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Der eigentümlich schöne Klang des 19. Jahrhunderts
Von Stefan Schmöe / Fotos: Dana Schmidt
"Schubert würde sich im Grabe herumdrehen!" Ein deutliches Statement, lautstark in den Saal gerufen. Es galt freilich keineswegs der musikalischen Interpretation, sondern dem aktuellen Hauptsponsor des Klavier-Festivals Ruhr, dem in Essen beheimateten Energiekonzern RWE. Klimaaktivist*innen der Gruppierungen "Extinction Rebellion" und "Ende Gelände" hatten sich zum Ziel gesetzt, bei diesem Eröffnungskonzert die Begrüßungsansprache des Vorstandsvorsitzenden des Konzerns, Markus Krebber, zu stören (hier nachzuhören). Der zeigte sich unbeeindruckt, und die Saalordner sorgten mit Entschlossenheit für Ordnung. Die Publikumsreaktionen schwankten zwischen wütendem "raus hier" und doch auch ein klein wenig Beifall. Es bleibt ein schaler Beigeschmack: Die Hochkultur schottete sich mit kühler Arroganz ab vor den Problemen außerhalb der angenehm klimatisierten Essener Philharmonie. Ob man den - erneut zu Beginn des zweiten Konzertteils fast flehentlich um Gehör bittenden - Protestierenden nicht vielleicht doch einen Moment der Aufmerksamkeit hätte geben können? Andererseits: Wer sollte das in so einem Moment, in dem das Gastorchester Anima Eterna Brugge bereits spielbereit auf der Bühne sitzt, entscheiden und moderieren? Dr. Markus Krebber jedenfalls wollte nicht. Dabei haben die Protestler ja so Unrecht nicht, wenn sie den Blick der Romantiker Schubert und Liszt auf die Natur zu ihrer Sache machen wollen. Und auf ihre Weise setzen sie damit einen Rahmen, die Werke des Abends politisch zu hören.
Grundsätzlich unpolitisch gibt sich das Festival ja auch nicht, wenn es den aktuellen Festivaljahrgang 2023 in Verbindung setzt zu den Jahren 1923 (der Besetzung des Ruhrgebiets durch französische und belgische Truppen) und 1823 und damit vor allem zu Franz Schubert. Das Eröffnungskonzert mit dem belgischen Orchester und dessen Gründer und langjährigem Leiter Jos van Immerseel als Hauptakteuren unterstreicht nicht zufällig die völkerverbindende und friedensstiftende Kraft der Musik. Warum man aber als Entrée des Festivals mit Schuberts Ouvertüre zur Schauspielmusik Rosamunde ein doch biedermeierlich anmutendes Werk an den Beginn setzte, erschloss sich nicht; immerhin konnte man sich in den spezifischen Klang des auf historischen Instrumenten musizierenden Orchesters einhören. Gewichtiger jedenfalls ist die Wanderer-Fantasie, hier in der Bearbeitung von Franz Liszt für Klavier und Orchester (die eine Verknüpfung schafft zum zweiten großen Klavierwerk des Abends, dem zweiten Liszt-Konzert).
Joseph Moog, Jahrgang 1987, ist seit seinem Debüt 2013 Stammgast beim Klavier-Festival und auch schon als Moderator aufgetreten. Er spielt den Klavierpart unprätentiös und ohne jede Starallüren, vielmehr ordnet er sich am gedeckt klingenden Bechstein-Flügel aus dem Jahr 1870 (aus dem Besitz Jos van Immerseels) dem Orchester fast eine Spur zu sehr unter. Das ist auch später in Liszts A-Dur-Konzert ähnlich: Moog tritt auch hier nicht als konzertierender Herausforderer des Orchesters auf, und alle virtuosen Elemente lässt er bescheiden nebenherlaufen. Er spielt mit bestechender Klarheit und bleibt eher sachlich in der Ausdruckspalette. Die Interpretation verzichtet weitgehend auf romantisierende Rubati oder extreme Lautstärkenwechsel, wirkt eher klassizistisch diszipliniert. Auf faszinierende Weise eigentümlich entwickelt sich das Klangspektrum des Flügels, wenn "dicke" Akkorde mit Pedal ausklingen. Hier wäre noch mehr Ruhe und mehr Innehalten zum Nachhören schön gewesen.
Im Orchester setzen die ganz ausgezeichneten Blechbläser die Akzente, wobei im Tutti ein heller, sanft mattierter Mischklang fast ohne Vibrato entsteht, gegen den sich der Flügel nicht immer durchsetzen kann - gegen die Trompeten sowieso nicht, und Koen Plaetinck an den Pauken ist nicht nur musikalisch der Antrieb, sondern mit seiner hochkonzentrierten, immens energiegeladenen Spielweise ein Hingucker. Bei den Holzbläsern irritiert die unterschiedliche Artikulation der ätherisch entrückten (ein wenig hoch intonierenden?) Klarinetten und der erdverbundeneren Oboen, was vor allem dann auffällt, wenn sie in Schuberts h-Moll-Symphonie, der Unvollendeten, die Motive übergeben. Van Immerseel dirigiert mit kleiner Geste, und an allzu großer innerer Nervosität oder extremen Spannungen ist ihm nicht gelegen. Die Unvollendete wird hier nicht zum Schicksalsdrama, vielmehr rückt die spezifische Farbigkeit des Orchesters n den Vordergrund. In Liszts Klavierkonzert zeichnen van Immerseel, Moog und das Orchester stringent die Entwicklung vom lyrischen Beginn zum hymnischen Finale nach und disponieren die Triumphgesten sorgfältig. Auch hier bleibt der Eindruck, dass Moog das Klavier eher als zusätzliches Orchesterinstrument für besondere Aufgaben denn als zu begleitendes Bravourpferd versteht. Eine schöne, in sich stimmige Interpretation gelingt gleichwohl.
Als Zugabe spielt Moog ein wenig unausgewogen Au bord d'une source ("Am Rande einer Quelle") aus Liszts Années de pèlerinage, auch hier ohne die Virtuosität auszustellen (was bei einer Zugabe ja mehr als legitim wäre). Und zum Abschluss setzt sich Jos van Immerseel (der beim diesjährigen Festival auch noch einen Solo-Abend am Klavier geben wird) zu Joseph Moog ans Klavier, und vierhändig spielen die beiden eine Bearbeitung des Liedes Ungeduld ("Ich schnitt' es gern in alle Rinden ein") aus der Schönen Müllerin. Wobei Schuberts Liebender, nimmt man das gemächliche Tempo als Maß, so sehr ungeduldig nicht zu sein schien.
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Klavier-Festival Ruhr 2023 Eröffnungskonzert Philharmonie Essen 24. April 2023 AusführendeJoseph Moog, KlavierAnima Eterna Brugge Dirigent: Jos van Immerseel ProgrammFranz Schubert:Ouvertüre zu Rosamunde D 797 Fantasie in C-Dur op. 15 D 760 Wanderer-Fantasie Bearbeitung für Klavier und Orchester von Franz Liszt S 366 Sinfonie in h-Moll D 759 Unvollendete Franz Liszt: Klavierkonzert Nr. 2 A-Dur S 125 Klavierfestival Ruhr 2023 - unsere Rezensionen im Überblick
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