Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musikfestspiele
Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum



Rossini Opera Festival

Pesaro
11.08.2023 - 23.08.2023


Eduardo e Cristina

Dramma per musica in zwei Akten
Libretto von T. S. B.
Musik von Gioachino Rossini

In italienischer Sprache mit italienischen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h 10' (eine Pause)

Premiere in der Vitifrigo Arena in Pesaro am 11. August 2023


Homepage

 

Rossini Opera Festival

Homepage

 

Unbekanntes Werk in abstrakter Optik

Von Thomas Molke / Fotos: © Studio Amati Bacciardi (Rossini Opera Festival)

Sieht man von Ivanhoé und Robert Bruce ab, die zwar Musik von Gioachino Rossini enthalten, aber nicht von ihm selbst zusammengestellt worden sind, ist das am 24. April 1819 in Venedig uraufgeführte Dramma per musica Eduardo e Cristina die letzte Oper des Schwans von Pesaro, die beim Rossini Opera Festival bis jetzt noch nicht auf dem Spielplan stand. Als Grund mag gegolten haben, dass es sich bei diesem Werk um ein Pasticcio handelt, das mehr oder weniger aus Rossinis Opern Ermione, Adelaide di Borgogna, Ricciardo e Zoraide und Stefano Pavesis 1810 uraufgeführter Oper Odoardo e Cristina besteht. Auch wenn das in heutiger Zeit als Makel betrachtet werden mag und einer Verbreitung des Werkes nicht dienlich ist, verhielt es sich nach der Uraufführung durchaus anders. Rossini hatte mit dem Impresario des Teatro San Benedetto in Venedig, Giuseppe Cortesi, sogar vertraglich festgelegt, dass ein Großteil der neuen Oper aus bereits komponierter Musik bestehe, die lediglich in Venedig noch nicht zur Aufführung gekommen war. Nach der umjubelten Uraufführung feierte das Werk in ganz Europa große Erfolge, bis es nach 1840 vollkommen in Vergessenheit geriet. Nun hat die Fondazione Rossini in Zusammenarbeit mit Casa Ricordi endlich eine kritische Ausgabe der Oper erstellt, um das Stück auch in Pesaro zur modernen italienischen Erstaufführung zu bringen. Beim Belcanto Opera Festival Rossini in Wildbad war man da ein bisschen schneller. Hier war das Werk bereits 1997 szenisch und 2017 konzertant zu erleben. Die konzertante Aufführung wurde auch auf CD eingespielt.

Bild zum Vergrößern

Cristina (Anastasia Bartoli) schützt ihren Sohn Gustavo (Diego Conti) vor dem Zorn ihres Vaters Carlo (Enea Scala).

Die Geschichte spielt am Hof des schwedischen Königs Carlo zur Zeit einer kriegerischen Auseinandersetzung mit Russland. Der schwedische General Eduardo hat gerade die Russen erfolgreich geschlagen, und Carlo will zur Feier des Sieges seine Tochter Cristina mit dem schottischen Prinzen Giacomo vermählen. Doch Cristina ist bereits heimlich mit Eduardo verheiratet und hat mit ihm sogar einen gemeinsamen Sohn, Gustavo, von dem ihr Vater jedoch nichts weiß. Also versucht sie, die Hochzeit mit Giacomo hinauszuzögern. Als Carlo sie gewaltsam zum Altar führen will, fliegt Cristinas Geheimnis auf. Carlo fordert seine Tochter auf, sofort den Namen des Vaters zu nennen, doch Cristina verweigert die Antwort. Als Carlo sie zur Strafe hinrichten will, tritt Eduardo hervor und gibt sich als Kindesvater und heimlicher Gatte Cristinas zu erkennen. Daraufhin verurteilt Carlo alle drei zum Tode. Ein erneuter Angriff der Russen verhindert allerdings zunächst die Vollstreckung. Eduardo wird von seinem Freund Atlei aus dem Kerker befreit und kann die Stadt ein weiteres Mal retten. Als er um Gnade für Cristina und den gemeinsamen Sohn bittet und sein eigenes Leben dafür opfern will, ist Carlo von Eduardos Tugend derart gerührt, dass er ihn als Schwiegersohn akzeptiert, während Giacomo altruistisch auf Cristina verzichtet.

