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Vernunft statt VorsichtVon Thomas Molke / Fotos: © NKO / Ralph Pauli Seit über 50 Jahren haben es sich Horst und Annette Vladar zur Aufgabe gemacht, für die Neuburger Kammeroper Werke und Komponisten des 18. und 19. Jahrhunderts wiederzuentdecken, die völlig in Vergessenheit geraten sind. In diesem Jahr ist die Wahl auf Pierre-Alexandre Monsigny gefallen, der im 18. Jahrhundert zu den bedeutendsten Vertretern der Opéra comique in Frankreich zählte. Gemeinsam mit dem Librettisten Michel-Jean Sedaine, der zumindest Besucherinnen und Besuchern, die schon in den 1980er Jahren die Aufführungen der Neuburger Kammeroper verfolgt haben, kein völlig Unbekannter sein dürfte, schuf Monsigny ab den 1760er Jahren über zehn äußerst erfolgreiche Opern. Das Ehepaar Vladar hat zwei von diesen Einaktern ausgewählt, und wie es hier seit mehreren Jahren üblich ist, führt bei einem Einakter Horst Vladar und bei dem anderen Michael Hoffmann, langjähriger Wegbegleiter der Neuburger Kammeroper, Regie. Dorval (Semjon Bulinsky, Mitte) hält als orientalischer Bettler Margarita (Denise Felsecker) und Dr. Schweig (Udo E. Kaiser, rechts) auf Trab. Den Anfang macht On ne s'avise jamais de tout, was das Ehepaar Vladar mit Vergebliche Vorsicht übersetzt. Das Stück erlebte am 14.09.1761 in Paris seine Uraufführung. Die deutsche Fassung erinnert an den Untertitel von Il barbiere di Siviglia, L'inutile precauzione, und in der Tat gibt es zahlreiche Parallelen zu der Komödie von Beaumarchais, auch wenn bei Monsigny und Sedaine die Figur des Figaro fehlt. Hier gibt es ebenfalls einen älteren Vormund, in der Kammeroper heißt er Dr. Schweig, der sein Mündel, Jeanne, heiraten will, um sich die Mitgift anzueignen, und einen verliebten jungen Mann, Dorval, der mit zahlreichen Tricks diese Heirat zu verhindern sucht. Hier sind es aber nicht der gesellschaftliche Stand Dorvals und sein politischer Einfluss, die die Pläne des Alten vereiteln, sondern Dorvals zahlreiche Verkleidungen und der Appell des herbeigerufenen Kommissars an Dr. Schweigs Vernunft, sich nicht durch die Hochzeit mit einer viel jüngeren Frau, die obendrein einen anderen Mann liebt, lächerlich zu machen. Dr. Schweig (Udo E. Kaiser, rechts) lenkt auf Anraten des Kommissars (Horst Vladar, 2. von rechts) ein und überlässt sein Mündel Jeanne (Da-yung Cho, Mitte) dem jungen Dorval (Semjon Bulinsky, links) (ganz links: Margarita (Denise Felsecker)). In diesem Stück führt Michael Hoffmann Regie und vertraut, wie man es von den Aufführungen der Neuburger Kammeroper gewohnt ist, der Geschichte, die allerdings nicht den gleichen Esprit wie bei Beaumarchais hat. Wenn Dorval zu Beginn der Oper als Diener eines anderen Herren den Doktor aus dem Haus zu locken versucht oder kurz darauf in orientalischem Gewand auftaucht, gelingt es ihm zunächst nicht, mit der geliebten Jeanne in Kontakt zu treten. Erst als verkleidete Nachbarin, die aus dem Fenster Asche auf Jeannes Kleid schüttet, schafft er es, einen Moment mit Jeanne allein zu sein und sie in sein Haus zu locken. Die Auflösung der ganzen Geschichte ist dann auch relativ profan, wird jedoch vom Ensemble mit großem Spielwitz umgesetzt. Da sind zunächst Udo E. Kaiser als Vormund Dr. Schweig und Denise Felsecker als seine Haushälterin Margarita zu nennen, die beide durch große Komik bestechen. Margarita scheint ihren Herren bezüglich Jeanne in jedem Punkt zu unterstützen und versteht es auch, das junge Mädchen vor Dorval als exotischem Fremden zu bewahren. Nur bei der vermeintlichen Nachbarin lässt dann ihre Vorsicht nach. Semjon Bulinsky schlüpft mit großem Spielwitz als Dorval in die unterschiedlichen Verkleidungen und punktet mit leicht geführtem Tenor. Da-yung Cho ist ein bezauberndes Mündel Jeanne und glänzt mit mädchenhaftem, strahlendem Sopran. Die Kostüme der Figuren sind wie in jedem Jahr absolut liebevoll traditionell gestaltet, das Bühnenbild von Michele Lorenzini ist allerdings ungewohnt abstrakt gehalten. Die Häuser von Dr. Schweig und Dorval werden nur durch einfache hohe Holzkästen angedeutet. Beim Haus von Dr. Schweig fehlt das Fenster, wahrscheinlich damit der Doktor seinem Mündel den Kontakt zur Außenwelt verwehren kann. Bei Dorvals Haus hat das Fenster natürlich eine gewisse Bedeutung, da er durch das Fenster als verkleidete Nachbarin die Asche auf Jeannes Kleid schüttet. Ein drittes Haus auf der rechten Bühnenseite wird gar nicht in das Spiel einbezogen. Ansonsten sieht man lediglich im Hintergrund eine wunderschöne projizierte Landschaft. Auf Requisiten wird ebenfalls größtenteils verzichtet. So deuten Margarita und Dr. Schweig das Buch, aus dem sie in einem Duett zitieren, nur an und blättern bei dem imaginären Buch die Seiten um. Auch das Geld, das der exotische Fremde erbettelt, besteht nur aus Luft. Ob Hoffmann damit in seiner Inszenierung einen besonderen Zweck verfolgt, bleibt unklar. Lediglich Horst Vladar darf sich als Kommissar und träumender Wächter auf eine Art Pike stützen. Die beiden Bauern Mathurin (Michael Hoffmann, links) und Pierre le Roux (Udo E. Kaiser, rechts) sind sich eigentlich handelseinig.
