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Innsbrucker Festwochen der Alten Musik
11.07.2023 - 29.08.2023


La fida ninfa

Dramma per musica in drei Akten (Turiner Erstfassung, 1732)
Libretto von Scipione Maffei
Musik von Antonio Vivaldi

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 45 (eine Pause)

Premiere in den Kammerspielen im Haus der Musik Innsbruck am 14. August 2023
(rezensierte Aufführung: Dernière am 19.08.2023)




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Der doppelte Osmino

Von Thomas Molke / Fotos: © Birgit Gufler / Innsbrucker Festwochen

Seit 2011 hat sich das Akademie-Projekt Barockoper:Jung zu einem unverzichtbaren Programmpunkt der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik entwickelt. Darin erarbeiten unter anderem die jungen Preisträger und Preisträgerinnen des Internationalen Gesangswettbewerbs für Barockoper Pietro Antonio Cesti eine Oper. Beim Publikum sind diese Produktionen besonders beliebt, weil man hier die potentiellen Stars von morgen erleben kann. Da der Schwerpunkt im Bereich der Oper in diesem Jahr auf Antonio Vivaldi liegt, steht auch bei der Barockoper:Jung in diesem Jahr ein Werk Vivaldis auf dem Programm. Die Wahl ist auf La fida ninfa gefallen, ein Dramma per musica, das aufgrund der Handlung und der Figuren als Pastorale betrachtet werden kann, dabei aber deutliche Züge der Opera seria trägt. Mit dem Stück wurde am 6. Januar 1732 das Teatro Filarmonico in Verona eröffnet. Vivaldi hoffte, damit endlich auch in der Opernmetropole Wien Fuß fassen zu können, was ihm auch gelang. Es blieb jedoch die einzige Oper, die zu Vivaldis Lebzeiten in Wien aufgeführt wurde, dazu noch unter dem Titel Il giorno felice in einer stark abgeänderten Form mit nur insgesamt sieben Arien der Originalfassung und auch nicht am Hoftheater, sondern "nur" am Theater am Kärntnertor.

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Licori (Chelsea Zurflüh) sucht Schutz im Wald.

Das Stück wird häufig als Vivaldis "unkomplizierteste" Oper bezeichnet, was sich mit Blick auf die verworrene Handlung nicht wirklich nachvollziehen lässt. Osmino, der Sohn eines Schäfers aus Skyros, ist als junges Kind von Räubern entführt worden. Daraufhin haben seine Eltern seinen jüngeren Bruder Tirsi ebenfalls auf den Namen Osmino getauft, weil sie keine Hoffnung hatten, ihren erstgeborenen Sohn wiederzusehen. Nun hat es beide Jungen auf die Insel Naxos verschlagen, wo der Pirat Oralto herrscht. Osmino ist bei ihm unter dem Namen Morasto als Statthalter tätig. Zu Beginn der Oper berichtet Oralto Morasto, dass er drei Gefangene als Beute aus Skyros mitgebracht hat: den Schäfer Narete und seine beiden Töchter Licori und Elpina. Morasto erkennt in Licori die junge Frau, die ihm, Osmino, einst in Skyros als Braut versprochen war. Doch auch Oralto und Osmino, also Tirsi, haben großes Interesse an dem attraktiven Mädchen. Licori will allerdings ihrem  verschollenen designierten Ehemann Osmino treu bleiben. Da sie Morasto nicht als Osmino erkennt, weist sie auch ihn zurück. Als Elpina ihren Verehrer für Osmino hält, glaubt Licori, ihren Geliebten wiedergefunden zu haben und ist glücklich. Der falsche Osmino nimmt ihre Liebesbekundungen nur allzu gern entgegen, was Elpina eifersüchtig werden lässt. Oralto will Licori weiterhin erobern. Daraufhin berichten Elpina und Narete, dass sie sich ins Meer gestürzt habe und ertrunken sei. Enttäuscht reist Oralto ab und erteilt Morasto den Auftrag, die Gefangenen zu bewachen. Morasto gibt sich als Osmino zu erkennen und will Narete und seine Töchter nach Skyros zurückbringen. Licori, die nicht ertrunken ist, versichert Morasto-Osmino, dass sie immer nur ihn geliebt habe. Die gemeinsame Abfahrt wird von einem wilden Sturm überschattet, dem Juno Einhalt gebietet.