Bild zum Vergrößern

Cristina (Anastasia Bartoli) mit den Tänzerinnen und Tänzern

Stefano Poda, der neben der Regie auch für das Bühnenbild, die Kostüme, die Choreographie und das Licht verantwortlich zeichnet, verzichtet darauf, das Stück in einen historischen Kontext zu setzen oder in die Gegenwart zu verlegen, und wählt stattdessen einen abstrakten Ansatz, der jedoch teilweise unverständlich bleibt. Im Hintergrund sieht man ein riesiges Fries, das an die Folgen eines Schlachtengetümmels erinnert. Auf der rechten und linken Seite befinden sich in mehreren Reihen aufgetürmte durchsichtige Kästen, die Elemente von antik anmutenden Statuen enthalten. Soll die Geschichte in einem Museum spielen? Hinzu kommt der Einsatz von zahlreichen Tänzerinnen und Tänzern, die optisch wie losgelöste Teile des Frieses oder zum Leben erweckte Statuen wirken. Sollen das die besiegten Russen oder die gefallenen Krieger auf dem Schlachtfeld sein? Die Choreographie, die die Tänzerinnen und Tänzer mit abstraktem Ausdruckstanz auf der Bühne agieren lässt, schafft ebenfalls keine Klarheit, sondern lenkt eher vom eigentlichen Geschehen ab. So bleibt es unverständlich, in welcher Beziehung die Tänzerinnen und Tänzer zu den Figuren des Stücks stehen. Cristinas Sohn ist optisch diesen Tänzern angepasst und scheint damit ein Teil von ihnen zu sein.

Bild zum Vergrößern

Eduardo (Daniela Barcellona, links) und Cristina (Anastasia Bartoli, rechts)

Auch die Kostüme werfen Fragen auf. Eduardo und Cristina sehen in ihren Kostümen mit den langen Haaren und der gleichen Frisur nahezu identisch aus. Wahrscheinlich soll damit ihre Zusammengehörigkeit betont werden. Während beim ersten Auftritt die Schweden und Giacomo in weißen langen Mänteln erscheinen, trägt Eduardo noch einen schwarzen Mantel und hebt sich dadurch von den anderen Figuren ab. Im weiteren Verlauf scheinen sich die Figuren jedoch farblich zu assimilieren. Zunächst heben sie sich alle als eine Art Farbtupfer vom Grau der Tänzerinnen und Tänzer und dem Weiß des Chors ab, wenn ihre Kostüme von einer Art Patina überzogen sind. Nach der Pause sind die Kostüme dann in olivgrünen Tarnfarben gehalten, was wohl andeuten soll, dass der Kampf gegen die aufständischen Russen erneut beginnt. Wenn sie sich dann im Kampf befinden, sind Eduardo und Cristina in Schwarz gekleidet, während die anderen nach dem Sieg wieder Weiß tragen. Das Kind Gustavo wird nun gedoppelt und befindet sich einmal in Weiß bei Carlo und einmal in Schwarz bei Eduardo. Nicht alle im Publikum können sich mit diesen abstrakten und etwas verwirrenden Regie-Einfällen anfreunden, so dass es neben dem Schlussapplaus auch einige Unmutsbekundungen für Poda und seinen Mitarbeiter Paolo Giani gibt.

Bild zum Vergrößern

Eduardo (Daniela Barcellona, Mitte vorne) führt das schwedische Heer (Chor) und Atlei (Matteo Roma, hinten rechts) gegen die Russen.

Die musikalische Gestaltung des Abends lässt hingegen keine Wünsche offen und macht verständlich, wieso die Oper bei der Uraufführung einen großen Erfolg verbuchen konnte. Schon während der Ouvertüre, die man übrigens ohne Inszenierung genießen darf, macht Jader Bignamini mit dem Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai mit absoluter Präzision deutlich, welche Vielfalt und farbliche Pracht in dem Werk steckt und dass es zu Recht musikalisch das Prädikat "Best of Rossini verdient. Mit dem von Giovanni Farina einstudierten Coro del Teatro Ventidio Basso, der teilweise auch von den Seiten im Saal singt, zeigt sich das Orchester wunderbar abgestimmt. Das Liebespaar ist mit Anastasia Bartoli als Cristina, die in Pesaro ihr Debüt gibt, und Daniela Barcellona als Eduardo, die nach vielen Jahren endlich wieder einmal zum Festival zurückkehrt, hochkarätig besetzt. Bartoli punktet in ihrer Kavatine im ersten Akt, wenn sie keinen Ausweg mehr weiß, wie sie eine Vermählung mit Giacomo verhindern soll, mit kraftvollen, dramatischen Höhen, die ihre Verzweiflung glaubhaft zum Ausdruck bringen. Ein weiterer musikalischer Glanzpunkt ist ihre große Arie im zweiten Akt, wenn sie fürchtet, dass ihr Mann bereits tot ist. Hier begeistert Bartoli mit sauber angesetzten Spitzentönen und flexiblen Koloraturen. Insgesamt verfügt sie über einen absolut runden und vollen Sopran mit enormer Durchschlagskraft. Barcellona legt die Partie des Eduardo mit einer weichen, sehr samtig klingenden Mittellage an und punktet ebenfalls durch große Beweglichkeit in den Läufen. Dabei arbeitet sie die unterschiedlichen Emotionen des jungen Generals glaubhaft heraus. In ihrer ersten Kavatine blickt sie mit freudigen Koloraturen dem Wiedersehen mit Cristina entgegen und zeigt sich sichtlich geschockt, wenn sie erkennen muss, dass die heimliche Gattin für einen anderen Mann bestimmt ist. Absolut heldenhaft stürzt sich Barcellona dann im großen Rondo im zweiten Akt mit großen Oktavsprüngen und halsbrecherischen Koloraturen in den Kampf. In den beiden Duetten finden Bartoli und Barcellona zu einer bewegenden Innigkeit.