Im zweiten Einakter des Abends bekommt man von Lorenzini wieder ein
Bühnenbild, wie man es bei den Aufführungen der Neuburger Kammeroper
gewohnt ist. Die Bauernstube des Mathurin ist liebevoll mit zahlreichen Details
eingerichtet. Gespielt wird der drei Jahre später uraufgeführte Einakter Rose
et Colas, der in Neuburg den Titel List Rose (Da-yung Cho) lenkt ihren Vater Mathurin (Michael Hoffmann, rechts) ab, während Colas (Semjon Bulinsky, links hinten) versucht, durch das Fenster zu flüchten. Auch hier überzeugt das Ensemble durch große Spielfreude. Musikalisch hat das Stück aber wesentlich mehr zu bieten als der erste Einakter, und man hat den Eindruck, dass Monsigny in den drei Jahren, die zwischen den beiden Werken liegen, seinen Stil enorm weiterentwickelt hat, was in einer ausgefeilten Orchestrierung zum Ausdruck kommt. Auch die einzelnen Musiknummern sind wesentlich eingängiger, so dass es nicht verwundert, dass sich das Stück damals sehr großer Beliebtheit erfreut hat. Da-yung Cho und Semjon Bulinsky geben als Rose und Colas ein herrliches jugendliches Liebespaar ab, das wunderbar gegen die List der Väter rebelliert. Besonders witzig ist, wenn Bulinsky bei der Flucht aus dem Fenster stecken bleibt und verzweifelt versucht, sich hinter einem Vorhang vor Roses Vater Mathurin zu verstecken. Cho spielt dabei wunderbar hektisch, wenn sie mit einer zarten Melodie den Vater in den Schlaf zu wiegen versucht, um dem Geliebten die Flucht aus dem Haus zu ermöglichen. Michael Hoffmann und Udo E. Kaiser können ebenfalls als Idealbesetzung für die beiden Väter bezeichnet werden. Kaiser gibt als Pierre le Roux fast schon ein uriges bayerisches Urgestein, dem man die Bauernschläue in jedem Moment abnimmt. Hoffmann begeistert als Mathurin mit der ihm ganz eigenen Buffo-Komik, mit der er sich bereits seit vielen Jahren in die Herzen des Publikums gespielt hat. Denise Felsecker gibt eine herrlich abgeklärte Mère Babette, die zwar offensichtlich alle übrigen Protagonisten zu nerven scheint, dann schließlich aber doch dafür sorgt, dass die Vernunft über die List der Väter triumphiert und die beiden Bauern einer sofortigen Hochzeit ihrer beiden Kinder nicht mehr im Wege stehen. Dafür hat Babette auch überzeugende Argumente. Schließlich haben Rose und Colas ja bereits die Nacht miteinander verbracht. Wer weiß, was da bereits passiert sein mag? So siegt auch im zweiten Stück die Vernunft über die Vorsicht bzw. List. Alois Rottenaicher arbeitet mit den Mitgliedern des Akademischen Orchesterverbandes München e. V. den leichten Klang der Partitur gekonnt heraus, so dass es für alle Beteiligten zu Recht großen Applaus gibt.
FAZIT Die beiden Einakter zeigen in einer kurzweiligen Inszenierung, dass auch ein Komponist wie Monsigny wiederentdeckt werden sollte. Gerade für kleine Opernbühnen hat er einiges zu bieten, wobei dem zweiten Stück, Rose et Colas, der Vorzug zu geben ist.
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ProduktionsteamMusikalische LeitungAlois Rottenaicher Bühnenbild
Licht
Mitglieder des Akademischen
Vergebliche Vorsicht
Inszenierung Solistinnen und SolistenDr. Schweig
Jeanne, sein Mündel
Margarita, seine Haushälterin
Dorval, ein verliebter junger Mann Ein Kommissar
List
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