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Das große Netzwerk des Fanz-Xaver Ohnesorg
Von Stefan Schmöe / Fotos: Peter Wieler
Das erste von drei Gala-Benefizkonzerten zum Abschied des Intendanten Franz-Xaver Ohnesorg beginnt mit Protesten von Klimaschützern gegen den Energiekonzern RWE, den Hauptsponsor des Klavier-Festival Ruhr 2023. Neben einer Demonstration vor den Türen der Wuppertaler Stadthalle versuchen Aktivisten, zu Konzertbeginn im Saal ihre Botschaften zu verkünden, wobei sie (wie schon beim Auftaktkonzert in Essen) umgehend von Saalordnern hinauseskortiert werden. Ohnesorg, der als Moderator durch die Veranstaltung führt, verweist umgehend auf sein Hausrecht - und irrt doch, wenn er die Durchführung dieses Konzerts sinngemäß als "genauso wichtig wie die Anliegen, für die Sie kämpfen", bezeichnet [Hinweis der Red.: Bitte beachten Sie dazu auch die Stellungnahme des Klavier-Festivals am Ende dieses Textes]. Davon abgesehen, dass hier inkommensurable Dinge gegeneinander abgewogen werden, zeigt sich in einer solchen Haltung auch eine gewisse Selbstbezogenheit des Festivals und seines Publikums, die schon deshalb bedauerlich ist, weil Ohnesorg mit seinem ambitionierten Education-Programm (das erwähnt wird, aber selbst keinen Platz in der Veranstaltung findet) die Bedeutung von (Klavier-)Musik über die Grenzen des bürgerlichen Kulturestablishments hinaus aufgezeigt hat. Ob umgekehrt der Weg der Provokation und Konfrontation mit den Entscheidungsträgern der Wirtschaft, die sich gehäuft hier versammelt haben dürften, den Anliegen der Klimaaktivisten nützlich ist, darf mit Recht bezweifelt werden. Wie sich das Klavier-Festival zukünftig in der dramatisch wichtigen Klimafrage positioniert, gehört zu den spannenden Fragen an die designierte Neuintendantin Kathrin Zagrosek. Die hat offenbar erst einmal das markante Logo (eine angedeutete Klaviertastatur, verbunden mit dem strahlkräftigen Rot, dass man immer schon von weitem erkannte) durch ein eher nichtssagendes neues ersetzt (der Schriftzug Klavier-Festival Ruhr in dreieckiger Anordnung; könnte einen Flügel symbolisieren, vielleicht aber auch nicht). Na ja.
Gidon Kremer und András Schiff
Wie riesig die Fußstapfen Ohnesorgs sind, die sie demnächst ausfüllen muss, zeigt natürlich dieser Abend und die Anekdoten, in denen der scheidende Intendant Einblicke in sein beeindruckendes Netzwerk gibt. Darin zeichnen sich drei Künstler ab, die zentrale Rollen einnehmen und an diesem Abend in Wuppertal auch auf der Bühne stehen: Alfred Brendel, Gidon Kremer und András Schiff. Brendel, der sich 2008 als Pianist vom Podium verabschiedet hat, liest mit spitzbübischem Witz einige seiner (beileibe nicht unsinnigen) Unsinnsgedichte, denen Pierre-Laurent Aimard am Flügel kongenial und mit der ihm eigenen Souveränität und gehörigem Humor Miniaturen von György Ligeti und György Kurtág entgegensetzt. Brendel hat neben eigenen Konzerten aber immer wieder junge Pianisten unterstützt und an das Klavier-Festival Ruhr herangeführt. Dazu gehört der (inzwischen 51jährige) Till Fellner, der Schuberts Impromptus f-Moll D 935/1 und As-Dur D 935/2 spielt, im ersten allzu streng-kontrolliert das Metrum durchexerzierend, im zweiten mit mehr erzählerischen Freiheiten. Von Brendel protegiert wird der 33jährige, ungemein vielseitige Shooting-Star Kit Armstrong, der zum Auftakt des Abends auf dem großen Steinway-Flügel Musik von John Bull (1562 - 1628) und William Byrd (1543 - 1623) aus dem 16. Jahrhundert überdimensioniert und mit überbordenden Trillerketten interpretiert. Den Kontrast liefert András Schiff am Ende des mit dreieinhalb Stunden sehr langen Abends mit Johann Sebastian Bachs rund einhundert Jahre jüngerem Cappriccio B-Dur Über die Abreise des geliebten Bruders BWV 992, abgeklärt und unaufgeregt, aber mit unendlicher Liebe für Form und Details gespielt und von Schiff mit eigenen Worten kurz eingeleitet, wobei er Ohnesorg charmant mit dem "geliebten Bruder" identifiziert und zum Wahlverwandten erklärt.