Bild zum Vergrößern

Giacomo (Grigory Shkarupa) will Cristina (Anastasia Bartoli) gegen ihren Willen heiraten.

Enea Scala gestaltet den strengen Vater Cristinas, Carlo, mit kraftvoll ausgesungenen Höhen und einer profunden Mittellage, die die Unerbittlichkeit des schwedischen Königs unterstreicht. Mit sauberen Spitzentönen glänzt er in der großen Arie des ersten Aktes, wenn er seine Tochter zwingen will, den Namen des Kindsvaters zu nennen. Der Publikumsapplaus scheint an dieser Stelle gar nicht enden zu wollen und zwingt die Solist*innen, relativ lange in ihrer Position zu verharren, bevor es endlich weitergehen kann. Auch im großen Duett mit Bartoli im zweiten Akt, wenn er seiner Tochter noch einmal die Option eröffnet, Giacomo zu heiraten, macht Scala mit großer Härte stimmlich deutlich, dass zwischen Vater und Tochter keine Verständigung mehr möglich ist. Umso unglaubwürdiger wirkt dann der Schluss, wenn er nach Eduardos erneutem Sieg gegen die Russen einlenkt und sich Cristina dafür sogar noch dankbar zeigt. Grigory Shkarupa verleiht dem schottischen Prinzen Giacomo mit profundem und gefühlvollem Bass enorme Güte. Man kann schon etwas Mitleid mit ihm haben, wenn er zu großen Zugeständnissen bereit ist, um Cristinas Liebe zu gewinnen und sie vor der Hinrichtung zu bewahren.

Die relativ kleine Partie des Atlei wird in Pesaro sogar noch aufgewertet. Erstmals wird eine Arie eingefügt, die zwar in keiner vorhandenen Textvorlage enthalten ist, aber wahrscheinlich von Rossini im ersten Akt nach dem Chor vorgesehen war und in der sich Atlei auf die siegreiche Rückkehr seines Freundes Eduardo aus der Schlacht freut. Es steht zwar nicht fest, ob diese Arie bereits bei der Uraufführung in Venedig gestrichen war, aber schließlich will man in Pesaro ja auch den Besucherinnen und Besuchern, die das Stück aus Bad Wildbad oder von der veröffentlichten CD kennen, etwas Neues bieten. Matteo Roma gestaltet als Atlei diese Arie mit kraftvollem Tenor, der in den Höhen allerdings ein bisschen forcieren muss. So gibt es am Ende einhelligen Applaus für die musikalische Leistung des Abends. Auch der Ausdruckstanz wird honoriert, selbst wenn nicht klar wird, welche Funktion die Tänzerinnen und Tänzer im Stück verfolgen.

FAZIT

Musikalisch ist diese "Wiederentdeckung" ein Hochgenuss. Ob man allerdings bei einem Stück, das kaum jemand kennt, eine derart irritierende Inszenierung bieten sollte, ist fraglich.

Weitere Rezensionen zu dem Rossini Opera Festival 2023



Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Jader Bignamini

Regie, Bühnenbild, Kostüme,
Choreographie, Licht
Stefano Poda

Mitarbeit
Paolo Giani

Chorleitung
Giovanni Farina



Coro del Teatro Ventidio Basso

Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai


Solistinnen und Solisten

Carlo
Enea Scala

Cristina
Anastasia Bartoli

Eduardo
Daniela Barcellona

Giacomo
Grigory Shkarupa

Atlei
Matteo Roma

Tänzerinnen und Tänzer
Marco Beljulji
Alessandra Bordino
Nicoletta Cabassi
Juliette César
Francesco Cifaldi
Henri Culot
Arthur Delorme
Alexander de Vries
Elise Griffon
Antoine Lecouteux
Antonino Montalbano
Alice Monti
Katia Pagni
Elia Pangaro
Florian Perez
Alessandro Piuzzo
Sophie Planté
Anna Schizzarotto Negroni

Gustavo (stumme Rolle)
Diego Conti
Fabio Conti

 


Zur Homepage vom
Rossini Opera Festival




Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum

© 2023 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de

- Fine -