersten Jahren einen Schwerpunkt auf Vivaldi gelegt hatte, zur deutschen Erstaufführung kam. Auch De Marchi hat eine besondere Vorliebe für den "größten Barockmeister Italiens" und stellt zum Abschluss seiner Intendanz Vivaldis Werk auf den Spielplan, womit er gleichzeitig inhaltlich auch einen Bogen zu seinen ersten Festspielen spannt.

Bild zum Vergrößern

Clistene (Christian Senn, Mitte rechts) erfährt von Aminta (Bruno de Sá, Mitte links), dass Licida (Bejun Mehta, rechts) sein Sohn Filinto ist (auf der linken Seite: Megacle (Raffaele Pe), Argene (Benedetta Mazzucato) und Aristea (Margherita Maria Sala), 2. von rechts: Alcandro (Luigi De Donato) mit Statisterie).

Die Geschichte basiert auf einer Episode über die Olympischen Spiele aus den Historien des Herodot und wurde von Metastasio um zahlreiche Verwicklungen angereichert. Clistene, der König von Sikyon, leitet die Olympischen Spiele und hat dem Sieger seine Tochter Aristea als Ehefrau versprochen. Licida, der aus seiner Heimatstadt Kreta nach Elis gekommen ist, hat sich in Aristea verliebt, obwohl er in Kreta eigentlich Argene die Treue geschworen hat. Da er aber keine Aussichten hat, die Olympischen Spiele zu gewinnen, bittet er seinen Freund Megacle, einen sehr erfolgreichen Athleten, unter seinem Namen an den Spielen teilzunehmen und zu gewinnen. Megacle ist ihm zu Dank verpflichtet, weil Licida ihm einst das Leben gerettet hat, als er Räubern in die Hände gefallen war. Megacle ist aber selbst unsterblich in Aristea verliebt, was Licida nicht weiß und Megacle in einen schweren Gewissenskonflikt stößt. Schließlich zählt Freundschaft für ihn jedoch mehr als Liebe, und er schlüpft in Licidas Rolle, um an den Spielen teilzunehmen. Aristea ist unglücklich, weil sie nicht dem Sieger zugesprochen werden möchte, da sie insgeheim Megacle liebt. Als Megacle unter Licidas Namen die Spiele gewinnt und Aristea als Preis erhält, ist die Verwirrung perfekt. In dieser Situation sieht Megacle als einzigen Ausweg den Selbstmord. Licida erkennt, was er von Megacle verlangt hat und bereut seinen Befehl. Im Wahn verübt er einen Mordanschlag auf Clistene, der misslingt. Nun soll Licida hingerichtet werden. Megacle, der aus den Fluten gerettet worden ist, will für Licida sterben, wird aber wegen Betrugs ebenfalls verhaftet. Argene bietet ihr Leben ebenfalls für den untreuen Geliebten an. An einer Kette, die Argene von Licida erhalten hat, erkennt Clistene schließlich, dass Licida sein totgeglaubter Sohn Filinto, Aristeas Zwillingsbruder, ist, den er einst ausgesetzt hatte, weil das Orakel von Delphi ihm prophezeit hatte, dass sein Sohn später zum Vatermörder werden könnte. Sein Vertrauter Alcandro hatte den Säugling allerdings nicht wie befohlen ins Meer geworfen, sondern Aminta überlassen, der ihn zum Königshof nach Kreta gebracht hatte, wo gerade der Königssohn gestorben war. So wuchs Filinto unter dem Namen Licida als Prinz von Kreta auf. Als Clistene dennoch am Todesurteil festhalten will, verkündet Megacle, dass die Spiele nun zu Ende seien und Clistene nicht mehr den Vorsitz und die Macht habe, darüber zu entscheiden. Das Volk solle ein Urteil sprechen, was mit Licida zu geschehen habe. Das Volk zeigt Gnade, so dass einem glücklichen Ende mit zwei Paaren nichts mehr im Wege steht.