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Osmino (Nicolò Balducci, rechts) flirtet mit Elpina (Elina Welle) (links: Pan (Yevhen Rakhmanin)).

François de Carpentries, der im Rahmen des Projektes Barockoper:Jung bereits 2017 Die römische Unruhe oder Die edelmütige Octavia von Reinhard Keiser erarbeitet hat (siehe auch unsere Rezension), verzichtet mit seiner Bühnen- und Kostümbildnerin Karine Van Hercke auf eine Modernisierung oder Aktualisierung der Geschichte. Beim Bühnenbild haben sich die beiden vor allem von Radierungen des 17. und 18. Jahrhunderts inspirieren lassen, was sich in den gemalten Kulissen widerspiegelt. Im Teil bis zur Pause deuten hohe Baumstämme einen Wald an, in den Licori vor den sie bedrängenden Verehrern flieht und in dem Morasto in zahlreiche Stämme seine Liebesbekundungen zur Nymphe Licori eingeritzt hat. Eine riesige Figur, die zu Beginn zu sehen ist und im weiteren Verlauf immer wieder in den Schnürboden hinaufgezogen und herabgelassen wird, symbolisiert den Piraten Oralto, der über die Insel herrscht. Rechts und links von der Bühne sieht man einige Requisiten, die die beiden Welten darstellen, die in der Geschichte aufeinandertreffen: eine Piratenflagge und ein Schiff auf der einen Seite und ein Schaf auf der anderen. Im zweiten Teil nach der Pause sind die Bäume einer felsigen Landschaft gewichen, die in ähnlicher Struktur wie die Bäume gemalten ist.

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Narete (Kieran White, vorne links) berichtet Oralto (Yevhen Rakhmanin, Mitte) und dem verzweifelten Morasto (Vojtěch Pelka), dass Licori ertrunken sei (im Hintergrund: Elpina (Elina Welle) und Osmino (Nicolò Balducci)).

Die Kostüme von Van Hercke betonen unter anderem mit tierischen Bezügen den Charakter der jeweiligen Figur. So erinnert Licori in ihrem weißen Kleidchen mit dem Fellbesatz an ein Lamm, das von Oralto und Osmino als Beute gesehen wird. Osmino erinnert an einen Satyr, was seinen Charakter als Lebemann unterstreicht, der zunächst heftig mit Elpina flirtet, dann aber Licori erobern will. Morasto trägt einen Hut, der einen Hundekopf zeigt. Dieser Kopf kann zum einen für einen Hund stehen, der eine Schafherde bewacht und schützt, und zeigt zum anderen Morastos Ergebenheit. Schließlich hat er auch vor Licoris Ankunft Oralto treue Dienste geleistet. Oralto wirkt in seinem Piratenkostüm nahezu märchenhaft wie eine Disney-Ikone. In diesem Ambiente erzählt de Carpentries sehr librettonah die verworrene Geschichte, die sich durch die Übertitel sehr gut erschließt. In einzelnen Arien fügt er weitere Figuren ein und ordnet sie den Charakteren zu. So wird beispielsweise Licori mit einem geflügelten Einhorn und Osmino mit dem lüsternen Gott Pan gedoppelt. Während der Auftritt der Medusa und der Eule der Athene sich noch zum gesungenen Text in Beziehung setzen lassen, bleibt unklar, was der Minotaurus im zweiten Teil soll. Sollen ihm die Gefangenen im dritten Akt geopfert werden? Nötig ist dieser Regie-Einfall nicht, stört den Genuss der Inszenierung allerdings auch nicht.