Alfred Brendel
Die enge Verbindung von Ohnesorg und Schiff entstand bei Gidon Kremers Festival im österreichischen Lockenhaus, wo sich viele Lebenslinien - ein Motto des Klavier-Festivals Ruhr in den letzten Ohnesorg-Jahren - kreuzten, und wo sich Schiff auch als exzellenter Begleiter einen Namen gemacht hat. An diesem Abend übernimmt er den Klavierpart in Schuberts Violinsonate A-Dur D 574 mit Kremer als zunächst übermäßig introvertiertem und auch im Ton arg zurückhaltendem Solisten. Von einem medizinischen Notfall im Publikum unterbrochen, spielt Kremer den anschließenden dritten und vierten Satz zupackender und auch ein wenig großformatiger angelegt. Ein Novum für das Festival ist der Auftritt des famosen Hornisten Radovan Vlatkovic mit Schumanns Adagio und Allegro As-Dur für Horn und Klavier op. 70, ebenfalls mit Schiff als Begleiter.
Netzwerker Franz-Xaver Ohnesorg (links) bedankt sich bei (von links) András Schiff, Kit Armstrong, Alfred Brendel, Pierre-Laurent Aimard, Gidon Kremer, Till Fellner, Radovan Vlatkovic und Fabian Müller
Den größten Jubel nimmt der 33jährige Fabian Müller entgegen, der sich durch seinen großen Einsatz im Rahmen des Education-Programms um das Festival verdient gemacht und für seinen Auftritt mit Beethovens Apassionata eines der ganz großen (und beim Publikum ungemein beliebten) Schlachtrösser der Klaviermusik ausgesucht hat. Gestenreich legt er eine vielschichtige, tragisch-dramatische, aber nicht übermäßig pathetische Interpretation vor, die Gespür für das richtige Maß an Bravour besitzt.
Nachtrag: Das Klavier-Festival Ruhr bittet um Klarstellung der Ausführungen zu den mehrfachen Störungen des Konzerts durch Klima-Aktivisten, die wir im Wortlaut wiedergeben: |
Klavier-Festival Ruhr 2023 Historische Stadthalle Wuppertal 28. Oktober 2023 Ausführende und ProgrammKit Armstrong, KlavierJohn Bull (1562-1628): Melancholy Pavan (MB 19/67a) Fantasia (Fitzwilliam 108) William Byrd (1543-1623) John Come Kiss Me Now (Fitzwilliam 10; MB 28/81) Till Fellner, Klavier Franz Schubert (1797-1828): Impromptu Nr. 1 in f-Moll D 935/1 Impromptu Nr. 2 in As-Dur D 935/2 Sir András Schiff (Klavier) Gidon Kremer (Violine) Franz Schubert: Sonate A-Dur für Violine und Klavier D 574 Sir András Schiff (Klavier) Radovan Vlatkovic (Horn) Robert Schumann (1810-1856): Adagio und Allegro As-Dur für Horn und Klavier op. 70 Fabian Müller, Klavier Ludwig van Beethoven (1770-1827): Sonate Nr. 23 in f-Moll op. 57 "Appassionata" Alfred Brendel (Lesung) Pierre-Laurent Aimard (Klavier) György Ligeti: Musica Ricercata Nr. 1 Alfred Brendel: Justinus Kerner György Kurtág: Lasst uns blödeln Alfred Brendel: Menschen spielen György Kurtág : (leises gespräch mit dem teufel) Alfred Brendel: Alles György Kurtág : Spiel Alfred Brendel: Drei Tenöre György Kurtág: Hommage à Verdi (sopra: Caro nome che il mio cor) Alfred Brendel: Fischkemper György Ligeti : Touches bloquées Alfred Brendel: Dritter Zeigefinger Sir András Schiff, Klavier Johann Sebastian Bach (1685-1750): Capriccio B-Dur über die Abreise des geliebten Bruders BWV 992 Klavierfestival Ruhr 2023 - unsere Rezensionen im Überblick
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