Bild zum Vergrößern

Leibesübungen während der Ouvertüre (Statisterie)

Bei der verworrenen Handlung verwundert es eigentlich nicht, dass Metastasios Text und dessen zahlreiche Vertonungen heute in Vergessenheit geraten sind. Dennoch gelingt dem Regie-Team um Stefano Vizioli ein spannender und durchaus unterhaltsamer Zugang zur Geschichte, der der Handlung einerseits treu bleibt, dabei andererseits die Figuren tiefenpsychologisch und relativ modern ausleuchtet. Vizioli verlegt die Geschichte aus der griechischen Antike in die "Neuzeit" und verortet die Geschichte optisch in den 1930er Jahren. Ein Grund mag sein, dass in dieser Zeit Vivaldis Werk erstmals wiederentdeckt wurde. Die Bühne von Emanuele Sinisi zeigt einen Trainingsraum mit diversen Sportgeräten, an denen sich zur Ouvertüre athletische Statisten auf die bevorstehenden Olympischen Spiele vorbereiten. Ein antiker Torso im rechten Bühnenhintergrund und eine Statue auf der linken Seite stellen einen Bezug zur Antike her. Für Szenenwechsel kann eine Zwischenwand herabgelassen werden, die Bilder zu Olympischen Spielen dieser Zeit zeigt, die an Leni Riefenstahl erinnern. Auf der rechten Seite der Bühne führt eine Wendeltreppe zu einem Balkon in der oberen Etage, was wohl den Herrschaftssitz Clistenes darstellen soll. In diesem Ambiente bewegt sich nun die Inszenierung durch eine geschickte Personenregie mit zahlreichen, teils sehr humorvollen Einfällen, durch eine an sich musikalisch sehr rezitativlastige Geschichte, ohne dass dabei irgendwelche Längen entstehen, was natürlich nicht zuletzt einem absolut spielfreudigen Ensemble zu verdanken ist.

Bild zum Vergrößern

Mehr als nur Freundschaft? Megacle (Raffaele Pe, liegend) und Licida (Bejun Mehta, sitzend)

Da ist zunächst Raffaele Pe in der Partie des Megacle zu nennen, der in seinem schicken weißen Sport-Dress nicht nur sehr athletisch wirkt, sondern sich auch an den Ringen und beim Seilchenspringen als äußerst sportlich zeigt, ohne dass dabei der Gesang beeinträchtigt wird. Mit warmem Countertenor und großer Beweglichkeit in den Läufen durchlebt er den Gewissenskonflikt, in den ihn Licidas Wunsch stürzt. Absolut überzeugend präsentiert er seine Liebe zu Aristea im großen Duett im ersten Akt und leidet herzzerreißend, wenn er erkennt, dass er seine Geliebte für seinen Freund erobern will. Bejun Mehta steht ihm als Licida stimmlich in nichts nach. In seinem weißen Anzug wirkt er einerseits vornehmer als Megacle, macht zum anderen aber auch deutlich, dass er keineswegs so sportlich ist und damit keine Chance hätte, als Sieger bei den Spielen hervorzugehen. Mehta verfügt über einen strahlenden Countertenor, der virile Züge hat und den Lebemann-Charakter der Figur unterstreicht. In seiner großen Arie im ersten Akt wird deutlich, dass zwischen diesen beiden Männern durchaus noch etwas mehr als Freundschaft sein könnte. Szenisch befindet man sich in einem Massageraum, in dem die Sportler auf den Wettkampf vorbereitet werden. Wie subtil Mehta in seiner Arie passend zur Musik hier ausspielt, dass er sich zu seinem Freund hingezogen fühlt, ist mit Blick auf das Ende schon beinahe tragisch. Hier greift Mehta diese Stimmung nämlich in Blicken noch einmal auf, wenn die beiden Paare eigentlich ihre Liebe feiern und Licida scheinbar nicht ganz sicher ist, ob er wirklich Argene will oder eigentlich insgeheim Megacle begehrt.

Bild zum Vergrößern

Bruno de Sá als Aminta

Ein weiterer Glanzpunkt des Abends ist Bruno de Sá in der Rolle des Aminta. Wenn man die Augen schließen würde, könnte man denken, dass diese Partie nicht von einem Mann gesungen wird. De Sás Höhen sind so strahlend und leuchtend und lassen jede virile Note vermissen. Dabei perlen die Koloraturen mit einer Leichtigkeit, um die ihn manche Koloratursopranistin beneiden dürfte. Neben seinem atemberaubenden Gesang begeistert de Sá auch durch eine großartige Komik, wenn er beispielsweise beim zweiten A-Teil von Argenes Arie etwas genervt kommentiert, dass ihre Klage jetzt wieder von vorne losgeht. Auch bei seiner großen Arie im zweiten Akt präsentiert er sich vor der herabgelassenen Zwischenwand als regelrechter Entertainer mit Moves, die man vielleicht mit Michael Jackson verbindet, und löst beim Publikum einen regelrechten Beifallsorkan aus, so dass man ihn nach dem Abgang eigentlich gerne noch einmal für eine Verbeugung vor dem Vorhang gesehen hätte.