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Liebesverwicklungen: von links: Licori (Chelsea Zurflüh), Morasto (Vojtěch Pelka), Elpina (Elina Welle) und Osmino (Nicolò Balducci)

Das junge Ensemble begeistert nicht nur szenisch mit großartigem Spiel, sondern lässt auch stimmlich aufhorchen. Da ist zunächst Chelsea Zurflüh als "fida ninfa" Licori zu nennen, die unter anderem 2022 mit dem zweiten Preis und dem Publikumspreis beim Cesti-Wettbewerb ausgezeichnet worden ist. Mit leuchtendem Sopran und perlenden Koloraturen arbeitet sie die Gefühlsschwankungen des Mädchens eindrucksvoll heraus. Bewegend gestaltet sie die Pein, die sie empfindet, wenn sie ständig bedrängt wird, und weist Oralto und Morasto teilweise mit recht scharfen Tönen von sich. Umso euphorischer ist ihre Freude, wenn sie glaubt, in Tirsi ihren Osmino wiedergefunden zu haben. Regelrecht verwirrt zeigt sie sich, wenn sie am Ende erkennen muss, dass Morasto der Mann ist, dem sie die Treue geschworen hat, und dass sie sich nur vom Namen hat blenden lassen. Auch Vojtěch Pelka nahm als Halbfinalist am Cesti-Wettbewerb 2022 teil und begeistert als Morasto mit beweglichem Countertenor, der in der Höhe eine enorme Wärme verstrahlt und in der Mittellage sehr viril klingt. Ein Glanzpunkt ist seine große Arie im zweiten Akt, wenn er an Licoris Treue zweifelt, weil sie sich Tirsi zugewandt hat. Hier punktet Pelka mit stupenden Koloraturen und einer großen Flexibilität.

Der Countertenor Nicolò Balducci wurde beim Cesti-Wettbewerb 2022 mit dem 3. Preis und dem Nachwuchspreis ausgezeichnet und glänzt als falscher Osmino mit einer samtigen Mittellage und verführerischem Spiel. Dabei versprüht er als Womanizer eine enorme Komik. Auch er zeigt in den schnellen Läufen eine enorme Beweglichkeit. Elina Welle stattet die Partie der Elpina mit warmem Mezzosopran aus und macht ihre Enttäuschung über Osminos Zurückweisung nach dem anfänglichen Flirt mehr als deutlich. Am Ende übernimmt sie auch den Part der Juno, wobei de Carpentries sie nicht als Juno sondern als Medusa auftreten lässt, die gemeinsam mit Pan anstelle des Aeolus den Flüchtenden eine sichere Heimreise verspricht. Yevhen Rakhmanin war bereits 2020 Finalist beim Cesti-Wettbewerb und 2021 hier als Zar Theodorus Iwanowitz in Boris Goudenow von Johann Mattheson zu erleben. Den Piraten Oralto (und den Hirtengott Pan am Ende der Oper) stattet er mit kraftvollem Bass aus und verleiht der Figur so enorme Autorität. Kieran White, ebenfalls Finalist beim Cesti-Wettbewerb 2022, rundet mit weichem Tenor als Narete das Ensemble hervorragend ab.

Das Barockorchester:Jung wird von Chiara Cattani geleitet, die seit 2018 die musikalische Assistentin von Alessandro De Marchi bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik ist. Mit viel Fingerspitzengefühl fächert sie mit den jungen Musikerinnen und Musikern die Klangschönheit der Partitur auf und weckt den Wunsch, dieses vernachlässigte Werk Vivaldis häufiger auf den Opernbühnen zu erleben. So gibt es am Ende für alle Beteiligten großen und verdienten Jubel.

FAZIT

Vivaldis La fida ninfa hätte es verdient, häufiger auf dem Spielplan zu stehen, vor allem in einer so großartigen Inszenierung mit derart ambitionierten jungen Künstlerinnen und Künstlern.

Weitere Rezensionen zu den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik 2023




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Produktionsteam

Musikalische Leitung und Cembalo
Chiara Cattani

Regie und Lichtdesign
François de Carpentries

Bühnenbild und Kostüme
Karine Van Hercke



Barockorchester:Jung


Solistinnen und Solisten

Oralto, Herrscher der Insel Naxos
Yevhen Rakhmanin

Morasto, eigentlich Osmino,
Schäfer aus Skyros

Vojtěch Pelka

Osmino, eigentlich Tirsi,
Schäfer aus Skyros

Nicolò Balducci

Licori, Nymphe aus Skyros
Chelsea Zurflüh

Elpina, Nymphe aus Skyros
Elina Welle

Narete, Schäfer und Vater der beiden Nymphen
Kieran White

 


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