Bild zum Vergrößern

Aristea (Margherita Maria Sala, links) und Argene (Benedetta Mazzucato, rechts) trösten einander.

Im Vergleich zu den drei Männern sind die beiden Frauenpartien relativ tief angelegt. Margherita Maria Sala, Preisträgerin des Internationalen Gesangswettbewerbs für Barockoper "Pietro Antonio Cesti" 2020, den De Marchi während seiner Intendanz genauso wie das Projekt Barockoper:Jung ins Leben gerufen hat, punktet als Aristea mit samtweichem Mezzosopran und großer Flexibilität in den Läufen. Dabei ergibt sie sich zunächst mit leidendem Spiel ihrem Schicksal, wird dann absolut enthusiastisch, wenn sie erfährt, dass Megacle im Wettstreit antritt, um sich dann zur rasenden Furie zu entwickeln, wenn sie sich um ihre Liebe betrogen fühlt. Mit welcher Begeisterung sie erst mehrere Schaufensterbräute mit Schleiern dekoriert, um dann später den Schleier zu zerreißen und das ausgewählte Modell umzuwerfen, besitzt schon eine gewisse Komik. Stimmlich findet sie mit Pe in den Duetten zu einer bewegenden Innigkeit. Auch Benedetta Mazzucato lässt als Argene keine Wünsche offen und durchlebt ein Wechselbad der Gefühle von der gedemütigten Geliebten zur mutigen Frau, die mit ihrer Opferbereitschaft doch noch das glückliche Ende ermöglicht. Ihr samtweiches Timbre geht in den ruhigen Arien unter die Haut und findet im Duett mit Sala zu einem harmonischen Klang. Wenn sie im dritten Akt quasi engelsgleich erhöht hinter einer Zwischenwand beschließt, Licida zu retten und sich die Blumen ihr zuwenden, ist das zwar Kitsch pur, aber immerhin mit einem gewissen Augenzwinkern versehen.

Christian Senn und Luigi De Donato runden als König Clistene und sein Vertrauter Alcandro das Ensemble überzeugend ab. Leider hat Vivaldis Musik für diese beiden Figuren nicht so viel vorgesehen, womit sie brillieren könnten. Gleiches gilt für den von Elena Camoletto einstudierten Coro Maghini, der hinter den beiden Seitenlogen auf der rechten und linken Seite positioniert ist und lediglich als Stichwortgeber funktioniert. Alessandro De Marchi macht mit dem Innsbrucker Festwochenorchester den Abschied so richtig schwer. Mit großer Detailverliebtheit lotet er die Gefühlsschwankungen der Figuren und ihre Konflikte bewegend aus und wird vom Publikum mit großem Jubel gefeiert. Da scheint es mehr als gerecht, dass er beim Festakt am Vormittag in Spanischen Saal von Schloss Ambras für seine Verdienste um die Festspiele mit dem Ehrenring der Stadt Innsbruck ausgezeichnet worden ist. Man wird ihn bei den Festwochen im nächsten Jahr schmerzlich vermissen.

FAZIT

Stefano Viziolis Inszenierung zeigt, dass Vivaldis Oper durchaus Potenzial für eine aktuelle Umsetzung besitzt und mit einem großartigen Ensemble wie in Innsbruck durchaus häufiger auf dem Spielplan stehen könnte.

Weitere Rezensionen zu den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik 2023




Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Alessandro De Marchi

Regie
Stefano Vizioli

Bühnenbild
Emanuele Sinisi

Kostümbild
Anna Maria Heinreich

Choreinstudierung
Elena Camoletto



Innsbrucker Festwochenorchester

Coro Maghini

Statisterie


Solistinnen und Solisten

Clistene, König von Sikyon
Christian Senn

Aristea, seine Tochter
Margherita Maria Sala

Licida, vermeintlicher Sohn des Königs von Kreta
Bejun Mehta

Megacle, Licidas Freund und Aristeas Geliebter
Raffaele Pe

Argene, Dame aus Kreta und Licidas Geliebte
Benedetta Mazzucato

Aminta, Licidas Erzieher
Bruno de Sá

Alcandro, Vertrauter des Clistene
Luigi De Donato

 


Zur Homepage von den
Innsbrucker Festwochen
der Alten Musik




Da capo al Fine

 Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum

© 2023 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de

- Fine -